Entscheidungsstichwort (Thema)

Handelsrecht Gesellschaftsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Handlungen eines sachlich unzuständigen Finanzamts sind nicht geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.

 

Normenkette

AO §§ 144, 145 Abs. 1, § 147 Abs. 1, § 148 S. 1

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige (Revisionsbeklagte) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sitz und Geschäftsleitung befinden sich in A. Die Kapitalverkehrsteuer der Firma verwaltete früher das Finanzamt (FA) B. Jetzt ist das Finanzamt C. zuständig. Umstritten ist, ob die Steuerpflichtige aus Vorgängen der Jahre 1950 und 1951 noch zur Gesellschaftsteuer herangezogen werden kann.

Auf Grund Auftrags des FA A vom 7. Dezember 1953 hat bei der Steuerpflichtigen zum Jahreswechsel 1953/1954 eine allgemeine Betriebsprüfung stattgefunden. Der Auftrag erstreckte sich "auf alle Steuern für die Jahre II/1948 bis 1953". Nach Beginn der Betriebsprüfung übersandte das FA B mit Schreiben vom 9. Januar 1954 die Kapitalverkehrsteuerakten "zur Verwertung bei der z. Z. laufenden Betriebsprüfung" und erbat eine Abschrift des Betriebsprüfungsberichts. Dieser ging am 15. Juli 1954 beim FA B ein. Am 31. Oktober 1957 wurde auf Veranlassung des Finanzamts C bei der Steuerpflichtigen die Kapitalverkehrsteuer für die Zeit vom 1. Januar 1951 bis 31. Dezember 1954 geprüft.

Durch Bescheid vom 11. November 1958 forderte das Finanzamt C von der Steuerpflichtigen Gesellschaftsteuer in Höhe von 95.363,45 DM an. Der Bescheid gründet sich im wesentlichen auf Gesellschafterdarlehen, die im Jahr 1950 gewährt worden sind. In der Einspruchsentscheidung hat das FA die Gesellschaftsteuer auf 6.413,50 DM herabgesetzt.

Die Berufung der Steuerpflichtigen hatte im wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hält die Gesellschaftsteuer aus den Jahren 1950 und 1951 für verjährt. Dementsprechend hat es die Steuer auf 675 DM für die in den Jahren 1952 bis 1954 angefallene Gesellschaftsteuer herabgesetzt. Mit der Rb. hat der Vorsteher des Finanzamts C beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als die Gesellschaftsteueransprüche infolge Verjährung für erloschen erklärt worden sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist seit 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln.

Die Revision ist unbegründet. Die in diesem Rechtszug noch streitigen Gesellschaftsteuerforderungen sind in den Jahren 1950 und 1951 entstanden. Ihre Verjährung hat mit Ablauf dieser Jahre begonnen (§ 145 Abs. 1 AO). Sie waren daher bei Erlaß des Gesellschaftsteuerbescheids vom 11. November 1958 verjährt (§ 148 AO), da die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 144 AO) zwischenzeitlich weder gehemmt (§ 146 AO a. F.) noch unterbrochen worden (§ 147 AO a. F.) war.

Die Verjährung ist nach § 147 Abs. 1 AO a. F. u. a. durch jede Handlung unterbrochen worden, die das zuständige FA zur Feststellung des Anspruchs vornimmt. Diese Zuständigkeit fehlte dem FA A für die streitigen Gesellschaftsteueransprüche. Denn die Verwaltung der Kapitalverkehrsteuern war abweichend von der allgemeinen Bezirkseinteilung der Finanzämter zunächst gemäß § 1 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Kapitalverkehrsteuergesetz (KVStDB) dem FA B, später gemäß § 1 der Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsverordnung (KVStDV) i. d. F. vom 22. September 1955 dem Finanzamt C übertragen worden.

Der allgemeine Betriebsprüfungsauftrag des FA A vom 7. Dezember 1953 hat daher die Verjährung der Gesellschaftsteuer nicht unterbrochen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auch im Rahmen des § 147 Abs. 1 AO der Mangel der örtlichen Zuständigkeit nach Maßgabe des § 79 AO geheilt werden kann (zum Meinungsstand vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl. 1965, § 147 Tz. 2). Denn dem FA A. fehlte nicht die örtlichen Zuständigkeit, auf die sich § 79 AO allein bezieht, sondern die sachliche Zuständigkeit zur Prüfung der Kapitalverkehrsteuern. Zwar werden im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit die besonderen gerichtlichen Zuständigkeiten nach § 58 Abs. 1, § 74 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), § 33 Abs. 4 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), § 74 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und § 476 a Abs. 1 und 2 AO als besondere örtliche Zuständigkeiten behandelt (vgl. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen - BGHSt - Bd. 13 S. 378 (380 f.)). Diese auf den Aufbau der gerichtlichen Spruchkörper abgestellte Qualifikation läßt sich jedoch auf die Verwaltungszuständigkeit der Finanzämter nicht übertragen. Nicht nur § 1 KVStDB 1934 und § 1 KVStDV 1955 und 1960 bezeichnen die Zuständigkeit der Kapitalverkehrsteuerämter als eine sachliche; das gleiche gilt für die entsprechenden besonderen Zuständigkeiten gemäß § 1 der Wechselsteuer-Durchführungsverordnung i. d. F. vom 20. April 1960 (WStDV 1960) und § 3 der Durchführungsverordnung zum Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStDV) 1961. Diese Zuständigkeiten sind deshalb als sachliche anzusehen, weil sie die ausschließliche Zuständigkeit bestimmter Finanzämter - hier der Kapitalverkehrsteuerämter - nach Sachgebieten (Steuerarten-) abgrenzen und dadurch gleichzeitig die anderen Finanzämter schlechthin von der Verwaltung der bezeichneten Steuerarten ausschließen. Daher kann § 79 AO auch nicht entsprechend angewandt werden.

Demgegenüber schlägt auch der Hinweis der Revision nicht durch, daß das damals zuständige FA B und FA A die Akten zur Verwertung bei der laufenden Betriebsprüfung übersandt hat. Denn das FG hat für diesen Rechtszug bindend festgestellt, daß das FA B dabei nicht etwaigen Kapitalverkehrsteueransprüche aus den Jahren 1950 oder 1951 verfolgen wollte. Der Wortlaut des übersendungsschreibens "zur Verwertung bei der zur Zeit laufenden Betriebsprüfung" steht so wenig entgegen wie die Bitte um eine Abschrift des Betriebsprüfungsberichts. Denn diese Bitte bezweckte, wie das FG festgestellt hat, die Nachprüfung der Gründungsbesteuerung. Letztere wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß das FA der Steuerpflichtigen zu diesem Zeitpunkt bereits eine Erledigung nach § 94 AO angeboten, aber noch nicht durchgeführt hatte.

Auch § 162 Abs. 10 Satz 2 AO der damals geltenden Fassung kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Danach hatte sich zwar die Prüfung auf alle Verhältnisse zu erstrecken, die für die Besteuerung von Bedeutung sein können. Doch kann diese Vorschrift unbeschadet des § 93 Abs. 3 KVStDB nicht bedeuten, daß entgegen § 147 Abs. 1 AO a. F. der Prüfungsauftrag eines FA auch die Verjährung der Steuern unterbricht, zu deren Verwaltung es sachlich nicht zuständig ist.

Die Kapitalverkehrsteuer-Sonderprüfung vom 31. Oktober 1957 konnte die Verjährung nicht mehr unterbrechen, da die Verjährung zu diesem Zeitpunkt bereits eingetreten war.

Dem Ergebnis des angefochtenen Urteils ist daher beizutreten. Die Revision des FA war demzufolge als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411958

BStBl III 1966, 493

BFHE 1966, 514

BFHE 85, 514

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