Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurechnung des Nutzungswerts einer Wohnung, die der Nießbraucher dem Eigentümer unentgeltlich überläßt

 

Leitsatz (NV)

Überläßt der Nießbraucher an einem Zweifamilienhaus dessen Eigentümer unentgeltlich die Nutzung einer Wohnung, so ist deren Nutzungswert dem Eigentümer zuzurechnen. Dabei kann offen bleiben, ob es sich um eine im Sinne des § 21 Abs. 2 Alt. 2 EStG unentgeltlich überlassene Wohnung oder um die Nutzung einer Wohnung im eigenen Haus gemäß § 21 Abs. 2 Alt. 1 EStG handelt.

 

Normenkette

EStG 1977 § 21 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Durch notariellen Vertrag vom 11. Februar 1967 erhielt die Ehefrau des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) von ihren Eltern das mit einem Zweifamilienhaus nebst Garage bebaute Grundstück . . . übertragen. Die Übertragung erfolgte unentgeltlich im Wege vorweggenommener Erbfolge. Die Eltern behielten sich ein lebenslängliches Wohnrecht an allen Räumen des Hauses vor mit Ausnahme der Räume im Obergeschoß, die der Kläger und seine Ehefrau bewohnten. Durch einen weiteren notariellen Vertrag vom 3. Juli 1975 änderten die Vertragsparteien ihre ursprüngliche Vereinbarung dahin, daß das den Eltern eingeräumte Wohnrecht aufgehoben und ihnen stattdessen ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht am gesamten Grundstück bestellt wurde mit der Maßgabe, daß der Kläger und seine Ehefrau abweichend von § 1047 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sämtliche Lasten des Grundstücks zu tragen hatten. Die Eigentumsänderung und das Nießbrauchsrecht wurden im Grundbuch eingetragen.

In den Streitjahren 1977 und 1978 bewohnte der Kläger zusammen mit seiner Familie die Erdgeschoßwohnung, während die Eltern der Ehefrau des Klägers im Obergeschoß wohnten. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machten der Kläger und seine Ehefrau die von ihnen getragenen Grundstücksaufwendungen als Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem zunächst in nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheiden, änderte diese Bescheide jedoch später nach § 164 Abs. 2 AO 1977 und rechnete dem Kläger und seiner Ehefrau den Nutzungswert beider Wohnungen und der Garage als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu.

Während des nach erfolglosem Einspruch angestrengten Klageverfahrens änderte das FA die angefochtenen Einkommensteuerbescheide erneut, und zwar dahingehend, daß der Nutzungswert der Obergeschoßwohnung den Eltern der Ehefrau des Klägers zugerechnet wurde, während der Nutzungswert der Erdgeschoßwohnung nach wie vor der Ehefrau des Klägers zugerechnet blieb. Der Kläger hat den Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Denn die Einkünfte aus der vom Kläger und seiner Ehefrau genutzten Erdgeschoßwohnung seien nicht dieser als Grundstückseigentümerin, sondern deren Eltern als Nießbrauchsberechtigten zuzurechnen. Die Voraussetzungen für eine Zurechnung des Nutzungswerts an die Ehefrau nach § 21 Abs. 2 Alternative 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien nicht erfüllt. Da das Grundstück mit dem Nießbrauchsrecht der Eltern belastet sei, könnten der Kläger und seine Ehefrau die Wohnung nicht aufgrund des Eigentums der Ehefrau nutzen. Dagegen erfüllten der Kläger und seine Ehefrau die zweite Alternative des § 21 Abs. 2 EStG, da ihnen die Wohnung von den nießbrauchsberechtigten Eltern unentgeltlich zur Nutzung überlassen worden sei. Gleichzeitig erfüllten aber auch die Nießbraucher diesen Steuertatbestand, weil ihnen das Grundstück aufgrund des Nießbrauchsrechts zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung gestanden habe und sie von dieser Nutzungsmöglichkeit in der Weise Gebrauch gemacht hätten, daß sie das Grundstück dem Kläger und dessen Ehefrau zur Nutzung überlassen hätten. Eine doppelte Besteuerung des Nutzungswerts nach § 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG sowohl bei den nießbrauchsberechtigten Eltern als auch beim Kläger und seiner Ehefrau scheide aus. Da nach der zivilrechtlichen Rechtslage den nießbrauchsberechtigten Eltern das originäre Nutzungsrecht zugestanden habe, während der Kläger und seine Ehefrau ihre Wohnung nur aufgrund schuldrechtlicher Gestattung der Nießbrauchsberechtigten nutzten, sei es gerechtfertigt, den Nutzungswert den Nießbrauchern steuerlich zuzurechnen und in der unentgeltlichen Überlassung der Wohnung an den Kläger und dessen Ehefrau eine Einkommensverwendung der nießbrauchsberechtigten Eltern i. S. von § 12 Nr. 2 EStG zu sehen.

Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts, nämlich des § 21 Abs. 2 EStG. Abweichend von der Vorentscheidung sei der Nutzungswert der Erdgeschoßwohnung der Ehefrau des Klägers nach § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG zuzurechnen, da sie diese Wohnung als Eigentümerin im eigenen Haus nutze. Insoweit sei die Nießbrauchsvereinbarung nicht durchgeführt worden. Die Eltern der Ehefrau hätten sich 1967 nur hinsichtlich einer Wohnung ein Wohnrecht vorbehalten und nur insoweit ihre Dispositionsbefugnis ausgeübt. Mit der Bestellung des Nießbrauchs am gesamten Grundstück durch den notariellen Vertrag vom 3. Juli 1975 sei hinsichtlich der zweiten Wohnung ein Zuwendungsnießbrauch bestellt worden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Die Auffassung des FG, daß der Nutzungswert der Erdgeschoßwohnung den Nießbrauchern zuzurechnen sei, ist rechtsfehlerhaft. Denn die Nießbraucher haben insoweit weder den Tatbestand der Einkunftserzielung des § 21 Abs. 1 EStG noch den der Selbstnutzung nach § 21 Abs. 2 EStG verwirklicht. Vielmehr ist der Nutzungswert dieser Wohnung gemäß § 21 Abs. 2 EStG der Ehefrau des Klägers zuzurechnen, wobei unentschieden bleiben kann, ob hierfür die Alternative 2 oder die Alternative 1 der Vorschrift heranzuziehen ist.

Wie der erkennende Senat im Urteil vom 20. Januar 1987 IX R 49/82 (BFH/NV 1987, 433) im Anschluß an das Urteil des VIII. Senats vom 30. Juli 1985 VIII R 71/81 (BFHE 144, 376, BStBl II 1986, 327) ausgesprochen hat, kann ein Vorbehaltsnießbrauch an einem gemischtgenutzten Grundstück auch dadurch wirksam ausgeübt werden, daß ein Grundstücksteil gewerblich vermietet und ein Teil dem Eigentümer unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen wird, wenn dadurch nicht gleichzeitig die Dispositionsbefugnis des Nießbrauchers zu sehr eingeengt erscheint. Hiernach kann auch der Nießbrauch an einem Zweifamilienhaus dadurch ausgeübt werden, daß eine Wohnung vom Nießbraucher selbst genutzt, die andere unentgeltlich an den Eigentümer überlassen wird; der Nutzungswert der letzteren ist dann gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG vom nutzenden Eigentümer zu versteuern. Die nach ständiger Rechtsprechung für die Zurechnung des Nutzungswerts gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG erforderliche gesicherte Rechtsposition des Nutzenden ist auch hier gegeben. Eine gesicherte Rechtsposition liegt vor, wenn dem Nutzenden der Gebrauch für eine grundsätzlich festgelegte Zeit nicht entzogen werden kann. Hierfür genügt ein schuldrechtliches Nutzungsrecht (Senatsurteile vom 16. Oktober 1984 IX R 81/82, BFHE 143, 310, BStBl II 1985, 390, und vom 23. Oktober 1984 IX R 48/80, BFHE 143, 313, BStBl II 1985, 453), das auch durch einen Leihvertrag begründet werden kann (Senatsurteil vom 21. Januar 1986 IX R 27/83, BFH/NV 1986, 456). Die Dauer eines Nutzungsrechts kann mit dem Urteil in BFHE 144, 376, BStBl II 1986, 327 (Ziff. 1b Abs. 4 der Gründe) auch mit Hilfe ergänzender Vertragsauslegung ermittelt werden.

Das FG ist hier von einer Überlassung der Erdgeschoßwohnung an die Ehefrau des Klägers aufgrund eines schuldrechtlichen Nutzungsrechts ausgegangen. Dies stimmt mit den Vereinbarungen und ihrer Handhabung durch die Beteiligten überein. Denn im notariellen Vertrag vom 3. Juli 1975, den das FG in Bezug genommen hat, ist ausdrücklich bestimmt (Ziff. 2 Abs. 2), daß die Verpflichtung der Ehefrau des Klägers zur Tragung der Grundstückskosten erlischt, ,,wenn die Verpflichtete mit ihrer Familie aus den von ihr in dem übertragenen Grundbesitz bewohnten Räumen auszieht". Hiernach sind die Vertragspartner als gewissermaßen selbstverständlich davon ausgegangen, daß die Ehefrau des Klägers die Erdgeschoßwohnung weiterhin beliebig lange bewohnen darf. Aus der vom FG ebenfalls in Bezug genommenen ersten Wohnrechtsvereinbarung vom 11. Februar 1967 ergibt sich, daß die Ehefrau des Klägers als Eigentümerin eine Wohnung kraft eigenen Rechts nutzen konnte und dies wie der Eigentumswechsel auf der Tatsache beruhte, daß der Kläger den Umbau des Hauses in ein Zweifamilienhaus finanziert hatte.

Hielte man hingegen die Nießbrauchsvereinbarung hinsichtlich der Erdgeschoßwohnung mit dem FA für nicht hinreichend ausgeübt, wäre der Nutzungswert dieser Wohnung der Ehefrau des Klägers nach § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG zuzurechnen, da sie dann diese Wohnung als Eigentümerin genutzt hätte.

Einer Entscheidung zwischen der Alternative 1 und der Alternative 2 des § 21 Abs. 2 EStG bedarf es nicht deshalb, weil das FA bei der Ermittlung der Einkünfte der Ehefrau des Klägers möglicherweise Absetzungen für Abnutzung (AfA) von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes berücksichtigt hat. Denn im vorliegenden Fall käme eine Versagung des Abzugs der AfA - wie auch anderer Werbungskosten - bei der Ehefrau des Klägers wegen des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) nicht in Betracht.

Die Vorentscheidung kann somit keinen Bestand haben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA den Nutzungswert der Erdgeschoßwohnung zu Recht der Ehefrau des Klägers zugerechnet hat, war die Klage unter Aufhebung des FG-Urteils abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416078

BFH/NV 1989, 295

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