Leitsatz (amtlich)

Wird mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt, so reicht zur Revisionsbegründung die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aus, falls diese Begründung ihrem Inhalt nach zur Begründung der Revision genügt.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1

 

Tatbestand

Nachdem der Senat auf die Beschwerde des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) die Revision gegen das die Einkommensteuer 1974 betreffende Urteil des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg vom 9. September 1976 durch Beschluß vom 12. Januar 1978 VIII B 50/76 zugelassen hatte, legte der Kläger mit Schreiben vom 3. Februar 1978 Revision ein, verwies zur Begründung der Revision "zunächst" auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und kündigte eine Ergänzung der Revisionsbegründung bis zum Ende des nächsten Monats an. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 6. April 1978 ab. Der Schriftsatz mit der "ergänzenden" Revisionsbegründung ging dem Gericht am 14. April 1978 zu.

Der Kläger vertritt die Ansicht, daß die Revision rechtzeitig und formgerecht begründet worden sei, weil die Verweisung auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit einer eingehenden Darstellung der Rechtslage und einer Auseinandersetzung mit den Gründen des angegriffenen FG-Urteils zur Begründung der Revision ausreiche, während der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Revision für unzulässig ansieht, weil sie nicht frist- und formgerecht begründet worden sei.

Der Kläger beantragt eine Sachentscheidung während das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Über den im Streitverfahren herrschenden Zwischenstreit wegen der Zulässigkeit der Revision entscheidet der Senat gemäß § 97 i. V. m. § 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch ein Zwischenurteil.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig, weil der Kläger die Revisionsbegründungsfrist gewahrt hat.

Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, daß die Revisionsbegründungsfrist nur gewahrt ist, wenn die Bezugnahme des Klägers im Schriftsatz vom 3. Februar 1978 auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im Schriftsatz vom 27. September 1976 als Revisionsbegründung i. S. des § 120 FGO anerkannt werden kann. Denn der Schriftsatz vom 12. April 1978 mit einer besonderen Revisionsbegründung ist dem Senat erst am 14. April 1978 und damit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zugegangen. Die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hat jedoch zur Begründung der Revision ausgereicht, weil der Kläger die Zulassung der Revision aus sachlichen Gründen begehrt hat und die Begründung seines Antrags auf Zulassung der Revision eine eingehende Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt der Entscheidung des FG enthält.

Mit der Frage, ob die Bezugnahme auf Schriftsätze in anderen Verfahren, insbesondere auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zur Begründung der Revision ausreicht, haben sich die Bundesgerichte mehrfach auseinandergesetzt. So hat der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom 24. April 1974 I R 220/72 - auf den der Kläger hingewiesen worden ist - entschieden, daß die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zur Begründung der Revision nicht ausreiche, wenn formelle Mängel der Vorentscheidung gerügt werden. Der Grund hierfür liege in der Bestimmung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, wonach zur Begründung formeller Rügen die Tatsachen bezeichnet werden müssen, die den Mangel ergeben. Zum Nachweis der Übereinstimmung seiner Entscheidung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) verweist der I. Senat des BFH auf den Beschluß vom 24. Juli 1968 IV CB 22.68 (Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 139 VwGO Nr. 30). In diesem Beschluß hat das BVerwG keinen Unterschied zwischen der Begründung der Revision mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts und der Begründung der Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gemacht, jedoch auf eine frühere Entscheidung des BVerwG vom 14. Juni 1963 VII C 44.62 (Buchholz, a. a. O., 310, § 139 Nr. 13) verwiesen, in der das BVerwG unter Hinweis auf § 139 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - eine mit § 120 Abs. 2 FGO übereinstimmende Regelung - die Bezugnahme des Revisionsklägers auf die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde zur Begründung seiner Revision für unzureichend erklärt hat, weil der Revisionskläger in dem zu entscheidenden Falle seine Revision mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts begründen wollte. Es ist nicht ersichtlich, daß das BVerwG in seiner Entscheidung IV CB 22.68 etwas anderes zum Ausdruck bringen wollte.

Demnach haben weder der I. Senat des BFH noch auch das BVerwG die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zur Begründung der Revision ausdrücklich für unzureichend erklärt, wenn in der Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Soweit dem BVerwG-Urteil vom 6. November 1970 VII C 65.67 (Bayerische Verwaltungsblätter 1971 S. 276), in dem das BVerwG die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde unterschiedslos selbst dann für unzureichend erklärt hat, wenn eine Fotokopie beigefügt wird, etwas anderes entnommen werden könnte, kommt es hierauf nicht an, weil die Revision in dem entschiedenen Fall aus anderen Gründen zulässig war, so daß es sich bei der Entscheidung über die Unzulässigkeit der Bezugnahme auf die Begründung in einem anderen Verfahren um ein obiter dictum handelt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 24. August 1976 8 RU 152/75 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977 S. 201) erklärt, daß die Verweisung auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde als Revisionsbegründung anzuerkennen sei, wenn nicht Verfahrensmängel, sondern materielle Fehler der Vorentscheidung gerügt werden. Zur Begründung verweist das BSG auf § 164 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über das Bundessozialgericht, der inhaltlich mit § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO übereinstimmt.

Daraus ergibt sich, daß die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde als Begründung der Revision nicht ausreicht, wenn Verfahrensmängel gerügt werden, daß aber die Bezugnahme zulässig ist, wenn in der Revision Fehler materiellen Rechts gerügt werden. Da der Kläger seine Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet, reicht die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zur Begründung der Revision aus.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72987

BStBl II 1979, 116

BFHE 1979, 260

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