Entscheidungsstichwort (Thema)

(Festsetzung von Aussetzungszinsen)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird der Steuerbetrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids ausgesetzt war, nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens und vor Festsetzung der Aussetzungszinsen herabgesetzt, dann muß diese Minderung der Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen bereits bei Erlaß des Zinsbescheids berücksichtigt werden. Wird der Steuerbetrag erst nach Erlaß des Zinsbescheids herabgesetzt, ist der Zinsbescheid zu ändern.

2. Wird die nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens herabgesetzte Steuer wieder erhöht, so erhöhen sich dadurch auch wieder die Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen und die festzusetzenden Zinsen.

 

Orientierungssatz

1. Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) sind --wie Zinsen aufgrund zivilrechtlicher Ansprüche-- laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags.

2. Wird ein Rechtsbehelfsverfahren durch Erlaß eines Änderungsbescheids abgeschlossen, dann ergibt sich aus dem bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheid, inwieweit der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg hatte (§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; vgl. BFH-Urteil vom 11.2.1987 II R 176/84).

 

Normenkette

AO 1977 § 3 Abs. 3, § 164 Abs. 1, § 175 Abs. 1, §§ 233, 237 Abs. 1 S. 1, § 238 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 13.12.1989; Aktenzeichen 1 K 1200/84)

 

Tatbestand

I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) durch Bescheid vom 27.Oktober 1981 für 1979 zur Einkommensteuer und setzte die Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 872 151 DM fest. Dabei berücksichtigte das FA einen von der Klägerin erklärten Verlust aufgrund einer atypisch stillen Beteiligung an der T-KG nicht, weil noch keine Mitteilung über die Feststellung des Verlustes vorlag.

Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 17.November 1981 Einspruch. Sie beantragte, aufgrund ihrer Beteiligung an der T-KG inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 334 333 DM einkünftemindernd und ausländische Einkünfte in Höhe von ./. 1 414 305 DM bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen. Gleichzeitig stellte sie den Antrag, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids in vollem Umfang auszusetzen. Das FA setzte die Vollziehung des Bescheids zunächst in Höhe von 433 743 DM und später in Höhe von insgesamt 765 328 DM bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bzw. des geänderten Steuerbescheids aus (Verwaltungsakte vom 16.Dezember 1981 und 2.Februar 1982). Am 10.Januar 1983 änderte das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid und setzte die Steuer auf 679 896 DM herab, weil inzwischen der Anteil der Klägerin am Gewinn der T-KG festgestellt worden war (Anteil an den inländischen Einkünften ./. 334 333 DM, Anteil an den ausländischen Einkünften ./. 337 170 DM). Der Änderungsbescheid enthält den Hinweis, daß sich durch die Änderung der Rechtsbehelf erledigt habe. Die Klägerin widersprach dem nicht und erklärte später ausdrücklich, daß das Einspruchsverfahren mit Erlaß des Änderungsbescheids abgeschlossen gewesen sei.

Danach änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1979 noch mehrmals gemäß § 164 Abs.2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Durch Bescheid vom 22.April 1983 setzte es die Steuer auf 496 133 DM herab, weil die Klägerin im Februar 1983 beantragt hatte, die negativen ausländischen Einkünfte aufgrund ihrer Beteiligung an der T-KG steuermindernd gemäß § 2 des Auslandsinvestitionsgesetzes (AIG) zu berücksichtigen. Im Mai 1983 setzte es die Steuer weiter --auf 492 269 DM-- herab, da noch ein Anteil der Klägerin am Verlust einer anderen Gesellschaft zu berücksichtigen war. Durch Bescheid vom 8.November 1983 erhöhte es die Einkommensteuer wieder --nunmehr auf 697 767 DM--, weil der Anteil der Klägerin am Gewinn eines weiteren Gewerbebetriebs --der D-KG-- aufgrund einer Außenprüfung höher als zuvor festgestellt worden war. Per Saldo wurde die Einkommensteuer nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens somit um 17 871 DM erhöht.

Die wegen der Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids vom 27.Oktober 1981 zu zahlenden Zinsen setzte das FA auf 35 581 DM fest (Zinsbescheid vom 15.September 1983). Bei der Zinsberechnung ging es davon aus, daß der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid in Höhe von 573 073 DM endgültig keinen Erfolg gehabt habe (573 073 DM *= Einkommensteuer lt. Änderungsbescheid vom 10.Januar 1983 abzüglich 106 823 DM anzurechnender Kapitalertrag- und Körperschaftsteuer). Einspruch und Klage gegen den Zinsbescheid waren erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1991, 509). FA und Finanzgericht (FG) schlossen sich nicht der Auffassung der Klägerin an, daß bei der Zinsberechnung auch die Herabsetzung der Einkommensteuer aufgrund des erst nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens gestellten Antrags gemäß § 2 AIG zu berücksichtigen sei.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 233, 237 und 37 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Der Zinsbescheid darf nicht zugunsten der Klägerin geändert werden. Das FA hätte zwar bei Festsetzung der Zinsen am 15.September 1983 berücksichtigen müssen, daß die Einkommensteuer nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens herabgesetzt worden war. Es hätte aber, nachdem die Steuer später --durch Bescheid vom 8.November 1983-- wieder erhöht wurde, dem durch Änderung des Zinsbescheids Rechnung tragen müssen und dabei die Zinsen nicht niedriger als im Bescheid vom 15.September 1983 festsetzen dürfen.

1. Die Zinspflicht in Fällen der Aussetzung der Vollziehung ist in § 237 AO 1977 geregelt. Ergänzende Bestimmungen zur Höhe, Berechnung und Festsetzung der Zinsen enthalten die §§ 238 und 239 AO 1977.

Gemäß § 237 Abs.1 Satz 1 AO 1977 ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids ausgesetzt wurde, insoweit zu verzinsen, als der förmliche außergerichtliche Rechtsbehelf oder die Anfechtungsklage gegen den Bescheid endgültig keinen Erfolg hatte. Steuerbescheid im Sinn dieser Vorschrift ist auch ein Bescheid, mit dem eine Steuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.1 AO 1977 festgesetzt worden ist (s. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.Mai 1987 II R 44/84, BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229). Wurde ein Rechtsbehelfsverfahren durch Erlaß eines Änderungsbescheids abgeschlossen, dann ergibt sich aus dem bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheid, inwieweit der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg hatte (vgl. BFH-Urteil vom 11.Februar 1987 II R 176/84, BFHE 148, 491, BStBl II 1987, 320).

Dazu hat das FG --für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs.2 FGO)-- festgestellt, daß die Klägerin mit ihrem Einspruch vom November 1981 die Herabsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM begehrte und das FA die Steuer durch bestandskräftigen Änderungsbescheid vom 10.Januar 1983 nur auf 679 896 DM herabsetzte. Demnach hatte der außergerichtliche Rechtsbehelf der Klägerin gegen den Einkommensteuerbescheid vom 27.Oktober 1981 endgültig in Höhe von 679 896 DM keinen Erfolg. Auf diese durch den Änderungsbescheid festgesetzte Einkommensteuer waren gemäß § 36 Abs.2 Nrn.2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1979 insgesamt 106 823 DM Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer anzurechnen. Gemäß § 237 Abs.1 Satz 1 AO 1977 betrug die Bemessungsgrundlage der festzusetzenden Zinsen somit vor Abrundung 573 073 DM.

2. Durch die Einkommensteuerbescheide vom 22.April und 24.Mai 1983 änderte sich die Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen.

Aussetzungszinsen sind steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs.3 AO 1977). Sie sind --wie Zinsen aufgrund zivilrechtlicher Ansprüche-- laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags. Deshalb ist der Zinsanspruch grundsätzlich vom Bestehen des Steueranspruchs abhängig (s. § 233 AO 1977). Diese Akzessorietät führt dazu, daß nicht nur die Herabsetzung der Steuerschuld während des Rechtsbehelfsverfahrens, sondern auch Herabsetzungen nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens --ausgenommen möglicherweise solche aus Billigkeitsgründen-- die Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen mindern (s. Urteil in BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229 und Urteil des erkennenden Senats vom 18.Juli 1990 I R 165/86, BFH/NV 1991, 212 --betreffend Stundungszinsen--).

Wird der Steuerbetrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids ausgesetzt worden war, nachträglich und vor Festsetzung der Aussetzungszinsen herabgesetzt, dann muß das FA die Minderung der Bemessungsgrundlage bereits bei Erlaß des Zinsbescheids berücksichtigen. Wird der Steuerbetrag erst nach Erlaß des Zinsbescheids herabgesetzt, so ist der Zinsbescheid zu ändern.

Ob der Zinsbescheid gemäß § 175 Abs.1 Nr.2 AO 1977 zu ändern ist (so das Urteil in BFHE 150, 4, BStBl II 1988, 229) oder gemäß § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977, hat der erkennende Senat im Urteil in BFH/NV 1991, 212 offengelassen. Die Frage kann z.B. wegen unterschiedlicher Festsetzungsfristen bedeutsam sein (s. § 171 Abs.10 und § 175 Abs.1 Satz 2 AO 1977). Auch im Streitfall muß sie nicht geklärt werden. Da die Minderung der Bemessungsgrundlage der Zinsen aufgrund der Bescheide vom 22.April und 24.Mai 1983 nicht von Dauer war, scheidet eine Änderung des Zinsbescheids zugunsten der Klägerin aus.

3. Wird die nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens herabgesetzte Steuer wieder erhöht, so erhöht sich dadurch auch wieder die Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen. Der Grundsatz, daß der Zinsanspruch abhängig von der zu verzinsenden Forderung ist, gilt nicht nur für den Fall der Herabsetzung der Schuld, sondern auch für den der nachfolgenden Erhöhung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Minderung und die Erhöhung der Steuerschuld miteinander zusammenhängen. Die Akzessorietät besteht zwischen Steuer- und Zinsanspruch, nicht zwischen bestimmten Besteuerungsgrundlagen oder -merkmalen und dem Zinsanspruch.

Im Streitfall kann ungeklärt bleiben, ob die Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen durch § 237 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 238 Abs.2 AO 1977 nach oben begrenzt wird, ob also der (abgerundete) Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt und der Rechtsbehelf endgültig erfolglos war, die Obergrenze der Bemessungsgrundlage der Aussetzungszinsen ist. Das FA berechnete die zu verzinsenden Steuerbeträge gemäß § 237 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 238 Abs.2 AO 1977 und überschritt daher die etwaige Obergrenze nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64467

BFH/NV 1992, 65

BStBl II 1992, 997

BFHE 168, 13

BFHE 1993, 13

BB 1992, 1786 (L)

DStR 1993, 514 (KT)

HFR 1992, 593 (LT)

StE 1992, 502 (K)

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