Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung der Werklieferungen von den Werkleistungen bei Reparaturen.

 

Normenkette

UStG § 3 Abs. 2, § 3/4; UStDB § 7 Abs. 1; UStG § 3/8; UStDB § 8; UStG § 3/9; UStDB §§ 11-12

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige betreibt den Groß- und Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen, Kraftfahrzeugzubehör und Ersatzteilen sowie eine Reparaturwerkstätte. Das Unternehmen war bis 31. Dezember 1957 als OHG geführt worden. Mit Wirkung vom 1. Januar 1958 wurde die Gesellschaft aufgelöst und das Unternehmen von dem bisherigen Gesellschafter Heinrich A unter der geänderten Firma A & B, Kraftfahrzeuge, Inhaber Heinrich A, fortgeführt.

Für die OHG sind bis einschließlich 1957 in den Umsatzsteuer- Voranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen Großhandelsumsätze nicht ausgewiesen worden. Ein im April 1957 gestellter Antrag der OHG, die Großhandelsvergünstigung nach § 7 Abs. 3 UStG zu gewähren, weil 1956 die Lieferungen im Einzelhandel nur geringfügig über der 75 % - Grenze gelegen hätten, war vom Finanzamt abgelehnt worden.

Ab 1. Januar 1958 nahm die Steuerpflichtige für sich in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen die Großhandelsvergünstigung in Anspruch. Bei einer im Oktober 1958 durchgeführten Umsatzsteuer- Sonderprüfung stellte der Prüfer fest, daß die Steuerpflichtige sämtliche Werkstattumsätze als Leistungen angesehen und bei der Berechnung der 75 % - Grenze als solche berücksichtigt hatte.

Nach einer stichprobenweisen überprüfung der ausgewiesenen Werkstatterlöse nahm der Prüfer an, daß darin 85 bis 88 % Werklieferungen im Einzelhandel enthalten seien. Außerdem seien nachträglich Teile in die Kraftfahrzeuge eingebaut worden. Seiner Ansicht nach haben damit für die Zeit von Januar bis September 1958 die Einzelhandelsumsätze 86,5 % betragen.

Mit Rücksicht auf diese Feststellungen lehnte das Finanzamt bei der Veranlagung für 1958 die von der Steuerpflichtigen für Lieferungen in Höhe von ... DM beantragte Großhandelsvergünstigung ab und setzte die Umsatzsteuer durch vorläufigen Bescheid auf ... DM fest. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Berufung hatte die Steuerpflichtige Erfolg. Die Vorinstanz billigte der Steuerpflichtigen die Steuervergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG zu, weil die Lieferungen im Einzelhandel im Jahre 1957 nicht mehr als 75 % betragen hätten. Das Gericht sei zu der überzeugung gekommen, daß die aus den Reparaturarbeiten erzielten Umsätze nicht als Werklieferungen, sondern als Werkleistungen anzusehen seien. Die Besteller legten Wert darauf, ihren eigenen Gegenstand in derselben Form, aber in repariertem Zustand zurückzuerhalten. Bei dieser Beurteilung würden aber die Lieferungen im Einzelhandel die 75 % - Grenze nicht erreichen. Die Umsatzsteuer wurde von der Vorinstanz endgültig auf ... DM festgesetzt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts. Es wird insbesondere geltend gemacht, daß die Vorinstanz von einer irrigen Auslegung des Begriffs der Werklieferung ausgegangen sei. Bei der Abgrenzung der Werklieferung von der Werkleistung müsse den objektiven Merkmalen eine primäre Bedeutung beigelegt werden. Für die Frage, ob die beschafften Stoffe Zutaten oder Nebensachen seien, komme es ausschlaggebend auf deren Verhältnis zu dem übernommenen Werk an. Bei Reparaturen sei der stoffliche Beitrag des Unternehmers stets dann als Hauptstoff anzusehen, wenn Teilstücke verwendet würden, die von einer gewissen selbständigen wirtschaftlichen Bedeutung seien. Demgegenüber stelle die Vorinstanz ausschließlich auf den Willen der Beteiligten ab. Es folge damit im Ergebnis den Feststellungen des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige habe aber seinen Ermittlungen einen offensichtlich unzutreffenden Werklieferungsbegriff zugrunde gelegt. In welchem Umfang evtl. Werklieferungen Lieferungen im Großhandel wären, könne dahingestellt bleiben, weil dafür der Nachweis nach § 11 Abs. 4 UStDB nicht erbracht sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Setzt ein Unternehmer Gegenstände auch außerhalb des Großhandels um, so findet nach § 7 Abs. 3 UStG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB in der für 1958 geltenden Fassung der ermäßigte Steuersatz nur dann Anwendung, wenn im letzten vorangegangenen Kalenderjahr u. a. die Lieferungen im Einzelhandel nicht mehr als 75 % des Gesamtumsatzes betragen haben. In dem vorliegenden Fall ist das Unternehmen durch den Alleininhaber der Steuerpflichtigen von der zweigliedrigen offenen Handelsgesellschaft, an der er als Gesellschafter beteiligt war, übernommen worden. Das Unternehmen ist deshalb von der OHG als Ganzes auf die Steuerpflichtige übergegangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind in solchen Fällen dem Wesen der Gesamtrechtsnachfolge entsprechend die Verhältnisse des bisherigen Unternehmens dem neuen Unternehmer zuzurechnen. Die Vorinstanz ist daher für die Berechnung der 75 % - Grenze zu Recht von den Verhältnissen des Jahres 1957 ausgegangen.

Bei der Abgrenzung der Lieferungen im Einzelhandel von den übrigen Umsätzen hat sie angenommen, daß die aus den Reparaturarbeiten erzielten Umsätze nicht als Werklieferungen, sondern als Werkleistungen anzusehen seien. Sie begründete dies vor allem damit, daß es den Eigentümern der Fahrzeuge darauf angekommen sei, das hingegebene reparaturbedürftige Fahrzeug mit oder ohne Ersatzteile in betriebsfertigem Zustand zurückzuerhalten. Es hätten deshalb die Leistungselemente überwogen. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Nach § 3 Abs. 2 UStG ist eine Leistung als Lieferung (Werklieferung) anzusehen, wenn der Unternehmer, der die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstands übernommen hat, hierbei Stoffe verwendet, die er selbst beschafft hat, sofern es sich bei diesen Stoffen nicht nur um Zutaten oder sonstige Nebensachen handelt. Diese Vorschrift findet, wie sich aus ihrem Wortlaut ergibt, auch auf Reparaturen Anwendung. Auch bei Reparaturen werden Gegenstände bearbeitet und dazu Stoffe verwendet, die der Unternehmer dazugibt. Es müssen daher für die Entscheidung der Frage, ob eine Reparatur eine Werklieferung oder eine Werkleistung darstellt, die Merkmale beachtet werden, die sich aus § 3 Abs. 2 UStG ergeben. Dabei ist folgendes zu beachten.

Als Gegenstand im Sinne dieser Vorschrift ist der auszubessernde Gegenstand zu verstehen. Dieser Gegenstand kann auch ein Teilstück eines größeren Gegenstandes sein, sofern ihm eine gewisse selbständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Wenn ein Kraftfahrzeug einen Motorschaden hat, so hat die Reparatur mit den übrigen Teilen des Fahrzeugs nichts zu tun. Es kann dann allenfalls noch in Betracht kommen, ob sich der Schaden nicht auf einen selbständigen Teil des Motors beschränkt. Der Auffassung der Vorinstanz, daß Werkleistungen anzunehmen seien, weil die Reparatur auf die Wiederherstellung eines betriebsfertigen Fahrzeugs gerichtet sei, kann deshalb für die Beurteilung der Tätigkeit des die Reparatur ausführenden Unternehmers nicht zugestimmt werden.

Verwendet der Unternehmer zu der Reparatur keinerlei eigenen Stoff, so liegt eine reine Werkleistung vor. Die Leistung des Unternehmers besteht in dessen Arbeitstätigkeit. Wie § 3 Abs. 2 UStG zu entnehmen ist, ist eine Werkleistung aber auch dann anzunehmen, wenn der Unternehmer nur Zutaten oder sonstige Nebensachen, die er selbst beschafft hat, verwendet. Beschafft der Unternehmer nicht nur Zutaten oder sonstige Nebensachen, sondern auch Hauptstoff, so liegt eine Werklieferung vor. Es kommt daher für die Abgrenzung der Werklieferung von der Werkleistung darauf an, ob der vom Unternehmer zugegebene Stoff als Hauptstoff oder als Nebenstoff anzusehen ist. Die Auffassung des Gutachters, daß eine Werklieferung nur angenommen werden könne, wenn der Unternehmer mindestens die Hälfte des Hauptstoffs beschafft habe, findet im Gesetz keine Stütze.

Ob der Stoff als Hauptstoff oder als Nebenstoff anzusehen ist, hängt davon ab, ob diesem im Vergleich zu dem auszubessernden Gegenstand bzw. Teilstück nur eine nebensächliche Bedeutung zukommt. Bei kleineren technischen Hilfsmitteln, wie z. B. Schrauben, Nägeln, Splinten wird das regelmäßig der Fall sein. Andere Stoffe werden in der Regel als Nebenstoffe angesehen werden können, wenn sie der Menge und dem Wert nach gegenüber dem auszubessernden Gegenstand bzw. Teilstück nur geringfügig sind. Auf die Art des Stoffes kann es dabei nicht ankommen. Bei Reparaturen wird der Unternehmer oft den gleichen Stoff verwenden müssen, aus dem das auszubessernde Stück besteht. Es kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob der zur Reparatur verwendete Stoff entbehrlich ist. Die Schraube ist das typische Beispiel einer Nebensache und ist unentbehrlich. Wird ein Teilstück, dem eine gewisse selbständige Bedeutung zukommt, z. B. die Kurbelwelle eines Kraftfahrzeugs, ausgetauscht, weil sie unbrauchbar geworden ist, so kann nicht mehr von einer Nebensache gesprochen werden.

In verschiedenen Urteilen des Bundesfinanzhofs wird zur Abgrenzung der Werklieferung von der Werkleistung ausgeführt, daß eine Werklieferung anzunehmen sei, wenn es dem Besteller hauptsächlich darauf ankomme, den vom Unternehmer beschafften Stoff in verarbeiteter Form und in Verbindung mit eigenem Stoff zu erwerben (Urteil des Bundesfinanzhofs V 47/55 U vom 24. Juni 1955, BStBl 1955 III S. 287, Slg. Bd. 61 S. 233) und daß eine Werkleistung anzunehmen sei, wenn es dem Besteller darauf ankomme, dem eigenen Stoff durch den Unternehmer in Verbindung mit dessen Stoff eine bestimmte Form zu geben (Urteil des Bundesfinanzhofs V 22/53 U vom 28. Mai 1953, BStBl 1953 III S. 217, Slg. Bd. 57 S. 567). Diese Grundsätze stimmen in ihrem Ausgangspunkt mit den vorstehenden Ausführungen überein. Es wird darin ebenfalls entscheidend auf das Verhältnis des vom Unternehmer beschafften Stoffes zu dem herzustellenden Gegenstand abgestellt. Dies wird von der Steuerpflichtigen verkannt, wenn sie ausschließlich auf den subjektiven Gehalt dieser Grundsätze abstellt.

Bei der Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist von den Gegebenheiten des einzelnen Falles auszugehen. Es ist dabei zu beachten, daß es sich bei der Unterscheidung zwischen Werklieferung und Werkleistung um eine Abgrenzung rechtlicher Begriffe handelt. Für eine Berücksichtigung der Verkehrsauffassung oder des Willens der Beteiligten ist deshalb nur Raum, wenn zweifelhaft ist, welche Bedeutung einem Teilstück oder dem vom Unternehmer beschafften Stoff zukommt. Die Verkehrsauffassung und der Wille der Beteiligten können daher der Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn sie den dargelegten Rechtsgrundsätzen entsprechen. Die Vorinstanz hat im vorliegenden Fall bei der Einholung des Gutachtens eine durchaus zutreffende Rechtsbelehrung gegeben. Der Gutachter ist jedoch bei seinem Gutachten von einer ganz anderen Rechtsauffassung ausgegangen. In ihrem Urteil ist die Vorinstanz im Ergebnis und weitgehend auch in der rechtlichen Begründung dem Gutachten gefolgt. Sie hat dabei vor allem auf den auf die Wiederinstandsetzung des Fahrzeugs gerichteten Willen der Auftraggeber abgestellt. Damit ist sie in ihrer Entscheidung von einer unzutreffenden Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und zur nochmaligen Prüfung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Diese wird bei ihrer erneuten Prüfung der Sache die vorstehenden Ausführungen zu beachten haben. Werden Instandsetzungen im sogenannten Austauschverfahren gemäß dem Erlaß des Reichsministers der Finanzen S 4169 - 29 III vom 11. Februar 1943 (USt-Kartei S 4169 Karte 7) durchgeführt, so werden insoweit Werkleistungen anzunehmen sein. Wie der Senat in seinem Urteil V 298/59 S vom 3. Mai 1962 (BStBl 1962 III S. 265, Slg. Bd. 74 S. 719) ausgeführt hat, handelt es sich bei diesem Erlaß um einen Milderungserlaß. Der Senat hat deshalb gegen seine Anwendung für zurückliegende Zeiträume keine Bedenken, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Es muß sich daher um Teilstücke handeln, die noch für eine Ausbesserung in Betracht kommen; außerdem muß das Entgelt einem Werklohn, der bei einer Ausbesserung angefallen wäre, entsprechen. Bei Reparaturen wird das oft nicht der Fall sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411590

BStBl III 1965, 338

BFHE 1965, 258

BFHE 82, 258

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