Entscheidungsstichwort (Thema)

(Keine Umdeutung einer von der Finanzbehörde angeordneten Zustellung in eine formlose Bekanntgabe - keine Heilung von Bekanntgabemängeln durch eine verwerfende Rechtsbehelfsentscheidung)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine wegen Formmangels unwirksame, von der Finanzbehörde angeordnete Zustellung eines Steuerbescheides kann nicht in eine schlichte Bekanntgabe umgedeutet werden.

2. Die unwirksame Bekanntgabe eines Steuerbescheides wird nicht durch die ordnungsgemäß zugestellte, den Einspruch jedoch als unzulässig verwerfende Rechtsbehelfsentscheidung geheilt.

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 1, 5, § 128 Abs. 1; VwZG §§ 3, 9 Abs. 1-2; ZPO §§ 180-181, 187, 418 Abs. 1-2

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Rentner.

Wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen für die Einkommensteuer und Umsatzsteuer schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Besteuerungsgrundlagen für 1986 und ordnete die Zustellung der Bescheide vom 3.Oktober 1988 an. Laut Ziff.2.3 und 3.1 der Postzustellungsurkunde vom 4.Oktober 1988 sollen die Bescheide, weil der Empfänger selbst in der Wohnung nicht angetroffen worden sei, dem zu seiner Familie gehörenden Sohn im Wege der Ersatzzustellung übergeben worden sein.

Der Kläger bewohnte im Jahre 1988 im ersten Obergeschoß des Hauses in D eine abgeschlossene Mietwohnung, sein Sohn mit seiner Familie im zweiten Obergeschoß ebenfalls eine abgeschlossene Mietwohnung. Beide Wohnungen waren nur über die vom Sohn im Erdgeschoß gemieteten Ladenräume zu erreichen. Ein Hausbriefkasten war nicht vorhanden. Sowohl die für den Kläger als auch die für die Familie seines Sohnes bestimmte Post wurde regelmäßig im Geschäft des Sohnes abgegeben. Nach einer vom FA beim Postamt D eingeholten amtlichen Auskunft vom 4.August 1989 ist diese Form der Postauslieferung nie beanstandet worden.

Da der Kläger die festgesetzten Steuern nicht entrichtete, pfändete das FA dessen Bankkonto mit Verfügung vom 28.Februar 1989. Der Steuerbevollmächtigte des Klägers machte daraufhin mit Schreiben vom 13.März 1989 geltend, der Kläger habe bislang keine Steuerbescheide erhalten. Das FA legte dieses Schreiben als Einspruch aus, den es jedoch wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig verwarf.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, die Steuerbescheide vom 3.Oktober 1988 nie erhalten zu haben. Die Ersatzzustellung an seinen Sohn habe zwingende Formvorschriften verletzt. Zwischen ihnen bestehe keine Haushaltsgemeinschaft.

Mit Urteil vom 16.Januar 1992 stellte das Finanzgericht (FG) im Anschluß an eine Beweisaufnahme fest, die Bescheide für 1986 über Einkommensteuer und Umsatzsteuer vom 3.Oktober 1988 seien gegenüber dem Kläger nicht wirksam bekanntgegeben worden und hob die Einspruchsentscheidung auf.

Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend (§ 122 Abs.1 und Abs.5 der Abgabenordnung --AO 1977--). Für den Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellung könne schon deshalb nicht auf § 122 Abs.1 AO 1977 zurückgegriffen werden, weil eine schlichte Bekanntgabe hier von vornherein ausscheide. Die behördliche Anordnung einer förmlichen Zustellung umfasse zugleich die Möglichkeit einer einfachen Bekanntgabe (Urteil des FG München vom 10.April 1991 9 K 217/89, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1991, 635). Die Zustellung sei nur eine besondere Form der Bekanntgabe. Zudem sei die Zustellung nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck der Bekanntgabe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat rechtsfehlerfrei die Unwirksamkeit der Bescheide für 1986 über Einkommensteuer und Umsatzsteuer vom 3.Oktober 1988 mangels Bekanntgabe festgestellt.

1. Zutreffend hat das FG die Auffassung vertreten, daß die Bescheide nicht ordnungsgemäß zugestellt worden und deshalb nicht wirksam geworden sind.

a) Steuerbescheide werden erst wirksam, wenn sie demjenigen Beteiligten bekanntgegeben werden, für den sie bestimmt sind oder der von ihnen betroffen wird (§§ 124 Abs.1 Satz 1, 122 Abs.1 Satz 1, 155 Abs.1 Satz 2 AO 1977).

An Stelle der formlosen Bekanntgabe kann die Finanzbehörde die Zustellung schriftlicher Verwaltungsakte anordnen (§ 122 Abs.5 Satz 1 AO 1977, Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14.März 1990 X R 104/88, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612, 615). Dies geschieht insbesondere, wenn die förmliche Zustellung aus Beweisgründen sachgerecht erscheint, wie in Schätzungsfällen (BFH-Urteil vom 12.Januar 1990 VI R 137/86, BFHE 160, 103, 106).

Im Streitfall ist nicht erkennbar, daß das FA insoweit von seinem pflichtgemäßen Ermessen fehlerhaften Gebrauch gemacht hätte (§ 5 AO 1977, § 102 FGO).

b) Die von der Finanzbehörde angeordnete Zustellung richtet sich nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG-- (§ 122 Abs.5 Satz 2 AO 1977, § 1 Abs.2, Abs.3 VwZG).

Die Auswahl unter den verschiedenen Zustellungsarten steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Das FA hat sich im Streitfall in nicht zu beanstandender Weise für eine Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde entschieden (§ 3 Abs.1 VwZG).

Indessen hat der Zustellungsbeauftragte der Post nach den mangels zulässiger und begründeter Rügen bindenden Feststellungen des FG die Bescheide weder dem Kläger als Zustellungsempfänger (§ 3 Abs.3 VwZG i.V.m. § 180 der Zivilprozeßordnung --ZPO--) noch einem Ersatzempfänger (§ 181 ZPO) ordnungsgemäß übergeben. Der Postbeamte hat nach den Feststellungen des FG eine Zustellung zunächst vergeblich in der Wohnung des Klägers versucht. Dazu reichte es aus, daß der Sohn des Klägers dem Postbeamten auf dessen Nachfrage die Abwesenheit des Klägers versicherte.

Unstreitig ist die Übergabe der Schriftstücke jedoch weder in der Wohnung des Klägers an die in § 181 Abs.1 ZPO abschließend aufgeführten Ersatzempfänger erfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 7.Oktober 1976 IV R 154/73, nicht veröffentlicht) noch an eine Ersatzperson nach § 181 Abs.2 ZPO. An andere als die in § 181 Abs.1 oder 2 ZPO genannten Bewohner des Hauses kann nicht ersatzweise zugestellt werden (BFH-Beschluß vom 16.Februar 1968 VI R 237/67, BFHE 91, 463, BStBl II 1968, 384; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, § 3 VwZG, Tz.4).

Nach den Feststellungen des FG verfügten der Kläger einerseits und dessen Sohn mit Familie andererseits jeweils über eine abgeschlossene Wohnung. Das Geschäftslokal des Sohnes gehörte auch unter Berücksichtigung der besonderen baulichen Situation des Hauses, welches über keinen gesonderten Zugang verfügte, nicht zu der Wohnung des Klägers (vgl. zu der dem FG obliegenden tatsächlichen Würdigung als Wohnung BFH-Urteile vom 4.Juni 1987 V R 131/86, BFHE 150, 305, BStBl II 1988, 392; vom 20.Oktober 1987 VII R 19/87, BFHE 151, 24, BStBl II 1988, 97; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 1.März 1991 8 C 31/89, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1991, 1904). Unter einer Wohnung i.S. der §§ 180, 181 ZPO sind diejenigen Räumlichkeiten zu verstehen, in denen der Adressat sich tatsächlich aufhält und die er insbesondere auch zum Schlafen nutzt (BFHE 150, 305, BStBl II 1988, 392; BFH-Urteil vom 18.Februar 1986 VIII R 257/83, BFH/NV 1986, 711 m.w.N.).

§ 181 Abs.1 ZPO bezweckt eine möglichst sichere und zuverlässige Benachrichtigung des Empfangsberechtigten und beruht auf der Erwägung, daß die Wohnung der Ort ist, wo am ehesten damit gerechnet werden kann, daß das zuzustellende Schriftstück den Empfänger erreicht (BFH/NV 1986, 711).

Darüber hinaus ist der Sohn des Klägers, der mit seiner Familie in einer eigenen, abgeschlossenen Wohnung lebte, weder ein zur Familie des Klägers gehörender erwachsener Hausgenosse (vgl. BFH-Urteil vom 29.April 1982 IV R 52/81, BFHE 136, 179, BStBl II 1982, 715, 716) noch eine in dessen Familie dienende erwachsene Person i.S. des § 181 Abs.1 ZPO (Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 3 VwZG Tz.4, Frotscher, a.a.O., § 3 VwZG Tz.4).

Soweit die Postzustellungsurkunde vom 4.Oktober 1988 eine Ersatzzustellung in der Wohnung des Klägers an dessen Sohn als zu dessen Familie gehörendem erwachsenen Hausgenossen fälschlicherweise beurkundet, ist die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde aufgrund der vom FG durchgeführten Beweisaufnahme widerlegt worden (§ 418 Abs.1, Abs.2 ZPO i.V.m. § 155 FGO; BFH-Urteile vom 2.Juni 1987 VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170; vom 10.Oktober 1978 VIII R 197/74, BFHE 126, 359, BStBl II 1979, 209; vom 25.Mai 1976 VIII R 74/75, BFHE 119, 41, 43, BStBl II 1976, 573).

c) Zu Recht hat das FG eine Heilung der Zustellungsmängel nach § 9 Abs.1 VwZG verneint, weil der Kläger die Bescheide nach den ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen des FG tatsächlich nicht erhalten hat.

aa) Soweit mit der Zustellung lediglich der Lauf einer Einspruchsfrist ausgelöst werden soll, wird die Anwendbarkeit des § 9 Abs.1 VwZG nicht durch die in Abs.2 getroffene Regelung eingeschränkt (BFH-Urteil vom 15.Januar 1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81, 85 mit umfangreichen Nachweisen, ständige Rechtsprechung).

bb) Nach § 9 Abs.1 VwZG gilt ein Schriftstück, welches unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat.

Der Vorgang der Zustellung eines Verwaltungsakts stellt keinen Selbstzweck dar, sondern ist nur Mittel zum Zwecke der Bekanntgabe. Wird der Zweck der Zustellung, nämlich die Tatsache des Zugangs und dessen Zeitpunkt sicher nachweisen zu können, auch ohne Einhaltung der Vorschriften des VwZG erreicht, so sollen die Verstöße dagegen ohne Rechtsfolge bleiben (BFH-Urteil vom 8.Dezember 1988 IV R 24/87, BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346; Engelhardt/App, Verwaltungsvollstreckungsgesetz/ Verwaltungszustellungsgesetz, 3.Aufl., § 9 VwZG Anm.2; Frotscher, a.a.O., § 9 VwZG Tz.1).

Die Heilung des Zustellungsmangels setzt jedoch nach dem Wortlaut der Vorschrift in § 9 Abs.1 VwZG und nach dessen Zweck den tatsächlichen Erhalt des Schriftstücks durch den Empfangsberechtigten voraus (zur vergleichbaren Vorschrift in § 187 ZPO Beschluß des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 21.Dezember 1983 IVb ZB 29/82, NJW 1984, 926).

Empfangsberechtigt war indessen nicht der Sohn des Klägers, sondern nur der Kläger selbst. Empfangsberechtigter i.S. des § 9 Abs.1 VwZG ist derjenige, an den das Schriftstück nach dem Gesetz zuzustellen war (BFH-Urteile in BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346; vom 9.Dezember 1980 VIII R 122/78, BFHE 132, 380, BStBl II 1981, 450).

Nach Sinn und Zweck des § 9 Abs.1 VwZG tritt eine Heilung von Zustellungsmängeln jedoch nicht ein, wenn das Schriftstück lediglich dadurch nach den für die Bekanntgabe nach § 122 Abs.1 Satz 1 AO 1977 geltenden Grundsätzen zugeht, daß es einem Empfangsboten übergeben wird, ohne daß es anschließend tatsächlich den Empfangsberechtigten erreicht (zum Empfangsboten BFH-Urteil vom 18.Oktober 1988 VII R 123/85, BFHE 154, 446, BStBl II 1989, 76, 78; Urteil des BGH vom 15.März 1989 VIII ZR 303/87, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1989, 757; bejahend allerdings Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanz gerichtsordnung, § 9 VwZG Tz.2).

Diese Auffassung wird auch zu der vergleichbaren Regelung in § 187 ZPO (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9.November 1976 GmS-OGB 2/75, BVerwGE 51, 378; Urteile in BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346; BFHE 132, 380, BStBl II 1981, 450) nahezu einhellig vertreten.

2. Das FG hat ebenfalls rechtsfehlerfrei abgelehnt, die fehlgeschlagene förmliche Zustellung in eine --im Streitfall wirksame-- schlichte Bekanntgabe über den Sohn als Empfangsboten des Klägers umzudeuten.

a) Nach § 128 Abs.1 AO 1977 kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Finanzbehörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlaß erfüllt sind. Abs.1 gilt dann nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, u.a. der erkennbaren Absicht der erlassenden Finanzbehörde widerspräche (Abs.2).

Im Schrifttum (vgl. Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4.Aufl., § 128 Anm.2; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3.Aufl., § 128 Tz.2) wird bereits die Umdeutung von Verwaltungsakten, die wegen fehlender Bekanntgabe unwirksam sind, abgelehnt.

Die Zustellung (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., 14.Aufl., vor § 1 VwZG Tz.3; Urteil des BVerwG vom 19.Juni 1963 V C 198/62, BVerwGE 16, 165) und die Bekanntgabe (BFH-Urteile vom 24.November 1988 V R 123/83, BFHE 155, 466, BStBl II 1989, 344, 345; vom 27.Juni 1986 VI R 23/83, BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832) sind nicht bloß Realakte, sondern hoheitliche Rechtshandlungen. Es kann im Streitfall allerdings offenbleiben, ob § 128 AO 1977 auch auf andere Hoheitsakte als Verwaltungsakte unmittelbar oder zumindest analog anwendbar ist (vgl. ablehnend zu der vergleichbaren Vorschrift in § 47 des Verwaltungsverfahrensgesetzes --VwVfG-- Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., § 47 Tz.2).

b) Im Urteil vom 9.September 1970 I R 113/69 (BFHE 100, 179, BStBl II 1971, 9) hatte der BFH eine Umdeutung einer formunwirksamen, von der Finanzbehörde angeordneten Zustellung nach § 3 VwZG in eine Bekanntgabe nach § 17 VwZG abgelehnt, wenn durch die Zustellung eine Klagefrist in Lauf gesetzt wird. Der erkennende Senat hat sich dem (Urteil in BFHE 119, 41, 43, BStBl II 1976, 573) angeschlossen.

c) aa) In der Rechtsprechung (Urteil des FG Hamburg vom 22.Juni 1989 II 97/88, EFG 1989, 550; Beschluß des Oberverwaltungsgerichtes --OVG-- Rheinland-Pfalz vom 31.Januar 1983 11 B 215/82, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 1983, 955; Urteil des OVG Münster vom 16.Juni 1971 III A 600/70, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1971, 453) und in der Literatur (Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 AO 1977 Tz.26; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 3 VwZG Tz.2; Frotscher, a.a.O., § 9 VwZG Tz.4; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 122 AO 1977 Anm.6 b; Tipke/Kruse, a.a.O., § 9 VwZG Tz.2; Drescher, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1988, 680, 683 zu der mit § 122 Abs.5 AO 1977 vergleichbaren Vorschrift in § 41 Abs.5 VwVfG; Kopp, a.a.O., § 41 Rz.22; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 3.Aufl., § 53 II 6; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3.Aufl., § 41 Rz.15; Meyer/Borgs/ Maciejewski, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2.Aufl., § 41 Tz.33; Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2.Aufl., § 41 Rz.85; Bayerische Verwaltungsblätter 1976, 254; Scholtz, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1986, 79; Hellinger, Betriebs-Berater --BB-- 1978, 496) wird überwiegend eine Umdeutung generell abgelehnt, also auch wenn lediglich der Lauf einer Rechts- behelfsfrist ausgelöst werden soll.

bb) Der Bundesminister der Finanzen (BMF) vertritt im Schreiben vom 8.April 1991 IV A 5 - S 0284 - 1/91 (BStBl I 1991, 398, Tz.4.5.3) die Auffassung, im Falle einer wegen Formmangels unwirksamen Zustellung könne gleichwohl eine wirksame Bekanntgabe nach § 122 Abs.2 AO 1977 gegeben sein. Lediglich die in § 9 Abs.2 VwZG erwähnten Fristen hätten noch nicht zu laufen begonnen. Das FG München ist im Urteil in EFG 1991, 635 ebenfalls der Ansicht, daß eine mißglückte, vom FA angeordnete förmliche Zustellung die einfache Bekanntgabe nach § 122 Abs.1 AO 1977 mitumfasse.

d) Der erkennende Senat schließt sich aus folgenden Erwägungen der ganz überwiegenden Meinung an: Soweit bereits kraft Gesetzes eine Zustellung vorgeschrieben wird, hat die Rechtsprechung die Verweisung in § 122 Abs.5 Satz 2 AO 1977 auf das VwZG als abschließende Regelung beurteilt und einen Rückgriff auf allgemeine Vorschriften der AO 1977 (§ 80, § 122 Abs.1 bis 4) abgelehnt (BFH-Urteile vom 19.Juni 1991 I R 77/89, BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826; vom 29.Juli 1987 I R 367, 379/83, BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242; vom 27.Februar 1986 IV R 72/85, BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547).

Ordnet die Finanzbehörde die Zustellung gemäß § 122 Abs.5 Satz 1 AO 1977 an, so richtet sich diese ebenfalls ausschließlich nach dem VwZG (§ 122 Abs.5 Satz 2 AO 1977, § 1 Abs.3 VwZG). Hat die Behörde die Zustellung als Bekanntgabeform gewählt, so muß sie gemäß § 1 Abs.2 VwZG die gesetzlich vorgeschriebenen Förmlichkeiten beachten, auch wenn sie ohne die Anordnung befugt gewesen wäre, die Steuerbescheide formlos bekanntzugeben.

Weder der Wortlaut der Verweisungsnorm in § 122 Abs.5 Satz 2 AO 1977, noch die Entstehungsgeschichte (vgl. dazu Mittelsteiner/Schaumburg, Abgabenordnung 1977, Materialien, 2.Aufl., S.199), noch Sinn und Zweck der im Einzelfall möglichen Zustellung geben einen Hinweis darauf, daß die Folgen einer fehlerhaften gesetzlichen bzw. einer behördlich angeordneten Zustellung unterschiedlich festgelegt werden sollten (so wohl auch das Urteil des erkennenden Senats vom 8.Februar 1972 VIII R 14/68, BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506, 508).

Schlichte Bekanntgabe gemäß § 122 Abs.1 AO 1977 und förmliche Zustellung nach dem VwZG sind artverschieden (vgl. Frotscher, a.a.O., § 9 VwZG Tz.4; Macher, DStZ 1980, 409; Hellinger, BB 1978, 496, 498), während der 1977 aufgehobene § 17 VwZG noch als besondere Zustellungsform im VwZG erfaßt worden war. Der BFH hat aber bereits für diese Sonderart der Zustellung eine Umdeutung als unzulässig erachtet (vgl. BFH-Urteil in BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826).

Eine Umdeutung würde zu einem Wertungswiderspruch zu § 9 Abs. 1 VwZG führen. Danach tritt nur eine Heilung förmlicher Zustellungsmängel ein, wenn der Empfangsberechtigte das Schriftstück tatsächlich erhalten hat und auch erst in diesem Zeitpunkt. Das VwZG trifft also eine positive Regelung der Rechtsfolgen. Diese Regelung muß als abschließend verstanden werden. Würde eine Umdeutung zugelassen, so kämen zwei abweichende Zeitpunkte der Heilung in Betracht. § 122 Abs.2 Nr.1 AO 1977 enthält eine Bekanntgabefiktion. Der Zeitpunkt des Zugangs knüpft an die Aufgabe zur Post an. § 9 Abs.1 VwZG stellt --wie ausgeführt-- hingegen auf den tatsächlichen Erhalt des Schriftstücks ab (BFH-Urteil in BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506, 508). Eine Umdeutung beeinträchtigte damit die Rechtssicherheit. Der Gesetzgeber wollte aber offensichtlich derartige unterschiedliche Auffassungen zum Zeitpunkt der Zustellung vermeiden.

Schließlich besteht der Zweck der Zustellung nicht nur darin, den Zeitpunkt der Übergabe nachweisen zu können. Sie soll auch gegenüber dem Adressaten gewährleisten, daß er Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Die Vorschriften über die Zustellung dienen insoweit auch der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs des Empfangsberechtigten (BFH-Urteil vom 28.August 1990 VII R 59/89, BFH/NV 1991, 215, 216; Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 26.Oktober 1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361; vom 11.Juli 1984 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211; Urteil des BVerwG in NJW 1991, 1904; Urteil des BGH vom 24.November 1977 III ZR 1/76, NJW 1978, 1858). Ordnet die Finanzbehörde die Zustellung eines Steuerbescheides an, so hat sie aufgrund ihrer Ermessensentscheidung zum Ausdruck gebracht, daß sie diese Form der Bekanntgabe für notwendig und sachgerecht ansieht. Damit soll --was bei Schätzungsbescheiden offenkundig ist-- auch der Adressat vor den Nachteilen einer formlosen Bekanntgabe geschützt werden.

Zu Recht hebt das FG auch darauf ab, daß die Finanzbehörde nicht einerseits zwar die Vorteile einer Zustellung in Form eines sicheren Nachweises und vor allem der erheblichen Erweiterung möglicher Ersatzzustellungen nutzen, andererseits aber die Nachteile einer formstrengen Bekanntgabe im Ergebnis vermeiden kann. Dies würde ein widersprüchliches Verhalten der Finanzbehörde darstellen.

3. Schließlich hat das FG zu Recht eine Heilung der unwirksamen Bekanntgabe der Steuerbescheide durch die ordnungsgemäß zugestellte Einspruchsentscheidung vom 8.Juni 1989 verneint.

a) Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Bekanntgabemangel eines Steuerbescheides durch die ordnungsgemäße Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden; denn Gegenstand einer Anfechtungsklage ist der ursprüngliche Bescheid in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (vgl. § 44 Abs.2 FGO). In den bisher entschiedenen Fällen sind die Einsprüche allerdings entweder als unbegründet zurückgewiesen worden (BFH-Urteile vom 18.Dezember 1991 XI R 42-43/88, BFHE 167, 347, BStBl II 1992, 585; vom 14.November 1990 II R 255/85, BFHE 162, 380, BStBl II 1991, 49; vom 5.Dezember 1990 II R 109/86, BFHE 163, 223, BStBl II 1991, 181; Beschluß vom 14.Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288; Urteil vom 16.Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942; vom 20.Juni 1989 VIII R 366/83, BFH/NV 1990, 208; Urteil vom 28.Oktober 1988 III R 52/86, BFHE 155, 238, BStBl II 1989, 257 --jedenfalls bei Prüfungsanordnungen--; Urteil vom 24.März 1987 X R 28/80, BFHE 150, 293, BStBl II 1988, 316; vom 19.Mai 1983 IV R 125/82, BFHE 139, 1, BStBl II 1984, 15, 17; vom 8.Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, BStBl II 1982, 700, 703; ablehnend Gürsching, DStR 1988, 636; Schuhmann, DStZ 1992, 623) oder die ursprüngliche Steuerfestsetzung ist durch die Einspruchsentscheidung sachlich geändert worden (BFH-Urteile vom 26.März 1991 VIII R 210/85, BFH/NV 1992, 73, 75; vom 11.Dezember 1985 I R 352/83, BFH/NV 1986, 644; insoweit zustimmend Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 AO 1977 Tz.7; Klein/Orlopp, a.a.O., § 122 Anm.2).

b) Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, für welche Fallgestaltungen er eine Heilungsmöglichkeit bejahen könnte.

Wird --wie im Streitfall-- ein Einspruch als unzulässig verworfen, so erschöpft sich der Regelungsinhalt der Einspruchsentscheidung in dem bloßen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs. Es fehlt jegliche inhaltliche Bezugnahme auf die nicht wirksam gewordene Steuerfestsetzung, ggf. deren inhaltliche Wiederholung oder deren Aufnahme im Wege einer Berichtigungsveranlagung. Gegenstand der Anfechtungsklage kann dann --wie das FG zutreffend ausführt-- nur der Ausspruch der Einspruchsentscheidung sein, daß die ursprünglichen Steuerbescheide dem Kläger gegenüber wirksam und wegen verspäteter Einlegung des Einspruchs bestandskräftig geworden sind (anderer Ansicht FG Nürnberg, Urteil vom 17.Dezember 1976 III 76/76, EFG 1977, 351; zustimmend wohl Bauer in SteuerStud 1988, 293, 295; ablehnend Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 AO 1977 Tz.7, wonach die Einspruchsentscheidung eine eigenständige vollziehbare Regelung enthalten muß).

4. Da die Vorentscheidung rechtsfehlerfrei ergangen ist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65136

BFH/NV 1994, 33

BStBl II 1994, 603

BFHE 173, 213

BFHE 1994, 213

BB 1994, 2408

BB 1994, 2408-2411 (LT)

BB 1994, 713

DB 1995, 660 (L)

DStR 1994, 539-541 (KT)

DStZ 1995, 89 (K)

HFR 1994, 378-381 (LT)

StE 1994, 201 (K)

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