Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die unentgeltliche übertragung eines Betriebes oder eines Teilbetriebes unter Lebenden nach § 5 Absatz 1 EStDVO 1949 stellt keine Entnahme von Gewinn nach § 10 Absatz 1 Ziffer 3 EStG 1949 dar.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 3, § 10a; EStDV § 5 Abs. 1, § 7/1, § 46/5

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) und sein Sohn A. sind seit 1. April 1947 alleinige Gesellschafter der OHG X. Von dem am 21. Juni 1948 auf DM umgestellten Gesamtkapital von 115.441,96 DM entfielen laut notariellem Vertrag vom 1. August 1947 auf den Stpfl. vier Fünftel (92.353,57 DM) und auf seinen Sohn ein Fünftel (23.088,39 DM). Am 18. Dezember 1949 übertrug er mit Wirkung vom 1. April 1949 auf seinen inzwischen aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Sohn B. in Ausführung des § 16 des Vertrages vom 1. August 1947 unentgeltlich ein Fünftel seines ursprünglichen Kapitalanteils (23.088,39 DM). Laut § 16 des Vertrages verpflichteten sich die beiden Gesellschafter, den ältesten Sohn, der zur Zeit des Vertragsabschlusses sich noch in russischer Kriegsgefangenschaft befand, nach seiner Rückkehr in Höhe von 20 Prozent des Gesellschaftskapitals als Gesellschafter an der Firma zu beteiligen. Das Finanzamt sah die Anteilsübertragung im Jahre 1949 als Entnahme an und versagte die Vergünstigung des § 10 Absatz 1 Ziffer 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1949 bei den Veranlagungen II/1948 und 1949. Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

Der Bundesminister der Finanzen habe seine Rechtsauffassung in Abschnitt 108 Absatz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien II/1948 und 1949 zum Ausdruck gebracht. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen habe diese Auffassung auch seinerseits ausdrücklich bestätigt, nachdem ihre übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers im Schrifttum bestritten worden sei (siehe "Finanz-Rundschau" 1950 S. 158, "Der Betrieb" 1951 S. 297, "Betriebs-Berater" 1950 S. 701). Das Finanzgericht vermöge der Auffassung des Bundesministers der Finanzen nicht beizupflichten. Bei einer Entnahme müsse es sich um eine Wertabgabe aus dem Betrieb zu betriebsfremden Zwecken handeln. Das sei hier nicht der Fall. Die übertragung sei unentgeltlich und ohne änderung der Buchwerte in der Bilanz erfolgt. Ihre bilanzmäßige Behandlung habe der Regelung des § 5 Absatz 1 der Verordnung zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes (EStDVO) 1949 entsprochen, der bestimme, daß bei unentgeltlicher Betriebsübertragung die Wirtschaftsgüter mit den Werten gemäß § 6 Ziffer 1 bis 3 EStG anzusetzen seien (vgl. "Der Betrieb" 1950 S. 380). Bereits die Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1943 (Abschnitt 81) und die Einkommensteuer-Richtlinien 1946 (Abschnitt 177) hätten den gleichen Standpunkt eingenommen wie die Einkommensteuer-Richtlinien 1948/1949. Aber schon seinerzeit habe man hiergegen Stellung genommen (siehe Lenski in "Deutsche Steuerzeitung" 1942 S. 431 und S. 562 Ziffer II; Hafemann, "Fehler bei der Beanspruchung des § 3 der Steueränderungsverordnung" - StändVO - in Deutsche Steuerzeitung 1944 S. 324; Deutsche Steuerzeitung, Eildienst 1942 S. 431; Blümich, "Karteihandbuch des Steuerrechts", Einkommensteuer VII vom 1. September 1944 und XXXIII vom 25. Januar 1944, Steuerfreiheit für nichtentnommenen Gewinn nach § 3 StändVO). Wie Lenski zutreffend ausführe, werde der Betrieb steuerlich gesehen unverändert fortgeführt, es trete nur ein Inhaberwechsel ein. Eine steuerschädliche Entnahme werde in den Fällen der vorliegenden Art auch neuerdings wieder im Schrifttum zu § 10 und § 32 a EStG 1949 bestritten (Finanz-Rundschau 1950 S. 109, 141, 142, 222, Der Betrieb 1950 S. 224). § 31 EStDVO 1949 habe die Erläuterung und Erweiterung des Entnahmebegriffes aus den Richtlinien 1946 nicht übernommen. In § 50 EStDVO 1949 werde der Begriff der Entnahme auch auf Veräußerungen von Betrieben oder Anteilen bezogen. Im vorliegenden Fall handele es sich aber um eine unentgeltliche übertragung, die der Veräußerung nicht gleichzustellen sei (siehe Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 722/38 vom 14. Dezember 1938, Reichssteuerblatt 1939 S. 212). In der Verordnung zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes 1950 werde in § 31 Absatz 4 der Entnahmebegriff bei den Veräußerungen eines Betriebes oder eines Anteils auch für § 10 a EStG 1950 klargestellt. Hieraus müsse geschlossen werden, daß in den Verordnungen zur Durchführung des Einkommensteuergesetzes 1949 und 1950 in der unentgeltlichen übertragung eines Betriebes eine steuerschädliche Entnahme nicht gesehen werde. Auch wirtschaftliche Gründe würden für diese Auffassung sprechen.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Finanzamtsvorstehers ist der Auffassung, daß jede außerbetriebliche Veränderung des Betriebsvermögens oder des Kapitalkontos eine Entnahme oder Einlage darstelle. Für die Gewinnermittlung sei die übertragung eines Kapitalanteils keinesfalls eine aus betrieblichen Gründen bedingte Verminderung des Kapitalkontos. Sie müßte ja sonst ein Verlust sein. Es handele sich um eine Entnahme.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Finanzamtsvorstehers ist unbegründet.

Die Steuerfreiheit des § 10 Absatz 1 Ziffer 3 EStG 1949 wird für nicht entnommenen Gewinn gewährt. Der Gewinnposten der Bilanz ist ein Teil des Kapitals, also des Postens, der das Vermögen in seiner Gesamtheit ausweist, nicht die einzelnen Vermögensgegenstände. Der Gewinn wird dadurch entnommen, daß bestimmte Vermögensgegenstände, Vermögenswerte, dem Betriebe entzogen werden. Die Entnahme des Gewinnes ist deshalb eng verbunden mit der Entnahme von Betriebsvermögensgegenständen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werden Vermögensgegenstände entnommen, wenn sie aus dem Betriebsvermögen ausscheiden. Auch die Veräußerung eines Gegenstandes hat seine Entnahme zur Voraussetzung. Einkommensteuerlich unterscheidet man zwei verschiedene Arten von Entnahmen, die Entnahme für betriebliche und die Entnahme für betriebsfremde Zwecke (ß 6 Ziffer 4 EStG 1949). Die Entnahme aus betrieblichen Gründen kann nicht unter § 10 Absatz 1 Ziffer 3 fallen, denn sie stellt keine Entnahme von Gewinn dar. Sie kann erfolgsneutral wirken (Betriebsvermögensumschichtung) oder das Jahresergebnis nach unten oder oben beeinflussen. Eine Entnahme von Gewinn setzt eine Entnahme von Betriebsvermögensgegenständen zu betriebsfremden Zwecken voraus.

Die Frage besteht darin, ob die unentgeltliche übertragung eines Betriebes oder von Teilen eines Betriebes eine Entnahme zu betriebsfremden Zwecken darstellt. Sie ist zu verneinen.

Das Einkommensteuergesetz stellt in § 6 Ziffer 4 für Entnahmen zu betriebsfremden Zwecken bestimmte Bewertungsvorschriften auf. Die Entnahmen sind mit dem Teilwert anzusetzen. Im Gegensatze hierzu bestimmt § 5 Absatz 1 EStDVO 1949, daß bei unentgeltlicher übertragung eines Betriebes oder eines Teilbetriebes für die Ermittlung des Gewinnes des bisherigen Betriebsinhabers die Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen sind, die sich nach § 6 Ziffer 1 bis 3 EStG ergeben. Der Rechtsnachfolger ist an diese Werte gebunden. Gleichartige Vorschriften enthielten bereits § 6 Absatz 1 der Ersten EStDVO 1935 und § 5 Absatz 1 der Einkommensteuerdurchführungsbestimmungen 1939. Wäre die unentgeltliche übertragung eine Entnahme für betriebsfremde Zwecke, so wäre die Bestimmung gesetzwidrig. Der Reichsminister der Finanzen wäre 1935 im Rahmen der §§ 12 und 13 der Reichsabgabenordnung nicht befugt gewesen, eine derartige Vorschrift zu treffen (siehe Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 192/50 U vom 9. März 1951, Bundessteuerblatt III S. 90, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1951 S. 171, und die Entscheidung IV 110/51 vom 26. September 1951, Bundessteuerblatt 1951 Teil III S. 204, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1951 S. 721).

Das Einkommensteuergesetz 1925 enthielt im § 20 Absatz 1 folgende Vorschrift: "Bei Gegenständen, die bereits am Schluß des vorangegangenen Steuerabschnittes zum Betriebsvermögen des Stpfl. oder im Falle unentgeltlichen Erwerbs eines Betriebes zum Betriebsvermögen des Rechtsvorgängers gehört haben, ist der für den Schluß eines Steuerabschnittes angesetzte Wert eines Gegenstandes bei der Veranlagung des Stpfl. oder seines Rechtsnachfolgers auch weiterhin für die folgenden Steuerabschnitte anzusetzen." § 20 Absatz 2 EStG 1925 gewährte hierbei ein Wahlrecht. Er ließ den Ansatz des höheren gemeinen Wertes gegenüber dem letzten Bilanzansatz beim Rechtsvorgänger zu. Dieses Wahlrecht berührte aber nicht die Bindung des Erwerbers an die letzten Bilanzansätze des Rechtsvorgängers.

§ 6 Absatz 1 der Ersten EStDVO vom 6. Februar 1935 hat die Vorschrift des Einkommensteuergesetzes 1925 hinsichtlich des unentgeltlichen Erwerbes in die Durchführungsverordnung überführt. Die Einkommensteuerdurchführungsverordnung 1949 hat das Wahlrecht beseitigt. Es tritt auf diese Weise der Grundgedanke des Gesetzes noch stärker in Erscheinung. Das Einkommensteuerrecht will den Vorgang nicht unter dem Gesichtswinkel der Beendigung des Gewerbebetriebes des Rechtsvorgängers und der Eröffnung des Gewerbebetriebes durch den Rechtsnachfolger betrachten, sondern nimmt steuerlich eine unveränderte Fortführung des Betriebes an.

Das Einkommensteuerrecht kennt eine Rechtsnachfolge, wo der Rechtsnachfolger steuerlich in die Rechtsstellung des Rechtsvorgängers eintritt. Dies tritt bei der Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere der Erbfolge, besonders in Erscheinung. Daß bei der Erbfolge keine Entnahme des Gewinnes vorliegt, ergibt sich bereits aus der Fassung des § 10 a Absatz 2 EStG 1950, der an die Stelle des § 10 Absatz 1 Ziffer 3 EStG 1949 getreten ist. Es wird hier ausdrücklich der Gesamtrechtsnachfolger dem Stpfl. gleichgestellt. Der Betrieb gilt steuerlich als durch den Rechtsnachfolger unverändert weitergeführt. Es liegt somit keine Entnahme zu betriebsfremden Zwecken vor. Die Rechtslage ist hier anders wie bei der Aufgabe und der Veräußerung eines Betriebes oder eines Teilbetriebes.

Die für die Gesamtrechtsnachfolge geltenden Grundsätze müssen auch bei der unentgeltlichen übertragung eines Betriebes oder eines Teilbetriebes unter Lebenden angewandt werden. Auch hier sehen die gesetzlichen Vorschriften in dem Rechtsnachfolger einen Stpfl., der steuerlich in die Rechtslage des Rechtsvorgängers eintritt. Der Rechtsvorgänger hat das unentgeltlich übertragene Vermögen nicht zu betriebsfremden Zwecken entnommen, und der Rechtsnachfolger hat es nicht aus seinem Privatvermögen in einen Betrieb eingebracht. Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist es nicht möglich, die unentgeltliche übertragung unter Lebenden anders wie die Gesamtrechtsnachfolge im Erbfalle zu behandeln. Auch bei der Erbfolge wird es im übrigen vielfach vorkommen, daß bei einer Mehrheit von Erben auf einen Erben lediglich ein Teilbetrieb fällt.

In einer Schenkung eines einzelnen Gegenstandes des Betriebsvermögens ist nach § 5 Absatz 2 EStDVO 1949 eine Entnahme zu betriebsfremden Zwecken zu erblicken. Die unentgeltliche übertragung des einzelnen Gegenstandes fällt unter § 6 Ziffer 4 EStG 1949 (Bewertung zum Teilwert). Die unentgeltliche übertragung eines Betriebes oder eines Teiles eines Betriebes hat der Gesetzgeber in Absatz 1 des § 5 EStDVO 1949 aber abweichend geregelt.

Wirtschaftlich wäre es auch mit dem Grundgedanken des Gesetzes schwer vereinbar, die überführung der Betriebe von den Eltern auf die Kinder mit einer zusätzlichen Steuer - Versagung der Vergünstigung des § 10 Absatz 1 Ziffer 3 EStG für das laufende Jahr, Beseitigung der bisher gewährten Vergünstigungen für eine Reihe von Vorjahren - zu belasten.

Der Stpfl. ist der Auffassung, daß im vorliegenden Falle schon aus dem Grunde von einer Entnahme nicht gesprochen werden könne, da die Gesellschafter der OHG sich bereits vor der Währungsumstellung verpflichtet hätten, dem ältesten Sohne nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 20 % des Gesellschaftskapitals zu übertragen. Es kann dahingestellt werden, ob es sich hierbei um eine bilanzierungsfähige Verpflichtung gehandelt hat und nicht lediglich um einen unverbindlichen Plan, da aus anderen Gründen der Rb. in diesem Punkte bereits der Erfolg versagt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407297

BStBl III 1952, 5

BFHE 1953, 10

BFHE 56, 10

StRK, EStG:10/1/3 R 6

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