Leitsatz (amtlich)

1. Ist für Verbindlichkeiten wegen Verletzung fremder Patentrechte eine Rückstellung zu bilden (BFH-Urteil I R 81/66 vom 16. Juli 1969, BFH 96, 510, BStBl II 1970, 15), kann diese in der Regel nach dem höheren der dem Steuerpflichtigen zugänglichen Berechnungsmaßstäbe bemessen werden (dem "Verletzergewinn").

2. Für die Kosten eines Passivprozesses kann in der Regel - ebenso wie für die Kosten eines Aktivprozesses - eine Rückstellung erst gebildet werden, wenn die Streitsache rechtshängig geworden ist.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) befaßt sich mit der Entwicklung der Herstellung und dem Vertrieb von Arzneimitteln. Er vertreibt u. a. die Präparate ... Gegen den Vertrieb dieser Präparate durch ihn wendet sich seit dem Jahre 1959 die C-AG mit der Begründung, daß alle ihr bekannten Verfahren zur Herstellung der betreffenden Präparate durch ihre älteren deutschen Patente oder Patentanmeldungen geschützt seien. Der Steuerpflichtige bestreitet die ihm vorgeworfene Patentverletzung. Nachdem die C-AG mit Schreiben vom 5. Juni und 9. Juli 1963 vom Steuerpflichtigen die umgehende Rückziehung der Präparate gefordert und ihre Schadensersatzansprüche (unbeziffert) geltend gemacht hatte, stellte der Steuerpflichtige in seiner Bilanz zum 31. Dezember 1963 305 125 DM für Schadensersatzansprüche aus etwaiger Patentverletzung (= 25 v. H. der aus dem Verkauf der umstrittenen Präparate erzielten Erlöse) und 61 025 DM für Prozeßkosten zurück. Ihm war bekannt, daß die C-AG gegen eine andere Firma in einem gleichgelagerten Fall vor dem Landgericht H. einen Rechtsstreit wegen Patentverletzung führte, den sie inzwischen in erster Instanz mit Urteil vom 25. August 1965 gewonnen hat.

Der Revisionsbeklagte (das FA) erkannte die streitigen Rückstellungen nicht an (Einkommensteuer- und Gewerbesteuerbescheide 1963 vom 26. Mai 1965). Die Einsprüche des Steuerpflichtigen blieben ohne Erfolg. Mit seiner Klage zum FG trug der Steuerpflichtige Anfang 1966 vor, daß die C-AG mit Schreiben vom 7. Oktober und 2. November 1965 den seit dem 6. September 1963 ruhenden Schriftwechsel wieder aufgenommen und ihn - den Steuerpflichtigen - auf das für sie günstige und gegen Sicherheitsleistung von 550 000 DM für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil des Landgerichts H. hingewiesen habe. Mit diesem Urteil war die Beklagte zur Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatzleistung verurteilt worden. Das FA habe - nicht zuletzt angesichts der erneuten Forderung der C-AG auf Schadensersatz - die Schutzrechtsverwarnungen der C-AG nicht zutreffend gewürdigt.

Im Laufe des Verfahrens vor dem FG schloß der Steuerpflichtige mit der C-AG im Oktober 1966 einen Vergleich. Nach diesem darf er die streitigen Präparate vom 31. März 1967 ab nicht mehr herstellen noch für sie werben. Für andere Medikamente erwarb er eine Lizenz und zahlte dafür 7,5 v. H. der vereinnahmten Entgelte als Lizenzgebühren (obwohl ca. 10 v. H. als Lizenzgebühren üblich seien). Durch geschickte Verhandlungen habe er - der Steuerpflichtige - erreicht, daß er als Ausgleich für die Herstellung der umstrittenen Präparate in den Jahren 1959 bis 1966 nur 20 000 DM habe zu zahlen brauchen. Daraufhin sei die Rückstellung aufgelöst worden.

Das FG gab der Klage des Steuerpflichtigen insoweit statt, als es die Rückstellung in Höhe von 122 050 DM (= 10 % der Erlöse aus dem Verkauf der umstrittenen Präparate) anerkannte. Zur Begründung führte es aus:

Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung habe der kaufmann für die am Bilanzstichtag drohenden, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintretenden Verluste Rückstellungen zu bilden. Zu diesen Verlusten rechneten auch ungewisse Schulden. Das Gericht habe keine Bedenken, angesichts der auf dem Gebiet des Patentrechts liegenden Schutzrechtsverwarnungen der C-AG das Vorliegen einer ungewissen Verbindlichkeit dem Grunde nach anzuerkennen. Bestimmend hierfür sei, daß die C-AG sich im Streitjahr nicht mehr auf Verwarnungen und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in ungenannter Höhe beschränkt, sondern in einem ähnlich gelagerten Fall gegen einen anderen Arzneimittelhersteller einen Musterprozeß angestrengt habe mit dem Ziel, zu klären, ob sämtliche Herstellungsverfahren für die umstrittenen Präparate für sie geschützt seien. Dagegen könne das Gericht, was die Höhe der Rückstellung betreffe, dem Steuerpflichtigen nicht folgen. Wenngleich im Streitfall auch der Steuerpflichtige zur Schätzung gezwungen gewesen sei, so hätte er doch aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen bei der Bildung und Auflösung von Rückstellungen für Schadensersatzansprüche aus etwaigen Schutzrechtsverletzungen erkennen müssen, daß er noch nie in Höhe des aus den umstrittenen Präparaten erzielten Reingewinns von den Patentinhabern in Anspruch genommen worden sei. Auch als besonders vorsichtig wägender Kaufmann habe er sich deshalb sagen müssen, daß eine ihm etwa drohende Schadensersatzpflicht niemals in Höhe von 25 v. H. der vereinnahmten Entgelte aus dem Verkauf der umstrittenen Präparate objektiv bestanden habe. Hinzu komme, daß die C-AG dem Steuerpflichtigen gegenüber keine bezifferten Schadensersatzansprüche geltend gemacht und sich zudem noch mehrfach zu Vergleichsverhandlungen bereit erklärt habe. Berücksichtige man, daß die schließlich mit 20 000 DM vereinbarte Vergleichszahlung auch die nach dem Bilanzstichtag vom 31. Dezember 1963 erzielten Umsätze der Jahre 1964 bis 1966 erfasse, erscheine eine Rückstellung in Höhe von 10 v. H. der Erlöse aus den Umsätzen der streitigen Präparate angemessen, insbesondere wenn man bedenke, daß der Steuerpflichtige in Zukunft Lizenzgebühren nach einem, wie er selbst vortrage, unter dem üblichen Satz liegenden Satz von 7,5 v. H. zu zahlen habe.

Die Bildung einer Rückstellung für Prozeßkosten könne dagegen nicht anerkannt werden, da Rückstellungen für Prozeßkosten regelmäßig erst dann zulässig seien, wenn am Bilanzstichtag ein Prozeß bereits laufe und ernsthaft damit zu rechnen sei, daß dem Steuerpflichtigen aus dem Verlust des Prozesses besondere Ausgaben erwüchsen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Steuerpflichtige mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision, zu deren Begründung er vortragen läßt:

Verfahrensrechtlich werde gerügt, daß das FG ohne Vorliegen eines entsprechenden Antrags seitens eines der Beteiligten zur Höhe des Rückstellungsbetrages Stellung genommen habe. Es hätte angesichts der Anerkennung der vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Steuerbescheide nur auf deren Aufhebung erkennen dürfen, wenn es sich - dem Gesetz gemäß - im Rahmen der Anträge der Beteiligten gehalten hätte. Da es ferner die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung über die Höhe der Rückstellung nicht hingewiesen habe, liege auch eine Verletzung der Aufklärungs- und Belehrungspflicht aus § 76 Abs. 2 FGO vor.

Materiell-rechtlich habe das FG den Begriff der Schadensersatzpflicht in § 47 Abs. 2 des Patentgesetzes verkannt. Nach ständiger Rechtsprechung könne der Patentinhaber die ihm zustehende Entschädigung auf dreierlei Weise berechnen: er könne entweder seinen eigenen, ihm durch die Verletzungshandlungen entgangenen Gewinn, eine angemessene Lizenzgebühr, die ihm durch die ungenehmigte Benutzung entgangen sei, oder die Herausgabe des gesamten vom Rechtsverletzer durch die Patentbenutzung erzielten Gewinns verlangen. Das FG habe seine Entscheidung in unsachgemäßer Weise allein anhand der Berechnung der Entschädigung in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr orientiert. Die so begründete Einschränkung des Rückstellungsbetrages sei durch nichts gerechtfertigt. Es hätte nähergelegen, anzunehmen, daß die C-AG Ersatz des eigenen entgangenen Gewinns oder Herausgabe des Gewinns des Steuerpflichtigen verlangen werde, weil der verletzte Patentinhaber naturgemäß diejenige der ihm offenstehenden Berechnungsarten wähle, die ihm den höheren Schadensersatz erbringe. Soweit das FG zur Begründung seiner Entscheidung darauf hingewiesen habe, daß der Steuerpflichtige noch nie in Höhe des aus den umstrittenen Präparaten erzielten Reingewinns von den Patentinhabern in Anspruch genommen worden sei, gehe seine Begründung fehl, da der Steuerpflichtige bis dahin noch niemals in einer so nachdrücklichen und bedrohlichen Form von einem Weltkonzern wegen angeblicher Patentverletzung in Anspruch genommen worden sei, schon gar nicht im Hinblick auf Arzneimittel, die einen wesentlichen Teil seiner Produktion ausgemacht hätten. Auch die Ungewißheit hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Schadensersatzansprüche könne nicht gegen, sondern nur für die Höhe der vom Steuerpflichtigen angesetzten Rückstellung verwertet werden. Gerade weil die Ansprüche der C-AG nicht beziffert worden seien, sei es allein richtig gewesen, bei der auch vom FG dem Grunde nach als berechtigt anerkannten Rückstellung von dem wahrscheinlichsten Fall auszugehen, daß sie die Herausgabe des "Verletzergewinns" verlangen werde.

Was die Rückstellung für Prozeßkosten betreffe, habe der Steuerpflichtige am Bilanzstichtag davon ausgehen müssen, nunmehr - wie jenes andere, ihm gleichgelagerte Unternehmen - in einen Prozeß verwickelt zu werden, in dem sein Unterliegen um so mehr zu befürchten gewesen sei, als auch die Firma E. M. die Ansicht vertreten habe, daß das vom Steuerpflichtigen angewendete Verfahren die Schutzrechte der C-AG berühre.

Der Steuerpflichtige beantragt, die in der Bilanz zum 31. Dezember 1963 vorgenommene Rückstellung in voller Höhe anzuerkennen, hilfsweise, die angefochtene Entscheidung und die ihr zugrunde liegenden Verwaltungsakte aufzuheben, weiter hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die verfahrensrechtlichen Rügen des Steuerpflichtigen sind nicht begründet. Das FG konnte zwar im Streitfall angesichts der vom Steuerpflichtigen gestellten Anträge (auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide) nach § 100 Abs. 1 FGO die angefochtenen Steuerbescheide aufheben, ohne die richtige Steuer selbst festsetzen zu müssen (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO; Beschluß des BFH Gr. S. 3/68 vom 16. Dezember 1968, BFH 94, 436, BStBl II 1969, 192). Da aber die Aufhebung der Bescheide nur insoweit möglich war, als sie rechtswidrig waren und damit den Steuerpflichtigen in seinen Rechten verletzten, mußte das FG den Umfang der Rechtswidrigkeit der Bescheide in den Gründen seiner Entscheidung feststellen. Es hat damit im Ergebnis dem Steuerpflichtigen wie dem FA weniger zugesprochen, als sie beantragt hatten, so daß es sich mit seiner Entscheidung im Rahmen der Anträge der Beteiligten gehalten hat (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

Auch eine Verletzung der sich aus § 76 FGO ergebenden Pflichten des Gerichts liegt nicht vor. Wie der Steuerpflichtige selbst ausführt, ist die Frage nach der zutreffenden Höhe der Rückstellung in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Damit hat das FG seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen genügt und den Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Darlegung ihrer Auffassung zur zutreffenden Höhe der Rückstellung geboten. Die Beteiligten zu abweichenden, ihr Klagebegehren einschränkenden Anträgen zu veranlassen, bestand für das Gericht weder Anlaß noch Möglichkeit.

2. Wie der Steuerpflichtige dagegen materiell-rechtlich zutreffend vorgetragen hat, stehen dem Patentinhaber im Falle der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung seiner Rechte nach herrschender Meinung drei Wege für die Berechnung seiner Schadensersatzansprüche offen. Danach kann er wählen zwischen der Einforderung des ihm entgangenen Gewinns, der Einforderung einer angemessenen Lizenzgebühr und der Einforderung des "Verletzergewinns" (Kommentare zum Patentgesetz: Busse, 3. Aufl., Anm. 5 zu § 47; Krause-Katluhn-Lindenmaier, Anm. 22 zu § 47, sowie die dort aufgeführte Rechtsprechung). Wenn auch die Berechnung des Schadens nach Maßgabe einer angemessenen Lizenzgebühr für den Patentinhaber die geringsten Beweisschwierigkeiten bietet, so ist der Verletzer jedenfalls nicht gezwungen, von vornherein davon auszugehen, daß damit die Einforderung des von ihm erzielten Gewinns ("Verletzergewinns") ausgeschlossen sei. Es kann ihm deshalb nicht verwehrt werden, die angesichts drohender Inanspruchnahme gebotene Rückstellung nach Maßgabe des höheren der ihm zugänglichen Berechnungsmaßstäbe zu bemessen. Der Steuerpflichtige brauchte nur dann nicht damit zu rechnen, daß der Patentinhaber im gegebenen Falle seine Rechte nicht voll ausschöpfen werde, wenn ein allgemeiner Erfahrungssatz dahin bestünde, daß angesichts der genannten Beweisschwierigkeiten mit der Geltendmachung eines höheren als des durch die angemessene Lizenzgebühr begrenzten Schadensersatzes nicht zu rechnen sei. Das Bestehen eines solchen Erfahrungssatzes hat das FG indes nicht festgestellt.

3. Für die zu erwartenden Kosten eines Zivilprozesses kann, wie das FG zutreffend dargelegt hat, eine Rückstellung in der Regel erst gebildet werden, wenn der Prozeß am Bilanzstichtage bereits schwebt. Dieser für die zu erwartenden Kosten eines Aktivprozesses ausgesprochene Satz (BFH-Urteil IV 352/62 U vom 27. Mai 1964, BFH 80, 8, BStBl III 1964, 478) gilt angesichts der ihn tragenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung auch für die zu erwartenden Kosten eines Passivprozesses. Bevor eine auf Schadensersatzleistung gerichtete Klage gegen den Steuerpflichtigen nicht rechtshängig geworden ist, kann die Entstehung von Kosten durch Einigung mit dem Gegner abgewendet werden. Eine Rückstellung für drohende Verluste aus Kosten bedarf auch angesichts der Vorschrift des § 93 ZPO (Kostenpflicht des Klägers bei sofortiger Anerkennung des Klageanspruchs durch den Beklagten) vor Rechtshängigkeit der Klage einer einleuchtenden Begründung. Der besonders gelagerte Fall des BFH-Urteils IV 344/62 vom 14. Juli 1966 (BFH 86, 582, BStBl III 1966, 590) bleibt unberührt.

Dabei ist im gegebenen Falle die Höhe der Rückstellung nur nach dem Streitwert am Bilanzstichtag unter Berücksichtigung der in diesem Zeitpunkt angerufenen Instanzen zu berechnen. Die für den Fall des Unterliegens geplante, später verwirklichte Anrufung höherer Instanzen kann nicht berücksichtigt werden. Danach erscheint auch im Falle der Zulässigkeit einer Rückstellung dem Grunde nach der Ansatz eines Betrages von 61 025 DM als bei weitem überhöht.

Da der Steuerpflichtige jedoch im Verfahren vor dem FG nichts dafür dargetan hat, daß - ausweislich der Situation am Tag der Bilanzaufstellung - am Bilanzstichtag mit einer Klageerhebung gegen ihn unabwendbar zu rechnen war, hat das FG zu Recht die Rückstellung als dem Grunde nach berechtigt anzuerkennen abgelehnt.

4. Die Sache geht danach unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurück, da dem erkennenden Senat nach den vorliegenden zahlenmäßigen Unterlagen eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht möglich ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69147

BStBl II 1970, 802

BFHE 1971, 20

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