Leitsatz (amtlich)

1. Die fehlerhafte Besetzung eines FG kann nicht "hilfsweise" gerügt werden.

2. Schließt eine Kapitalgesellschaft zeitgleich zwei sich widersprechende Tantiemevereinbarungen mit ihrem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer ab, ohne daß zu erkennen ist, welche von beiden die maßgebende sein soll, so fehlt es an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarung mit der Folge, daß die Tantiemezahlung verdeckte Gewinnausschüttung ist.

3. Die Ausschüttungsbelastung für eine als verdeckte Gewinnausschüttung zu behandelnde Tantiemezahlung ist für das Jahr herzustellen, in dem die Tantieme ausbezahlt wird.

 

Orientierungssatz

§ 118 Abs. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO schreibt dem BFH als Revisionsgericht zwingend vor, über die Besetzungsrüge vor einer möglichen materiellen Rechtsverletzung zu entscheiden. Bei Zulässigkeit und Begründetheit der Rüge muß der BFH nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO verfahren, ohne in der Sache selbst entscheiden zu können (vgl. BFH-Urteil vom 7.12.1988 I R 15/85; Literatur).

 

Normenkette

FGO § 118 Abs. 3, § 119 Nr. 1; KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2, § 27 Abs. 3 S. 2; FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahre 1973 gegründete GmbH, die im Streitjahr 1977 die Herstellung von Installations- und Heizungsanlagen sowie den Großhandel mit dazu gehörigen Erzeugnissen betrieb. Das Stammkapital betrug 20 000 DM. Davon hielt der Gesellschafter A einen Geschäftsanteil im Nominalwert von 19 000 DM. A war außerdem zum Geschäftsführer bestellt. Nach dem schriftlichen Geschäftsführervertrag vom 29.Dezember 1972 oblag ihm die gesamte Leitung des Betriebes. Er hatte Anspruch auf 13 Monatsgehälter a 5 000 DM und auf eine Tantieme in Höhe von 0,5 bis 2 v.H. des Gewinns laut Handelsbilanz vor Abzug der Tantieme zuzüglich der Steuern vom Einkommen und Gewerbeertrag. Die Tantieme sollte bei Aufstellung des Jahresabschlusses endgültig festgelegt werden.

Am 29.Mai 1973 wurden zwei Ergänzungsvereinbarungen zum Geschäftsführervertrag zwischen der Klägerin und A abgeschlossen. In beiden Vereinbarungen verzichtete A auf die in § 7 des Vertrages vom 29.Dezember 1972 zugesagten Leistungen für den Pensions- und Invaliditätsfall. Nach der einen Vereinbarung sollte er als Gegenleistung dafür eine Tantieme in Höhe von 1,5 v.H. des Leistungsumsatzes des jeweiligen Geschäftsjahres der Klägerin anstelle der bis dahin vereinbarten Gewinntantieme erhalten. In der anderen Vereinbarung ist eine Tantieme von 0,5 bis 2 v.H. des Leistungsumsatzes versprochen. Nach der ersten Vereinbarung sollte der Klägerin eine Mindestnettorendite von 15 v.H. des eingezahlten Stammkapitals verbleiben, andernfalls die Tantieme des A entsprechend zu kürzen sei. Die Nettorendite sollte den Jahresbilanzgewinn nach Abzug der Ertragsteuern vom Gewerbeertrag und vom Einkommen berücksichtigen. Die andere Vereinbarung enthielt keine entsprechende Klausel.

Für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1977 erklärte die Klägerin u.a. folgende Besteuerungsgrundlagen:

Jahr Leistungsumsatz Bilanzgewinn Gehalt Tantieme

Stammkapital (Relation des A (Relation

zum Umsatz) zum Umsatz)

----------------------------------------------------------------

DM DM DM DM DM

1973 1 431 890 20 000 899 61 560 7 975

(0,06 v.H.) (0,5 v.H.)

1974 1 423 106 20 000 1 786 57 060 keine

(0,1 v.H.)

1975 2 158 479 20 000 7 408 55 660 keine

(0,3 v.H.)

1976 2 980 917 20 000 6 277 57 360 keine

(0,2 v.H.)

1977 3 637 027 20 000 7 091 69 367 53 876

(0,1 v.H.) (1,48 v.H.).

Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, daß die für 1977 errechnete Tantieme eine verdeckte Gewinnausschüttung darstelle, da die Klägerin die Vereinbarungen vom 29.Mai 1973 mit einem fremden Dritten nicht abgeschlossen hätte.

Gegen den entsprechend geänderten Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheid 1977 vom 18.Februar 1982 bzw. vom 21.April 1982 legte die Klägerin erfolglos Einspruch und Klage ein.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs.3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 sowie --hilfsweise-- die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Finanzgerichts (FG).

Die Klägerin beantragt, den Körperschaftsteuerbescheid 1977 vom 18.Februar 1982 und den Gewerbesteuermeßbescheid 1977 vom 21.April 1982, beide in der Form der Einspruchsentscheidung vom 25.Mai 1983 insoweit zu ändern, als darin die Tantiemeverbindlichkeiten in Höhe von 53 876 DM als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt wurden, unter gleichzeitiger Anpassung der Gewerbesteuer-Rückstellung und das Urteil des FG des Saarlandes vom 8.März 1985 aufzuheben,

hilfsweise das Urteil des FG des Saarlandes vom 8.März 1985 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG des Saarlandes zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nur teilweise begründet. Sie führt, soweit sie begründet ist, zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Soweit die Revision unbegründet ist, war sie zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 FGO).

1. Die Rüge, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist von der Klägerin nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Deshalb kann der Senat über die Begründetheit dieser Rüge nicht befinden.

Nach den mit Schriftsatz vom 20.Dezember 1985 gestellten Anträgen begehrt die Klägerin in erster Linie die Aufhebung der Vorentscheidung und die Änderung der angefochtenen Steuerbescheide, d.h. eine Sachentscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) i.S. des § 126 Abs.3 Nr.1 FGO). Nur hilfsweise soll die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden. Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge könnte --wäre sie zulässig und begründet-- nicht zu der im Hauptantrag begehrten Sachentscheidung durch den BFH i.S. des § 126 Abs.3 Nr.1 FGO führen. Vielmehr müßte der BFH die Vorentscheidung aufheben und die Sache an das FG zurückverweisen (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO), ohne über die Verletzung materiellen Rechts entscheiden zu können. Gerade deshalb muß angenommen werden, daß die Klägerin ihre Verfahrensrüge nur zur Begründung ihres Hilfsantrags geltend gemacht hat.

Die Klägerin kann jedoch nicht mit dem Hauptantrag eine Sachentscheidung und nur hilfsweise, d.h. wenn das Begehren laut Hauptantrag nicht durchgreift, die Entscheidung über einen Verfahrensmangel begehren. Ihr fehlt die entsprechende Dispositionsbefugnis. § 118 Abs.3 i.V.m. § 119 Nr.1 FGO schreibt dem BFH als Revisionsgericht zwingend vor, über die Verfahrensrüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des FG vor einer möglichen materiellen Rechtsverletzung zu entscheiden (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 119 Rdnr.3 m.w.N.). Ist die entsprechende Verfahrensrüge in zulässiger Weise erhoben und begründet, so muß der BFH nach § 126 Abs.3 Nr.2 FGO verfahren, ohne in der Sache selbst entscheiden zu können (vgl. BFH-Urteil vom 7.Dezember 1988 I R 15/85, BFHE 155, 470, BStBl II 1989, 424). Diese Reihenfolge kann ein Revisionskläger nicht dadurch verändern, daß er den Verfahrensmangel nur zur Begründung eines Hilfsantrags rügt. In einem solchen Fall ist die Verfahrensrüge nur hilfsweise und damit unter einer Bedingung erhoben. Eine in dieser Weise bedingte Verfahrensrüge ist unzulässig.

2. Das FG hat zutreffenderweise die Klage insoweit abgewiesen, als sie sich gegen die vom FA gemäß § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 vorgenommene Korrektur des Gewinns der Klägerin 1977 richtet.

a) Eine verdeckte Gewinnausschüttung i.S. des § 8 Abs.3 Satz 2 KStG 1977 ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung oder eine verhinderte Vermögensmehrung, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt sind, sich auf die Höhe des Einkommens auswirken und in keinem Zusammenhang mit einer Ausschüttung stehen (vgl. BFH-Urteil vom 23.Mai 1984 I R 294/81, BFHE 141, 266, BStBl II 1984, 673). Bei einem beherrschenden Gesellschafter kann die Vermögensminderung auch in dem Entgelt bestehen, das die Gesellschaft an den Gesellschafter zahlt bzw. zu zahlen hat, obwohl es hierfür an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarung fehlt (vgl. BFH-Urteile vom 21.Juli 1982 I R 56/78, BFHE 136, 386, BStBl II 1982, 761, und vom 2.März 1988 I R 63/82, BFHE 152, 515, BStBl II 1988, 590).

b) Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs.2 FGO) festgestellt, daß A an der Klägerin im Streitjahr 1977 beherrschend beteiligt war. Er hielt 95 v.H. der Geschäftsanteile. Die Klägerin und A schlossen am 29.Mai 1973 zwei sich inhaltlich widersprechende Vereinbarungen ab. Danach sollte A Anspruch auf eine Tantieme haben, die sich nach dem Leistungsumsatz der Klägerin richtete. Nach der einen Vereinbarung sollte die Tantieme 1,5 v.H. des Leistungsumsatzes und nach der anderen 0,5 bis 2 v.H. des Leistungsumsatzes betragen. Nach der einen Vereinbarung sollte der Klägerin eine Mindestrendite von 15 v.H. ihres Stammkapitals verbleiben. Die andere Vereinbarung enthielt keine entsprechende Klausel. Bestehen aber zwei sich derart widersprechende Vereinbarungen, ohne daß zu erkennen ist, welche von beiden die maßgebende sein soll, so fehlt es an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen vertraglichen Regelung im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Dann kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, daß die Vertragspartner sich jeweils auf die Vereinbarung berufen, die bei einer retrospektiven Gesamtschau der Interessen als die günstigere erscheint. Das Fehlen einer klaren vertraglichen Regelung hat zur Folge, daß die von der Klägerin dennoch versprochenen oder erbrachten Leistungen als verdeckte Gewinnausschüttung zu beurteilen sind.

c) Bei dieser Sachlage ist es entscheidungsunerheblich, ob --wie die Klägerin unter Hinweis auf einen vom FG in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellten Sachverhalt vorträgt-- eine der beiden Vereinbarungen tatsächlich durchgeführt wurde. Lediglich zur Klarstellung verweist der Senat insoweit auf sein Urteil vom 29.April 1987 I R 176/83 (BFHE 150, 337, BStBl II 1987, 733). Danach ist die Rückzahlung einer verdeckten Gewinnausschüttung als verdeckte Einlage und damit erfolgsneutral zu behandeln. Außerdem bedarf die Verrechnung von Ansprüchen und Gegenansprüchen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ebenfalls einer von vornherein abgeschlossenen und klaren Vereinbarung, wenn sie steuerrechtlich anerkannt werden soll.

3. Das FG hat jedoch übersehen, daß es aufgrund der zulässigen Klage verpflichtet war, innerhalb des gestellten Klageantrags die Rechtmäßigkeit der Herstellung der Ausschüttungsbelastung zu prüfen. Dazu ergibt sich aus der Bezugnahme des FG auf den Körperschaftsteuerbescheid 1977 vom 18.Februar 1982, daß die tarifliche Körperschaftsteuer um 30 305 DM erhöht wurde. Dieser Ansatz ist nur dann rechtmäßig (vgl. § 27 Abs.3 Satz 2 KStG 1977), wenn das FG in tatsächlicher Hinsicht zu der Überzeugung gelangt, daß die Tantieme schon in 1977 ausbezahlt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 9.Dezember 1987 I R 260/83, BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460). Außerdem muß das FG prüfen, mit welchen Eigenkapital-Beständen die (insoweit unterstellte) verdeckte Gewinnausschüttung zu verrechnen war (BFH-Urteil vom 20.August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, BStBl II 1987, 75). Dazu wird die Klägerin auf die Möglichkeit hingewiesen, den Antrag nach § 54 Abs.7 KStG 1984 zu stellen. Schließlich ist zu klären, ob die Klägerin mit ihrer Klage nicht auch die fingierte Feststellung ihres Einkommens gemäß § 47 Abs.2 KStG 1977 begehrte (BFH-Urteil vom 16.März 1988 I R 188/84, BFHE 153, 219, BStBl II 1988, 683).

4. Da weder die Herstellung der Ausschüttungsbelastung noch die fingierte Feststellung des Einkommens gemäß § 47 Abs.2 KStG 1977 Einfluß auf die Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags 1977 hat, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen, soweit sie die Abweisung der Klage wegen Gewerbesteuermeßbescheid 1977 durch das FG betrifft. Im übrigen ist die Sache nicht entscheidungsreif. Die Rechtmäßigkeit der Herstellung der Ausschüttungsbelastung kann nur nach einer weiteren Sachverhaltsaufklärung beurteilt werden. Entsprechendes gilt für das Begehren der Klägerin, das Einkommen fingiert festzustellen. Den Sachverhalt insoweit aufzuklären ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung teilweise aufzuheben. Die Sache war in dem aufgehobenen Umfang an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62746

BFH/NV 1989, 40

BStBl II 1989, 800

BFHE 157, 168

BFHE 1990, 168

BB 1989, 1743-1745 (LT1-3)

DB 1989, 1951 (LT)

HFR 1989, 678 (LT)

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