Leitsatz (amtlich)

1. Zum Begriff des Versicherungsvertreters.

2. Ein Rechtsbeistand, dessen Tätigkeit sich auf das Fotokopieren von Gerichtsakten für Versicherungsgesellschaften beschränkt, übt keine Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufes im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EstG aus.

 

Normenkette

UStG 1967 § 4 Nr. 11, § 12 Abs. 2 Nr. 5; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der Rechtsbeistand ist, beschäftigt sich ausschließlich damit, daß er von Gerichtsakten und Akten der Ordnungsämter Fotokopien und Abschriften für Versicherungsgesellschaften fertigt, welche diese für die Regulierung von Schadensfällen benötigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat die Umsätze aus dieser Tätigkeit dem allgemeinen Steuersatz unterworfen und die Umsatzsteuer für März 1972 auf 625,95 DM und für April 1972 auf 450 DM festgesetzt. Der Kläger beruft sich demgegenüber auf § 4 Nr. 11 UStG 1967, wonach die Umsätze aus der Tätigkeit u. a. als Versicherungsvertreter steuerfrei sind. Er will § 4 Nr. 11 UStG 1967 weit ausgelegt und auf jede "Versicherungsverwaltungstätigkeit" angewendet haben. Hilfsweise begehrt er die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967, indem er geltend macht, daß er einen freien Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübe. Beschwerde und Klage blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Revision ist nicht begründet.

Der Senat hat zu den hier anstehenden Fragen in seinem in dem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung ergangenen Beschluß vom 26. April 1973 V B 51/721) bereits ausführlich Stellung genommen. Auf diese Ausführungen kann weitgehend Bezug genommen werden, zumal der Kläger keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen hat.

Wenn § 4 Nr. 11 UStG 1967 die Umsätze aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler für steuerfrei erklärt, so kann angenommen werden, daß der Gesetzgeber damit an die Regelungen im HGB (§§ 92 und 93) anknüpfen wollte, wo diese Begriffe bereits vorgegeben und definiert sind. § 4 Nr. 11 UStG 1967 stellt eine Ausnahme von dem sonst allgemeingeltenden Grundsatz dar, daß jeder Unternehmer mit seinen Umsätzen der Umsatzsteuer unterliegt. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Steuerfreiheit auch für andere in § 4 Nr. 11 UStG 1967 nicht genannte Berufsgruppen gelten soll (vgl. Entscheidung des BFH vom 16. Juli 1970 V R 138/69, BFHE 99, 437, BStBl II 1970, 709). Nach § 92 Abs. 1 HGB ist Versicherungsvertreter nur, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. Dazu gehört der Kläger aber nicht, weil er eine solche Tätigkeit nicht ausübt.

§ 4 Nr. 11 UStG 1967 kann entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht unter Heranziehung der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift dahin ausgelegt werden, daß über ihren klaren Wortlaut hinaus jede "Versicherungsverwaltungstätigkeit" steuerfrei sein soll. Versicherungsgesellschaften können gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1967 Vorsteuerbeträge nicht abziehen, weil sie mit ihren Umsätzen in der Regel nicht der Umsatzsteuer unterliegen (§ 4 Nr. 9 a UStG 1967). Daraus Folgert der Kläger, daß § 4 Nr. 11 UStG 1967 eine Vergünstigung für die Versicherungsgesellschaften sei und gleichzeitig einen allgemeinen Grundsatz darstelle, der es rechtfertige, auch andere Personengruppen, die für Versicherungsgesellschaften "Versicherungsverwaltungstätigkeit" leisteten, von der Umsatzsteuer freizustellen.

Der Senat hat in seinem Beschluß V B 51/72 bereits ausführlich dargelegt, daß diese Rechtsauffassung des Klägers unzutreffend ist. Die Entstehungsgeschichte des § 4 Nr. 11 UStG 1967 ist eindeutig. Diese Vorschrift soll nicht die Versicherungsgesellschaften, sondern die Versicherungsvertreter begünstigen. Sie will vermeiden, daß die selbständigen von den nichtselbständigen Vertretern verdrängt werden - vgl. auch Rau-Dürrwächter-Flick-Koch, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, Anm. 8 und 9 zu § 4 Nr. 11 -. Sie kann deshalb nicht auf andere Berufsgruppen erweiternd ausgelegt werden. Darauf, daß das Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer - darüber hinaus auch keinen allgemeinen Grundsatz kennt, wonach einem steuerbefreiten Umsatz vorhergehende Umsätze ebenfalls steuerfrei sein müssen, hat der Senat ebenfalls bereits hingewiesen.

Auch der vom Kläger erneut angestellte Vergleich zwischen seiner Tätigkeit und der Tätigkeit eines Schadensregulierers - die er für steuerfrei hält - führt nicht weiter. Richtigerweise müßte sich der Kläger mit dem im Gesetz genannten Versicherungsvertreter vergleichen, wenn er unter Hinweis auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die Steuerfreiheit auch für seine Umsätze erreichen wollte. Alle diese Tätigkeiten zeigen indessen ein verschiedenes Berufsbild. Gemeinsam ist ihnen lediglich, daß es sich um Tätigkeiten für Versicherungsgesellschaften handelt. Das reicht aber für die Anwendung des Gleichheitssatzes nicht aus.

Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG berufen. Für die Auslegung des § 4 Nr. 11 UStG 1967 kommt es ausschließlich auf die Tätigkeit an, welche der Kläger im Streitjahr tatsächlich ausgeübt hat, und nicht darauf, welche Tätigkeit er hätte ausüben können, wenn er nicht schwerhörig wäre.

Der I. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 18. März 1970 I R 147/67 (BFHE 98, 497, BStBl II 1970, 455) betreffend die Jahre 1962 bis 1964 bereits entschieden, daß der Kläger im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG weder wissenschaftlich tätig, noch, daß seine Tätigkeit dem Beruf des Rechtsanwalts ähnlich sei, weil es steuerlich nicht auf die Berufsbezeichnung, sondern auf den Charakter und den Umfang der Tätigkeit ankomme. An dieser Auffassung hat der I. Senat in seinem Urteil vom 13. November 1974 I R 83/72 auf eine erneute Revision des Klägers betreffend den einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheid 1969 festgehalten. Der erkennende Senat teilt die in der Begründung dieser Entscheidungen vertretene Auffassung (so auch Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 5 Tz. 38). Dementsprechend entfällt für den Kläger auch die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967.

Weshalb in der Anregung des FG, einen Hilfsantrag zu stellen, die Umsatzsteuer auf 5,5 v. H. festzusetzen, ein Verfahrensmangel liegen soll, ist nicht erkennbar.

Beschluß vom 26. April 1973 V B 51/72 (Auszug)

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Im Rahmen der im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide nicht erkennbar. Das FA ist ebenso wie das FG zutreffend davon ausgegangen, daß der Antragsteller keine Tätigkeit als Versicherungsvertreter im Sinne des § 4 Nr. 11 UStG 1967 ausgeübt hat. Die von dieser Vorschrift verwendeten Begriffe des Versicherungsvertreters, des Versicherungsmaklers und des Bausparkassenvertreters sind im HGB gesetzlich definiert. Versicherungsvertreter ist, wer als Handelsvertreter damit beauftragt ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 92 Abs. 1 HGB). Eine solche Tätigkeit übt der Antragsteller unstreitig nicht aus.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegen keine Hinweise dafür vor, daß das Umsatzsteuergesetz 1967 die vorbezeichneten Begriffe in einem anderen Sinne als das HGB verwendet wissen will. Zu § 4 Nr. 17 UStG 1951 in der Fassung des 16. UStÄndG vom 26. März 1965 (BGBl I 1965, 156, BStBl I 1965, 107), der bestimmte Tätigkeiten eines Versicherungsvertreters von der Umsatzsteuer freistellte, hat der erkennende Senat im Urteil vom 25. Juni 1959 V 295/57 U (BFHE 69, 253, BStBl III 1959, 357) ausgeführt, daß dieser Begriff im selben sinne wie im HGB auszulegen ist. Für die Anknüpfung an die Begriffsbestimmung des HGB durch den Gesetzgeber auch im Rahmen des Umsatzsteuergesetzes 1967, bei der die Kenntnis der vorbezeichneten Rechtsprechung vorausgesetzt werden kann, spricht in erster Linie die Entstehungsgeschichte des § 4 Nr. 11 UStG 1967. Wie sich aus dem Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages (vgl. Allgemeine Begründung Nr. 4 Buchst. d, zu Bundestagsdrucksache V/1581) ergibt, war die Befreiung der Provisionen der Versicherungsvertreter und -makler von der Umsatzsteuer lange umstritten. Der Finanzausschuß stellt in seinem Schriftlichen Bericht heraus, daß eine Besteuerung der Vertreterleistungen infolge Nichtabzugsfähigkeit der auf ihnen lastenden Steuer bei den Versicherungsunternehmen zu einer Verteuerung dieser Vertreterleistungen führen würde. Da sich die Versicherungsunternehmen sowohl selbständiger als auch unselbständiger Vertreter bedienen, sah der Finanzausschuß hierin die Gefahr einer Verschiebung der Wettbewerbsverhältnisse zwischen beiden Vertreterarten. Er befürchtete, daß eine Umsatzsteuerpflicht der selbständigen Vertreter die Entwicklung zur verstärkten Beschäftigung unselbständiger Vertreter begünstigen werde. Im Gegensatz zum alten Recht (§ 4 Nr. 17 UStG 1951) wurden daher nicht nur die Umsätze aus der verwaltenden Tätigkeit als Versicherungs vertreter befreit, sondern die Umsätze aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter schlechthin. Ferner wurde in die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 11 UStG 1967 die bis dahin nicht begünstigte Tätigkeit des Versicherungs maklers einbezogen. Es handelt sich hierbei um Personen, die die Vermittlung von Versicherungsverträgen übernehmen, ohne wie Versicherungsvertreter ständig aufgrund eines Vertragsverhältnisses zu den Versicherungsgesellschaften damit betraut zu sein (§ 93 Abs. 1 HGB). Schließlich wurden noch während der zweiten Lesung des neuen Umsatzsteuergesetzentwurfs die Umsätze der Bausparkassenvertreter in die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 11 UStG 1967 einbezogen, da bei ihnen die Verhältnisse nicht anders gelagert sind als bei Versicherungsvertretern und -maklern. Bei den Bausparkassenvertretern handelt es sich nach § 92 Abs. 5 HGB um Personen, die als Handelsvertreter damit beauftragt sind, Bausparkassenverträge zu vermitteln und abzuschließen. Für diese nicht unbeträchtliche Ausweitung der Umsatzsteuerbefreiung gegenüber dem alten Recht ist unter Berücksichtigung der Erwägungen des Finanzausschusses kennzeichnend, daß die Umsätze von Personen erfaßt werden, die im Bereich der Vermittlungs- und Abschlußtätigkeit für Versicherungen und Bausparkassen tätig werden. Weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Entstehungsgeschichte geben daher Anlaß zu der Annahme, daß die Begriffe des Versicherungsvertreters und -maklers und des Bausparkassenvertreters umsatzsteuerlich abweichend von den gesetzlichen Begriffsbestimmungen des HGB auszulegen sind. Die Anknüpfung des Umsatzsteuergesetzes 1967 an die von der Rechtsordnung (dem HGB) bereits vorgegebenen Begriffe legt die gegenteilige Auffassung nahe.

Eine abweichende Auffassung im Sinne einer erweiternden Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 4 Nr. 11 UStG 1967 kann auch nicht damit begründet werden, daß sonst bei den Versicherungsunternehmen und Bausparkassen infolge der Nichtabzugsfähigkeit der in Rechnung gestellten Umsatzsteuern eine verbleibende Belastung mit Umsatzsteuer eintritt. Der Antragsteller verkennt, daß es ein tragendes Merkmal des neuen Umsatzsteuersystems ist, daß in der Regel die einem steuerbefreiten Umsatz (hier der Versicherungsunternehmen und Bausparkassen) vorgehenden Umsätze nicht von der Umsatzsteuer befreit und damit grundsätzlich die daraus folgenden nachteiligen Wirkungen für die Leistungsempfänger in Kauf genommen worden sind (vgl. Urteil des BFH vom 16. Juli 1970 V R 138/69, BFHE 99, 437, BStBl II 1970, 709). Für die Versicherungsunternehmen und Bausparkassen ergibt sich hieraus im Regelfall die Nichtabzugsfähigkeit von Vorsteuern und zwar wegen der Steuerbefreiung ihrer Umsätze insbesondere nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1967 (§ 15 Abs. 2 UStG 1967). Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 11 UStG 1967 ist also nicht, wie der Antragsteller annimmt, Ausdruck einer gesetzgeberischen Absicht, die darauf gerichtet ist, grundsätzlich eine verbleibende Belastung der Versicherungsunternehmen und Bausparkassen mit auf den Vorbezügen lastender Umsatzsteuer im Hinblick auf die weitgehende Befreiung der von ihnen getätigten Umsätze zu vermeiden. Das Ziel des § 4 Nr. 11 UStG 1967 ist vielmehr, ungeachtet des Grundsatzes der Nichtabzugsfähigkeit von Vorsteuern bei Steuerbefreiung der eigenen Umsätze (§ 15 Abs. 2 UStG 1967) die selbständigen Vertreter und Makler, die für Versicherungsgesellschaften und Bausparkassen tätig werden, vor einer Ausschaltungsgefahr zu bewahren. Daß sich hieraus zusätzlich für die Versicherungsunternehmen und Bausparkassen eine Verminderung ihrer nicht abzugsfähigen Vorsteuern ergibt, ist eine zwangsläufige und allein im Interesse der betroffenen Vertreter und Makler eintretende Folgewirkung.

Aus diesem Grunde kann es auch auf sich beruhen, ob der Antragsteller eine den Versicherungs gesellschaften eigentümliche Tätigkeit ausübt. Ob der Antragsteller, wie er vorträgt, im Falle der Besteuerung seiner Umsätze gegenüber einem Schadensregulierer - dessen Tätigkeit er generell als nach § 4 Nr. 11 UStG 1967 als begünstigt ansieht - steuerlich benachteiligt würde, kann im Rahmen dieses Verfahrens schon deshalb dahingestellt bleiben, da seine Tätigkeit mit der eines Schadensregulierers nicht vergleichbar ist. Dessen Tätigkeit wird geprägt durch die sachverständige Feststellung der Ursache und Höhe von Schäden, die Ergreifung von Maßnahmen zur Verhütung von Schadensausweitung und geeigneten Vorschlägen zur Schadensregulierung. Tätigkeiten dieser Art nimmt der Antragsteller unstreitig nicht wahr.

Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotener Härte kommt ebenfalls nicht in Betracht. Sie erfordert, daß die Vollziehung nicht aus allgemeinen Gründen, sondern gerade v o r der Unanfechtbarkeit des Bescheides unbillig ist (BFH-Beschluß vom 26. Mai 1970 II B 8/70, BFHE 99, 143, BStBl II 1970, 552). Das Vorbringen des Antragstellers zu seiner allgemeinen wirtschaftlichen Lage enthält nur allgemeine Gründe, die eine Aussetzung der Vollziehung nicht rechtfertigen. Ob sie geeignet sind, dem Antragsteller eine Stundung nach § 127 der Reichsabgabenordnung zu gewähren, obliegt der Prüfung der Finanzbehörden.

1) Abgedruckt im Anschluß an dieses Urteil

 

Fundstellen

Haufe-Index 71426

BStBl II 1975, 593

BFHE 1975, 296

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge