Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit einer Auskunft des Finanzamts unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben.

 

Normenkette

StAnpG § 1

 

Tatbestand

I. Bescheid

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist praktischer Zahnarzt. Er wurde in den Jahren 1951 bis 1953 mit Einkünften aus selbständiger Tätigkeit zur Einkommensteuer veranlagt.

Wegen eines Teiles seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit hatte er für diese Jahre die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beantragt und erhalten. Es handelte sich hierbei um Honorare, die er für die Teilnahme an einem vom Verband der deutschen zahnärztlichen Berufsvertretungen in Verbindung mit dem Verband der Angestelltenkrankenkassen veranstalteten zahnmedizinischen wissenschaftlichen Großversuch bezogen hatte. Seine Teilnahme an diesem Großversuch hatte der Bf. durch eine von der Zahnärztekammer Hamburg vom 15. Juli 1952 ausgestellte Bescheinigung nachgewiesen.

Auch für 1954 beantragte der Bf. aus dem gleichen Grunde wie in den Vorjahren die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 5 EStG. Bevor es jedoch zur Veranlagung für das Jahr 1954 kam, fand bei dem Bf. eine Betriebsprüfung statt, die einkommensteuerlich die Jahre 1951 bis 1954 umfaßt. Der Betriebsprüfer vertrat die Auffassung, daß die nach § 34 Abs. 5 EStG beantragte Tarifvergünstigung mangels ausreichender Abgrenzbarkeit der sich auf den Großversuch beziehenden Tätigkeit von der die Regel bildenden selbständigen zahnärztlichen Tätigkeit zu versagen sei.

Demgegenüber wies der Bf. darauf hin, daß er bei dem Finanzamt unter Schilderung des Sachverhalts eine Auskunft darüber eingeholt habe, von welchen Voraussetzungen die Geltendmachung des § 34 Abs. 5 EStG abhängig sei. Dabei sei er auf die Notwendigkeit der Abgrenzung der Einkünfte aus der mit dem Großversuch zusammenhängenden Tätigkeit von denen der normalen Berufstätigkeit hingewiesen worden. Diese sei zweckmäßig in der gesonderten Verbuchung der sich auf den Großversuch beziehenden Einnahmen und Ausgaben zum Ausdruck zu bringen. Diesen Rat habe er befolgt. Auch habe er die Bescheinigung der Zahnärztekammer Hamburg über seine Beteiligung am Großversuch vorgelegt. In der Versagung der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG für die Einkommensteuerveranlagung 1954 sehe er einen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gerichteten Verstoß.

 

Entscheidungsgründe

Nach den von der Rechtsprechung zu dieser Frage entwickelten Grundsätzen erfordert der Grundsatz von Treu und Glauben eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Steuerpflichtigen einerseits und der Steuerbehörde andererseits. Der Steuerpflichtige muß sich darauf verlassen können, daß die von dem zuständigen Beamten nach eingehender Darlegung bzw. Prüfung des Sachverhalts erteilte Auskunft, auf die er seine geschäftlichen Maßnahmen abgestellt hat, vom Finanzamt nicht ohne gewichtige Gründe beiseite geschoben wird. Das Finanzamt hat solange zu dem Wort seines Beamten zu stehen, als nicht neue bei der Auskunftserteilung vom Steuerpflichtigen nicht bekanntgegebene Tatsachen eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Es kann einem anfragenden Steuerpflichtigen erklären, daß er eine verbindliche Auskunft nicht erhalten könne. Wenn aber der zuständige Beamte eine solche Auskunft ohne jeden Vorbehalt erteilt und diese Auskunft sich später als unrichtig herausstellt, so ist das Finanzamt trotzdem an diese Auskunft gebunden. Eine andere Beurteilung kann in Betracht kommen, wenn ein Steuerpflichtiger in seinen geschäftlichen Dispositionen etwa deshalb nicht beeinflußt worden ist, weil die Auskunft erst hinterher erteilt worden ist oder die Unrichtigkeit der Auskunft für ihn erkennbar war. Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer derartigen Auskunft ist naturgemäß, daß sie der zuständige Beamte des Finanzamts erteilt hat. Dies wird im Regelfall nur der Sachgebietsleiter sein, der allein in der Lage ist, Veranlagungsfälle abschließend zu zeichnen. Auch mündlich erteilte Auskünfte eines zuständigen Sachgebietsleiters werden als verbindlich angesehen werden müssen, allerdings mit der Einschränkung, daß, wer sich auf eine nur mündlich erteilte Auskunft mit dem Finanzamt beruft, die Folgen der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten und Unklarheiten zu tragen haben wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 541/55 U vom 22. August 1957 - Bundessteuerblatt 1957 III S. 366, Slg. Bd. 65 S. 354 -).

Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten wird sich der Bf. mit Erfolg auf die Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben nur dann berufen können, wenn er sich auf den Großversuch erst eingelassen hat, nachdem er den Sachverhalt dem zuständigen Sachgebietsleiter vollkommen dargelegt und dieser ihm eine entsprechende verbindliche Zusage gemacht hat. Eine derartige Zusage würde das Finanzamt für alle Veranlagungszeiträume binden, in denen Einkünfte des Bf. aus dem Großversuch zur Besteuerung gelangen. Ob eine verbindliche Zusage im oben erwähnten Sinne erteilt worden ist, erscheint nach dem Inhalt der Akten zumindest nicht ausreichend geklärt. Deshalb unterliegt die Vorentscheidung der Aufhebung.

II. Urteil - Wegen des Sachverhalts wird auf den Vorbescheid vom 20. Februar 1958 Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung wiederholten die Beteiligten ihre bisherigen Anträge. Der Sachvortrag des Beschwerdeführers (Bf.) in der mündlichen Verhandlung deckt sich im wesentlichen mit seinem bisherigen Vorbringen im Einspruchs- und Berufungsverfahren. Er machte insbesondere geltend, daß er als Teilnehmer an dem zahnärztlichen Großversuch steuerlich ebenso gestellt werden müsse wie ein Erfinder gemäß der Verordnung vom 30. Mai 1951. Dies verlange schon die Gleichmäßigkeit der Besteuerung für alle freien Berufe, aber auch das grundgesetzlich geschützte Gleichheitsprinzip des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG).

Diese Ausführungen bieten dem Senat keine Veranlassung, von der im Vorbescheid eingehend begründeten Rechtsauffassung abzugehen. Er verbleibt bei seiner Auffassung, daß es dahingestellt bleiben kann, ob die im Rahmen des Großversuchs ausgeübte Tätigkeit des Bf. als eine wissenschaftliche anzusehen ist. Die Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung sind jedenfalls nicht gegeben, weil die aus dieser Tätigkeit des Bf. herrührenden Einkünfte von den übrigen Einkünften aus der Berufstätigkeit nicht abgrenzbar sind. Gerade im vorliegenden Fall, bei dem es sich im Rahmen eines Großversuchs um die zahnärztliche Behandlung einzelner Menschen - wenn auch mit dem Nebenzweck der Erprobung neuer therapeutischer Methoden - handelt, ist die Tätigkeit des Bf. dem Dienst an der Gesundheit des einzelnen Menschen nicht einmal im weitesten Sinne, sondern im engeren Sinne unmittelbar gewidmet. Demnach ist beim Bf. im Hinblick auf die vom Senat in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze eine sich von der freiberuflichen Tätigkeit abhebende wissenschaftliche Tätigkeit mit der Beteiligung am Großversuch nicht gegeben. Demgegenüber kann der Bf. auch nicht mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bzw. den im GG verankerten Gleichheitsgrundsatz durchdringen. Die vom Bf. zur Begründung dieser Auffassung herangezogene steuerliche Behandlung der freien Erfinder kann nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Falles führen. Dies schon deshalb nicht, weil die vom Verordnungsgeber begünstigte Erfindertätigkeit auf eine patentfähige Erfindung gerichtet sein muß (vgl. § 1 der Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 I S. 181). Die steuerliche Vergünstigung setzt also eine patentfähige Erfindung, d. h. etwas Neues und Schöpferisches auf technischem Gebiet, voraus (vgl. Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 7. Auflage, Anmerkung 33 c zu § 4 des Einkommensteuergesetzes). Demgegenüber wird der Bf. als Teilnehmer an dem zahnärztlichen Großversuch nicht eigenschöpferisch tätig. Er hat sich vielmehr bei der Behandlung der Patienten genau an die vom Veranstalter des Großversuchs gegebenen Richtlinien zu halten. Da bei der Anwendung des grundgesetzlich normierten Gleichheitsgrundsatzes nur Gleiches mit Gleichem verglichen werden kann, kann sich der Bf. nicht mit Erfolg auf die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder berufen. Er ist als Teilnehmer am Großversuch nicht wie ein Erfinder eigenschöpferisch tätig.

Der Vertreter des Finanzamts machte in der mündlichen Verhandlung geltend, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erfordere, daß die Steuerpflichtigen nach den geltenden Steuergesetzen zu besteuern seien und daß hieran die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Steuerfestsetzungsverfahren ihre Grenze finden müsse. Es sei eine andere Frage, ob sich der Steuerpflichtige bei Erteilung unrichtiger Auskünfte nach bürgerlichem Recht schadlos halten könne. Auch diese Ausführungen bieten dem Senat keine Veranlassung, von der zu dieser Frage im Vorbescheid eingehend begründeten Rechtsauffassung abzugehen. Der Senat hält insbesondere an der Auffassung fest, daß der Steuerpflichtige sich auch vor Beginn des eigentlichen Steuerfestsetzungsverfahrens darauf muß verlassen können, daß die von dem zuständigen Beamten nach eingehender Darlegung des Sachverhalts erteilte Auskunft, auf die er seine geschäftlichen Maßnahmen abgestellt hat, vom Finanzamt nicht ohne gewichtige Gründe beiseite geschoben werden kann. Wenn der zuständige Beamte eine Auskunft ohne jeden Vorbehalt erteilt und diese Auskunft sich später als unrichtig herausstellt, so ist das Finanzamt trotzdem an diese Auskunft gebunden, auch wenn in einem derartigen Fall die Rechtslage nach dem einschlägigen Steuergesetz eine andere Beurteilung verlangen würde.

Nach alledem muß es bei der im Vorbescheid getroffenen Entscheidung in vollem Umfang sein Bewenden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409209

BStBl III 1959, 85

BFHE 1959, 221

BFHE 68, 219

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