Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmtheit des Vorläufigkeitsvermerks - Einwendungen gegen den Vorläufigkeitsvermerk - anschaffungsnahe Herstellungsaufwendungen keine Vorkosten nach § 10e Abs.6 EStG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Vorläufigkeitsvermerk ist nicht mangels Bestimmtheit nichtig, wenn sich der Umfang der Vorläufigkeit durch Auslegung ermitteln läßt.

2. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des IX.Senats an, daß erhebliche Instandsetzungs- und Modernisierungskosten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen als sog. anschaffungsnahe Aufwendungen Herstellungskosten des Gebäudes bilden. Als Herstellungskosten zu beurteilende anschaffungsnahe Aufwendungen sind nicht als Vorkosten nach § 10e Abs.6 EStG abziehbar, sondern in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG einzubeziehen.

 

Orientierungssatz

Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung sind durch Anfechtung des für vorläufig erklärten Steuerbescheids geltend zu machen. Im Verfahren gegen den geänderten (endgültigen) Steuerbescheid können diese nicht mehr vorgebracht werden (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO 1977 § 165; EStG § 10e

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarben im August 1987 ein Einfamilienhaus für eigene Wohnzwecke. Die Anschaffungskosten für das Gebäude betrugen 156 787 DM, für den Grund und Boden 34 417 DM.

Vor Bezug (Eigennutzung ab 1.Oktober 1987) renovierten die Kläger das Gebäude: Sie ließen es wegen des schadhaften Putzes verklinkern, Bad und Toilette modernisieren (neue Fliesen und Austausch der Armaturen) und die elektrische Anlage erneuern. Die Instandsetzungsaufwendungen beliefen sich auf 22 596 DM. Ferner fielen vor Bezug Aufwendungen für Schönheitsreparaturen in Höhe von 3 288 DM an. Für Herd, Spüle, Teppichboden, Antennen- und Klingelanlage wendeten die Kläger im Streitjahr 1987 außerdem 4 762 DM auf. In den Folgejahren 1988 und 1989 entstanden weitere Aufwendungen für Instandsetzungsarbeiten von 8 433 DM und 5 662 DM.

In der Einkommensteuererklärung 1987 beantragten die Kläger, die vor Bezug angefallenen Aufwendungen für Instandsetzung und Schönheitsreparaturen in Höhe von 25 884 DM (22 596 DM + 3 288 DM) nach § 10e Abs.6 des Einkommensteuergesetzes 1987 (EStG) wie Sonderausgaben abzuziehen. Die Aufwendungen für Herd, Spüle usw. behandelten sie als nachträgliche Herstellungskosten und bezogen sie in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG ein. Sie machten den Abzugsbetrag jedoch nicht geltend, da sie ihn erst in den Folgejahren im Wege der Nachholung in Anspruch nehmen wollten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 1987 die Reparaturaufwendungen und Schuldzinsen in der beantragten Höhe als Steuerbegünstigung für die selbstgenutzte Wohnung (insgesamt 38 040 DM). Es ergab sich eine Steuerschuld von 0 DM. Der Bescheid war nach § 165 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig. In den Erläuterungen zum Bescheid führte das FA aus: "Der Bescheid ist vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, weil noch nicht feststeht, ob die Aufwendungen für Instandhaltung und Instandsetzung den Anschaffungskosten hinzuzurechnen sind (anschaffungsnaher Aufwand)."

Mit dem Einspruch begehrten die Kläger, die Steuerbegünstigung für die selbstgenutzte Wohnung um 2 142 DM zu erhöhen. Da sie beabsichtigten, einen Kindergeldzuschlag zu beantragen, werde "nun doch auf die Abschreibung gemäß § 10e EStG zurückgegriffen". Das FA folgte dem Antrag zunächst durch einen Änderungsbescheid, der ebenfalls nach § 165 Abs.1 AO 1977 vorläufig war. Die Begründung für die vorläufige Festsetzung entsprach der Erläuterung im Erstbescheid.

Nachdem dem FA die Instandsetzungsaufwendungen für die Jahre 1988 und 1989 bekanntgeworden waren, änderte es den Einkommensteuerbescheid 1987 erneut und setzte die Einkommensteuer endgültig fest. Im Änderungsbescheid ließ es die Reparaturaufwendungen von 25 884 DM nicht mehr zum Abzug als Vorkosten zu, weil diese Aufwendungen zusammen mit den Instandsetzungsaufwendungen der beiden Folgejahre 20 v.H. der Anschaffungskosten des Gebäudes überstiegen und daher als sog. anschaffungsnahe Herstellungskosten in die Bemessungsgrundlage des Abzugsbetrags nach § 10e Abs.1 EStG einzubeziehen seien.

Mit dem Einspruch gegen den Änderungsbescheid machten die Kläger geltend, das FA hätte den Einkommensteuerbescheid 1987 nicht nach § 165 Abs.2 AO 1977 ändern dürfen. Es habe den Bescheid hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für vorläufig erklärt. Da derartige Einkünfte nicht vorhanden seien, sei der Vorläufigkeitsvermerk nichtig. Außerdem sei anschaffungsnaher Aufwand nur in Höhe von 22 596 DM anzunehmen. In Höhe von 3 288 DM läge Erhaltungsaufwand vor (Schönheitsreparaturen).

Das FA änderte daraufhin den Einkommensteuerbescheid 1987 erneut und berücksichtigte zusätzlich 3 288 DM als Steuerbegünstigung für die selbstgenutzte Wohnung. Im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.

Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) die beiden letzten Änderungsbescheide auf. Es hielt das FA zwar grundsätzlich für befugt, den Einkommensteuerbescheid 1987 zu ändern. Es war jedoch --unter Ablehnung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum anschaffungsnahen Aufwand-- der Auffassung, die vor Bezug entstandenen Instandsetzungsaufwendungen seien als Erhaltungsaufwand sofort nach § 10e Abs.6 EStG abziehbar.

Mit der Revision trägt das FA vor, die Entscheidung des FG widerspreche der ständigen Rechtsprechung des BFH zum anschaffungsnahen Aufwand. Ob anschaffungsnaher Herstellungsaufwand vorliege, sei für die ersten drei Jahre nach der Anschaffung des Gebäudes nur zu prüfen, wenn die Aufwendungen für Instandsetzung in diesem Zeitraum 20 v.H. der Anschaffungskosten des Gebäudes überstiegen. Im Streitfall beliefen sich diese Aufwendungen auf 23,19 v.H. der Anschaffungskosten, so daß die ursprünglich als Vorkosten abgezogenen Reparaturaufwendungen von 22 596 DM nur im Rahmen der Grundförderung nach § 10e Abs.1 EStG zu berücksichtigen seien, zumal es sich hierbei nicht um laufenden Erhaltungsaufwand handle, der jährlich üblicherweise anfalle.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung, soweit der Klage stattgegeben worden ist, aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FA war --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- zur Änderung des Einkommensteuerbescheids 1987 befugt.

a) Nach § 165 Abs.2 Satz 1 AO 1977 kann die Finanzbehörde die Steuerfestsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Eine vorläufige Steuerfestsetzung kommt in Betracht, soweit ungewiß ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer eingetreten sind (§ 165 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind im Steuerbescheid anzugeben (§ 165 Abs.1 Satz 3 AO 1977).

b) Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung sind durch Anfechtung des für vorläufig erklärten Steuerbescheids geltend zu machen. Im Verfahren gegen den geänderten (endgültigen) Steuerbescheid können diese nicht mehr vorgebracht werden (z.B. Urteile des BFH vom 15.Juli 1987 X R 19/80, BFHE 150, 459, 461, BStBl II 1987, 746, und vom 12.März 1991 IX R 282/87, BFH/NV 1991, 506). Da die vorläufigen Steuerfestsetzungen bestandskräftig geworden sind, können Einwendungen der Kläger, die die Rechtswidrigkeit des Vorläufigkeitsvermerks betreffen, im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden.

c) Die Kläger berufen sich darauf, daß das FA den Einkommensteuerbescheid 1987 nicht habe ändern dürfen, weil der Vorläufigkeitsvermerk mangels Bestimmtheit nichtig sei. Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob ein inhaltlich nicht hinreichend bestimmter Vorläufigkeitsvermerk zur Rechtswidrigkeit (so z.B. das FG unter Berufung auf Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 165 AO Tz.8 und 10) oder zur Nichtigkeit des Vermerks führt (so z.B. BFH in BFH/NV 1991, 506; Förster/Koch, Abgabenordnung, Kommentar, 3.Aufl., § 165 Rz.10) und welche Rechtsfolgen sich bei Annahme der Nichtigkeit des Vorläufigkeitsvermerks ergäben; denn der Vorläufigkeitsvermerk ist inhaltlich hinreichend bestimmt.

Für sich betrachtet ist die Erläuterung zur vorläufigen Festsetzung zwar unklar, weil das FA die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als vorläufig bezeichnet hat, obwohl der Steuerbescheid überhaupt keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufführt. Die bei mißverständlicher Formulierung über den Umfang der Vorläufigkeit gebotene Auslegung (z.B. BFH-Urteil vom 6.März 1992 III R 47/91, BFHE 167, 290, BStBl II 1992, 588) ergibt aber, daß sich die Vorläufigkeit auf die bei den Sonderausgaben abziehbare Steuerbegünstigung nach § 10e EStG bezieht. Dies war auch für die Kläger erkennbar.

Die Kläger selbst hatten in der Einkommensteuererklärung ausgeführt, die geltend gemachten Instandsetzungsaufwendungen seien als Aufwendungen vor Bezug sofort abziehbar, weil sie unter 20 v.H. der Anschaffungskosten des Gebäudes lägen. Den Klägern war somit bekannt, daß die Finanzverwaltung sog. anschaffungsnahe Herstellungsaufwendungen --die nicht nach § 10e Abs.6 EStG abziehbar, sondern in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Abs.1 EStG einzubeziehen sind-- erst annimmt, wenn die Aufwendungen innerhalb der ersten drei Jahre nach der Anschaffung des Gebäudes insgesamt 20 v.H. der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. Durch die Erläuterung des FA, es stehe noch nicht fest, ob die Aufwendungen für Instandhaltung und Instandsetzung den Anschaffungskosten hinzuzurechnen seien (anschaffungsnaher Aufwand), war auch für die Kläger offensichtlich, daß das FA über den Abzug der Instandsetzungsaufwendungen nach § 10e Abs.6 EStG endgültig erst nach Kenntnis der in den Folgejahren angefallenen Instandsetzungsaufwendungen entscheiden wollte. Die Formulierung des FA, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien vorläufig, war auch für die Kläger als Versehen erkennbar.

2. Zu Unrecht hat das FG die streitigen Instandsetzungsaufwendungen zum Abzug nach § 10e Abs.6 EStG zugelassen.

Aufwendungen, die vor der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, sind nur dann nach § 10e Abs.6 EStG als Vorkosten abziehbar, wenn sie nicht zu den Herstellungs- oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören. Da § 10e EStG die Herstellungs- und Anschaffungskosten nicht definiert, ist grundsätzlich vom allgemeinen Begriff der Herstellungs- und Anschaffungskosten des Einkommensteuerrechts auszugehen. Denn Begriffe, die der Gesetzgeber in einem Gesetz mehrfach verwendet, sind in der Regel im gleichen Sinn gemeint und somit einheitlich auszulegen. Es gelten im Rahmen des § 10e EStG daher auch die von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätze über den sog. anschaffungsnahen Herstellungsaufwand (BFH- Beschluß vom 3.Dezember 1991 X B 5/91, BFH/NV 1992, 379).

Nach diesen Grundsätzen bilden erhebliche Instandsetzungs- und Modernisierungskosten Herstellungsaufwand, wenn sie in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem entgeltlichen Erwerb eines bebauten Grundstücks erbracht werden und dadurch das Wesen des Gebäudes verändert, der Nutzungswert erheblich erhöht oder dessen Nutzungsdauer wesentlich verlängert wird. Der IX.Senat hat diese Rechtsprechung zuletzt durch Urteil vom 29.Oktober 1991 IX R 117/90 (BFHE 166, 203, BStBl II 1992, 285) bestätigt und die Angriffe des FG gegen diese Rechtsprechung im Urteil vom 11.September 1990 III 676/89 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1991, 70) zurückgewiesen. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung des IX.Senats des BFH angeschlossen (BFH/NV 1992, 379).

Die Rechtsprechung zum anschaffungsnahen Herstellungsaufwand wird auf § 255 Abs.2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) gestützt. Danach sind Herstellungskosten auch gegeben, wenn ein Vermögensgegenstand über seinen ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbessert wird. Wann eine wesentliche Verbesserung gegeben ist, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Werden die Instandsetzungsmaßnahmen in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Anschaffung vorgenommen und sind die Aufwendungen im Verhältnis zum Kaufpreis hoch, ist im allgemeinen der Schluß gerechtfertigt, daß Herstellungsaufwand vorliegt. Einen engen zeitlichen Zusammenhang nimmt der BFH in der Regel bei Vornahme aufwendiger Instandsetzungsarbeiten innerhalb von drei Jahren seit der Anschaffung des Gebäudes an. Denn die aufwendige Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes innerhalb dieser Zeitspanne legt den Schluß nahe, daß deren Kosten die Höhe des Kaufpreises gemindert haben (BFH-Urteil vom 30.Juli 1991 IX R 123/90, BFHE 165, 253, BStBl II 1992, 30).

3. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Bei erneuter Verhandlung und Entscheidung wird das FG zu prüfen haben, welcher Art die 1988 und 1989 angefallenen Aufwendungen waren und ob die Aufwendungen der Jahre 1987 bis 1989 insgesamt die begrifflichen Merkmale des anschaffungsnahen Aufwands erfüllen. Das FA hat Herstellungskosten angenommen, weil die Aufwendungen 20 v.H. der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. Der Senat weist darauf hin, daß es sich bei der von der Finanzverwaltung aufgestellten Wertgrenze von 20 v.H. (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 25.Oktober 1990, BStBl I 1990, 626, Absatz 55 i.V.m. Abschn.157 Abs.5 der Einkommensteuer-Richtlinien) nur um eine sog. Aufgriffsgrenze handelt. D.h. es sind bei Überschreiten dieser Grenze nicht ohne weiteres Herstellungskosten anzunehmen, sondern die Finanzverwaltung soll in der Regel erst prüfen, ob (nicht sofort abziehbarer) Herstellungsaufwand vorliegt, wenn die Aufwendungen innerhalb der ersten drei Jahre 20 v.H. der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen. Diese Grenze ist für die Steuergerichte nicht verbindlich, gibt aber einen Anhalt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418739

BFH/NV 1993, 11

BStBl II 1993, 338

BFHE 169, 331

BFHE 1993, 331

BB 1993, 1071

BB 1993, 1071-1073 (LT)

DB 1993, 464-465 (LT)

DStR 1993, 471 (KT)

HFR 1993, 164 (LT)

StE 1993, 48 (K)

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