Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage des Abzugs von Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen beim Kreditkauf von Wertpapieren.

2. Eine Vermögensverwaltung in Form der Kapitalanlage zur Überschußerzielung kann umschlagen in eine Vermögensverwaltung durch Kapitalanlage, bei der die Absicht der Substanzverwertung im Vordergrund steht. Der Grund für den Wechsel der Form der Vermögensverwaltung ist unerheblich dafür, ob Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt werden oder nicht.

 

Normenkette

EStG 1974 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger zu 2. und 3. (Kläger zu 2. und 3.) sind die Erben des während des Revisionsverfahrens verstorbenen Steuerpflichtigen. Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1. (Klägerin zu 1.) war die Ehefrau des Steuerpflichtigen und wurde mit diesem zusammenveranlagt. Der Kläger zu 2. ist außerdem Testamentsvollstrecker, beschränkt auf die Verwaltung des vom Steuerpflichtigen hinterlassenen Grundstücks F-Straße.

Der Steuerpflichtige erhielt 1960 von einer Sparkasse ein Kontokorrentdarlehen von ursprünglich 300 000 DM, um damit Wertpapiere zu erwerben. Die Sollzinsen für das Darlehen und die Erträge der im Sammeldepot der Sparkasse liegenden Wertpapiere wurden jeweils dem Konto belastet oder gutgeschrieben. Von 1964 bis 1976 beliefen sich die für den Wertpapierkredit aufgewendeten Schuldzinsen und die vereinnahmten Dividenden auf folgende Beträge:

Jahr Zinsen (DM) Dividenden (DM)

1964 23 520 18 304

1965 26 670 12 970

1966 22 620 6 836

1967 22 432 6 553

1968 23 055 13 630

1969 29 793 16 870

1970 38 830 16 414

1971 34 327 13 618

1972 29 042 4 476

1973 49 003 4 394

1974 45 920 4 584

1975 21 294 5 404

1976 15 794 4 500

Zur Sicherung der vorerwähnten Darlehensschuld war auf dem Grundstück des Steuerpflichtigen F-Straße zugunsten der Sparkasse eine Grundschuld eingetragen. Durch Valutierung dieser und einer weiteren Grundschuld erhielt der Steuerpflichtige einen Darlehensbetrag von 216 000 DM, der auf das Kontokorrentkonto eingezahlt wurde. Dafür hatte der Steuerpflichtige ein Disagio von 17 280 DM sowie Zinsen von 3 903 DM in 1974, 18 900 DM in 1975 und 16 405 DM in 1976 zu entrichten.

In den Einkommensteuererklärungen für 1974 bis 1976 beantragten der Steuerpflichtige und die Klägerin zu 1. den Abzug der für das Kontokorrentdarlehen gezahlten Zinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und als Sonderausgaben; das Disagio und die Zinsen für das Umschuldungsdarlehen machten sie als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ in den Einkommensteuerbescheiden für 1974 bis 1976 einen Abzug der Zinsen für das Kontokorrentdarlehen nicht zu und änderte in der Einspruchsentscheidung die Steuerfestsetzungen dahin ab, daß er auch die Zinsen für das Umschuldungsdarlehen nicht mehr berücksichtigte.

Die Klage blieb im wesentlichen erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 590 veröffentlichten Urteil aus:

Die umstrittenen Darlehenszinsen seien keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, weil kein wirtschaftlicher Zusammenhang mit dieser Einkunftsart bestehe. Nach dem eigenen Vorbringen der Kläger im Klageverfahren seien über das Kontokorrentkonto nur das Wertpapiervermögen des Steuerpflichtigen betreffende Zahlungen abgewikkelt worden.

Die Schuldzinsen seien auch nicht als negative Einkünfte aus Kapitalvermögen im Wege des Verlustausgleichs zu berücksichtigen. Nach den tatsächlichen Verhältnissen des Streitfalles ließen sich die Zinsen keiner Einkunftsart i. S. des § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 zuordnen; es handele sich um die Ergebnisse einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Einkunftsquelle. Das Wertpapiervermögen habe über mehr als 10 Jahre Verluste in beträchtlicher Höhe erbracht. Das rechtfertige den Schluß, daß der Steuerpflichtige jedenfalls in den Streitjahren nicht ernsthaft mit einem auf Dauer gesehenen Überschuß habe rechnen können. Für die Fortführung des Wertpapiervermögens trotz der nachhaltigen Verluste müßten andere Gründe als die Erzielung von positiven Einkünften maßgebend gewesen sein, wie sich auch aus dem Vorbringen des Steuerpflichtigen ergebe. Danach seien die Wertpapiere angeschafft worden, um eine wertbeständige Vermögensanlage als Alterssicherung zu erwerben. Somit seien Verluste nur in der Hoffnung in Kauf genommen worden, bei einer späteren Veräußerung der Wertpapiere zu einem die Anschaffungskosten übersteigenden Kurswert diese Verluste zumindest auszugleichen. Die Schuldzinsen stünden mit Vorgängen in der Vermögenssphäre in Zusammenhang, die nicht anders zu behandeln seien als Vorgänge auf dem Gebiet der sog. Liebhaberei. Liebhaberei im steuerrechtlichen Sinne komme auch dann in Betracht, wenn eine Einkunftsquelle nicht aus persönlicher Neigung, sondern aus privaten Gründen unterhalten werde, sofern sich das fehlende Gewinnstreben aus den Umständen des Einzelfalles ergebe.

Nach alldem seien die in den angefochtenen Steuerbescheiden erfaßten Kapitalerträge von der Einkommensteuer freizustellen.

Mit der Revision machen die Kläger geltend:

Das FG habe zu Unrecht Liebhaberei angenommen. Der Vorgang nachhaltiger "Verluste" und das Streben nach Alterssicherung rechtfertigten allein nicht die Folgerung mangelnder Gewinnerzielung. Gewinnerzielungsabsicht könne nicht verneint werden, weil zur Zeit der Investition in Kapitalvermögen in 1964 mit einem Überschuß bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu rechnen gewesen sei, was bei weiterer Sachverhaltsaufklärung hätte festgestellt werden können.

Die Schuldzinsen seien vollen Umfangs als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen anzusetzen. Eine Beschränkung des Werbungskostenabzugs sei nicht zulässig, da der Steuerpflichtige ursprünglich und auch späterhin in Gewinnerzielungsabsicht gehandelt habe. Auch dazu sei eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung die Einkommensteuer für 1974 auf 2 006 DM, für 1975 auf 5 174 DM und für 1976 auf 5 582 DM herabzusetzen,

hilfsweise, die für die Jahre 1974 bis 1976 jeweils streitigen Schuldzinsen in Höhe der Erträge bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als Werbungskosten zu berücksichtigen,

hilfsweise, die Streitsache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Dem FG ist darin beizutreten, daß die vom Steuerpflichtigen in den Jahren 1974 bis 1976 gezahlten Darlehenszinsen keine Werbungskosten bei Einkünften aus Kapitalvermögen oder Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sind (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 3 Nr. 1, § 20 Abs. 1, § 21 Abs. 1 EStG 1974/1975).

1. Der Steuerpflichtige hat in den Streitjahren keine Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt.

a) Der erkennende Senat hat in den Urteilen vom 21. Juli 1981 VIII R 128/76 (BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36) betr. den Kreditkauf einer GmbH-Beteiligung, VIII R 154/76 (BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37) betr. den Kreditkauf von Aktien, und VIII R 200/78 (BFHE 134, 121, BStBl II 1982, 40) betr. den Kreditkauf von festverzinslichen Wertpapieren entschieden, daß Schuldzinsen für einen Kredit zur Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen Kapitalanlage dann keine Werbungskosten im Rahmen der Einkunftsart nach § 20 EStG 1974/1975 - Einkünfte aus Kapitalvermögen - sind, wenn bei der Anschaffung oder dem Halten der Kapitalanlage nicht die Absicht zur Erzielung von Überschüssen, sondern die Absicht zur Realisierung von Wertsteigerungen der Kapitalanlage im Vordergrund steht. Der Tatbestand der Einkunftserzielung nach § 20 EStG 1974/1975 ist dann nicht erfüllt, wenn auf Dauer gesehen nicht Überschüsse aus der entgeltlichen Überlassung von Kapital zur Nutzung erzielt, sondern Wertsteigerungen in der Vermögenssubstanz realisiert werden sollen, die mit Ausnahme der Tatbestände der §§ 17 und 23 EStG 1974/1975 nicht steuerbar sind. Verluste aus einer solchen unter keine Einkunftsart fallenden Vermögensverwaltung sind nicht ausgleichsfähig.

In den vorerwähnten Urteilen des Senats wurde auch ausgeführt, daß die Frage, ob Überschußerzielung oder Substanzverwertung im Vordergrund steht, nur anhand äußerlich erkennbarer Merkmale zu beurteilen ist. Anhaltspunkte dafür, daß die Absicht der Substanzverwertung im Vordergrund steht, sind gegeben, wenn die Kapitalanlage mit Gewinn veräußert wird, ohne daß die Finanzierungskosten für ihren Erwerb aus den laufenden Erträgen abgedeckt wurden, oder wenn die Kapitalanlage über einen langen Zeitraum hinweg gehalten wird und die Finanzierungskosten der Anschaffung ständig die laufenden Erträge übersteigen. Solche Merkmale erlauben auch den Schluß, daß die Absicht gewechselt hat, sei es, daß zunächst die Absicht der Überschußerzielung und später die Absicht der Substanzverwertung im Vordergrund stand oder umgekehrt. Welcher Schluß aus den einzelnen Anhaltspunkten gezogen wird, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und Tatsachenwürdigung, die dem FG obliegt. Die vom FG nach § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorzunehmende Gesamtwürdigung ist nach § 118 Abs. 2 FGO für das Revisionsgericht bindend, wenn sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt ist; dabei muß die Gesamtwürdigung nicht zwingend sein, es genügt, daß sie möglich ist (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522).

b) Mit diesen Grundsätzen steht die Vorentscheidung im Einklang, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt, daß der Steuerpflichtige in den Streitjahren keine - negativen - Einkünfte aus Kapitalvermögen hatte, weil nicht Überschußerzielung, sondern Vermögensverwertung beabsichtigt war. Die Tatsache ständiger Verluste über 10 Jahre hinweg und der Vortrag des Steuerpflichtigen, mit der Anschaffung der Wertpapiere den Erwerb einer wertbeständigen Vermögensanlage zur Alterssicherung bezweckt zu haben, rechtfertigen die Annahme, daß spätestens ab 1974 die Absicht zur Realisierung von Wertsteigerungen der Vermögenssubstanz im Vordergrund stand. Die Einwendungen der Revision greifen nicht durch.

Wenn die Kläger geltend machen, das FG habe nicht berücksichtigt oder aufgeklärt, ob zu Beginn der Wertpapiergeschäfte eine ertragsorientierte Investition vorgelegen habe und die nachhaltige Verlustsituation erst durch den Wegfall des Schuldzinsenabzugs als Sonderausgaben sowie durch Zinssatzsteigerung und Dividendenrückgang eingetreten sei, so kann offenbleiben, ob es sich insoweit um ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrügen oder um materiell-rechtliche Rügen handelt. Auf dieses Vorbringen kommt es nicht an, weil die Feststellung des FG, daß für die Fortführung des Wertpapierdepots trotz nachhaltiger Verluste andere Gründe als die Erzielung von positiven Einkünften maßgebend waren, und die Annahme des FG, daß es sich um die Ergebnisse einer einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Tätigkeit handelt, auch möglich sind, wenn das Vorbringen der Kläger als richtig unterstellt wird. Eine Vermögensverwaltung in Form der Kapitalanlage zur Überschußerzielung kann umschlagen in eine Vermögensverwaltung durch Kapitalanlage, bei der die Absicht der Substanzverwertung im Vordergrund steht. Der Grund für den Wechsel der Form der Vermögensverwaltung ist unerheblich dafür, ob Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt werden oder nicht. Maßgebend ist allein, ob die Tatbestandsmerkmale dieser Einkunftsart erfüllt sind. Das ist nicht der Fall, wenn nicht Überschußerzielung, sondern Substanzverwertung beabsichtigt ist.

Wenn die Kläger rügen, das FG habe für den von ihm festgestellten Grund für die Fortführung des Wertpapierdepots ihr Vorbringen über eine Alterssicherung nicht richtig gewürdigt, so greift das nicht durch. Das FG ist nicht davon ausgegangen, daß ein Erwerb und ein Behalten von Wertpapieren zur Alterssicherung stets der Erzielung von Veräußerungsgewinnen dienten. Das FG hat lediglich aus den besonderen Umständen des Streitfalls und aus dem von den Klägern vorgetragenen Zweck des Wertpapierdepots gefolgert, daß die nachhaltige Entstehung von Verlusten nur deshalb in Kauf genommen wurde, weil der Steuerpflichtige hoffte, bei einer späteren Veräußerung der Wertpapiere zu einem die Anschaffungskosten übersteigenden Kurswert diese Verluste zumindest ausgleichen zu können. Dies verstößt weder gegen die Lebenserfahrung noch gegen ein Denkgesetz. Denn es ist der Schluß möglich, daß, wer Wertpapiere als Vermögensanlage zur Alterssicherung hält, diese auch bei Verlusten weiterhält in der Hoffnung, diese Verluste durch Veräußerung mit Kursgewinnen auszugleichen.

Soweit die Kläger meinen, das FG habe nicht vom Vorliegen von Verlusten ausgehen dürfen, weil die wirtschaftliche Auswirkung der Einkünfte aus Kapitalvermögen im Zusammenhang mit dem bis 1973 möglichen Sonderausgabenabzug von Schuldzinsen betrachtet werden müsse, so ist dies unzutreffend. Verluste sind gegeben, wenn die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Das war nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des FG über die Höhe der Dividenden und der Schuldzinsen in den Jahren 1964 bis 1976 der Fall. Hiervon abgesehen behalten Ausgaben ihren Aufwandscharakter unabhängig davon, ob sie als Sonderausgaben zu berücksichtigen waren oder nicht.

2. Die Schuldzinsen sind keine Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.

Die Vorentscheidung läßt keinen Rechtsfehler erkennen, wenn sie zu dem Ergebnis gelangte, daß die umstrittenen Zinsen in keinem Zusammenhang mit Einkünften des Steuerpflichtigen aus Vermietung und Verpachtung entstanden. Insoweit wurden auch mit der Revision keine Einwendungen erhoben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74280

BStBl II 1982, 463

BFHE 1982, 320

NJW 1982, 1776

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