Leitsatz (amtlich)

1. Mehraufwendungen durch Kraftfahrzeugbenutzung bei Geh- und Stehbehinderten als außergewöhnliche Belastung.

2. Die Verwaltungsanweisungen der obersten Finanzverwaltungsbehörden über die Behandlung von Kraftfahrzeugkosten als außergewöhnliche Belastung bei Körperbehinderten dienen der Vereinfachung. Körperbehinderte, die nicht vom Wortlaut dieser Verwaltungsanweisungen erfaßt sind, können eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG nur erhalten, wenn sie den Mehraufwand dartun.

 

Normenkette

EStG 1965 §§ 33, 33a

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige, ein selbständiger Rechtsanwalt, ist durch Fußschäden zu 50 v. H. erwerbsbeschränkt. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1965 will er die Mehrkosten, die ihm infolge seines Körperschadens durch die Benutzung seines Pkw entstanden seien, mit 750 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG 1965 berücksichtigt haben.

Das FA lehnte die beantragte Steuerermäßigung ab, weil nach den Verwaltungsanweisungen bei der Anwendung des § 33 EStG eine Geh- und Stehbehinderung nur erheblich sei, wenn sie für sich zu einer Erwerbsminderung von wenigstens 70 v. H. geführt habe.

Der Steuerpflichtige führte demgegenüber aus, es gehe um die Prüfung, wann eine Geh- und Stehbehinderung im Sinne des Urteils des BFH VI 297/65 U vom 17. Dezember 1965 (BFH 84, 574, BStBl III 1966, 208) erheblich sei. Diese Feststellung könne nur im Einzelfalle getroffen werden. Er verweist auch auf das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegsbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 (BGBl I 1965, 978), nach dessen § 2 Abs. 1 Nr. 2 begünstigt sind Beschädigte, die bei "einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um weniger als 70 v. H., aber um mindestens 50 v. H. ...infolge der Schädigung erheblich gehbehindert sind". Dieser Grundsatz müsse, weil die Rechtsordnung eine Einheit bilde, auch im Steuerrecht maßgebend sein. Ferner verweist er auf § 9 Abs. 2 EStG 1967, der ebenfalls erheblich Gehbehinderte mit Erwerbsminderung von 50 bis 70 v. H. besonders berücksichtige.

Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1967, 614 veröffentlicht ist, gab der Klage statt und führte aus, die Unterscheidung nach dem Grad der Erwerbsminderung sei kein sinnvoller Maßstab dafür, ob zwangsläufig ein Mehraufwand durch die Benutzung eines Pkw entstehe; denn der Grad der Erwerbsminderung besage nichts über den Grad der Geh- und Stehbehinderung. Da der Steuerpflichtige alle Zehen und einen Teil der Mittelfußknochen verloren habe, müsse er sein Fahrzeug zwangsläufig mehr benutzen als Gesunde.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Nach § 33a Abs. 6 EStG 1965 sind wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die Körperbehinderten erwachsen, nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit gestaffelte Pauschbeträge durch Rechtsverordnung festzusetzen. Die entsprechende Regelung hat die Bundesregierung in § 65 EStDV 1965 getroffen. Nach der Rechtsprechung des Senats gelten die Pauschsätze die typischen (laufenden) zusätzlichen Aufwendungen der Körperbehinderten für Wäsche, Hilfsleistungen, Erholung usw. ab (Entscheidung des Senats VI 313/64 vom 30. November 1966, BFH 88, 407, 413, BStBl III 1967, 457, 459). Aufwendungen besonderer Art können neben den Pauschbeträgen des § 65 EStDV nach § 33 EStG berücksichtigt werden, z. B. Kraftfahrzeugkosten bei Körperbehinderten, die zu ihrer Fortbewegung auf einen Pkw angewiesen sind. So hat der BFH in der Entscheidung IV 344/58 U vom 23. November 1961 (BFH 74, 321, BStBl III 1962, 123) einem voll Beinamputierten die Aufwendungen für seinen Pkw teilweise nach § 33 EStG anerkannt. In gleichchem Sinne hat der Senat im Urteil VI 38/62 U vom 22. November 1963 (BFH 78, 360, BStBl III 1964, 139) bei einem oberschenkelamputierten Beamten die Pkw-Kosten bei Berufsfahrten, die nach der damaligen Rechtsprechung keine Werbungskosten waren, als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Ähnliche Grundsätze hat der Senat in den Entscheidungen VI 38/62 U (a. a. O.), VI 297/65 U (a. a. O.) und VI 66/65 vom 28. Januar 1966 (BFH 85, 224, BStBl III 1966, 291) angewandt.

Im Zusammenhang mit dieser Rechtsprechung haben die obersten Verwaltungsbehörden der Länder gleichlautende Erlasse herausgegeben, z. B. das Finanzministerium Nordrhein-Westfalen den Erlaß vom 14. Oktober 1964 ("Der Betrieb" 1964 S. 1572). Danach sollen die FÄ die Benutzung eines Pkw als zwangsläufig anerkennen, wenn der Körperbehinderte nach Art und Grad der Behinderung zu seiner Fortbewegung auf das Fahrzeug angewiesen ist. Die Finanzministerien halten diese Voraussetzung allgemein für erfüllt, wenn die Geh- und Stehbehinderung die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 70 v. H. mindert. In diesen Fällen soll ohne Einzelnachweis ein Aufwand von jährlich (3000 km x 0,25 DM =) 750 DM neben dem Pauschbetrag aus § 65 EStDV anerkannt werden. Der Senat hält diese Verwaltungsregelung für eine sinnvolle typisierende Regelung zur Vereinfachung für alle Beteiligten. Sie findet als Schätzung in § 217 AO eine ausreichende Rechtsgrundlage. Schon in der Entscheidung VI 297/65 U (a. a. O.) hat der Senat ausgeführt, daß die Schätzung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung diene und anzuwenden sei, sofern sie nicht im Einzelfall zu offensichtlich willkürlichen Ergebnissen führe.

Der Erlaß kann, da er eine Verwaltungsmaßnahme ist, aber nur auf Fälle angewendet werden, die von seinem Wortlaut gedeckt sind. Die Steuergerichte haben kein Recht, die Verwaltungsregelung auszuweiten und allgemein Pauschsätze im weiteren Umfang zuzulassen, als die Finanzverwaltungbehörden das getan haben. Die Steuergerichte sind nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Daraus ergibt sich, daß einerseits Verwaltungsanweisungen die Gerichte nicht binden. Andererseits können die Gerichte aber auch nicht allgemeine Vereinfachungsregeln schaffen. Sie können nur im Einzelfall prüfen, welche Möglichkeiten das Gesetz dem Steuerpflichtigen bietet. Will ein Steuerpflichtiger über die erwähnte Vereinfachungsregelung der obersten Finanzverwaltungsbehörden hinaus Kraftfahrzeugkosten als außergewöhnliche Belastung geltend machen, so hat er darzutun, ob und in welcher Höhe ihm solche Aufwendungen tatsächlich entstanden sind. Er muß dabei nicht nur dartun, daß er infolge seiner Gehbehinderung auf den Pkw angewiesen ist, sondern auch, welche Mehraufwendungen er durch die Benutzung des Pkw gegenüber der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes gehabt hat (§ 33 Abs. 1 EStG). Berufliche Aufwendungen, die Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind, können nur als solche, aber nicht als außergewöhnliche Belastung angesetzt werden (§ 33 Abs. 2 Satz 2 EStG). Als außergewöhnliche Belastungen kommen also nur die durch den Körperschaden bedingten Mehraufwendungen für Privatfahrten in Frage, z. B. die Mehraufwendungen für Erholungs-, Freizeit-, Besuchs- und ähnliche Fahrten (Urteil des Senats VI 66/65, a. a. O.).

Solche Mehraufwendungen hat der Steuerpflichtige nicht dargetan. Der Hinweis des Steuerpflichtigen auf andere Gesetze geht fehl. Die §§ 33 und 33a EStG regeln die einkommensteuerliche Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen selbständig und abschließend. Die Vorschriften anderer Gesetze können nur herangezogen werden, wenn das im Steuergesetz vorgesehen ist. So weist z. B. § 65 EStDV ausdrücklich auf die Maßgeblichkeit der Rentenbescheide hin. Andere Gesetze mit eigener sozialpolitischer Zwecksetzung können jedenfalls nicht in das Steuerrecht übertragen werden. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung, auf den sich der Steuerpflichtige beruft, findet seine Grenze dort, wo ein Gesetz eine Frage selbständig regelt. Auch aus § 9 Abs. 2 EStG 1967 kann der Steuerpflichtige, selbst wenn die Vorschrift schon für das Streitjahr 1965 in Kraft stünde, nichts für sich herleiten, denn die Vorschrift gilt nur für Kraftfahrzeugkosten als Werbungskosten, nicht auch für außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG.

Die angefochtene Entscheidung, die auf anderer Rechtsauffassung beruht, war daher aufzuheben und die Klage des Steuerpflichtigen abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67988

BStBl II 1968, 408

BFHE 1968, 535

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