Entscheidungsstichwort (Thema)

Im Souterrain gelegene Arztpraxis als „häusliches Arbeitszimmer“; Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung; Anpassung des Revisionsantrags nach Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein "häusliches Arbeitszimmer" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG ist ein betrieblich oder beruflich genutzter Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient. Dies ist bei einer im Souterrain gelegenen Arztpraxis jedenfalls dann der Fall, wenn die Räumlichkeit nicht erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet ist und in ihr auch kein Publikumsverkehr stattfindet.

2. Geht ein Steuerpflichtiger einer einzigen betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit nach, liegt der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG dann im häuslichen Arbeitszimmer, wenn der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit dort ausgeübt wird. Dies ist bei einer Ärztin, die Gutachten über die Einstufung der Pflegebedürftigkeit erstellt und dazu ihre Patienten ausschließlich außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers untersucht und dort (vor Ort) auch alle erforderlichen Befunde erhebt, zu verneinen.

3. Wird im Laufe des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt geändert und wird der neue Verwaltungsakt gemäß § 68 Satz 1 FGO von Gesetzes wegen Gegenstand des Verfahrens, so bedarf es jedenfalls dann keiner Anpassung des Revisionsantrags an die veränderte Prozesslage, wenn die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderung unberührt geblieben sind.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b; FGO § 68 S. 1; 2. FGOÄndG

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 27.09.2000; Aktenzeichen I 45/2000; EFG 2001, 271)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen veranlagte Ehegatten. Die Klägerin war im Streitjahr (1997) ausschließlich als Ärztin für den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) tätig und bezog daraus Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Sie erstellte für den MDK Gutachten über die Einstufung von Antragstellern in die verschiedenen Pflegebedürftigkeitsstufen. Nach dem zwischen der Klägerin und dem MDK geschlossenen Vertrag hatte die Klägerin u.a. die für ihre Tätigkeit erforderlichen sächlichen und persönlichen Mittel, insbesondere Räume und Einrichtungen sowie eine Schreib- und Bürokraft selbst zu beschaffen. Die Räumlichkeit, welche die Klägerin als Arbeitszimmer benutzte, lag im Souterrain des den Klägern gehörenden Einfamilienhauses und umfasste 27,95 qm der gesamten Wohnfläche von 170,93 qm. Der Raum war mit Schreibtisch, Schreibmaschine, Computertisch, EDV-Anlage, Bürostuhl, Bücherregalen und Fachliteratur ausgestattet. Ein Arbeitsplatz beim MDK bestand nicht.

Die Klägerin besuchte täglich ein bis zwei Antragsteller vor Ort. Dort befragte sie die Patienten anhand der Vorgaben von Fragebögen, untersuchte sie auf ihren körperlichen und geistigen Zustand und besichtigte die wohnlichen Verhältnisse, um auch evtl. Hilfsmittel vorschlagen zu können. Die durchschnittliche Begutachtung eines Patienten nahm ca. 50 bis 60 Minuten in Anspruch. Im Arbeitszimmer erstellte die Klägerin anhand der bei den Patientenbesuchen gefertigten Notizen die Gutachten, wobei sie umfangreiche Formulare mit aufwendigen Berechnungen des zeitlichen Bedarfs der erforderlichen Hilfeleistungen auszufüllen hatte. Weiter hielt sie vom Arbeitszimmer aus mit den jeweiligen behandelnden Ärzten wegen der genauen Diagnose telefonisch Rücksprache und überprüfte die Medikation der Patienten. Schließlich koordinierte die Klägerin in dem Arbeitszimmer sämtliche Patientenbesuche.

Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuer-Erklärung für 1997 Betriebsausgaben der Klägerin für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 8 679,73 DM (1 943,75 DM Absetzung für Abnutzung ―AfA―, 6 735,98 DM sonstige Kosten) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) wich von dieser Erklärung ab und berücksichtigte Betriebsausgaben für das häusliche Arbeitszimmer lediglich in Höhe von 2 400 DM, da er entgegen der Auffassung der Kläger die Meinung vertrat, das häusliche Arbeitszimmer bilde nicht den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit der Klägerin.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 271 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie tragen im Wesentlichen vor: Es sei schon begrifflich nicht von einem häuslichen Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auszugehen, sondern von einer Betriebsstätte. Ein ungekürzter Betriebsausgabenabzug hätte daher gewährt werden müssen. Die von ihr, der Klägerin, benutzte Räumlichkeit liege außerhalb des privaten Wohnbereichs, da sie sich im Souterrain befinde. Das Verhältnis der Wohnfläche (170,93 qm) zur Betriebsfläche (27,95 qm) ließe die Annahme einer Betriebsstätte zu. Der Arbeitsraum sei im Streitjahr ausschließlich mit Gegenständen ausgestattet gewesen, die für die Berufsausübung erforderlich seien. Eine private Nutzung habe nicht stattgefunden. Unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 16. Juni 1998 IV B 2 -S 2145- 59/98 (BStBl I 1998, 863 Rz. 7) könne allgemein bei einer Arzt-, Steuerberater- oder Anwaltspraxis, die an das Einfamilienhaus angrenze oder sich im selben Gebäude wie die Privatwohnung befinde, regelmäßig kein häusliches Arbeitszimmer angenommen werden.

Ein unbegrenzter Abzug der geltend gemachten Betriebsausgaben sei auch deshalb zuzulassen, weil das Arbeitszimmer Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG sei. Die ärztlichen Gutachten seien in dem Arbeitszimmer erstellt worden. Zwar habe sie, die Klägerin, während der Patientenbesuche Notizen gemacht; den Befund und die Einordnung in die verschiedenen Pflegebedürftigkeitsstufen der Antragsteller habe sie aber letztlich im Arbeitszimmer getroffen. Dies habe sie nur aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation als Ärztin vornehmen können. Die Vielzahl der Patientenbesuche und die dadurch bedingte Abwesenheit von dem Arbeitszimmer würden nicht im Widerspruch zu dem "Mittelpunktsbegriff" des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG stehen, denn es komme nicht allein auf die Intensität und Dauer der täglichen Arbeitsleistung an einem bestimmten Ort an (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 2. Februar 1994 VI R 109/89, BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422).

Das FA hat am 9. Juli 2002 einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Streitjahr erlassen, wovon die hier streitigen Fragen allerdings nicht betroffen sind.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1997 vom 9. Juli 2002 dahin gehend zu ändern, dass bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Klägerin Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von insgesamt 8 679,73 DM als Betriebsausgaben berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es trägt vor, das häusliche Arbeitszimmer der Klägerin sei nicht mit den Arzt-, Steuerberater- oder Rechtsanwaltspraxen vergleichbar, bei denen das BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 863 in der Regel nicht von einem häuslichen Arbeitszimmer ausgehe. Mangels Publikumsverkehrs sei die Einbindung des Arbeitszimmers in die private Sphäre nicht gelöst worden (BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 74/98, BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7).

 

Entscheidungsgründe

I. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Es entschied über den Einkommensteuerbescheid vom 2. Dezember 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Januar 2000. An die Stelle dieses Bescheids trat während des Revisionsverfahrens der Bescheid vom 9. Juli 2002. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde, mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu insbesondere das BFH-Urteil vom 16. Juni 1999 II R 57/96, BFHE 189, 537, BStBl II 1999, 789).

Der Bescheid vom 9. Juli 2002 wurde nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da sich hinsichtlich der streitigen Punkte durch die Bescheidänderung keine Änderungen ergeben und die Kläger auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt haben, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (s. auch hierzu das BFH-Urteil in BFHE 189, 537, BStBl II 1999, 789).

Die Kläger haben den Revisionsantrag auch ausdrücklich dahin geändert, dass ihr Begehren sich nunmehr gegen den Änderungsbescheid vom 9. Juli 2002 richte.

Dies entspricht der im Schrifttum unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 7. Dezember 1999 VIII R 26/94 (BFHE 191, 1, BStBl II 2000, 300) vertretenen Ansicht, der Kläger müsse der neuen Prozesslage ―obwohl der Änderungsbescheid ohne sein Zutun, kraft Gesetzes, Gegenstand des Verfahrens wurde― durch eine Änderung seines Klage- bzw. Revisionsantrags Rechnung tragen (s. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 68 Rz. 2 und 48). Nach Auffassung des Senats ist ein solcher Anpassungsantrag aber jedenfalls für den Fall entbehrlich, dass der Änderungsbescheid keinen Einfluss auf die Streitpunkte des Verfahrens hat und die Anpassung im Interesse des Klägers liegt. Die automatische Ersetzung des Änderungsbescheids durch § 68 FGO n.F. sollte den Interessen der Beteiligten an einem einfachen Verfahren gerecht werden (BTDrucks 14/4061 S. 8). Diesem Regelungszweck würde es in den o.g. Fällen zuwiderlaufen, wenn trotz der Auswechslung des Verfahrensgegenstands von Gesetzes wegen aus prozessualen Gründen ein Antragserfordernis aufgestellt würde und damit der Vereinfachungszweck der Ersetzungsregelung weitgehend gewissermaßen wieder aufgehoben würde. Der Senat ist daher der Auffassung, dass der ursprüngliche Revisionsantrag in Fällen wie dem vorliegenden schon von Gerichts wegen an die veränderte Prozesslage anzupassen ist.

II. Der erkennende Senat entscheidet aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO in der Sache selbst (§ 126 Abs. 2 FGO).

Die Klage ist unbegründet. Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer sind nur bis zu einem Betrag von 2 400 DM abziehbar.

a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 1 EStG dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer den Gewinn nicht mindern. Dies gilt nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 v.H. der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach Satz 3 der Vorschrift in der für das Streitjahr 1997 geltenden Fassung die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt. Diese Begrenzung entfällt (wiederum) ganz, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.

b) Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers ist im Gesetz nicht definiert.

aa) Der erkennende Senat geht jedoch davon aus, dass der Gesetzgeber an den von der Rechtsprechung vor Einführung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG durch das Jahressteuergesetz (JStG) 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) geschaffenen Begriff anknüpfen wollte (Senatsurteil vom 5. Dezember 2002 IV R 7/01, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen; gl.A. BFH-Urteile vom 19. September 2002 VI R 70/01, BStBl II 2003, 139, und vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BStBl II 2003, 185, jeweils m.w.N.). Danach ist das häusliche Arbeitszimmer ein Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und vorwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient (BFH-Urteile in BStBl II 2003, 139 und in BStBl II 2003, 185).

bb) Ob ein Arbeitszimmer in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist, lässt sich nicht generell, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden (BFH-Urteil in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7). Gehört das Arbeitszimmer unmittelbar und ohne räumliche Trennung zu der Wohnung oder dem Wohnhaus des Steuerpflichtigen, so ist es regelmäßig auch in dessen häusliche Sphäre eingebunden (BFH-Urteil in BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7). Die häusliche Sphäre ist allerdings nicht notwendig auf den eigentlichen Wohnbereich beschränkt; sie kann sich auch auf weitere Räumlichkeiten erstrecken. So fällt beispielsweise auch ein Kellerraum, der seiner Funktion und Ausstattung nach ein Arbeitszimmer ist, regelmäßig unter die Abzugsbeschränkung, wenn er nicht aufgrund besonderer Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art aus der häuslichen Sphäre herausgelöst ist (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 139).

cc) Im Streitfall ist das Arbeitszimmer in die häusliche Sphäre der Kläger eingebunden. Die häusliche Sphäre ist nicht auf die eigentlichen Wohnebenen beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf im Souterrain gelegene Räumlichkeiten. Besondere Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art wurden vom FG nicht festgestellt, die den Kellerraum hier aus der häuslichen Sphäre herauslösen würden. Entgegen der Auffassung der Kläger sprechen die ausschließlich berufliche Nutzung und die büromäßige Ausstattung des Raumes allein nicht gegen den privaten Charakter des Arbeitszimmers; sie bestätigen vielmehr das Vorliegen eines häuslichen Arbeitszimmers. Entscheidend für die Annahme eines häuslichen Arbeitszimmers ist, wie das FA in der Revisionserwiderung zutreffend ausgeführt hat, dass der von der Klägerin genutzte Raum nicht für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr geöffnet ist. Eine äußerlich erkennbare Trennung des Raumes vom übrigen Wohnbereich ist daher nicht gewährleistet. Anders, als z.B. bei häuslichen Arztpraxen (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 2002 IV R 7/01 zu einer Notfallpraxis), die erkennbar besonders für die Behandlung von Patienten eingerichtet sind und in denen naturgemäß Publikumsverkehr stattfindet, ist die Räumlichkeit der Klägerin für Patientenbesuche nicht vorgesehen. Die Klägerin führt ihre Untersuchungen im Gegenteil ausschließlich außerhalb dieses Raumes durch.

Das Vorbringen der Klägerin in der Revisionsbegründung, sie benötige für die Ausübung ihres Berufs als Ärztin eine separate Räumlichkeit, um den Schutz vertraulicher Daten und die ärztliche Schweigepflicht gewährleisten zu können, überzeugt hier nicht. Auch andere Steuerpflichtige, die Berufs- oder Amtsgeheimnisse zu wahren haben, nutzen häusliche Arbeitszimmer und haben ggf. Vorkehrungen zu treffen, die eine Verletzung dieser Pflichten ausschließen.

c) Ein unbegrenzter Abzug der Aufwendungen kommt auch nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG in Betracht. Das von der Klägerin beruflich genutzte häusliche Arbeitszimmer bildet nicht den Mittelpunkt ihrer gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung.

aa) Der Begriff "Mittelpunkt der gesamten … Betätigung" ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Aus den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 13/1686 S. 16) lässt sich aber erkennen, dass mit dem Mittelpunktsbegriff i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG eine Neuregelung geschaffen werden sollte, bei deren Auslegung der Gesetzgeber sich nicht an einer anderen gesetzlichen Bestimmung hat orientieren wollen.

bb) Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der lediglich eine einzige berufliche Tätigkeit ―teilweise zu Hause und teilweise auswärts― ausübt, ist Mittelpunkt seiner gesamten Betätigung, wenn er dort diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Der Mittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG bestimmt sich also nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung eines Steuerpflichtigen. Wo dieser Schwerpunkt liegt, ist im Wege einer Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen festzustellen. Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Deswegen schließt das zeitliche Überwiegen der außerhäuslichen Tätigkeit einen unbeschränkten Abzug der Aufwendungen nicht von vornherein aus (so auch BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 28/02, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen).

Die Entscheidung, ob die in einem Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten den Beruf insgesamt prägen oder ob ihnen lediglich eine unterstützende Funktion zukommt, beruht allein auf Tatsachenfeststellungen und deren Würdigung, die ausschließlich den Finanzgerichten obliegt.

(1) In Abgrenzung zur rein quantitativen Auslegung des Begriffs "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung" (vgl. aber Homburg, Betriebs-Berater ―BB―, 1995, 2453) ergibt sich im Umkehrschluss aus der 50 v.H.-Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 EStG, dass der Mittelpunktsbegriff nicht nur quantitativ verstanden werden darf (so auch BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 28/02; Urteil des FG Nürnberg vom 2. September 1999 VI 241/98, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst ―DStRE― 2001, 683, und die herrschende Ansicht im Schrifttum; vgl. etwa Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 19 Rz. 60, Stichwort "Arbeitszimmer"; Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 4 Rdnr. Lb 187).

Die Systematik der Vorschrift bestätigt dies. Ginge man (mit Teilen des Schrifttums und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, vgl. Broudré in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 4 EStG Anm. 1565; Meurer in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. 723; Söhn, a.a.O., § 4 Rdnr. Lb 207; ferner Urteile des FG München vom 8. November 2000 1 K 1066/98, EFG 2001, 268; 1 K 3227/99, EFG 2001, 270, und vom 26. April 2001 13 K 3200/99, EFG 2001, 1114; Urteil des FG Baden-Württemberg vom 26. Januar 1999 1 K 169/97, EFG 1999, 329, rkr.; Urteil des FG Düsseldorf vom 19. Oktober 2000 15 K 7678/98 E, EFG 2001, 814) davon aus, dass ein Arbeitszimmer nur dann "Mittelpunkt" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG sein könne, wenn der Steuerpflichtige dort überwiegend tätig ist ―also mindestens 50 v.H. seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit verrichtet―, käme der Regelung in Satz 3, 2. Halbsatz in Bezug auf die 2. Alternative des Satzes 2 keine Bedeutung zu: Ein Steuerpflichtiger, dem kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und der damit unter die Voraussetzung der 2. Alternative des Satzes 2 fällt, könnte Aufwendungen nur dann nach Satz 3, 2. Halbsatz unbeschränkt abziehen, wenn er zusätzlich die Voraussetzung der 1. Alternative des Satzes 2 einer Nutzung zu mehr als 50 v.H. erfüllte. Dies würde im Ergebnis zu einer ―vom Gesetz nicht gewollten― Koppelung der beiden in Satz 2 genannten selbständigen Tatbestandsalternativen führen. Folglich ist der zeitliche Umfang der Nutzung im Fall des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2, Alternative 2 EStG kein abschließendes Abgrenzungskriterium für die Frage nach dem Mittelpunkt der gesamten Betätigung (so auch BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 28/02, m.w.N.).

Vielmehr kommt dem zeitlichen Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers durch den Steuerpflichtigen lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Dabei kann eine zeitlich umfangreiche Nutzung als Indiz dafür gewertet werden, dass das Arbeitszimmer "Mittelpunkt der gesamten … Betätigung" des Steuerpflichtigen ist, während eine nur geringfügige Nutzung eher gegen eine solche Annahme spricht.

Grundsätzlich gilt aber, dass bei einem Steuerpflichtigen, dem für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2, Alternative 2 EStG), das häusliche Arbeitszimmer auch dann Mittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG sein kann, wenn die außerhäuslichen Tätigkeiten (zeitlich) überwiegen. Der erkennende Senat schließt sich daher der Ansicht des VI. Senats des BFH (im Urteil vom 13. November 2002 VI R 28/02) an und folgt (ebenfalls) nicht der Auffassung der Finanzverwaltung, dass bereits der Umstand einer dauerhaften Außendiensttätigkeit den unbegrenzten Abzug von Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG ausschließt (so BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 863 Tz. 8).

(2) Andererseits genügt es für einen unbegrenzten Abzug von Aufwendungen nicht, dass das häusliche Arbeitszimmer die zentrale Ausgangs- und Anlaufstelle der betrieblichen oder beruflichen Betätigung ist oder dass der Steuerpflichtige keinen festen anderweitigen Arbeitsplatz unterhält und auf den Arbeitsraum für Vor- und Nacharbeiten angewiesen ist, im Übrigen aber schwerpunktmäßig einer Außendiensttätigkeit nachgeht (so aber Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz. 597; Seifert in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 4 Rz. 1112).

(3) Für eine tätigkeitsbezogene (qualitative) Auslegung des Mittelpunktsbegriffs sprechen schließlich der Gesetzeswortlaut und die Gesetzesbegründung. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3, 2. Halbsatz EStG kommt es nämlich auf den "Mittelpunkt der gesamten … Betätigung" an. In den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 13/1686 S. 16) werden beispielhaft kleine Steuerberatungs- oder Rechtsanwaltspraxen in der eigenen Wohnung, Hausgewerbetreibende und selbständige Schriftsteller aufgeführt, bei denen das häusliche Arbeitszimmer regelmäßig den Mittelpunkt bildet. Gerade bei diesen Berufsbildern befindet sich regelmäßig der inhaltliche Schwerpunkt der Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer (vgl. Urteil des FG Köln vom 11. November 1998 10 K 3377/98, EFG 1999, 223, rkr.), es sei denn, die betreffenden Räumlichkeiten gehören wegen ihrer besonderen Herrichtung und Öffnung für einen intensiven und dauerhaften Publikumsverkehr gar nicht (mehr) zur häuslichen Sphäre und unterliegen schon deshalb nicht den Abzugsbeschränkungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG (s. oben Nr. 1 b, insbesondere cc). Aus diesem Grund folgt der Senat auch nicht der im Schrifttum auch vertretenen Auffassung, der Mittelpunkt bestimme sich nach der Höhe der im häuslichen Arbeitszimmer erzielten Umsätze oder der dort erzielten Einkünfte (so aber Niermann, Der Betrieb ―DB―, 1995, 2084; Mainzer/Strohner, Finanz-Rundschau ―FR―, 1996, 91).

cc) Die Klägerin hat im Streitfall die für ihren Beruf wesentlichen Leistungen nicht im häuslichen Arbeitszimmer erbracht. Nach den Feststellungen des FG, die auch nach der Aufhebung der Vorentscheidung für den Senat maßgebend sind, besuchte die Klägerin die zu begutachtenden Antragsteller ausschließlich vor Ort in deren Wohnbereichen, untersuchte sie sie umfassend auf deren körperlichen und geistigen Gesundheitszustand und erhob dort den Befund, ob und in welchem Ausmaß eine Pflegebedürftigkeit vorliegt. Das FG hat weiterhin festgestellt, dass die spezielle Ausbildung der Klägerin als Ärztin sie befähige, die zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bzw. deren Grades erforderliche Krankengeschichte der Antragsteller zu erheben. Die daran anschließende Wertung, dass die Befunderhebung vor Ort den inhaltlichen, qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin als Ärztin bilde und demnach der Mittelpunkt ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit sich nicht im häuslichen Arbeitszimmer befinde, verletzt weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Kläger sind nach § 118 Abs. 2 FGO unbeachtlich.

Dies gilt insbesondere auch für den Umstand, dass nach Auffassung des FG die Klägerin zur Ausübung ihrer übrigen Tätigkeiten im häuslichen Arbeitszimmer (wie z.B. die Abstimmung der erhobenen Befunde mit den jeweils behandelnden Ärzten und die Überprüfung der Medikation der Patienten) keine ärztliche Ausbildung brauche. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin dafür eine ärztliche Vorbildung benötigt, reicht dies nicht aus, den Schwerpunkt ihrer gesamten Betätigung in das häusliche Arbeitszimmer zu verlagern. Nur aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation als Ärztin ist die Klägerin befähigt, die Befunderhebung lege artis durchzuführen. Die dazu erforderlichen Feststellungen trifft die Klägerin aber ausschließlich bei Patientenbesuchen außerhalb ihres häuslichen Arbeitszimmers. Die übrigen Tätigkeiten haben mehr begleitenden Charakter.

Schließlich ist auch die Wertung des FG, die Koordination der Besuche und die allgemeine Organisation ihrer gutachterlichen Tätigkeit, die die Klägerin gleichfalls im Arbeitszimmer vornimmt, seien sogar nur als Hilfstätigkeiten anzusehen, die keiner ärztlichen Vorbildung bedürften, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 929036

BFH/NV 2003, 859

BStBl II 2004, 43

BFHE 2003, 269

BFHE 201, 269

BB 2003, 1053

BB 2003, 1100

DB 2003, 1089

DStR 2003, 929

DStRE 2003, 768

HFR 2003, 677

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