Leitsatz (amtlich)

Stehen dem Erlaß eines Haftungsbescheides gegenüber dem Haftenden möglicherweise die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen, ist die Anordnung einer Außenprüfung gegenüber dem Haftenden gleichwohl nicht rechtswidrig, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß aufgrund der Prüfung anderer Personen i.S. des § 194 Abs.1 Satz 4 AO 1977 diesen gegenüber noch Steuernachforderungen geltend gemacht werden können.

 

Orientierungssatz

Die Auswahl der Steuerpflichtigen, bei denen eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO 1977 vorgenommen werden soll, hat das FA nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen (vgl. BFH-Rechtsprechung) und zu begründen, es sei denn, daß es einer Begründung gemäß § 121 Abs. 2 AO 1977 nicht bedarf.

 

Normenkette

AO 1977 § 193 Abs. 1, § 194 Abs. 1 S. 4, §§ 196, 121 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 19.01.1981; Aktenzeichen II 196/79)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Verwertungsgesellschaft gemäß dem Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vom 9.September 1965 (BGBl I, 1294) --UrhWahrnG--. Sie nimmt im eigenen Namen die sich aus dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) ergebenden Rechte und Ansprüche der Berechtigten wahr. Dazu schließt sie mit den Berechtigten sog. Wahrnehmungsverträge ab. Die Klägerin zahlt die von ihr eingezogenen Vergütungen nach Abzug ihrer Verwaltungskosten aufgrund von Verteilungsplänen an die Berechtigten aus. Die Grundsätze, die für die Aufstellung dieser Pläne gelten, sind in § 2 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin festgelegt. Zu den Vertragspartnern der Klägerin, mit denen sie Wahrnehmungsverträge abgeschlossen hat, gehörten jeweils beschränkt Steuerpflichtige mit Einkünften nach § 50a Abs.4 Satz 1 b des Einkommensteuergesetzes (EStG), von denen die Einkommensteuer im Wege des Steuerabzugs zu erheben war.

Seit dem Jahre 1976 hielt sich die Klägerin entsprechend der damaligen Auffassung des Bundesamts für Finanzen (BfF) nicht für die Schuldnerin der von ihr an die Berechtigten gezahlten Vergütungen nach § 50a Abs.4 Satz 1 b EStG, sondern für eine treuhänderisch tätige Inkassostelle. Dementsprechend behielt sie keine Steuerabzugsbeträge ein.

Im Jahre 1977 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung für die Jahre 1969 bis 1975 statt, die sich entsprechend der Prüfungsanordnung auch auf den Steuerabzug nach § 50a EStG erstreckte.

Im Jahre 1978 änderte das BfF seine Rechtsauffassung. Mit Schreiben vom 21.März 1978 legte es dar, daß die Klägerin aufgrund ihres Gesellschaftsvertrags und der Wahrnehmungsverträge als Inhaberin der Leistungsschutzrechte anzusehen sei. Die Klägerin sei weder Treuhänderin noch verdeckte Stellvertreterin; sie sei deshalb nicht als Inkassostelle, sondern als Schuldnerin der Vergütungen i.S. des § 50a Abs.5 EStG anzusehen und daher grundsätzlich zur Abführung der Abzugssteuern von den Vergütungen verpflichtet.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ordnete daraufhin mit Verfügung vom 4.August 1978 die Durchführung einer Außenprüfung gemäß §§ 193 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) an, die sich auf die Jahre 1972 bis 1977 erstrecken und den Steuerabzug nach § 50a EStG für die Jahre 1972 bis 1977 umfassen sollte.

Mit der Beschwerde machte die Klägerin geltend, daß die angeordnete Außenprüfung nach den Vorschriften der AO 1977 nicht zulässig sei.

Die Oberfinanzdirektion (OFD) hob die Anordnung der Betriebsprüfung für die Jahre 1972 bis 1975 auf und hielt die Beschwerde im übrigen für unbegründet. Zur Begründung führte die OFD im wesentlichen aus, daß die gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß §§ 193 Abs.1, 194 Abs.1 Satz 4 AO 1977 für die Anordnung der Betriebsprüfung für die Jahre 1976 und 1977 vorlägen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Dessen Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 513 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Das Urteil des FG beruhe auf der fehlerhaften Anwendung der §§ 194 Abs.1 Satz 4 und 121 Abs.1 AO 1977.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidungen und die angefochtene Prüfungsanordnung aufzuheben, hilfsweise festzustellen, daß die Prüfungsanordnung vom 4.August 1978 nicht mehr vollziehbar sei.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des FG ist im Ergebnis richtig.

1. Die Prüfungsanordnung in der Gestalt, die sie durch die Beschwerdeentscheidung der OFD gefunden hat, ist rechtmäßig.

a) Voraussetzung einer rechtmäßigen Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977) ist die Zulässigkeit der Außenprüfung. Gemäß § 193 Abs.1 AO 1977 ist eine Außenprüfung zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind. Weitere Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Außenprüfung sieht das Gesetz nicht vor.

Die Klägerin unterhält einen gewerblichen Betrieb; ihre Tätigkeit ist Gewerbebetrieb kraft Rechtsform (vgl. § 2 Abs.2 Nr.2 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG--). Daß in der Prüfungsanordnung als Rechtsgrundlage nur auf die §§ 193 ff. AO 1977 hingewiesen wurde, ist unschädlich, da ein hierin liegender Begründungsmangel durch die Erläuterungen in der Beschwerdeentscheidung geheilt worden ist (vgl. § 126 Abs.1 Nr.2 AO 1977).

b) Der in der Prüfungsanordnung bestimmte Umfang der Außenprüfung ist nicht zu beanstanden. Die Prüfungsanordnung muß den Umfang der Außenprüfung in persönlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht festlegen: Die Außenprüfung dient der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisses des Steuerpflichtigen; sie kann eine oder mehrere Steuerarten, einen oder mehrere Besteuerungszeiträume erfassen oder sich auf bestimmte Sachverhalte beschränken (§ 194 Abs.1 Sätze 1 und 2 AO 1977).

Aus der angefochtenen Prüfungsanordnung --in Verbindung mit der Beschwerdeentscheidung-- folgt, daß die steuerlichen Verhältnisse der Klägerin, soweit sie ihre Verpflichtung zum Steuerabzug gemäß § 50a EStG betrafen, für die Jahre 1976 und 1977 ermittelt werden sollten. Ob die Klägerin tatsächlich zum Steuerabzug verpflichtet war, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Diese Frage könnte allenfalls erheblich sein, wenn die Zulässigkeit einer Außenprüfung gemäß § 193 Abs.2 Nr.1 AO 1977 zu beurteilen wäre (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, demzufolge bei Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs.1 AO 1977 feststehen muß, daß der Steuerpflichtige tatsächlich in der in § 193 Abs.1 AO 1977 beschriebenen Weise tätig war; vgl. ferner Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., Stand April 1980, § 193 AO 1977, Rdnr.390).

c) Die Auswahl der Steuerpflichtigen, bei denen eine Außenprüfung nach § 193 Abs.1 AO 1977 vorgenommen werden soll, hat die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen (vgl. BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, und BFH-Urteil vom 28.April 1983 IV R 255/82, BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621) und zu begründen (vgl. § 121 Abs.1 AO 1977), es sei denn, daß es einer Begründung gemäß § 121 Abs.2 AO 1977 nicht bedarf.

Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte für ein sachwidriges oder willkürliches Verhalten der Finanzbehörden. Das FA sah sich zur Prüfung veranlaßt, da die Klägerin keinen Steuerabzug gemäß § 50a Abs.5 EStG vorgenommen hatte. Unabhängig von der Frage, ob eine Begründung überhaupt erforderlich war (vgl. § 121 Abs.2 Nr.2 AO 1977), konnte die Klägerin zumindest aus der Beschwerdeentscheidung die Gründe entnehmen, warum die Finanzbehörden bei ihr eine Außenprüfung durchführen wollten (vgl. § 126 Abs.1 Nr.2 AO 1977).

Auch in zeitlicher Hinsicht ist die Ermessensausübung durch die Behörden der Finanzverwaltung nicht zu beanstanden. Zwar hatte das FA in der Prüfungsanordnung den Prüfungszeitraum zunächst ohne nähere Begründung auf die Jahre 1972 bis 1977 erstreckt. Die OFD hob die Prüfungsanordnung auf Anregung des FA für die Jahre 1972 bis 1975 in der Beschwerdeentscheidung jedoch auf, so daß sich die Anordnung nur noch auf die Jahre 1976 und 1977 bezog und damit innerhalb des Dreijahreszeitraums lag, für den die Finanzverwaltung üblicherweise eine Außenprüfung anordnet (vgl. § 4 Abs.2 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) --BpO(St)-- vom 27.April 1978, Bundesanzeiger --BAnz-- Nr.82 vom 29.April 1978, BStBl I 1978, 195, und BFH-Urteil vom 10.Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286).

d) Entgegen der Ansicht der Klägerin war das FA nicht verpflichtet, vor Erlaß der Prüfungsanordnung die in § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) vorgesehenen Steueranmeldungen anzufordern. Selbst wenn die Klägerin Steuern angemeldet hätte, wäre das FA berechtigt gewesen, eine Außenprüfung durchzuführen und die Richtigkeit dieser Anmeldungen zu prüfen.

e) Der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung steht auch nicht entgegen, daß die Vergütungen i.S. des § 50a Abs.4 EStG u.U. nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht erfaßt werden können; denn die angeordnete Prüfung hat auch den Zweck festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung nach den entsprechenden Abkommen vorliegen.

f) Schließlich ist die Prüfungsanordnung auch nicht deshalb rechtswidrig, weil einer --nachfolgenden-- Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin möglicherweise die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen. Unter den Voraussetzungen des § 194 Abs.1 Satz 4 AO 1977 können auch die steuerlichen Verhältnisse anderer Personen geprüft werden. Eine Außenprüfung kann sogar allein auf die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse dieser Personen beschränkt werden. Kann aber --wie im Streitfall-- nicht ausgeschlossen werden, daß aufgrund der Prüfung dieser Personen diesen gegenüber noch Steuer(nach)forderungen geltend gemacht werden können, so ist es unerheblich, daß der Steuerpflichtige selbst möglicherweise nicht mehr als Steuer- bzw. Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden kann.

2. Soweit die Klägerin beantragt festzustellen, daß die Prüfungsanordnung vom 4.August 1978 nicht mehr vollziehbar ist, kann der Senat darauf nicht eingehen. Insoweit liegt eine Klageänderung vor, die in der Revisionsinstanz nicht zulässig ist (vgl. § 123 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

 

Fundstellen

Haufe-Index 60817

BStBl II 1985, 566

BFHE 143, 16

BFHE 1985, 16

BB 1985, 855-856 (LT)

DB 1985, 1113-1114 (LT)

HFR 1985, 305-305 (ST)

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