Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Finanzämter können im Steueraufsichtsverfahren auf Grund der §§ 201 Absatz 1, 175 Absätze 1 und 2 AO Auskunft verlangen, ohne daß ein begründeter Anlaß vorliegt oder eine bestimmte Person in Betracht kommt.

§ 201 AO ist eine Ermessensvorschrift. Bei der Ausübung und Durchführung der Steueraufsicht sind daher die Bestimmungen des § 2 Absätze 1 und 2 StAnpG zu beachten.

 

Normenkette

AO § 201 Abs. 1, § 175/1, § 175 Abs. 2; StAnpG § 2/1; StAnpG § 2/2

 

Tatbestand

Nach den Feststellungen anläßlich einer im Juni 1948 vorgenommenen Lohnsteuerprüfung hat die Beschwerdeführerin (Bfin.) einer erheblichen Anzahl freier Mitarbeiter die Honorare steuerfrei ausgezahlt. Die vom Finanzamt erbetene Aufstellung über die Empfänger und die Höhe der an jeden einzelnen gezahlten Vergütungen hat die Bfin. für die Zeit vom 21. Juni bis Ende Oktober 1948 eingereicht. Eine der Aufstellungen umfaßt 7 1/2 Schreibmaschinenseiten mit durchschnittlich 30 bis 40 Positionen je Seite, eine zweite 17 1/2 Seiten mit durchschnittlich etwa 42 Positionen.

Ab November 1948 lehnte die Bfin. die früher zugesagte weitere Einreichung derartiger Aufstellungen ab. Das Finanzamt forderte darauf mit Verfügung vom 15. März 1949 die Aufstellung für November 1948 bis Februar 1949 unter Hinweis auf § 175 Absätze 1 bis 3 der Reichsabgabenordnung (AO) an, da die Aufstellung für die Ausübung der Steueraufsicht benötigt würde. Gleichzeitig wies es darauf hin, daß es bei weiter ablehnendem Verhalten genötigt sei, von dem Erzwingungsverfahren nach § 202 AO Gebrauch zu machen.

In der nach erfolgloser Beschwerde eingelegten Rechtsbeschwerde (Rb.) hält die Bfin. das Verlangen des Finanzamts dem Grunde wie der Form nach nicht für berechtigt. Die gewünschte Auskunft dürfte nach §§ 201, 175 AO nur verlangt werden, wenn ein begründeter Anlaß für die Annahme vorläge, daß durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt worden seien, ferner müsse sich die Maßnahme gegen einen bestimmten Steuerpflichtigen (Stpfl.) richten; zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle und zur Verschaffung von Kontrollmitteilungen könnten Auskunftsersuchen von Dritten nicht benutzt werden. Zudem würde das Vertrauensverhältnis zwischen Verleger und Mitarbeiter empfindlich gestört. Eine Aufstellung der Listen verursache im übrigen eine derartige Arbeit, daß ihr diese nicht zuzumuten sei. Nach § 175 Absatz 2 AO solle die Auskunft schriftlich nur erfordert werden, soweit dies durchführbar sei, und nicht aus besonderen Gründen Abweichungen geboten seien. Mit der Forderung nach übersendung der Listen überschreite das Finanzamt die Grenzen des billigen Ermessens. Die Aufstellung erfordere den Einsatz verschiedener Arbeitskräfte. Allein in A. handle es sich um ca. 4.000 Honorarkonten mit monatlich etwa 6.000 Buchungen. Dazu kämen noch die Geschäftsstellen in B. und C. Es sei daher eine abweichende Regelung geboten. Es dürfte zweckmäßig sein, wenn das Finanzamt die erforderlichen Feststellungen bei der Bfin. durch eigene Kräfte vornehmen lasse. Selbst wenn die Auskunftspflicht bejaht werde, müsse die Form der erbetenen Auskunft als nicht zumutbar bezeichnet werden.

 

Entscheidungsgründe

Soweit sich die Rb. gegen die Zulässigkeit des Auskunftsverlangens überhaupt wendet, kann sie keinen Erfolg haben.

Das Finanzamt hat in seinem auf § 175 AO gestützten Ersuchen vom 15. März 1949 zum Ausdruck gebracht, daß die Einreichung der monatlichen Aufstellungen in Ausübung der Steueraufsicht gefordert würde; die Vorschrift des § 201 AO ist nicht angeführt. Das ist jedoch unschädlich, da die gegenüber dem Steuerermittlungsverfahren vorzunehmende Abgrenzung beachtet und hinreichend erkennbar gemacht ist, daß es sich um eine Maßnahme im Steueraufsichtsverfahren handelt. Eine dahingehende Begründung des Auskunftsverlangens ist notwendig, damit der Betroffene prüfen kann, ob er der Anordnung nachzukommen und welche Rechtsmittel er dagegen hat (siehe Becker, Steuer und Wirtschaft - StW - 1932 Sp. 636 und 1062; Hensel, StW 1932, Sp. 1369; Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 4/32 vom 20. Mai 1933, Slg. Bd. 33 S. 248, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1933 S. 520, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Allgemeines. Rechtssprüche 4 - 8).

Ihre Rechtsgrundlage findet die Steueraufsicht im § 201 AO. Danach haben die Finanzämter darüber zu wachen, "ob durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden". Während vor dem Inkrafttreten des § 201 AO (1. Januar 1931) eine Steueraufsicht nur insoweit bestand, als sie in besonderen Vorschriften der Reichsabgabenordnung (z. B. § 162 Absatz 9, § 195) und einzelnen Steuergesetzen (z. B. § 31 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - vom 26. Juli 1918, Reichsgesetzblatt - RGBl. - S. 779) angeordnet war, ist durch den auf Grund der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 1. Dezember 1930 (RGBl. I S. 517 ff.) eingefügten § 201 AO für alle Steuern und Personen - mögen sie steuerpflichtig sein oder nicht - eine allgemeine Steueraufsicht geschaffen worden. Diese durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (siehe Gutachten des Reichsfinanzhofs VI D 1/32 vom 10. März 1932, Slg. Bd. 30 S. 233, RStBl. 1932 S. 324, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Absatz 1 Rechtsspr. 1; Gutachten Gr. S. D 4/32 vom 20. Mai 1933, Slg. Bd. 33 S. 248, RStBl. 1933 S. 520, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Allgemeines, Rechtssprüche 4 - 8; Urteil IV A 17/36 vom 24. April 1936, Slg. Bd. 39 S. 228, RStBl. 1936 S. 536, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Allgemeines, Rechtsspr. 13) klarstellte und auch vom Schrifttum anerkannte Bedeutung des § 201 AO entspricht sowohl seinem Wortlaut wie seinem Zweck, welcher letzterer darin bestand und auch heute noch besteht, die Steuerflucht sowie die in erschreckendem Umfange überhandgenommenen sonstigen Steuerverkürzungen zu bekämpfen. Der damals zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen bestimmte und mit dauernder Geltung geschaffene § 201 AO bedingt unter Berücksichtigung der Verhältnisse, aus denen er entstanden ist, eine weitgehende Auslegung. Er gibt seinem Inhalte nach den Finanzämtern alle Mittel, die zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen geeignet sind. Die den Finanzämtern auferlegte überwachungspflicht bezieht sich trotz des Wortes "werden" nicht nur auf die Gegenwart und Zukunft, sondern auch auf die Vergangenheit. Gegenüber der früher in einzelnen Vorschriften vorgesehenen und regelmäßig nur gegen bestimmte Personen gerichteten Steueraufsicht, handelt es sich bei der Steueraufsicht des § 201 AO um eine für alle Steuern allgemein geltende überwachungstätigkeit; sie wendet sich nicht so sehr und ausschließlich an eine Person als an einen Tatbestand; sie zielt zum Unterschied zu den übrigen Aufsichtsvorschriften, die es in der Hauptsache auf eine bestimmte Person abstellen, auf das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes ab. Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter Aufsicht nicht nur eine Tätigkeit, die durch einen Vorfall besonders veranlaßt oder von vornherein gegen eine bestimmte Person gerichtet ist. Wer z. B. die Aufsicht über einen Betrieb übertragen erhalten hat, ist verpflichtet, laufend auch ohne besonderen Anlaß darüber zu wachen, daß jedermann seine Pflicht tut. In gleicher Weise sind auch die Finanzämter durch § 201 AO berechtigt, ohne Einschränkung die ihnen auferlegte überwachungspflicht jederzeit vorzunehmen. Hieraus und aus dem Begriff "Aufsicht" ergibt sich, daß die bezeichnete Vorschrift sowohl der Aufdeckung bisher unbekannter Steuerfälle dient, als auch ohne Vorliegen eines begründeten Anlasses angewendet werden kann. Wer Aufsichtsrechte ausüben darf, kann das tun, ohne durch einen besonderen Vorfall dazu genötigt zu sein, und ohne daß diese Aufsicht sich gegen eine bestimmte Person richtet. Es liegt gerade im Wesen einer Aufsicht, daß sie unvorhergesehen und ohne Einschränkungen vorgenommen werden kann. Wenn daher der Reichsfinanzhof anfangs die Auffassung vertreten hat, auf die auch der Bf. verweist, daß ein begründeter Anhalt dafür bestehen muß, daß durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise Steuereinnahmen zu Unrecht verkürzt werden oder verkürzt worden sind, so kann dieser nicht gefolgt werden (siehe Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 4/32 vom 20. Mai 1933, Slg. Bd. 33 S. 248, RStBl. 1933 S. 520, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Allgemeines, Rechtssprüche 4 - 8; Urteile IV A 274/32 und IV A 93/33 vom 28. Juni 1933, RStBl. 1933 S. 676 und 667, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Absatz 1 Rechtsspr. 3).

Die Steueraufsicht hat keine subsidiäre Bedeutung, sie steht gleichberechtigt neben dem objektiv bestimmte Fälle betreffenden Ermittlungsverfahren. Das Finanzamt kann auf Grund der ihm obliegenden überwachungstätigkeit alle ihm geeignet erscheinenden Maßnahmen treffen, um eine unzulässige Verkürzung der Steuereinnahmen zu verhindern oder zu beseitigen. Die Reichsabgabenordnung gibt zwar keinen begrifflichen Aufschluß über das Wesen der Steueraufsicht, man wird sie aber dahin zu charakterisieren haben, daß sie das Recht der Finanzämter darstellt im Interesse der Besteuerung alle Maßnahmen zu ergreifen und durchzuführen, die notwendig sind, um den mit den Steuergesetzen beabsichtigten Zweck zu erreichen. Es wird zwar vielfach die Steueraufsicht durch einen besonderen Anlaß ausgelöst werden, die Anwendung des § 201 AO ist jedoch von dem Vorliegen eines solchen nicht abhängig (siehe hierzu Wille, StW 1941 Sp. 789; 1942 Sp. 121; Hensel, StW 1932 Sp. 1347 ff.; Becker, StW 1937 Sp. 1385 ff., 1938 Sp. 1187; Entscheidung des Reichsfinanzhofs IV A 17/36 vom 24. April 1936, Slg. Bd. 39 S. 228, RStBl. 1936 S. 536, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Allgemeines, Rechtsspr. 13; Gutachten des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 3/36 vom 11. Juli 1936, Slg. Bd. 39 S. 291, RStBl. 1936 S. 809, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 188 Rechtsspr. 5; Entscheidung VI A 161/35 vom 27. Mai 1936 / 25. Nov. 1936, Slg. Bd. 40 S. 221, RStBl. 1936 S. 1193, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 162 Absatz 9 Rechtspr. 3; Gutachten Gr.S. D 3/37 vom 16. Oktober 1937, Slg. Bd. 42 S. 282, RStBl. 1937 S. 1110, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 201 Absatz 1 Rechtsspr. 12; Entscheidungen IV A 765/33 vom 20. November 1934, RStBl. 1934 S. 1572, Mrozeks Kartei, AO 1931 S. 201 Absatz 1 Rechtsspr. 5; IV A 115/35 vom 24. Juni 1936, RStBl. 1936 S. 746, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 183 Rechtsspr. 1; VI A 530/37 vom 15. September 1937, RStBl. 1937 S. 1069, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 107 a Absatz 3 Rechtsspr. 1; VI 437/38 vom 24. August 1938, RStBl. 1938 S. 868, Slg. Bd. 44 S. 345, Mrozeks Kartei, AO 1931 § 162 Absatz 10 Rechtsspr. 5).

Dieses durch § 201 AO dem Umfange und Inhalt nach gegenüber früher erweiterte Aufsichtsrecht kann nicht, wie das Finanzamt meint, auch aus § 29 Absatz 2 AO hergeleitet werden. Diese durch das Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - S. 448) mit Wirkung vom 9. September 1950 im § 39 aufgehobene Vorschrift ist wörtlich in in den § 14 Absatz 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung übernommen, der nach § 22 a. a. O. auch für die Finanzämter gilt. Mit IV A 17/36 ist davon auszugehen, daß zwar den Finanzämtern die dort näher bezeichnete Erkundungspflicht obliegt, daß aber daraus weder über den Umfang noch die Form der zu ergreifenden Maßnahmen etwas zu entnehmen ist. Zudem wäre, wenn bereits aus der bezeichneten Vorschrift ein dem § 201 AO entsprechendes überwachungsrecht herzuleiten wäre, die Einfügung dieser Vorschrift in die Reichsabgabenordnung überflüssig gewesen. § 29 Absatz 2 AO (§ 14 Absatz 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung) befaßt sich nur im Rahmen der Behördenorganisationen mit dem Aufgabenkreis der Finanzämter (Hauptzollämter). In welcher Weise und in welchem Umfange diese Aufgaben durchzuführen sind, kann nur aus dem zweiten Teil der Reichsabgabenordnung entnommen werden.

Es ist auch nicht richtig, daß die durch die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs dem § 201 AO insoweit zuteil gewordene Auslegung durch nationalsozialistische Gedankengänge beeinflußt und deshalb überholt sei, wie es das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem Urteil vom 28. Februar 1951 (Betriebs-Berater 1951 S. 241) ausgesprochen hat. Umfang und Inhalt der durch § 201 AO allgemein geschaffenen Steueraufsicht ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz. Weder der Wortlaut noch der Zweck lassen eine Einschränkung dahin erkennen, daß ein begründeter Anlaß vorliegen müsse, um von dem Aufsichtsrecht Gebrauch machen zu können. Für die vom Verwaltungsgericht aufgestellte Behauptung, alle in dieser Beziehung seit Inkrafttreten des Steueranpassungsgesetzes ergangenen Urteile des Reichsfinanzhofs seien unanwendbar, fehlt es an der ausreichenden Begründung. Es muß in jedem einzelnen Falle untersucht werden, ob und inwieweit die behauptete Beeinflussung durch Grundsätze des Dritten Reiches stattgefunden hat. Die Vorschrift des § 201 AO stammt bereits aus dem Jahre 1930; der für ihre Schaffung maßgebende Anlaß besteht auch heute in mindestens dem gleichen, wenn nicht in noch stärkerem Maße. Selbst wenn die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht bestände, müßte die Vorschrift heute in gleicher Weise ausgelegt und gehandhabt werden. Es besteht deshalb kein Anlaß, von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, soweit sie auf Grund des § 201 AO sowohl die Ermittlung unbekannter Steuerfälle wie auch eine überwachungstätigkeit ohne begründeten Anlaß zuläßt, abzuweichen. Sie entspricht dem heute noch geltenden Recht. Solange das Gesetz selbst für die Anwendung des § 201 AO einen begründeten Anlaß nicht vorschreibt, ist er auch nicht erforderlich. Während das Ermittlungsverfahren der Vorbereitung der Veranlagung des einzelnen Steuerfalles dient, bezweckt die Steueraufsicht die überwachung aller im Interesse der Besteuerung liegender Tatbestände. Das Recht der Stpfln., Herr ihrer Angelegenheiten zu sein, muß dem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit weichen, das die vollständige Erfassung aller steuerlich erheblichen Tatsachen zum Ziele hat.

Diesem gegenüber früher erweiterten allgemeinen Steueraufsichtsrecht entspricht die erweiterte Pflicht Dritter zur Auskunftserteilung nach § 175 AO, da die hier in Absatz 1 Satz 1 aufgeführte Steueraufsicht nunmehr in dem erweiterten Sinne des § 201 Absatz 1 AO zu verstehen ist. Die nicht als steuerpflichtig beteiligten Personen sind nunmehr auch zur Auskunft verpflichtet, wenn es sich um die Aufdeckung unbekannter Steuerfälle handelt; es ist nicht notwendig, daß sich das Aufsichtsverfahren gegen eine bestimmte Person wendet. Die Auskunftspflicht beschränkt sich auf Tatsachen, die für die Ausübung der Steueraufsicht von Bedeutung sind.

Auch soweit die gesetzlichen Voraussetzungen des § 201 AO gegeben sind, ist damit nicht gesagt, daß Aufsichtsmaßnahmen auf Grund der Vorschriften der §§ 201, 175 AO in jedem Falle ergriffen werden müssen. § 201 AO ist eine Ermessensvorschrift. Sie gibt den Finanzämtern in gebotener Wahrung dringender Staatsnotwendigkeiten Befugnisse, die für den einzelnen außerordentlich einschneidend sein können. Dem entspricht es, wenn auf der anderen Seite gefordert wird, daß die Steueraufsicht unter den Grundsatz von Recht und Billigkeit gestellt wird. Es muß im Rahmen des Allgemeinwohls ein gerechter Ausgleich von Gesamt- und Einzelinteressen stattfinden.

Die Beachtung dieser Grundsätze hat das Finanzamt bei seinem Verlangen, Namen, Anschrift und Höhe der gezahlten Vergütungen zu erfahren, nicht außer acht gelassen. Es ist nicht erforderlich, daß bereits feststeht, daß etwa einzelne Mitarbeiter die erhaltenen Vergütungen nicht versteuert haben; es genügt, daß die Möglichkeit besteht. Eine überschreitung der gesetzlichen Ermessensgrenzen ist daher bei den Vorinstanzen nicht zu erkennen.

Ebenso wie aber die Anordnung von Steueraufsichtsmaßnahmen dem Grunde nach Recht und Billigkeit entsprechen muß, gilt das auch für die Durchführung im einzelnen. Die Form und Art und Weise der Auskunftserteilung sind im Absatz 1 letzter Satz und Absatz 2 des § 175 AO geregelt. Danach bestimmt das Finanzamt nach Maßgabe der Gesetze und Ausführungsbestimmungen Form und Inhalt der Auskunft. Diese ist, soweit sie durchführbar ist, und aus besonderen Gründen Abweichungen nicht geboten sind, schriftlich zu erteilen. Die Bfin. bestreitet, daß sich das Finanzamt im Rahmen dieser Bestimmungen bewegt, wenn es monatlich die Aufstellung von Listen verlangt, in denen neben den Vergütungen Namen und Anschrift des Empfängers enthalten sein sollen. Sie wendet sich, wie insbesondere aus dem Schriftsatz vom 27. Januar 1951 hervorgeht, nicht mehr so sehr gegen die Auskunftserteilung als solche, als vielmehr gegen die Aufstellung durch sie; sie ist bereit, die gesamten Unterlagen zur Verfügung zu stellen, das Finanzamt solle aber durch eigene Kräfte die erforderlichen Feststellungen treffen. Diesem Begehren wird die Berechtigung nicht abgesprochen werden können.

Es handelt sich zwar, wie dargelegt, bei der Steueraufsicht nicht um unberechtigte Eingriffe in den unantastbaren Rechtskreis des einzelnen, vielmehr um die im Interesse des Gemeinwohls unbedingte Durchführung der zutreffenden Besteuerung. Dies erfordert eine weitgehende Mitarbeit derer, die nach dem Gesetz dazu verpflichtet sind. Belästigungen lassen sich dabei nicht vermeiden. Es muß aber in jedem einzelnen Falle geprüft werden, ob die schriftliche Auskunft unter allen Umständen notwendig ist, und ob nicht auch eine andere Form genügt, wenn diese den Stpfl. weniger in Anspruch nimmt und den Belangen der Steuerbehörde genügt. In dieser Beziehung sind die Vorinstanzen dem gegebenen Tatbestande nicht gerecht geworden.

Zunächst ist nicht ersichtlich, weshalb die Aufstellungen monatlich gefordert werden sollen. Es mag sein, daß es unter Umständen angebracht ist, bei größeren Beträgen den Wohnsitzfinanzämtern bereits im Laufe des Jahres für die Festsetzung entsprechender Vorauszahlungen die gezahlten Vergütungen mitzuteilen. Nach den bei den Akten befindlichen Aufstellungen käme dann aber nur eine geringe Zahl von Mitarbeitern in Betracht. Bei der weitaus größeren Zahl dürfte es genügen, wenn den Wohnsitzfinanzämtern am Schluß des Jahres die Gesamtsumme mitgeteilt wird. Eine Jahresaufstellung würde eine nicht unerhebliche Erleichterung darstellen, da hierbei besonders bei den gleichen Mitarbeitern Name und Anschrift nur einmal geschrieben zu werden brauchen, auch die Vergütung nur in einer Summe anzugeben wäre. Bei den für A allein in Betracht kommenden 6.000 Buchungen im Monat müßten mindestens 72.000 Buchungen aufgeführt werden, während bei einer Jahresaufstellung bei 4.000 Mitarbeitern nur in dieser Höhe eine Zahlenangabe erforderlich wäre. Die Anforderung von monatlichen Aufstellungen hält sich daher nicht in den vom Gesetz gezogenen Ermessensgrenzen. Die Vorentscheidung sowie die Anordnung des Finanzamts vom 15. März 1949 müssen daher aufgehoben werden. Dem Senat erscheint es nicht bedenkenfrei, ob der Bfin. auch die Jahresaufstellung noch zuzumuten ist. Der in § 171 AO für den Stpfl. aufgestellte Grundsatz der Zumutbarkeit muß auch hier beachtet werden. Es handelt sich, wie bereits erwähnt, bei den Mitarbeitern, ohne die Geschäftsstellen in B und C, um mindestens 4.000 Mitarbeiter. Bei dem Umfange der hierbei aufzuwendenden Arbeit erscheint es angebracht, wenn das Finanzamt durch eigene Kräfte bei der dazu bereiten Bfin. die erforderlichen Unterlagen beschafft, falls diese nicht etwa freiwillig bereits ist, eine Jahresaufstellung anzufertigen; eine Verpflichtung dazu wird nicht anerkannt werden können. Bei der Beurteilung der Frage, was zumutbar ist oder nicht, darf das zwischen Verlag und Mitarbeitern bestehende Vertrauensverhältnis nicht außer acht gelassen werden. Neben diesem psychologischen Moment ist auch die Verhältnismäßigkeit zwischen dem sich von der getroffenen Maßnahme ergebenden Vorteil für den Steuergläubiger und den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Stpfl. und Auskunftsperson zu berücksichtigen. In der Regel wird es mit Recht und Billigkeit nicht vereinbar sein, wenn ohne jede Einschränkung in bezug auf Zeit und Umfang die Aufstellung umfangreicher Listen verlangt wird. Wenn ein Finanzamt glaubt, derartige Unterlagen im Interesse der Besteuerung zu benötigen, dann erscheint es gerecht und billig, wenn es die erforderlichen Feststellungen bei dem in Betracht kommenden Auskunftsverpflichteten selbst trifft. Das ist zudem u. a. auch deshalb zweckmäßig, da bei einer vorgenommenen Beschaffung von Kontrollmitteilungen durch behördliche Kräfte von diesen geprüft werden kann, ob eine lückenlose Aufstellung, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht, notwendig ist.

Hiernach ist dahin zu erkennen, daß die der Bfin. auf Grund der §§ 201, 175 AO obliegende Auskunftspflicht in der Form durchzuführen ist, daß sich das Finanzamt bei der Bfin. die erforderlichen Unterlagen beschafft, um die Versteuerung der Vergütungen der Mitarbeiter zu gewährleisten.

Die Bfin. hat mündliche Verhandlung beantragt; es erschien jedoch zweckmäßig, vorerst nach § 294 Absatz 2 AO ohne eine solche zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407316

BStBl III 1952, 27

BFHE 1953, 65

BFHE 56, 65

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