Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzrente nach § 844 Abs. 2 BGB beim Kindergeld zu berücksichtigen

 

Leitsatz (NV)

Schadensersatzrenten nach § 844 Abs. 2 BGB gehören zu den Einkünften und Bezügen, die zur Bestreitung des Unterhalts des Kindes bestimmt sind. Sie sind bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrags im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG unabhängig davon zu berücksichtigen, dass sie an die Stelle der Unterhaltsleistung des verstorbenen Elternteils treten.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2; BGB § 844 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (EFG 2000, 569)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter der am … März 1977 geborenen Tochter X, die 1996 ein Studium aufgenommen hatte und für die die Klägerin Kindergeld bezog.

Der Vater war bei einem Unfall ums Leben gekommen. T erhielt seitdem von verschiedenen Stellen mehrmals angepasste finanzielle Leistungen:

- Für die Dauer ihrer Unterhaltsbedürftigkeit eine Schadensersatzrente auf der Grundlage von § 844 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) von der Deutschen Bundesbahn ab 1996 in Höhe von monatlich 627,40 DM,

- für die Dauer ihrer Berufsausbildung bis längstens zum 25. Lebensjahr von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Halbwaisenrente ab 1996 in Höhe von monatlich 313,99 DM (ab 1. Juli 1997: 319,17 DM), von der monatliche Beiträge von 23,70 DM (ab 1. Juli 1997: 23,61 DM) zur Kranken- und Pflegeversicherung einbehalten wurden,

- nach §§ 17 Abs. 4, 18 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtags von Baden-Württemberg (Abgeordnetengesetz) i.V.m. § 24 Abs. 2 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) seit 1996 eine Vollwaisenrente in Höhe von monatlich 553 DM und

- für die Dauer ihrer Berufsausbildung bis längstens zum 27. Lebensjahr nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) ab 1996 eine Waisenrente in Höhe von monatlich 189 DM (ab 1. Juli 1997: 192 DM).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob mit Bescheid vom 9. Dezember 1996 die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab dem 1. Januar 1997 auf, weil die Bezüge der T den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) übersteigen würden. Einspruch und Klage blieben erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 569).

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 844 Abs. 2 BGB).

Sie beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) und den Kindergeldbescheid vom 9. Dezember 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 1997 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung zu Recht mit Wirkung ab dem 1. Januar 1997 aufgehoben. Die eigenen Einkünfte und Bezüge der T überstiegen den für 1997 maßgeblichen Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für das Kalenderjahr 1997 geltenden Fassung ist ein über 18 Jahre altes Kind unter 27 Jahren, das für den Beruf ausgebildet wird, nur zu berücksichtigen, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12 000 DM hatte. Die von X im Jahr 1997 bezogenen Waisenrenten gehörten zu den Einkünften und Bezügen in diesem Sinne. Die Halbwaisenrente, die X von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erhielt, war mit dem Zinsanteil bei den Einkünften, mit dem Kapitalanteil bei den Bezügen zu erfassen (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. November 2000 VI R 52/98, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489, und vom 16. April 2002 VIII R 76/01, DB 2002, 1356). Die aufgrund des Abgeordnetengesetzes bezogene Rente fiel zumindest in Höhe von 60 v.H. ebenfalls unter die Einkünfte (§ 22 Nr. 4 Satz 1, Satz 4 Buchst. b i.V.m. § 19 Abs. 2 EStG). Die nach § 3 Nr. 6 EStG steuerfreie Rente nach dem SVG gehörte in vollem Umfang zu den Bezügen; insoweit gilt für sie nichts anderes als für die nach § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerfreie Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (zu dieser BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 96/01, juris).

Das FG hat die danach anzurechnenden Rentenbeträge zutreffend mit mindestens 9 505 DM berechnet. Dies ist im Revisionsverfahren nicht mehr streitig. Die Klägerin hat deshalb keinen Anspruch auf Kindergeld, wenn auch die Schadensersatzrente zu den Einkünften und Bezügen gehört. Denn mit dem Jahresbetrag dieser Rente in Höhe von 7 528,80 DM würde der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG von 12 000 DM überschritten.

2. Der Senat lässt offen, ob Schadensersatzrenten nach § 844 Abs. 2 BGB als sonstige Einkünfte der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 EStG unterliegen und schon deshalb im Rahmen von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen wären (zum Streitstand vgl. u.a. Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 24 Rz. 18; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 22 Rz. 50; Söhn, Finanz-Rundschau 1996, 81; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 8. November 1995, BStBl I 1995, 705); sie wären jedenfalls bei den Bezügen zu erfassen, da sie zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt sind. Die Rente wird dem Geschädigten als Schadensersatz für den Entzug seines Rechts auf Unterhalt gegenüber dem durch den Unfall Getöteten gewährt und richtet sich deshalb ―wie typischerweise der Anspruch auf Unterhalt― kraft Gesetzes auf laufende Leistungen, die nach § 844 Abs. 2 BGB in der Form einer Geldrente zu erbringen sind.

Der Einwand der Klägerin, die Rente dürfe wegen dieser Unterhaltsersatzfunktion nicht anders behandelt werden als die Unterhaltsleistungen, die der Vater des Kindes ohne das Unfallereignis erbracht hätte, und sie sei deshalb wie diese im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG außer Ansatz zu lassen, ist nicht begründet. Mit dieser Frage hat sich bereits der VI. Senat des BFH befasst und sie mit dem Hinweis verneint, dass Leistungen Dritter grundsätzlich zu erfassen seien, weil im Kindergeldrecht nur die typischerweise zu erbringenden eigenen Unterhaltsleistungen der Eltern berücksichtigt würden (vgl. ―zur Waisenrente― BFH-Urteil in BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489). Dahinter steht die Erwägung, dass es Zweck des Familienleistungsausgleichs ist, die Eltern bei ihren Unterhaltsleistungen für das Kind zu entlasten; eine Entlastung ist aber insoweit nicht mehr erforderlich, als das Kind sich selbst unterhalten kann und der Familienhaushalt ―auf den im Rahmen des Familienleistungsausgleichs abzustellen ist (vgl. dazu näher BFH-Urteil vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, unter II. 2. a bis k der Gründe)― um die Vorsorge für den verstorbenen Elternteil freigestellt ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 780277

BFH/NV 2002, 1298

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