Leitsatz (amtlich)

Zur Bezeichnung des Streitgegenstands in der Klageschrift (§ 65 Abs. 1 FGO) kann es im Einzelfall genügen, daß der Kläger die Abänderung des aufgrund einer Schätzung ergangenen Steuerbescheids nach Maßgabe einer von ihm noch nachzureichenden Steuererklärung begehrt; ein bestimmter Antrag ist zur Bezeichnung des Streitgegenstands nicht erforderlich.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1969 die Höhe des wegen Nichtabgabe der Steuererklärung geschätzten Einkommens.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat die Kläger und Revisionskläger (Kläger) aufgrund einer Schätzung nach § 217 AO zur Einkommensteuer für das Streitjahr veranlagt (Bescheid vom 13. Mai 1971).

Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Gegen die Einspruchsentscheidung erhob der Prozeßbevollmächtigte der Kläger Klage. Die Klageschrift hat folgenden Inhalt:

"An das Finanzamt X ...

Betr.: St. Nr. ..., A B (Name des Klägers) in ... (Anschrift)

Sehr geehrte Herren,

gegen den Einkommen St. Einspruchsbescheid 1969 lege ich auftragsgemäß fristwahrend

Klage

ein. Ich beantrage, die ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommen St. 1969 nach dem in der zur Begründung vorzulegenden Einkommensteuer Erklärung 1969 auszuweisenden steuerpfl. Einkommen anderweitig festzusetzen.

Für die Nachreichung der Begründung bitte ich wegen noch erforderlicher Rückfragen zur Aufklärung des Sachverhalts und wegen des schwebenden Rechtsbehelfs aus dem Vorjahr um eine Frist von 2 Monaten."

Durch eine im finanzgerichtlichen Verfahren ergangene Verfügung des Vorsitzenden vom 25. Februar 1972 wurde der Vertreter der Kläger aufgefordert, innerhalb eines Monats einen bestimmten Antrag zu stellen, die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben und die Prozeßvollmacht einzureichen. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, daß die Klage ohne Bezeichnung des Streitgegenstandes unzulässig sei; es müsse daher angegeben werden, in welchem Umfang die Kläger durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten beeinträchtigt worden seien.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 14. April 1972 beantragte der Vertreter der Kläger, die Sache zu vertagen; außerdem erklärte er, die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr innerhalb von zwei Wochen beim FG einreichen zu wollen; das Gericht möge "gemäß dem Antrag aus der Klageschrift nach dieser Erklärung entscheiden". Eine Prozeßvollmacht legte er dem FG nicht vor.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte das FG aus, die Klage habe nicht den nach § 65 Abs. 1 FGO erforderlichen Mindestinhalt; denn es fehle an einem bestimmten Sachantrag. Außerdem sei die Klage auch deshalb unzulässig, weil der Vertreter der Kläger trotz entsprechender Fristsetzung die gemäß § 62 Abs. 3 FGO erforderliche schriftliche Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt habe.

 

Entscheidungsgründe

Gegen das Urteil des FG legten die Kläger Revision ein. Schriftliche Vollmachtserklärungen auf ihren bisherigen Vertreter reichten sie nach. Als Anlage zu ihrer Revisionsbegründung legten sie ihre Einkommensteuererklärung für 1969 vor.

Die Kläger beantragen die Aufhebung der Vorentscheidung und eine Sachentscheidung nach Maßgabe der Einkommensteuererklärung 1969. Hilfsweise begehren sie die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Prozeßvollmacht, deren Fehlen das FG zu Recht als Grund für eine Abweisung der Klage als unzulässig angesehen hatte, ist nunmehr nachgereicht. Damit ist die Klage jedenfalls nicht mehr deshalb unzulässig, weil es an einem Nachweis der Prozeßvollmacht (§ 62 Abs. 3 FGO) fehlt (Urteil des BFH vom 18. Mai 1972 V R 77/70, BFHE 106, 257, BStBl II 1972, 792).

2. Die Klage ist aber auch im übrigen als zulässig anzusehen. Entgegen der Auffassung des FG fehlt es ihrnicht an dem in § 65 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Mindestinhalt.

Nach § 65 Abs. 1 FGO muß eine Anfechtungsklage den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand sowie den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Diese Voraussetzungen haben im Streitfall vorgelegen.

a) Soweit über die Person des bzw. der Kläger nach dem Inhalt der Klageschrift noch Zweifel bestanden haben sollten, wurden diese spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem FG behoben; dort wurde klargestellt, daß der Prozeßbevollmächtigte für beide Kläger auftritt (vgl. Sitzungsniederschrift vom 14. April 1972). In der Klage ausreichend bezeichnet ist auch das FA, gegen welches sich die Klage richtet. Aus der Angabe des angefochtenen Steuerbescheids nach Steuernummer, Steuerart und Besteuerungsabschnitt (Kalenderjahr) in der Klageschrift ergibt sich ferner, welchen Verwaltungsakt die Kläger anfechten wollten.

b) Es liegt aber auch eine ausreichende Bezeichnung des Streitgegenstands vor.

Was unter "Streitgegenstand" im Sinne des § 65 Abs. 1 FGO zu verstehen ist, ist streitig. Teilweise wird der Begriff als der Sachverhaltsausschnitt aufgefaßt, den der Kläger tatsächlich oder rechtlich als falsch behandelt ansieht (in diesem Sinne Gräber, Deutsches Steuerrecht 1968 S. 491 [492]; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 65 Anm. 4); Nach dieser Auslegung des Streitgegenstandsbegriffs ist der Kläger gehalten, die von ihm für überprüfungsbedürftig angesehenen Punkte in seiner Klageschrift zu bezeichnen. Nach einer anderen Auffassung (Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 65 FGO Anm. 3; BFH-Urteile vom 8. Oktober 1971 III R 79/67, BFHE 103, 400, BStBl II 1972, 59; vom 5. Dezember 1972 VIII R 160/71, BFHE 108, 276, BStBl II 1973, 498; vom 23. Mai 1973 II R 47/72, BFHE 110, 105, BStBl II 1973, 820) ist Streitgegenstand im Sinne des § 65 Abs. 1 FGO nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, um dessen Ansatz gestritten wird, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids im ganzen; diese Auffassung geht davon aus, daß der allgemeine Streitgegenstandsbegriff, wie ihn der Große Senat des BFH in seinem Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) auffaßt, auch für die in § 65 Abs. 1 FGO normierten Mindestanforderungen an eine Klageschrift gilt.

Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, welcher der genannten Auffassungen er sich anschließt. Denn in jedem Fall reicht die von den Klägern in ihrer Klageschrift abgegebene Erklärung als Bezeichnung des Streitgegenstandes aus. Würde man als Streitgegenstand die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids im ganzen ansehen, so würde es bereits genügen, wenn sich aus der Klage ergibt, durch welche Steuerforderung sich der Kläger in seinen Rechten verletzt fühlt; dazu würde die Angabe des angefochtenen Verwaltungsakts ausreichen. Würde man dagegen zur Bezeichnung des Streitgegenstandes die sachverhaltsmäßige Beschreibung der Streitpunkte verlangen, so wäre auch diesem Erfordernis im Streitfall entsprochen. Denn die Kläger haben mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, was sie mit ihrer Klage erreichen wollen. Sie haben geltend gemacht, daß sie die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Schätzung der Besteuerungsgrundlagen als unzutreffend ansehen und an ihre Stelle andere Beträge gesetzt sehen wollen. Konkretere Angaben sind zur Zulässigkeit der Klage nicht erforderlich. Auch wenn die Kläger die von ihnen angekündigte Steuererklärung, die der weiteren Konkretisierung ihres Begehrens im einzelnen dienen sollte, entgegen ihrer Ankündigung dem FG nicht nachgereicht haben, so fehlte der Klage dennoch nicht die Zulässigkeit.

3. Dem FG kann auch nicht darin beigepflichtet werden, daß das Fehlen eines bestimmten Antrags in der Klageschrift die Klage unzulässig macht. Anders als im Revisionsverfahren, in dem der Revisionskläger einen bestimmten Antrag stellen muß (§ 120 Abs. 2 FGO), ist in § 65 Abs. 1 FGO für die Erhebung der Klage lediglich vorgeschrieben, daß sie einen bestimmten Antrag enthalten soll.

4. Die Klage ist somit nach Einreichung der Vollmachtserklärungen nunmehr in allen Punkten als zulässig anzusehen. Es muß deshalb über ihre Begründetheit entschieden werden. Da es hierzu noch an entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen durch das FG fehlt, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO; vgl. BFH-Urteil V R 77/70).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71857

BStBl II 1976, 455

BFHE 1976, 282

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