Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufrechnung im Konkurs

 

Leitsatz (NV)

1. Das Finanzamt ist befugt, im Konkurs mit Steueransprüchen aus der Zeit vor Konkurseröffnung gegen ein Vorsteuerguthaben des Gemeinschuldners aufzurechnen, das sich aus der Vergütung für eine Sequestertätigkeit ergibt.

2. Eine Steuerforderung ist immer dann Konkursforderung, wenn der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steueransprüche führte, vor Konkurseröffnung verwirklicht worden ist. Nach diesen Grundsätzen ist auch die Zugehörigkeit eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattunganspruchs des Gemeinschuldners zur Konkursmasse zu beurteilen.

3. Der Anspruch des Sequesters auf Erstattung angemessener barer Auslagen und auf eine Vergütung für seine Geschäftsführung entsteht bereits mit der Arbeitsleistung und nicht erst mit der Festsetzung durch das Konkursgericht.

4. Durch die umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit des Sequesters vor Konkurseröffnung wird auch der Vorsteuervergütungsanspruch des Gemeinschuldners konkursrechtlich vor Konkurseröffnung begründet.

 

Normenkette

AO 1977 § 226; KO § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 55 Nr. 1, § 58 Nr. 2; UStG 1980 § 15 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Gemeinschuldnerin betrieb ein Heizungs- und Installationsgeschäft. Am ... wurde über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. Mit Rechnung vom ... machte der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) als Konkursverwalter seinen Anspruch für die vor Konkurseröffnung erbrachte Sequestertätigkeit gegenüber der Gemeinschuldnerin geltend. Diese Sequestervergütung war mit Beschluß des Amtsgerichts vom ...1988 festgesetzt worden. In dem festgesetzten Betrag waren ... DM Umsatzsteuer enthalten. Diesen Umsatzsteuerbetrag machte der Kläger für die Gemeinschuldnerin als Vorsteuererstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) geltend. Das FA verrechnete den geltend gemachten Anspruch am ... mit Lohn- und Kirchensteuerrückständen aus der Anmeldung .... Ein entsprechender Abrechnungsbescheid wurde dem Kläger bekanntgegeben.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht (FG). Das FG gab der Klage unter Hinweis auf das dieselbe Rechtsfrage behandelnde Urteil des Niedersächsischen FG vom 9. Oktober 1991 VIII (II) 19/90 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1992, 698) statt.

Es führte aus, die Aufrechnung sei gemäß § 55 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) unzulässig gewesen. Die Sequestervergütung sei i.S. von § 3 Abs. 1 KO erst nach Konkurseröffnung begründet worden. Als maßgeblich hob das FG hervor, daß sich der Anspruch auf Sequestervergütung gegen die Masse richte. Es sei inkonsequent, wenn der Konkursverwalter die Sequestervergütung einschließlich Umsatzsteuer aus der Masse zu begleichen habe, der korrespondierende Vorsteuererstattungsanspruch aber mit vorkonkurslichen Forderungen aufgerechnet werden könne.

Mit der Revison rügt das FA die fehlerhafte Auslegung der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 58 Nr. 2 KO durch das FG. Die Sequestervergütung und die darauf entfallende Umsatzsteuer sei konkursrechtlich bereits vor Konkurseröffnung, nämlich mit der Leistungsbewirkung durch den Sequester, begründet worden. Damit sei auch der Vorsteueranspruch vor Konkurseröffnung aufschiebend bedingt entstanden. Da für die Frage der Aufrechnung allein die konkursrechtliche Vermögenszuordnung (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 KO) maßgeblich sei, komme es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Vorsteueranspruch nach den Vorschriften des Steuerrechts zur Entstehung gelange.

Der Kläger weist darauf hin, daß die Umsatzsteuer auf die Sequestervergütung wegen des erforderlichen gerichtlichen Festsetzungsbeschlusses erst nach Konkurseröffnung entstehen könne. Daher könne der Vorsteuerabzugsanspruch auch erst zu diesem Zeitpunkt entstehen. Im übrigen folge daraus, daß die Sequestervergütung einschließlich Umsatzsteuer aus der Konkursmasse als Massekosten vorweg zu befriedigen sei, daß auch der daraus entstehende Vorsteueranspruch an die Masse zu erstatten und nicht mit Konkursforderungen verrechnet werden dürfe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der vom Kläger zugunsten der Konkursmasse geltend gemachte Vorsteuervergütungsanspruch ist nach den Feststellungen des FG durch wirksame Aufrechnung erloschen.

1. Aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen, die für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist davon auszugehen, daß der Gemeinschuldnerin ein Vorsteueranspruch zustand, daß diesem Anspruch mindestens gleich hohe vorkonkursliche Steuerforderungen gegen die Gemeinschuldnerin gegenüberstanden und daß die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -, §§ 387ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; zur Aufrechnungsbefugnis im Konkurs vgl. § 53 KO) vorlagen. Hiervon gehen übereinstimmend auch die Parteien aus. Es steht ebenfalls fest, daß das FA mit den Steuerforderungen nach Konkurseröffnung aufgerechnet hat.

2. Der vom FG in seinem Urteil vertretenen Auffassung, daß der Aufrechnung im Streitfall § 55 Nr. 1 KO entgegenstehe, weil die Sequestervergütung und damit der Vorsteuerabzugsanspruch erst nach Konkurseröffnung begründet worden sei, ist nicht zu folgen.

a) Nach den §§ 53, 54 KO ist ein Gläubiger des Gemeinschuldners außerhalb des Konkursverfahrens zur Aufrechnung befugt, wenn die aufzurechnenden Forderungen bereits zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens bestanden haben, wobei es nach § 54 Abs. 1 KO unschädlich ist, wenn die Forderungen oder eine von ihnen zu diesem Zeitpunkt noch bedingt waren. § 55 Nr. 1 KO schließt aber die Aufrechnung im Konkurs aus, wenn jemand vor oder nach der Eröffnung des Verfahrens eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben hat und nach der Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist. Für die Zulässigkeit der Aufrechnung ist entscheidend, daß die zur Aufrechnung gestellte Forderung schon ihrem Kern nach vor der Konkurseröffnung entstanden ist (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 28. November 1977 II ZR 110/76, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs - LM -, § 55 Nr. 8 KO, und vom 14. Dezember 1983 VIII ZR 352/82, BGHZ 89, 189, 192). Damit wird die Aufrechnung für steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens zwar noch nicht i.S. des § 38 AO 1977 entstanden, wohl aber i.S. des § 3 KO begründet sind (Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung - AO -, Kommentar, § 251 Rz. 31).

b) Im Konkurs des Steuerpflichtigen kommt es für die Frage, ob ein Anspruch zur Konkursmasse gehört (vgl. § 1 Abs. 1 KO), nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung im steuerrechtlichen Sinne enstanden war. Maßgeblich ist gemäß § 3 Abs. 1 KO nicht die Vollrechtsentstehung, sondern der Zeitpunkt, in dem nach konkursrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Mai 1979 VIII R 58/77, BFHE 128, 146, BStBl II 1979, 639; Senatsurteile vom 12. Januar 1984 VII R 155/82, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Konkursordnung, § 54, Rechtsspruch 1; vom 4. August 1987 VII R 11/84, BFH/NV 1987, 707, und vom 29. Januar 1991 VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791). Bei der Frage des Begründetseins nach § 3 KO geht es um eine konkursrechtliche Vermögenszuordnung, die allein nach konkursrechtlichen Kriterien zu entscheiden ist (Frotscher, Steuern im Konkurs, 3. Aufl., S. 60). Daraus folgt aber nicht, daß zur Beurteilung der Frage, ob eine Steuerforderung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet ist, steuerrechtliche Gesichtspunkte über die Entstehung der Steuer überhaupt nicht berücksichtigt werden dürfen (Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 251 AO 1977 Rz. 6c). Ob Grundlagen für eine Forderung gelegt sind, ist aufgrund der Vorschriften über die Entstehung der Forderung zu beurteilen (Beermann, a.a.O.; Weiß, Zur Durchsetzung von Einkommensteueransprüchen im Konkurs, Finanz-Rundschau - FR - 1990, 539, 542).

c) Zur Begründung von Forderungen i.S. des § 3 Abs. 1 KO aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977) ist erforderlich, daß im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens ein Tatbestand verwirklicht ist, durch den der steuerschuldrechtliche Grund für die Entstehung der Forderung gelegt ist (BFH-Urteil vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226; Beermann, a.a.O., § 251 AO 1977 Rz. 50a). Dabei ist aber nicht der Entstehungszeitpunkt im steuerrechtlichen Sinne entscheidend, sondern der Zeitpunkt, in dem die für den Anspruch maßgebenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226). Unter dem Gesichtswinkel des § 3 Abs. 1 KO ist allerdings keine vollständige Tatbestandserfüllung zu verlangen. Als begründet i.S. des § 3 Abs. 1 KO wird eine Forderung schon dann angesehen, wenn - etwa weil aufschiebend bedingt - im Zeitpunkt der Konkurseröffnung zu ihrer Entstehung noch ein ungewisses künftiges Ereignis fehlt (BFH-Urteil vom 27. August 1975 II R 93/70, BFHE 117, 176, BStBl II 1976, 77), spätestens aber dann, wenn der Eintritt der Tatbestandsverwirklichung bei Konkurseröffnung derart gesichert ist, daß er als unausweichlich anzusehen ist (Weiß, Anm. zu BFH-Urteil vom 4. Juni1987 V R 57/79, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1987, 288). Maßgeblich können für diese Beurteilung auch zivilrechtliche Umstände sein (Beermann, a.a.O., § 251 AO 1977 Rz. 50c; Frotscher, a.a.O., S. 58). So ist ein Anspruch dann begründet, wenn im Zeitpunkt der Konkurseröffnung ein Schuldverhältnis bereits besteht und der schuldrechtliche Grund geschaffen ist (Frotscher, a.a.O., S. 58). Nur der Schuldrechtsorganismus, der die Grundlage der Forderung bildet, nicht die Forderung selbst, muß vor Konkurseröffnung geschaffen sein (Frotscher, a.a.O., Kilger, Konkursordnung, 15. Aufl., § 3 Anm. 4; Kuhn/ Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl., § 3 Rz. 11). Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, daß eine Steuerforderung immer dann Konkursforderung nach § 3 KO ist, wenn der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, vor Konkurseröffnung verwirklicht worden ist (Frotscher, a.a.O., S. 59; a.A. für Umsatzsteuerforderungen Weiß, FR 1990, 542).

Nach denselben Grundsätzen muß auch der Zeitpunkt der konkursrechtlichen Entstehung, d.h. die Zugehörigkeit zur Konkursmasse (§ 1 Abs. 1 KO) eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Gemeinschuldners beurteilt werden.

d) Im Streitfall ist der Rechtsgrund des Vorsteuerabzugsanspruchs, gegen den das FA aufgerechnet hat, im konkursrechtlichen Sinne in der Zeit vor Konkurseröffnung gelegt worden, da bereits zu diesem Zeitpunkt die wesentlichen Grundlagen des Anspruchs geschaffen waren.

aa) Für den Vorsteueranspruch wird der Rechtsgrund dadurch gelegt, daß ein anderer Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug Berechtigten erbringt. Die Frage, ob der Anspruch zusätzlich die Erstellung einer Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis voraussetzt (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -), ist nur aus steuerrechtlicher Sicht von Belang. Aus konkursrechtlicher Sicht kommt es aber auf die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestandes nicht an. Für die konkursrechtliche Betrachtung ist es auch unerheblich, daß der Vorsteueranspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich den Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage hat (BFH-Urteil vom 24. März 1983 V R 8/81, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612) und er als solcher in der Regel keinen rechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstellt.

bb) Für das Begründetsein i.S. des § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 KO ist hier die vor Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgte Leistung des Sequesters maßgeblich.

Der Sequester erhält für seine Tätigkeit eine Vergütung, die vom Konkursgericht festgesetzt wird. Eine besondere gesetzliche Vorschrift für die Festsetzung der Vergütung fehlt. Wegen der Nähe zum Konkurs wird nach herrschender Meinung § 85 KO entsprechend angewendet (vgl. die Nachweise bei Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., § 106 Rz. 22; Mohrbutter/Mohrbutter, Handbuch der Konkurs- und Vergleichsverwaltung, 6. Aufl., I 7 Rz. 17). Danach hat der vom Gericht bestellte Verwalter einen Anspruch auf Erstattung angemessener barer Auslagen und auf eine Vergütung für seine Geschäftsführung.

Dieser Anspruch entsteht - entgegen der Auffassung der Vorinstanz und des Klägers - nicht erst mit der Festsetzung durch das Konkursgericht, sondern bereits mit der Arbeitsleistung (BGH-Urteil vom 5. Dezember 1991 IX ZR 275/90, BGHZ 116, 233). § 85 KO knüpft Vergütung und Auslagenersatz des Verwalters an dessen Geschäftsführung, also an dessen tatsächliches Tätigwerden. Die Festsetzung durch das Gericht hat lediglich deklaratorische Bedeutung: Sie bestimmt verbindlich die Höhe des zuvor bereits erwachsenen Anspruchs (BGH, a.a.O.). Im Streitfall bedeutet dies, daß der Anspruch des Klägers auf Sequestervergütung bereits in der Zeit vor Konkurseröffnung entstanden ist, wenn die Vergütungshöhe auch erst nach Beendigung der Sequestertätigkeit und Eröffnung des Konkursverfahrens festgesetzt worden ist (a.A. Weiß, Anm. zum erstinstanzlichen Urteil, UR 1992, 236).

Soweit im Schrifttum (vgl. Eickmann, Die Vergütung des nach § 106 KO bestellten Sequesters, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 1982, 21) die Auffassung vertreten wird, der Vergütungsanspruch des Sequesters basiere auf einer Analogie zu den §§ 1835, 1836, 1987, 2221 BGB (und nicht auf § 85 KO analog) und entstehe erst durch die gerichtliche Festsetzung, weil das Gesetz in diesen Fällen von einer unentgeltlichen Amtsführung ausgehe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Beim Sequester kann von vornherein - wie beim Konkursverwalter - nicht davon ausgegangen werden, daß er unentgeltlich tätig wird; dies mag bei einem Vormund oder Testamentsvollstrecker (vgl. §§ 1836 Abs. 1, 2221 BGB) etwa aufgrund persönlicher Beziehungen zum Mündel, Erblasser oder Erben anders sein.

cc) Durch die - umsatzsteuerpflichtige - Tätigkeit des Sequesters ist auch der Vorsteuervergütungsanspruch der Gemeinschuldnerin im konkursrechtlichen Sinne vor Konkurseröffnung begründet worden; er konnte somit mit Konkursforderungen verrechnet werden (ebenso: Frotscher, a.a.O., S. 216).

Aufgrund der Tätigkeit des Sequesters vor der Konkurseröffnung waren zu diesem Zeitpunkt bereits die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen gelegt, die zu dem (steuerrechtlich) später entstehenden Vorsteuervergütungsanspruch führten. Ein Konkursverwalter oder Sequester ist berechtigt, über die von ihm für das Unternehmen des Gemeinschuldners erbrachte Leistung eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis zu erteilen (BFH-Urteil vom 20. Februar 1986 V R 16/81, BFHE 146, 287, 289, BStBl II 1986, 579; Weiß, Anm. zu BFHE 146, 287, UR 1986, 154). Der Gemeinschuldner kann dann die ihm (d.h. der Masse) in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen bzw. sich vergüten lassen (BFHE 146, 287, 289; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz. 41).

Wie § 14 Abs. 1 Satz 1 UStG zeigt, ist der Leistende auch verpflichtet, dem Leistungsempfänger auf dessen Verlangen eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis auszustellen. Der Anspruch auf die Rechnung ergibt sich, sobald die Leistung bewirkt ist (Wagner, a.a.O., § 14 Rz. 38). Danach muß ein Sequester dem Gemeinschuldner seine Tätigkeit mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Daher stand für den Streitfall bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung fest, daß die Gemeinschuldnerin aus der ihr gegenüber erbrachten Sequestertätigkeit einen Vorsteuerabzugsanspruch haben werde. Zwar war die Höhe noch offen, der Grund war aber gelegt und der Vergütungsanspruch nicht mehr umkehrbar.

Die Zugehörigkeit des Vorsteuerabzugsanspruchs zur Konkursmasse wird bestätigt durch den Anwartschaftsgedanken (vgl. Urteil des FG München vom 9. April 1986 III 300/85 AO, UR 1987, 178). Danach gilt eine rechtlich gesicherte Anwartschaft als zur Masse gehörendes Recht (Kilger, a.a.O., § 1 Anm. 5C; Weiß, FR 1990, 539, 541). Der Leistungsempfänger hat bereits eine gesicherte Rechtsposition, wenn für den Vorsteuerabzug i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG lediglich noch die Rechnung aussteht, da es allein an ihm liegt, diese vom leistenden Unternehmer zu verlangen.

dd) Der V.Senat des BFH hat zwar entschieden, daß ein Anspruch i.S. des § 3 Abs. 1 KO erst begründet ist, wenn der Tatbestand, aus dem sich der Anspruch ergibt, vollständig verwirklicht, also abgeschlossen ist (Urteile in BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, 227, und vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741, 743). Diese Rechtsprechung ist im konkursrechtlichen Schrifttum auf Widerspruch gestoßen (vgl.Frotscher, a.a.O., S. 202; Endres, Zur Umsatzsteuer im Konkurs, UR 1988, 333). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er in den vom V.Senat entschiedenen Urteilsfällen - Anspruch des FA auf Rückforderung abgezogener Vorsteuerbeträge, Umsatzsteuer auf die Verwertung von Sicherungsgut durch den Konkursverwalter - der mehr steuerrechtlichen Betrachtungsweise folgen würde. Er weicht von den Urteilen des V.Senats jedenfalls deshalb nicht ab, weil der hier zu beurteilende Vorsteueranspruch aufgrund der Sequestervergütung einen anderen Sachverhalt betrifft, bei dem das vor Konkurseröffnung noch ausstehende umsatzsteuerliche Tatbestandselement (Rechnungerteilung) unausweichlich verwirklicht werden wird.

3. Für die Aufrechnung des FA mit vorkonkurslichen Steuerforderungen gegen den Vorsteueranspruch aufgrund der Sequestertätigkeit ist ohne Bedeutung, ob die Sequestervergütung einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer als ein gegen die Masse gerichteter Anspruch (§§ 57, 58, 59 KO) anzusehen ist. Die umsatzsteuerrechtliche Verknüpfung zwischen der Steuerschuld des Leistenden und dem Vorsteuerabzugsanspruch des Leistungsempfängers hat nicht zur Folge, daß auch konkursrechtlich die zu entrichtende bzw. in Rechnung gestellte Umsatzsteuer und die abzugsfähige Vorsteuer zwingend in jeder Hinsicht gleich zu behandeln, d.h. auch derselben Vermögensmasse (Konkursforderung, Masseanspruch oder konkursfreie Forderung) zuzuordnen sind.

Nach überwiegender Meinung im Schrifttum (Mohrbutter/Mohrbutter, a.a.O., I 7 Rz. 17; Kilger, a.a.O., § 58 Anm. 3a; Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., § 106 Rz. 22g) handelt es sich bei der entsprechend § 85 KO festzusetzenden Vergütung des Sequesters um Massekosten i.S. des § 58 Nr. 2 KO, die nach § 57 KO vorweg aus der Konkursmasse zu befriedigen sind. Mit dem Aufrechnungsverbot des § 55 Nr. 1 KO soll verhindert werden, daß ein Konkursgläubiger nach § 3 KO sich auf Kosten der Massegläubiger Befriedigung verschafft; die Aufrechnung ist deshalb ausgeschlossen, wenn die Gegenforderung erst nach Konkurseröffnung begründet wurde, sie also einen Masseanspruch darstellt (Frotscher, a.a.O., S. 85; Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 251 Anm. 32).

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Anspruch auf die Sequestervergütung (einschließlich Umsatzsteuer) tatsächlich einen Massekostenanspruch i.S. des § 58 Nr. 2 KO und nicht nur eine einfache Konkursforderung gemäß § 3 KO darstellt. Für die Zuordnung des Vergütungsanspruchs des Sequesters (vgl. § 106 KO) - ebenso wie des Vergütungsanspruchs des Konkursverwalters - zu den Massekosten mögen - unabhängig von dem Zeitpunkt der Begründung des Anspruchs i.S. des § 3 Abs. 1 KO (vgl. dazu oben 2d, bb) - wegen der Nähe zum Konkurs (vgl. Mohrbutter/Mohrbutter, a.a.O., I 7 Rz. 17) gewichtige Argumente sprechen, zumal bereits die Sequestration der Sicherung der künftigen Konkursmasse dient (vgl. Urteil des Senats vom 29. April 1986 VII R 184/83, BFHE 146, 363, BStBl II 1986, 586, 588, m.w.N.; Eickmann, Zeitschrift für Wirtchaftsrecht und Insolvenzpraxis 1992, 21, 25 unter Hinweis auf § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO). Die Zuordnung des Vergütungsanspruchs des Sequesters zu den Massekosten führt aber nicht dazu, daß auch der aus dieser Verwaltungsleistung resultierende Vorsteueranspruch des Gemeinschuldners nur den Massegläubigern zugutekommen muß und folglich eine Aufrechnung des FA als Konkursgläubiger gegen diesen Vorsteueranspruch ausgeschlossen ist.

Für eine derartige Kongruenz in der Zuordnung zu den Vermögensmassen für den in dem Vergütunganspruch enthaltenen Umsatzsteueranteil und dem daraus folgenden Vorsteueranspruch des Gemeinschuldners ist in den Vorschriften der KO (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 55 Nr. 1) kein Anhaltspunkt ersichtlich. Der Vorsteuerabzugsanspruch stellt vielmehr konkursrechtlich einen eigenständigen Anspruch dar, der mit dem die Umsatzsteuer beinhaltenden Vergütunganspruch des Sequesters schon wegen der unterschiedlichen Beteiligten auf der Gläubiger- und Schuldnerseite (Sequester/Gemeinschulder - Gemeinschuldner/ FA) zwar in einem ursächlichen, nicht aber in einem konkursrechtlich bedeutsamen Zusammenhang steht. Die für den Streitfall maßgebliche Aufrechnungsbefugnis des FA richtet sich allein nach § 55 Nr. 1 KO, wonach darauf abzustellen ist, ob das FA nach der Konkurseröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist.

Die Aufrechnung war danach zulässig, weil - wie oben ausgeführt - der Vorsteuerabzugsanspruch des Gemeinschuldners, gegen den die Aufrechnung erklärt wurde, bereits mit der Tätigkeit des Sequesters und damit vor dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet worden ist. Die Aufrechnungslage war demnach nach der maßgeblichen konkursrechtlichen Betrachtungsweise bereits im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gegeben. Auf die rechtliche Zuordnung des Vergütungsanspruchs des Sequesters (Konkursforderung oder Masseforderung) kommt es nicht an. Die Massegläubiger haben konkursrechtlich keinen Anspruch darauf, daß ihnen der Vorsteuervergütungsanspruch zugutekommt, nur weil die Sequestervergütung einschließlich Umsatzsteuer aus der Masse vorweg zu befriedigen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419472

BFH/NV 1994, 521

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