Entscheidungsstichwort (Thema)

Pensionsabfindung - keine Entschädigung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Pensionsabfindung ist keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG, wenn der Arbeitnehmer von sich aus nach Eheschließung zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft das Dienstverhältnis gekündigt hat.

 

Orientierungssatz

1. Neben weiteren Voraussetzungen verlangt der Begriff Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG im Falle der Auflösung eines Dienstverhältnisses, daß der Arbeitnehmer, sofern er an dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis mitgewirkt hat, unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Auflösung des Dienstverhältnisses "veranlaßt" hat. Der Arbeitgeber muß die für die Auflösung des Dienstverhältnisses entscheidenden Ursachen gesetzt haben, so daß dem Arbeitnehmer im Hinblick auf dieses Verhalten eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BFH-Rechtsprechung; Literatur).

2. Ist eine Pensionsabfindung keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, so ist zu prüfen, ob die Abfindung nach § 34 Abs. 3 EStG verteilt werden kann (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster (Entscheidung vom 04.03.1986; Aktenzeichen VI 3585/84 E)

 

Tatbestand

I. Streitig ist, ob eine Abfindungszahlung an die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) als Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a des Einkommensteuergesetzes (EStG) gemäß § 34 Abs.1, Abs.2 Nr.2 EStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.

Die Klägerin, die bei einer Rundfunkanstalt in A beschäftigt war, kündigte zum 31.Oktober 1981 ihr Arbeitsverhältnis, da sie ihren Wohnsitz nach B verlegen wollte, wo der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), den sie im März 1981 geheiratet hatte, wohnte.

Nach den Versorgungsrichtlinien der Anstalt, die auch auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwenden waren, wurden die Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung kapitalisiert, sofern ein Arbeitsverhältnis eine bestimmte Mindestdauer nicht erreichte. In Anwendung dieser Regelung erhielt die Klägerin im Streitjahr eine Abfindung in Höhe von 18 704 DM.

In ihrer Einkommensteuererklärung beantragten die Kläger, die Abfindung ermäßigt zu besteuern. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) wies den Antrag zurück; nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 500).

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG.

Das FA beantragt,

unter Aufhebung des Urteils vom 4.März 1986 VI 3585/84 E die Klage

abzuweisen.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Entgegen der Auffassung des FG liegt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG nicht vor.

Neben weiteren Voraussetzungen verlangt der Begriff der Entschädigung im Falle der Auflösung eines Dienstverhältnisses nach gefestigter Rechtsprechung, daß der Arbeitnehmer, sofern er an dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis mitgewirkt hat, unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden hat (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 20.Oktober 1978 VI R 107/77, BFHE 126, 408, BStBl II 1979, 176; vom 14.Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580; vom 22.Januar 1988 VI R 135/84, BFHE 152, 461, BStBl II 1988, 525; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 9.Aufl. 1990, § 24 Anm.4 a). Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Auflösung des Dienstverhältnisses "veranlaßt" hat. Der Arbeitgeber muß die für die Auflösung des Dienstverhältnisses entscheidenden Ursachen gesetzt haben, so daß dem Arbeitnehmer im Hinblick auf dieses Verhalten eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BFH in BFHE 126, 408, BStBl II 1979, 176; Schmidt/Seeger, a.a.O.; Offerhaus, Der Betrieb 1982, Beilage 10, unter B III).

Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn ―wie im Streitfall― ein Arbeitnehmer nach Eheschließung das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen kann, weil er zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft den Wohnsitz verlegt. In diesem Fall liegt die Kündigung allein in der Sphäre des Arbeitnehmers.

Art.6 Abs.1 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, steht dieser Auslegung nicht entgegen. Der Schutz der Ehe geht nicht so weit, daß Abfindungszahlungen, die durch die Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgelöst werden, in jedem Fall als Entschädigung qualifiziert werden müssen. Es besteht kein Anlaß, aus diesem Grund von der generell maßgeblichen Definition des Entschädigungsbegriffs abzuweichen. Die gesetzliche Differenzierung zwischen Entschädigungen, denen sich der Steuerpflichtige nicht entziehen kann, und Abfindungszahlungen, die ihre Ursache in einem freien Entschluß des Steuerpflichtigen haben ―sei es auch zur Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft―, ist sachlich gerechtfertigt; eine besondere Privilegierung derartiger Abfindungen ist verfassungsrechtlich nicht geboten.

Der Argumentation des FG kann auch insoweit nicht gefolgt werden, als immer dann eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG anzunehmen sei, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis zwar von sich aus auflöse, aber keine wirtschaftlichen Ziele mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfolge. Diese Interpretation wird dem Begriff der Entschädigung nicht gerecht. Wie bereits ausgeführt, setzt dieser zumindest voraus, daß der Steuerpflichtige das die Entschädigung auslösende Ereignis nicht allein aus eigenem Antrieb herbeigeführt hat. Ob wirtschaftliche oder andere Überlegungen des Steuerpflichtigen die Ersatzleistung ausgelöst haben, ist unerheblich.

2. Da bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 24 Nr.1 Buchst.a EStG nicht vorliegen, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob das FG zu Recht davon ausgegangen ist, daß die der Klägerin ausgezahlte Abfindung auf einer neuen Rechtsgrundlage beruht.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ―von seinem Standpunkt aus zu Recht― nicht geprüft, ob der streitige Betrag nach § 34 Abs.3 EStG verteilt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 20.November 1970 VI R 183/68, BFHE 101, 237, BStBl II 1971, 263, und vom 11.Dezember 1970 VI R 218/66, BFHE 101, 98, BStBl II 1971, 266).

 

Fundstellen

Haufe-Index 63116

BFH/NV 1990, 83

BStBl II 1990, 1020

BFHE 161, 370

BFHE 1991, 370

BB 1990, 2254 (L)

DB 1990, 2568 (LT)

DStR 1990, 711 (KT)

HFR 1991, 25 (LT)

StE 1990, 410 (K)

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