Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Als notwendige Aufwendungen des Stpfl. für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Ziff. 4 EStG können regelmäßig nur die Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel zum Abzug zugelassen werden.

 

Normenkette

EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4; LStDV § 20 Abs. 2; LStR Abschn. 25

 

Tatbestand

Der kinderlos verwitwete Steuerpflichtige (Stpfl.) ist seit 1910 bei den A- Werken in K-D beschäftigt; als Werkmeister bezieht er einen jährlichen Arbeitslohn von 9.170 DM. Er wohnt seit 1920 in einem der Erbengemeinschaft nach seinen verstorbenen Schwiegereltern gehörigen Hause in B, Ortsteil L, und benutzt für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einen PKW In seinem Lohnsteuerermäßigungsantrag für 1952 hatte er die hierdurch entstandenen Aufwendungen als Werbungskosten geltend gemacht.

Das Finanzamt hat den Antrag abgelehnt, weil zur Erreichung der Arbeitsstätte öffentliche Verkehrsmittel in ausreichendem Umfang zu Verfügung ständen. Es hat seine Auffassung unter Hinweis auf die Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952 Abschn. 25 Abs. 4 und das Urteil des Reichsfinanzhofs IV 121/37 vom 11. November 1937, Reichssteuerblatt (RStBl) 1938 S. 84, Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz (EStG) 1934 § 18 Abs. 1 Ziff. 1 Rechtsspr. 28, auch in der Einspruchsentscheidung aufrechterhalten. Die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstehende Fahr- und Wartezeit betrage für Hin- und Rückfahrt im ungünstigsten Falle drei Stunden; ein solcher Zeitaufwand sei wie jedem Arbeitnehmer auch dem Stpfl. zumutbar.

Im Gegensatz hierzu hat das Finanzgericht die Kraftfahrzeugkosten als notwendige Aufwendungen im Sinne des § 9 Ziff. 4 EStG, § 20 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1952 anerkannt. Es ist zunächst von der nunmehr auch vom Finanzamt nicht mehr bestrittenen Feststellung ausgegangen, daß B, das nur wenige km von der Stadtgrenze K entfernt liege, zum Einzugs- und Siedlungsgebiet dieser Stadt gehöre. Es sei durchaus üblich, daß Arbeitnehmer der Unternehmen in K-D in den an die Stadtgrenze K angrenzenden Ortschaften wohnten. Dafür spreche auch die Tatsache, daß B mit K durch eine elektrische Vorortbahn verbunden sei. Es könne dem Stpfl. deshalb, weil er aus persönlichen Gründen außerhalb K wohne, entgegen der Meinung des Finanzamts, der Abzug der durch das Auto entstandenen Fahrtkosten nicht versagt werden. Grundsätzlich seien zwar die Kosten für die Benutzung eines Kraftwagens zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht als notwendig anzusehen. Im Streitfall würde aber im Sinne der LStR 1952 Abschn. 25 Abs. 4 die Grenze des Zumutbaren erheblich überschritten, wenn der Stpfl. auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel verwiesen werde. Es könne von diesem nicht verlangt werden, täglich zweimal etwa 35 Minuten bis zur Vorortbahn zu Fuß zurückzulegen, um dann häufig in überfüllten Straßenbahnwagen, vielfach stehend, seine Arbeitsstätte zu erreichen. Eine dreistündige Anfahrtszeit müßten zwar viele Arbeitnehmer in Kauf nehmen, deshalb brauche sich jedoch nicht jeder Arbeitnehmer damit abzufinden. Das würde einer Vermassung, die in der Typisierung ihren Niederschlag finde, Vorschub leisten. Wenn es daher dem Stpfl. möglich sei, sich einen Kraftwagen zu halten und mit diesem in 17 Minuten seine Arbeitsstätte zu erreichen, so seien die hierdurch entstandenen Kosten als notwendige Werbungskosten anzuerkennen, zumal der Stpfl. auf diese Weise weit besser in der Lage sei, seine Arbeit als Werkmeister zu verrichten. Es sei nicht einzusehen, weshalb er die technischen Errungenschaften der heutigen Zeit nicht ausnutzen solle, um mit deren Hilfe die Arbeitsleistung zu steigern. In Abänderung der bisher für den Kraftwagen geltend gemachten Werbungskosten, bei denen dem Stpfl. Irrtümer unterlaufen seien, komme unter Abzug des privaten Anteils ein Betrag von insgesamt 1.350,87 DM als notwendiger abzugsfähiger Aufwand in Betracht. Demgegenüber ist die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts der Auffassung, daß dem Stpfl. die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel durchaus zuzumuten sei. Zwischen B und K-D bestehe ein 20-Minuten-Vorortsverkehr, zusätzlich noch eine Omnibusverbindung. Mehr als 1/3 (etwa 15.000) der im Finanzamtsbezirk wohnenden Arbeitnehmer seien in K beschäftigt; diese seien fast ausschließlich auf diese öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen; sie müßten zum Teil noch erheblich längere Zeiten bis zur Erreichung ihrer Arbeitsstätte aufwenden. Daß während des Berufsverkehrs die Züge trotz der Verbesserung der Zugfolge häufig überfüllt seien, solle nicht bestritten werden, daraus könne aber ein Verlangen auf Benutzung eines Kraftwagens nicht hergeleitet werden. Im übrigen könne der Stpfl. auch die Vorortbahn B als Haltestelle "Z-Straße" benutzen; dazu sei nur ein keine erheblichen Steigungen aufweisender Fußweg von etwa 15 bis 20 Minuten erforderlich. Wenn dem Stpfl. die Benutzung des öffentlichen Verkehrsmittels nicht zuzumuten sei, so müsse das entsprechend auch für die übrigen auf diese Verkehrsmittel angewiesenen Arbeitnehmer gelten. Die in der Vorentscheidung vertretene Ansicht führe zu einer ungleichmäßigen Besteuerung, da sie in erster Linie Personengruppen begünstige, die wirtschaftlich zur Haltung eines Fahrzeuges in der Lage seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Dem Finanzgericht ist zwar darin beizutreten, daß der Abzug der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht deshalb versagt werden kann, weil der Stpfl. aus persönlichen Gründen in B wohnt. Dieser Ort gehört angesichts der Vorortverbindungen und der Tatsache, daß unbestritten etwa 15.000 Arbeitnehmer des Finanzamtsbezirks in K tätig sind, zu dem Einzugsgebiet dieser Stadt.

In der Vorentscheidung wurde jedoch der Begriff der "notwendigen Aufwendungen" im Sinne von § 9 Ziff. 4 EStG zu weit ausgelegt.

Der Stpfl. gibt das Bestehen ausreichender öffentlicher Verkehrsmittel, mit denen er seine Arbeitsstätte erreichen kann, zu. Er kann zwei Vorortlinien (Linie G und B) benutzen. In beiden Fällen benötige er von der Wohnung zur Arbeitsstätte je 1 1/2 Stunden für die Hin- und Rückfahrt. Wenn auch die Auffassungen zwischen dem Stpfl. und dem Finanzamt wegen der Zeitspanne in Einzelheiten auseinandergehen, so handelt es sich doch nur um einen Unterschied von etwa 5 bis 10 Minuten; im Ergebnis gehen beide Beteiligten davon aus, daß im Durchschnitt insgesamt etwa drei Stunden für die Hin- und Rückfahrt in Betracht kommen. Es ist daher lediglich zu prüfen, ob der bei der Inanspruchnahme der öffentlichen Verkehrsmittel erforderliche Zeitaufwand dem Stpfl. zuzumuten ist. Diese Frage muß mangels gesetzlicher Bestimmung nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der Entwicklung der Verhältnisse beurteilt werden. Nach der Rechtsprechung werden als notwendige Fahrkosten grundsätzlich nur die Ausgaben für die allgemeinen Verkehrsmittel anerkannt. Für die Kraftwagenhaltung ist daran festgehalten, daß die Aufwendungen für die Kraftwagenbenutzung von Wohnung zur Arbeitsstätte nur dann als notwendige anzusehen sind, wenn der Stpfl. den Kraftwagen ohnehin aus betrieblichen oder beruflichen Gründen hält, oder wenn es sich um Gehbehinderte, schwer Körperbeschädigte oder solche Stpfl. handelt, deren regelmäßige Arbeitszeit die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zuläßt, oder wenn ihnen im Hinblick auf den Zeitaufwand, z. B. wegen langer Wartezeit, deren Benutzung billigerweise nicht zugemutet werden kann (LStR 1952 Abschn. 25 Abs. 4). Wenn gegen diese Rechtsprechung geltend gemacht wird, sie stünde mit der heutigen Entwicklung des Kraftfahrwesens im Widerspruch, so werden diese Angriffe im Grundsatz nicht berechtigt sein. Die allgemeine Anerkennung des Abzugs von Kraftwagenkosten bei Arbeitnehmern könnte u. U. in Betracht kommen, wenn dieses Verkehrsmittel von ihnen in einem solchen Umfange benutzt würde, daß nach der Verkehrsanschauung das Halten eines Kraftwagens von diesem Personenkreis als üblich anzusehen wäre; dahingehende Erwartungen sind seinerzeit bei der Schaffung des Volkswagens gehegt, jedoch nicht verwirklicht worden. Solange daher bei der Arbeitnehmerschaft von einer allgemeinen tatsächlichen Benutzung von Kraftwagen, wie es etwa in Amerika der Fall ist, nicht gesprochen werden kann, werden mit Rücksicht auf das bestehende Recht (ß 9 Ziff. 4 EStG) Zugeständnisse nicht gemacht werden können. Nach der Verkehrsanschauung ist jedenfalls derzeit eine allgemeine Auffassung nicht feststellbar, daß Arbeitnehmer in der Regel Kraftwagen allein für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzen.

Auch die von der Vorentscheidung angeführten Gründe rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die überfüllung der Bahnen in der Zeit des Berufsverkehrs ist zwar richtig, dieser Umstand ist aber nicht geeignet, deshalb den Kraftwagenkosten den Charakter als Werbungskosten zuzubilligen. Diese Unbequemlichkeiten, die zudem nur einen Teil der Benutzer trifft, muß jeder nicht nur der Arbeitnehmer, bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Kauf nehmen. Es kann bei der hier zu entscheidenden Frage der Abgrenzung von Lebenshaltungs- und beruflichen Kosten nicht maßgeblich darauf ankommen, ob gelegentlich in einer mehr oder weniger bequemen Weise ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt werden kann, sondern darauf, ob es zeitlich geeignet und seinem Zustand nach so gestaltet ist, daß seine Benutzung nicht als unbillig bezeichnet werden kann. Im Streitfall besteht bei den benutzbaren Vorortbahnen und für die für den Stpfl. in Betracht kommenden Zeiten eine solche Zugfolge, daß lange Wartezeiten ausscheiden. Auch ein Fußweg von 20 bis 35 Minuten ist nichts Außergewöhnliches; zahlreiche Arbeitnehmer einer Großstadt müssen einen solchen zurücklegen, auch bei schlechtem Wetter, ohne daß er eine Zubilligung von Fahrkosten mit Erfolg rechtfertigen könnte; ein solcher Fußweg muß ihm selbst dann zugemutet werden, wenn ihm für diese Strecke kein öffentliches Verkehrsmittel zur Verfügung steht. Auch die Zeit von je 1 1/2 Stunden für Hin- und Rückfahrt fällt nicht so aus dem Rahmen des üblichen, daß eine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung angebracht wäre. In Großstädten sind derartige Zeiten sehr häufig; wer z. B. von der mittleren und äußeren Stadtgrenze von K nach K - D fahren muß, wird regelmäßig die gleiche Zeit aufwenden müssen.

Die zwei weiteren vom Finanzgericht angeführten Gesichtspunkte - Vermassung und Leistungssteigerung - führen im Ergebnis zu einer nicht mehr nachprüfbaren Verwischung zwischen Lebenshaltungs- und Werbungskosten. Wenn alles, was diese Ziele einschränken (Vermassung) oder fördern (Leistungssteigerung) soll, als Begründung für die Annahme von Werbungskosten dienen soll, dann müßten auch alle Kosten für bessere Lebenshaltung, Erholungskosten usw. zum Abzug zugelassen werden. Mit diesen Erwägungen soll nichts gegen die moderne Entwicklung des Kraftfahrwesens und die Ausnutzung der technischen Errungenschaften gesagt werden; der Senat hat selbst dieser Entwicklung Rechnung getragen (siehe Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 432/51 vom 21. August 1952, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 III S. 268, Steuerrechtskartei, EStG § 9 Ziff. 4 Rechtsspr. 1 und das im Betrieb 1952 S. 1074 bekanntgegebene Urteil des Senats IV 93/52 vom 6. November 1952). Bei der Frage, ob Lebenshaltungs- oder Werbungskosten vorliegen, kann aber an der Tatsache nicht vorbeigegangen werden, daß sich für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur die Arbeitnehmer einen Kraftwagen halten können, die wirtschaftlich in der Lage sind. Das Finanzamt weist mit Recht auf die bei Anerkennung der Kraftfahrkosten entstehende ungleichmäßige Behandlung der Stpfl. hin; es würde auch der Allgemeinheit schwerlich verständlich erscheinen, wenn nur denen, die wirtschaftlich zu einer Kraftwagenhaltung in der Lage sind, die dadurch bedingten Ausgaben zum Abzug zugelassen würden. Hieraus muß, jedenfalls derzeit, noch geschlossen werden, daß der Gesichtspunkt der Lebenshaltung im Vordergrund steht. Nach der Struktur des heutigen Wirtschaftslebens ist der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, bei dem Arbeitnehmerkreis ist der Prozentsatz noch höher.

Aus dem Beruf des Stpfl. ergeben sich keine Umstände, die es rechtfertigten, für ihn eine Ausnahme zu machen, wie es der Reichsfinanzhof z. B. für einen Opernsänger (Entscheidung des Reichsfinanzhofs II A 764/35 vom 13. November 1935, RStBl 1936 S. 202, Mrozek-Kartei, EStG 1934 § 9 Satz 1 und 2 Rechtsspr. 29), für den leitenden Arzt eines Krankenhauses (Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 416/35 vom 26. Juni 1935, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1935 Nr. 525, Grundwerk zur Steuerrechtsprechung in Karteiform - GW-StRK - II 321), oder einen Verkaufsdirektor (Entscheidung des Reichsfinanzhofs A 274/36 vom 6. Mai 1935, RStBl 1936 S. 836, Mrozek-Kartei, EStG 1934 § 9 Ziff. 4 Rechtsspr. 7) zugelassen hat. Daß etwa die Höhe der Bezüge des Stpfl. durch das Halten des Kraftwagens in irgendeiner Weise beeinflußt sei, ist nicht dargetan. Es ist ferner kein greifbarer Anhalt für die behauptete Leistungssteigerung vorhanden. Auch irgendeine körperliche Behinderung besteht bei dem Stpfl. nicht. Die Kraftwagenhaltung des Stpfl. gehört deshalb zu der persönlichen Lebenshaltung; infolge seines Familienstandes (Kinderlos verwitwet), des offenbar geringen Wohnungsaufwandes und der Höhe seines Arbeitslohnes ist er in der Lage, sich einen Kraftwagen zu halten, dessen Anschaffung, wie aus dem Lohnsteuerermäßigungsantrag für 1951 hervorgeht, nicht zuletzt auch durch den Krankheitszustand seiner damals noch lebenden Ehefrau veranlaßt sein dürfte. Wenn es nach den Darlegungen des Vorstehers des Finanzamts zutrifft, daß bei dem hier in Betracht kommenden Arbeitnehmerkreis der Stpfl. der einzige ist, der für Fahrten zur Arbeitsstätte kein öffentliches Verkehrsmittel benutzt, so zeigt dies besonders deutlich, daß praktisch von einer allgemein üblichen Benutzung von Kraftwagen für Arbeitnehmer für diese Zwecke und die im Streitfall vorliegenden Verhältnisse nicht gesprochen werden kann. Weder tatsächliche noch rechtliche Gründe lassen es daher geboten erscheinen, von dem Grundsatz abzuweichen, daß nur die Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel als notwendig anzusehen sind. Diese bleiben nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Finanzamts zusammen mit den übrigen Werbungskosten unter dem hierfür allgemein vorgesehenen Pauschsatz. Bei dieser Sachlage bedarf es keines Eingehens auf die Höhe der geltend gemachten Kraftfahrkosten.

Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung vom 23. Juli 1952 als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407673

BStBl III 1953, 197

BFHE 1954, 510

BFHE 57, 510

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