Entscheidungsstichwort (Thema)

§ 3 Abs. 7 UStG 1973 als Fiktion der Lieferung, des Lieferungszeitpunktes und des Lieferungsortes - Absichten des Gesetzgebers bei Gesetzesauslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Durch § 3 Abs.7 UStG 1973 wird für eine Beförderungs- bzw. Versendungslieferung das Vorliegen der Lieferung als solche, der Lieferungszeitpunkt sowie --i.V.m. § 3 Abs.6 UStG 1973-- der Lieferungsort kraft gesetzlicher Fiktion bestimmt.

 

Orientierungssatz

Die Berücksichtigung etwaiger Absichten des historischen Gesetzgebers bei der Auslegung einer Vorschrift setzt voraus, daß diese im gesetzlichen Tatbestand ihren Niederschlag gefunden haben. Dies gebietet die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung.

 

Normenkette

UStG 1973 § 3 Abs. 1, 6-7, § 15 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 447; EWGRL 388/77 Art. 8 Abs. 1 Buchst. a

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 25.07.1990; Aktenzeichen 3 K 3191/86)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, begehrt in Höhe von 109 802,45 DM den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 aus einer Rechnung der E-GmbH, mit der diese die Lieferung verschiedener medizinischer Geräte an die Klägerin abrechnete. Die --zwischenzeitlich in Konkurs gefallene-- E-GmbH stellte elektronische Fieber- und Blutdruckmeßgeräte her. Mit dem Vertrieb war die R-KG betraut, die ihrerseits sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Liefervertrag mit der E-GmbH an die Klägerin abgetreten hatte.

Am 22.Januar 1979 beauftragte die E-GmbH die Spedition S mit der Auslieferung von elektronischen Meßgeräten im Werte von 915 020 DM an die Klägerin, und zwar an deren angebliches Auslieferungslager in X. Die S schloß im Auftrag und zugunsten der E-GmbH eine Transport- und Lagerversicherung ab, mit der auch das Risiko des Diebstahls oder des sonstigen Abhandenkommens abgedeckt wurde. Am 24.Januar 1979 gelangte die Sendung über die S bei der Spedition H an. Zu einer Auslieferung an die Klägerin kam es jedoch nicht; der von der H beauftragte Spediteur lud die Waren in dem nur aus einem Leerraum bestehenden Auslieferungslager in X nicht aus, weil er dort niemanden antraf. Im Hinblick auf den weiteren Verbleib dieser Warensendung wurde im Strafverfahren gegen den Komplementär der Klägerin durch die Staatsanwaltschaft festgestellt, daß am 9.Februar 1979 zwei zunächst unbekannte Männer die gesamte Sendung bei der Spedition abgeholt hatten, indem sie vortäuschten, Monteure der Klägerin zu sein. Die E-GmbH machte den Verlust der Warensendung bei der Versicherung geltend und erhob, nachdem diese die Schadensregulierung verweigerte, Zahlungsklage. Die Klägerin ging von einem Diebstahl aus und erstattete Anzeige. Wie sich im Zuge des Strafermittlungsverfahrens jedoch herausstellte, waren die beiden Männer von dem persönlich haftenden Gesellschafter der R-KG beauftragt worden, die Entwendung der Waren vorzutäuschen, um die Versicherungsleistung zu erlangen. Die entwendeten Waren konnten später von der Polizei sichergestellt werden und wurden aufgrund amtsrichterlichen Beschlusses vom 29.April 1980 mit Zustimmung der Klägerin an die E-GmbH bzw. deren Konkursverwalter herausgegeben, da --so die Klägerin-- sich die Geräte nach dem Konkursfall der E-GmbH nicht mehr regulär verkaufen ließen, u.a., weil die notwendige Nachlieferung von Ersatzteilen nicht mehr gewährleistet war. Die Klägerin hat aufgrund einer Vereinbarung mit der E-GmbH an diese (nur) die rechnungsmäßig ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe eines Teilbetrags von 90 000 DM gezahlt; dieser Betrag sollte ggf. mit später doch noch eingehenden Versicherungsleistungen verrechnet werden.

Im Anschluß an eine Außenprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) der Klägerin u.a. den Vorsteuerabzug aus der Lieferung, weil die Waren nicht in die Verfügungsmacht der Klägerin gelangt seien und außerdem die Rechnung der E-GmbH vom 22.Januar 1979 gefälscht sei. Dementsprechend wurde die Umsatzsteuer durch geänderten Bescheid vom 16.April 1985 auf 6 661 DM festgesetzt.

Die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 355 und Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1992, 16 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der §§ 15, 13 und 3 UStG 1973.

Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer 1979 unter Änderung des Bescheides vom 16.April 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.Juli 1986 auf ./. 103 143,95 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1973 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1973 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt im Streitfall u.a. davon ab, ob die Lieferung der medizinischen Geräte durch die E-GmbH an die Klägerin ausgeführt worden ist. Denn ausgeführt ist eine Lieferung regelmäßig erst dann, wenn der Abnehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter befähigt ist, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen, wenn er also die Verfügungsmacht über den Gegenstand der Lieferung erlangt hat (§ 3 Abs.1 UStG 1973). Daran fehlt es hier. Die E-GmbH hat die Warenlieferung nicht der Klägerin oder einem von dieser beauftragten Dritten, sondern der selbständigen Spedition S übergeben, damit diese die Waren an die Klägerin als Abnehmerin befördert und sie dieser aushändigt. Es handelt sich folglich um eine Versendungslieferung i.S. des § 3 Abs.7 Satz 2 UStG 1973 (*= § 3 Abs.7 Satz 4 UStG 1980/ 1991). Nach der Regelung in § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 (*= § 3 Abs.7 Satz 3 UStG 1980/1991) gilt eine solche Lieferung zwar mit der Übergabe des Gegenstandes an den Beauftragten als ausgeführt. Wie diese Gesetzesfiktion zu verstehen ist, ist indes umstritten.

Ein Teil der Literatur, dem sich die Vorinstanz angeschlossen hat, läßt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Abs.1 UStG 1973 auch bei Versendungslieferungen unberührt; § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 enthalte insoweit (ebenso wie für Beförderungslieferungen) nicht die Fiktion einer Lieferung. Die Vorschrift sei vielmehr im Zusammenhang mit § 3 Abs.6 UStG 1973 zu verstehen und bestimme insoweit kraft Fiktion lediglich den Lieferungsort für den Fall, daß die Lieferung tatsächlich zustandekomme, der empfangende Unternehmer den Lieferungsgegenstand also nach § 3 Abs.1 UStG 1973 tatsächlich erhält. Fehle es hieran aber, wie im Streitfall, liege ungeachtet des § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 keine Lieferung vor. Diese, den Wortlaut des § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 einschränkende Auffassung wird --mit unterschiedlicher Begründung-- beispielsweise vertreten von Schön (Steuer- und Wirtschaft --StuW-- 1986, 385, 388 ff.), Ammann (UR 1987, 285), Nieskens (UR 1990, 1), Tehler (Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1991, 359), Reiß (Umsatzsteuerrecht 1990, 38), derselbe in Tipke/Lang (Steuerrecht, 13.Aufl. S.550), Bunjes/Geist (Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 3.Aufl., § 3 Anm.17), Bülow in Vogel/Reinisch/Hoffmann/ Schwarz (Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 3 Rdnr.164), Stadie (Das Recht des Vorsteuerabzugs, S.142) und --offenbar-- von Weiß (UR 1992, 15 f.; vgl. auch für den Sonderfall der Versendungslieferung über die Grenze Abschn.199 Abs.11 und 12 der Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR-- 1988/1992 sowie Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 25.April 1991 III ZR 74/90, BGHZ 114, 248, UR 1992, 18). Ein anderer Teil der Literatur ist demgegenüber der Meinung, die Fiktion in § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 beziehe sich auf die Lieferung als solche. Substituiert werde sonach die nach § 3 Abs.1 UStG 1973 erforderliche Verschaffung der Verfügungsmacht auch für den Fall, daß der versendete (bzw. beförderte) Gegenstand den Abnehmer tatsächlich nicht erreicht habe, etwa weil der Gegenstand bei der Versendung (bzw. Beförderung) untergegangen oder vom Abnehmer nicht abgenommen worden sei. Dieser Auffassung sind z.B. Hartmann/Metzenmacher (Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 7.Aufl., § 3 Rdnr.45 ff.), Widmann in (Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft --DStJG-- 13 --1990-- 119 ff., 128 f.), Lippross (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1992, 566), Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist (Umsatzsteuergesetz, Mehrwertsteuer, Kommentar, 6.Aufl., § 3 Anm.448 ff.), Birkenfeld (Das große Umsatzsteuer-Handbuch, I Rdnr.887 ff.), Vahrenkamp (in Schüle/Teske/Wendt, Kommentar zur Umsatzsteuer, § 3 Abs.7 UStG 1980 Tz.13), Dziadkowski (Umsatzsteuer, 3.Aufl. 1990, S. 70, 72) und Völkel/Karg (ABC-Führer Umsatzsteuer, Stichwort "Verschaffung der Verfügungsmacht" Tz.15 f.).

2. Der erkennende Senat schließt sich dieser letzteren Auffassung an. Bei Beförderungs- und Versendungslieferungen kann abweichend von der Regelung in § 3 Abs.1 UStG 1973 ausnahmsweise darauf verzichtet werden, daß der Abnehmer an dem gelieferten Gegenstand tatsächlich Verfügungsmacht erlangt. Die Vorinstanz hat deshalb unrichtig entschieden.

a) Dafür spricht zunächst der Wortlaut des § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973.

Versendet der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten, so "gilt" die Lieferung nach § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 mit der Übergabe des Gegenstandes an den Beauftragten als ausgeführt. In gleicher Weise "gilt" die Lieferung nach § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 mit dem Beginn der Beförderung als ausgeführt, wenn der Unternehmer den Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten befördert. Dem Wortlaut dieser Regelung nach wird damit zwar nur der Lieferungszeitpunkt bei Beförderungs- und Versendungslieferungen auf den Beginn der Beförderung bzw. auf die Übergabe des Lieferungsgegenstandes an den mit der Beförderung Beauftragten vorverlagert (s. auch Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, a.a.O., § 3 Anm.450, 451.2). § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 verknüpft diese zeitliche Festlegung jedoch mit der Fiktion der Lieferungsausführung und damit mit den entsprechenden Regelungen in § 3 Abs.6 UStG 1973 über die Bestimmung des Lieferungsortes und --mittelbar-- in § 3 Abs.1 UStG 1973 über den Lieferungsbegriff. Denn nach § 3 Abs.6 UStG 1973 wird eine Lieferung dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet. Die Verschaffung der Verfügungsmacht wiederum ist nach § 3 Abs.1 UStG 1973 regelmäßig Voraussetzung dafür, daß überhaupt eine umsatzsteuerbare Lieferung vorliegt. § 3 Abs.6 UStG 1973 greift also, um den Lieferungsort zu bestimmen, die Verschaffung der Verfügungsmacht über den Lieferungsgegenstand als das umsatzsteuerlich maßgebliche Verhalten zur Ausführung der Lieferung auf. Indem nun nach § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 die Lieferung bei Versendungen --zeitlich-- bei Übergabe der Ware an den Spediteur (bzw. bei Beförderungen mit dem Beginn der Beförderung) "als ausgeführt gilt", wird --mittelbar über die Regelung in § 3 Abs.6 UStG 1973-- ebenfalls der Lieferungsort festgelegt, zugleich aber --denknotwendig und zwangsläufig als Folge der gesetzessystematischen und -terminologischen Verknüpfung in § 3 Abs.1 und 6 UStG 1973 (s. Giesberts in Rau/Dürrwächter/ Flick/Geist, a.a.O., § 3 Anm.451.1)-- die Verschaffung der Verfügungsmacht zur Ausführung der Lieferung durch die Übergabe des Lieferungsgegenstandes an den Beauftragten (bzw. durch den Beginn der Beförderung) kraft gesetzlicher Fiktion ersetzt.

b) Dafür, daß § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 lediglich als sondergesetzliche Ausnahmeregelung zu § 3 Abs.6, nicht aber zu § 3 Abs.1 UStG 1973 fungiert, ist demgegenüber nichts ersichtlich. Die Beförderungs- bzw. Versendungslieferung gilt allgemein und nicht lediglich "i.S. des § 3 Abs.6 UStG 1973" als ausgeführt. Die Regelungen enthalten ihrem Wortlaut nach auch keinen Hinweis darauf, daß die Bedeutung der Fiktion auf die Bestimmung des Lieferungsortes beschränkt ist, etwa dergestalt, daß die Beförderungs- oder Versendungslieferung dort als ausgeführt gilt, wo sich der Gegenstand bei Beginn der Beförderung oder bei seiner Übergabe an den Spediteur befindet. Angesichts dessen läßt sich ein anderes Verständnis nicht allein aus der rechtssystematischen Stellung des § 3 Abs.7 UStG 1973 im Anschluß an § 3 Abs.6 UStG 1973 ableiten (so aber z.B. Bülow in Vogel/ Reinisch/Hoffmann/Schwarz, a.a.O., § 3 Rdnr.164), und zwar um so weniger, als die in § 3 UStG 1973 erfaßten Tatbestände erkennbar nicht auf einem durchgängigen Regelungskonzept beruhen. Sie enthalten voneinander unabhängige Einzelvorschriften zur Bestimmung der Lieferung und sonstigen Leistung, des Lieferungsortes und des Lieferungszeitpunktes (s.a. Lippross, DStR 1992, 566, 567).

Überdies findet der Begriff der Ausführung einer Lieferung an verschiedener Stelle in weiteren Vorschriften des UStG Verwendung. Beispielsweise ist nach § 13 Abs.1 Nr.1 Buchst.a Satz 1 UStG 1973 die Entstehung der Umsatzsteuer für Lieferungen und sonstige Leistungen von der Ausführung der Leistungen und nach § 1 Abs.1 Satz 1 UStG 1973 die Steuerbarkeit der Leistungen von deren Ausführung durch einen Unternehmer abhängig. In gleicher Weise setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs.1 UStG 1973, wie aufgezeigt, voraus, daß die Vorlieferungen an den empfangenden Unternehmer "ausgeführt worden sind". Daß dem Begriff der Ausführung einer Lieferung in § 3 Abs.6 und 7 UStG 1973 ein von diesen Vorschriften abweichender Bedeutungsinhalt zu unterstellen wäre, ist nicht erkennbar.

c) Art.8 Abs.1 a der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer (6.EG-Richtlinie) vom 17.Mai 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1977, L 145 S.1) gebietet nichts anderes. Danach gilt allerdings als "Ort der Lieferung" (so auch die Überschrift der Regelung) bei Versendungslieferungen der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung befindet. Die Merkmale für das Vorliegen einer Lieferung, insbesondere die "Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen" (vgl. Art.5 Abs.1 der 6.EG-Richtlinie), bleibt hingegen unberührt. Art.8 Abs.1 a der 6.EG-Richtlinie weicht aber damit von der Regelung in § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 ab: Wird dort der Lieferungsort fingiert, bezieht sich die Fiktion hier auf den Vorgang der Lieferungsausführung, also die Art und Weise, in der die Lieferung zu erbringen ist. Bereits diese grundlegenden Regelungsunterschiede lassen es nach Ansicht des Senats nicht zu, Art.8 Abs.1 a der 6.EG-Richtlinie als Maßstab für das Verständnis der nationalen Regelungen in § 3 Abs.7 UStG 1973 heranzuziehen (ebenso Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, a.a.O., § 3 Anm.451.6; Tehler, UVR 1991, 359, 361). Daß § 3 Abs.7 UStG 1973 demgegenüber in den amtlichen Verlautbarungen zur Entstehung der Vorschrift als Zeit- und Ortsbestimmung bezeichnet worden ist (vgl. BTDrucks V/1581, S.11), widerspricht dem nicht. Die Berücksichtigung etwaiger Absichten des historischen Gesetzgebers setzt voraus, daß diese im gesetzlichen Tatbestand ihren Niederschlag gefunden haben. Dies gebietet die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung. Sollte dem Gesetzgeber deshalb, wie das FG vertritt, tatsächlich daran gelegen gewesen sein, auch in § 3 Abs.7 UStG 1973 nur den Ort der Beförderungs- und Versendungslieferungen festzulegen, hätte die Vorschrift anders gefaßt werden müssen.

d) Ein auf die Bestimmung des Lieferungsortes reduziertes Verständnis der Lieferungsfiktion in § 3 Abs.7 UStG 1973 folgt schließlich nicht aus der Systematik des Lieferungsrechts in § 3 Abs.1 bis 8 i.V.m. § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1973. Ist die Gefahr des zufälligen Untergangs der verkauften Sache bei einer Versendungslieferung --in Einklang mit der entsprechend bürgerlich- rechtlichen Bestimmung in § 447 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)-- im Zeitpunkt der Aushändigung der Sache an den Beförderungsunternehmer auf den Käufer übergegangen, so behält der Verkäufer seinen Entgeltsanspruch. Würde man hier nach wie vor auf die Verschaffung der Verfügungsmacht an dem Gegenstand abstellen, um eine steuerbare Lieferung anzunehmen, läge --trotz Entgelt-- kein steuerbarer Tatbestand vor. Die Lieferungsfiktion in § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 wirkt dem entgegen (zutreffend Giesbert in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, a.a.O., § 3 Anm.450; Lippross, DStR 1992, 566, 569 f.; Birkenfeld, a.a.O., I Rdnr.890; Widmann, DStJG 13 --1990--, 119 ff., 129). Aber auch wenn es sich im Einzelfall anders verhält und die Gefahr des Untergangs des Gegenstandes beim Verkäufer verblieben ist, löst die Lieferungsfiktion keine ungerechtfertigte Umsatzsteuerpflicht aus, weil der Verkäufer dann gemäß § 323 BGB den Entgeltsanspruch verliert. Damit aber entfällt auch die Umsatzsteuerpflicht; die --nach der Fiktion des § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 bewirkte-- Leistung ist mangels Entgelts nicht steuerbar (§ 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1973; vgl. auch Giesberts, ebenda; Lippross, DStR 1992, 566, 570). Die dem Wortlaut folgende Auslegung des § 3 Abs.7 Satz 1 UStG 1973 führt also zu sachgerechten Ergebnissen. Sie entspricht in den weitaus überwiegenden Fällen des Versendungskaufs der Zivilrechtslage.

e) Die Frage, ob der Vorschrift hiervon abweichend in Fällen der Einfuhr in das Erhebungsgebiet hinsichtlich des Abzugs der Einfuhrumsatzsteuer dennoch eine andere Bedeutung beizumessen ist (so Abschn.199 Abs.11 und 12 UStR 1988/1992; BGH in BGHZ 114, 248, UR 1992, 8; s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.April 1980 V R 52/73, BFHE 130, 564, BStBl II 1980, 615), braucht nicht entschieden zu werden.

3. Die Vorinstanz hat eine andere Rechtsmeinung vertreten. Ihre Entscheidung ist deshalb aufzuheben.

Dem erkennenden Senat ist allerdings versagt, in der Sache selbst zu entscheiden. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat --von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht-- keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin in die betrügerischen Machenschaften der R-KG einbezogen gewesen ist. Sollte dies der Fall sein und infolgedessen ein Scheingeschäft (vgl. § 117 BGB, § 41 der Abgabenordnung --AO 1977--) zugrunde liegen, wäre der Vorsteuerabzug zu versagen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10.Februar 1988 X R 16/82, BFHE 153, 150, BStBl II 1988, 640). Diese Konsequenz ergäbe sich im Ergebnis auch, wenn --wie das FA in der Vorinstanz vermutet hat-- die seitens der E-GmbH ausgestellte Rechnung gefälscht wäre oder wenn die E-GmbH tatsächlich noch im Streitjahr auf den Entgeltsanspruch verzichtet hätte. Das FG wird die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64714

BFH/NV 1993, 57

BStBl II 1993, 731

BFHE 171, 132

BFHE 1994, 132

BB 1993, 1512 (L)

DB 1993, 1858-1860 (LT)

DStZ 1993, 572 (KT)

HFR 1993, 586 (KT)

StE 1993, 394 (K)

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