Entscheidungsstichwort (Thema)

"Ähnlicher Beruf" i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG

 

Leitsatz (NV)

Die Annahme einer dem Ingenieur ähnlichen Tätigkeit setzt fundierte natur- und technikwissenschaftliche Kenntnisse voraus. Diese können auch durch Selbststudium oder in Fernkursen erworben sein.

Der dem Steuerpflichtigen obliegende Nachweis einer entsprechenden Ausbildung kann als erbracht angesehen werden, wenn seine berufliche Tätigkeit an sich schon so geartet ist, daß sie ohne wissenschaftliche Grundlage nicht ausgeübt werden könnte.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist gelernter Maschinenschlosser. Nach Abschluß der Lehrzeit war er mehrere Jahre in einer Maschinenfabrik als technischer Zeichner und als Konstrukteur beschäftigt. Im Rahmen einer Begabtenförderung besuchte er einen Vorbereitungskurs für ein Ingenieurstudium, das er allerdings nicht antrat. Darüber hinaus absolvierte der Kläger nach eigenen Angaben einen Fernstudienkurs der ehemaligen ,,Deutschen Arbeitsfront", verschiedene Kurse am Fernlehrinstitut Dr. C. und einige Kurse bei Dipl.-Ing. K. Einige Zeit war der Kläger auch als selbständiger Maschinenbauer tätig. Er entwickelte und baute u. a. eine Handbandsäge für Zimmereibetriebe, Sägeblattautomaten für die holzverarbeitende Industrie und Dunstabsaug- und Dunstscheidegeräte. Seit 1965 war er als ,,freier Mitarbeiter" nahezu ausschließlich für die Firma H - einen Spezialbetrieb für lufttechnische Anlagen - und in geringem Umfang auch für andere Auftraggeber tätig. Seine Tätigkeit bei der Firma H umfaßte hauptsächlich die Lösung besonderer technischer Probleme, die Projektierung und Konstruktion verschiedenartiger Geräte und Anlagen, wie z. B. einer Wasserstandsregulierung, einer pneumatischen Anlage und von Absauganlagen. Die konstruktiven und zeichnerischen Arbeiten führte der Kläger in eigenen Räumen aus. In Einzelfällen stellte er im Betrieb der Firma H Prototypen her und montierte diese probehalber bei den Kunden. Die Endmontage übernahm der Kläger nur in solchen Fällen, die von Monteuren der Firma H nicht bewältigt werden konnten.

Für die Jahre 1971 bis 1975 schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen die Besteuerungsgrundlagen und ging zunächst von einer freiberuflichen Tätigkeit des Klägers aus. Im Anschluß an eine Außenprüfung bei der Firma H vertrat das FA die Auffassung, daß die Tätigkeit des Klägers als gewerblich zu beurteilen sei. Hiervon ausgehend, setzte das FA mit Bescheid vom 11. Mai 1978 für das Jahr 1976 einen entsprechenden Gewerbesteuermeßbetrag fest. Für die Jahre 1971 bis 1975 verfuhr das FA mit Bescheiden vom 20. Februar 1979 in gleicher Weise. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Mit den Klagen machte der Kläger geltend, daß er einen dem Ingenieur ähnlichen Beruf ausübe.

Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen statt. Es begründete seine Entscheidungen im wesentlichen wie folgt: Der Kläger sei freiberuflich tätig gewesen. Seine Tätigkeit müsse als eine dem Ingenieur ähnliche beurteilt werden. Der Kläger sei zwar weder Ingenieur i. S. der Ingenieurgesetze, noch entspreche seine Ausbildung der eines Ingenieurs. Der Nachweis einer entsprechenden Ausbildung erübrige sich im Streitfall aber ausnahmsweise, weil die Tätigkeit des Klägers so geartet sei, daß sie ohne wissenschaftliche und theoretische Grundlagen, wie sie eine Ingenieurausbildung oder eine ihr entsprechende Ausbildung vermittle, nicht ausgeübt werden könnte. Dafür spreche die Verschiedenartigkeit der vom Kläger entwickelten Maschinen, Geräte und Anlagen, sowie das qualifizierte Arbeitsgebiet des Klägers bei der Firma H. Der ingenieurmäßige Charakter der Tätigkeit des Klägers sei nach den vorgelegten mathematischen Berechnungen, Plänen und Konstruktionszeichnungen so offenkundig, daß eine solche Beurteilung auch ohne berufsspezifisches Fachwissen vorgenommen werden könne. Die Erörterung des Streitfalls in der mündlichen Verhandlung habe klargestellt, daß die Tätigkeiten des Klägers nach Art, Umfang und Schwierigkeitsgrad normalerweise von Ingenieuren verrichtet würden. Deshalb erübrige sich auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Umstand, daß der Kläger in einigen Fällen selbst den Bau von Prototypen und deren probeweise Montage übernommen und auch sonst am Bau der Apparate im Betrieb der Firma H manuell mitgearbeitet habe, stehe der Beurteilung der Gesamttätigkeit als freiberuflich nicht entgegen, da es sich insoweit lediglich um eine sinnvolle Ergänzung der planerischen Arbeiten handele.

Hiergegen wendet sich das FA mit den vom FG zugelassenen Revisionen. Es rügt die Verletzung materiellen Rechts sowie Verfahrensverstöße bei der Feststellung des Sachverhalts.

Die Tätigkeit des Klägers sei nicht der eines Ingenieurs ähnlich. Bei Anlegen des gebotenen strengen Maßstabs sei diese nicht so geartet, daß sie nicht ohne entsprechende theoretische Grundlagen einer wissenschaftlichen Ausbildung ausgeübt werden könnte. Der Kläger sei in erheblichem Umfang manuell tätig geworden, was für die Tätigkeit eines Ingenieurs untypisch sei. Zu dem Umfang der handwerklichen Tätigkeiten habe das FG keine Feststellungen getroffen. Das FG habe, da es seine eigene technische Sachkenntnis verneine, ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht die Frage entscheiden dürfen, ob die von dem Kläger vorgelegten Arbeitsunterlagen erkennen lassen, daß sie auf einer, der Ausbildung eines Ingenieurs entsprechenden fachtheoretischen, wissenschaftlichen Grundlage erarbeitet worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen, die der Senat gemäß § 73 Abs. 1 i. V. m. § 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat, führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG hat aufgrund der von ihm festgestellten und für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Tatsachen zutreffend entschieden, daß der Kläger in den Streitjahren seine Tätigkeit nicht unselbständig i. S. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgeübt hat.

2. Die für die Streitjahre festgestellten Tatsachen (§ 118 Abs. 2 FGO) reichen jedoch nicht aus, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Betätigung des Klägers als Gewerbebetrieb i. S. des § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes 1968 (GewStG 1968) i. V. m. § 1 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung 1968 (GewStDV 1968) oder als freiberufliche Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzusehen ist.

a) Das FG hat zu Recht verneint, daß der Kläger die Berufstätigkeit des Ingenieurs ausübte. Der Kläger ist nicht Ingenieur. Die selbständige Berufstätigkeit der Ingenieure i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG übt grundsätzlich nur aus, wer aufgrund der in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschriebenen Ausbildung ermächtigt ist, die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" zu führen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. August 1983 IV R 6/80, BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677). Dies trifft für den Kläger nicht zu, denn er hat nicht die vorgeschriebene Berufsausbildung als Ingenieur durchlaufen.

b) Die Tätigkeit des Klägers kann aber der eines Ingenieurs ähnlich sein (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

,,Ähnlich" im Sinne dieser Vorschrift ist eine Tätigkeit, wenn sie in ihrer Gesamtheit dem Bild eines Katalogberufs i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in allen seinen Merkmalen vergleichbar ist. Setzt der Vergleichsberuf eine qualifizierte Ausbildung voraus, muß bei dem ähnlichen Beruf auch die Ausbildung vergleichbar sein (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 1985 III R 175/80, BFHE 144, 413, BStBl II 1986, 15). Die Berufsausbildung des Ingenieurs setzt grundsätzlich ein abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium voraus. Es ist jedoch anerkannt, daß die Ausbildung in den ähnlichen Berufen auch in anderer Weise erlangt sein kann. Die Kenntnisse können z. B. durch Fernkurse oder durch Selbststudium erworben sein (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118). Dazu bedarf es jedoch einer substantiierten Darlegung der Art und Weise und des Inhalts dieses Studiums. Das FG hat insoweit zutreffend entschieden, daß diese Voraussetzungen für die Annahme einer freiberuflichen Tätigkeit im Streitfall nicht vorliegen.

c) Der Nachweis einer solchen Ausbildung ist nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118; vom 31. Juli 1980 I R 66/78, BFHE 132, 22, BStBl II 1981, 121) in Ausnahmefällen entbehrlich, wenn die berufliche Tätigkeit an sich schon so geartet ist, daß sie ohne theoretische Grundlage, wie sie eine der Berufsausbildung des Ingenieurs ähnliche Ausbildung vermittelt, gar nicht ausgeübt werden könnte. Dazu gehört, daß die Tätigkeit auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs besonders anspruchsvoll ist und eine gewisse fachliche Breite aufweist. Sie muß zumindest das Wissen des Kernbereichs eines Studiums an einer Fachhochschule voraussetzen. Soll von der Art der ausgeübten Tätigkeit auf den Kenntnisstand und die Qualifikation des Berufsausübenden geschlossen werden, muß sich diese Tätigkeit an der allgemeinen Aufgabenbeschreibung des Ingenieurs messen lassen. Aufgabe des Ingenieurs ist es, auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl., Stichwort ,,Ingenieur"). Eine Tätigkeit, die mehr handwerklich ausgerichtet ist und keine oder nur ganz gelegentlich natur- und technikwissenschaftliche Erkenntnisse voraussetzt, scheidet aus. Eine solche Tätigkeit entspricht eher der eines Technikers im engeren Sinne als der eines Ingenieurs (Meyers, a. a. O., und Molle, Wörterbuch der Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen, 2. Aufl. 1975, jeweils Stichwort ,,Techniker").

Das FG hat im Streitfall die Voraussetzungen für die Annahme des ingenieurmäßigen Charakters der Tätigkeit des Klägers zwar bejaht. Die Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um die Entscheidung zu stützen, daß seine Tätigkeit so geartet ist, daß sie ohne theoretische Grundlage, wie sie eine der Berufsausbildung des Ingenieurs ähnliche Ausbildung vermittelt, gar nicht ausgeübt werden konnte. Das FG hat festgestellt, daß der Kläger in den Streitjahren für die Firma H verschiedenartige Maschinen und Anlagen entworfen und konstruiert hat. Es hat aber keine Feststellungen dazu getroffen, warum die Ausführung dieser Arbeiten besondere, umfassende, wissenschaftliche Kenntnisse, die über die eines Technikers hinausgehen, erforderte.

Doch selbst wenn dies zutreffen sollte, fehlen Feststellungen zu der Frage, welche sonstigen Tätigkeiten - über die Konstruktion der genannten Maschinen und Anlagen hinaus - der Kläger in dem Zeitraum von 1971 bis 1976 bei der Firma H verrichtet hat. Es ist nicht auszuschließen, daß er, zeitlich gesehen, überwiegend - wie die Revision behauptet - handwerklich und damit insgesamt gewerblich tätig war.

d) Die Schlußfolgerung des FG, der Umstand, daß der Kläger auch selbst den Bau und die Montage der von der Firma H zu liefernden Anlagen übernommen hat, sei lediglich als eine sinnvolle Ergänzung der planerischen Arbeiten zu betrachten, ist ebenfalls nicht durch entsprechende tatsächliche Feststellungen gedeckt.

Diese Tätigkeiten sind jedenfalls für sich betrachtet als gewerblich zu beurteilen. Übt somit der Kläger Tätigkeiten aus, die ihrer Art nach teils als gewerblich, teils als (möglicherweise) freiberuflich angesehen werden müßten, sind die aus jeder Tätigkeit entspringenden Einkünfte nach Möglichkeit getrennt zu erfassen. Ist eine Trennung nicht möglich, so ist aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob die Gesamttätigkeit eine freiberufliche oder gewerbliche ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 1974 IV R 196/72, BFHE 111, 522, BStBl II 1974, 383). Die notwendigen Feststellungen hierzu wird das FG nachzuholen haben.

e) Da die Urteile bereits aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben und die Sachen an das FG zurückzuverweisen sind, kann dahinstehen, ob die vom FA gerügten Verfahrensfehler vorliegen. Der Senat ist indes der Auffassung, daß die Frage, ob die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunterlagen (Pläne, Konstruktionszeichnungen, mathematische Berechnungen) auf einer der Ausbildung eines Ingenieurs entsprechenden fachtheoretischen, wissenschaftlichen Grundlage erarbeitet worden sind, nicht ohne eigene Sachkunde entschieden werden kann. Er folgt dem FG nicht darin, daß sich diese Schlußfolgerung im Streitfall offenkundig auch ohne berufsspezifische Fachkenntnisse ziehen lasse. Zum einen sind hierzu tatsächliche Feststellungen nicht getroffen, zum anderen sieht sich der Senat selbst außerstande, diese Beurteilung anhand der vorliegenden Arbeitspapiere nachzuvollziehen. Zwar liegt die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Es kann davon absehen, wenn es sich selbst für sachkundig hält (BFH-Urteil vom 21. Februar 1980 V R 146/73, BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283). Verneint das FG aber seine eigene Sachkunde, muß es jedenfalls dann ein (beantragtes) Sachverständigengutachten einholen, wenn sich der Sachverhalt nicht aus der allgemeinen Lebenserfahrung heraus beurteilen läßt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422962

BFH/NV 1986, 603

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