Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen, die an eine Hinzuschätzung von Einkünften aufgrund einer Gesamtgeldverkehrsrechnung zu stellen sind.

 

Normenkette

AO § 217

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb ein Fuhrunternehmen und eine Fahrschule, außerdem bis 1959 eine Autovermietung. Er ermittelte den Gewinn durch Einnahmen-Überschußrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG). Außerdem bezog er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einem Mietwohngrundstück. Er wurde für die Jahre 1957 bis 1962 mit den erklärten Einkünften zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) vertrat nach einer Betriebsprüfung die Auffassung, daß der Kläger mit den erklärten Einkünften seinen Geldbedarf nicht habe bestreiten können, und daß daher entsprechende Hinzuschätzungen angebracht seien.

Der Fehlbedarf wurde den Gewinnen und Umsätzen hinzugeschätzt, wobei der Fehlbedarf 1957 bis 1959 zu je 11 600 DM auf die drei Jahre verteilt wurde. Es ergingen entsprechende Berichtigungsbescheide.

Der Einspruch blieb im wesentlichen erfolglos. Das FG wies die Klage ab, und zwar hinsichtlich der Einkommensteuer 1957 als unzulässig (mangels Beschwer), im übrigen aus folgenden Erwägungen als unbegründet: Das FA sei zur Schätzung befugt gewesen, unabhängig davon, ob die Buchführung des Klägers formell ordnungsmäßig gewesen sei. Die Geldverkehrsrechnung des FA belege die sachliche Unrichtigkeit der Buchführung.

Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe unter Verletzung des § 96 FGO die Richtigstellung der Geldrechnung in seiner Einspruchsbegründung nicht nachgeprüft.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Die Schätzungen des Betriebsprüfers und des FA sind entgegen der Auffassung des FG nicht rechtsfehlerfrei.

1. Der Betriebsprüfer, dessen Ausführungen das FA im wesentlichen gefolgt ist, hat seine Schätzung auf eine Geldverkehrsrechnung gestützt. Diese Verprobungs- und Schätzungsmethode ist eine Abwandlung der Vermögenszuwachsrechnung. Der IV. Senat des BFH hat ausgeführt, daß ein ungeklärter Vermögenszuwachs, der mit Hilfe einer Vermögenszuwachsrechnung ermittelt wird, auch bei formell ordnungsmäßiger Buchführung zu der Annahme berechtige, er stamme aus unversteuerten Einkünften (Urteile vom 3. August 1966 IV R 75, 152/66, BFHE 86, 736, BStBl III 1966, 650; vom 20. Oktober 1966 IV 142, 311/63, BFHE 87, 504, BStBl III 1967, 201; vom 13. November 1969 IV R 22/67, BFHE 97, 409, BStBl II 1970, 189). Die Prüfung kann sich bei fehlender Vermögensbildung oder überschaubaren Verhältnissen auf die Einnahmen- und Ausgabenvorgänge beschränken (BFH-Urteil IV 142, 311/63). Dann liegt eine sogenannte Geldverkehrsrechnung vor.

Die Geldverkehrsrechnung kann durchgeführt werden als Gesamtrechnung, die sich auf den betrieblichen und außerbetrieblichen Bereich erstreckt (Gesamtgeldverkehrsrechnung), oder als Teilrechnung, die sich auf den betrieblichen oder außerbetrieblichen Bereich beschränkt (Teilgeldverkehrsrechnung). Im Streitfall ist eine Gesamtgeldverkehrsrechnung erstellt worden. Ein Vorteil der Geldverkehrsrechnungen - in eingeschränkter oder uneingeschränkter Form - ist, daß, falls sie bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zu Fehlbeträgen und Gewinnzuschätzungen führen, für den Beginn des ersten Schätzungsjahres kein Wechsel der Gewinnermittlungsart anzunehmen ist und eine Gewinnkorrektur unterbleibt. Die Hinzuschätzungsbeträge sind Istbeträge. Zu Recht hat daher das FA im Streitfall - anders als nach Abschn. 19 Abs. 1 Satz 2 EStR 1956/57 bis 1972 - davon abgesehen, für 1957 eine Gewinnkorrektur vorzunehmen.

Indessen hätte das FG, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, seiner Entscheidung die vom FA angestellte Geldverkehrsrechnung nicht ohne Korrekturen zugrunde legen dürfen.

2. Der Grundgedanke der Geldverkehrsrechnung ist, daß ein Steuerpflichtiger während des Vergleichszeitraumes nicht mehr Geld ausgeben oder anlegen kann, als ihm aus Einkünften oder sonstigen Quellen zufließt. An eine Gesamtgeldverkehrsrechnung sind deshalb grundsätzlich die folgenden Anforderungen zu stellen. Die Rechnung muß den gesamten Geldverkehr des Steuerpflichtigen während des Vergleichszeitraums erfassen. Unter Geldverkehr sind nicht nur die Bargeldbewegungen zu verstehen, sondern auch die Bewegungen auf den Bank- und Postscheckkonten (Giroverkehr). Nicht hierher gehören aber Wechsel- und Scheckbegebungen, die noch keinen Zu- oder Abfluß bewirken. Vermögensveränderungen sind nur zu berücksichtigen, sofern sie mit einer Geldbewegung verbunden sind (Auszahlung oder Rückzahlung eines Darlehens, nicht hingegen der Erlaß eines Darlehens oder die Kursveränderung eines Wertpapiers). Die erklärten Einkünfte sind für Zwecke der Geldrechnung um Vermögensänderungen und steuerliche Ansätze zu bereinigen, die nicht die Geldrechnung beeinflussen. So sind der Eigenverbrauch und ein Mietwert der eigenen Wohnung wieder abzusetzen; andererseits sind AfA-Beträge und Steuerfreibeträge wieder hinzuzurechnen. Anschaffungs- oder Herstellungskosten sind im Ausmaß und im Zeitpunkt der Zahlung als Geldbedarf anzusetzen. Die betrieblichen und außerbetrieblichen Geldbestände und Guthaben zu Beginn und am Ende des Vergleichszeitraums müssen in die Rechnung einbezogen werden. Die Bestände zu Beginn des Vergleichszeitraums sind verfügbare Mittel. Die Bestände am Ende des Vergleichszeitraums sind hingegen wie Mittel anzusehen, die zur Vermögensbildung verwandt werden (Geldbedarf). Steuerfreie Einnahmen und Einnahmen außerhalb der Einkunftsarten sind zusätzlich verfügbare Mittel. Entnahmen und Einlagen bleiben - auch soweit es sich um Barentnahmen und Bareinlagen handelt - bei der Gesamtgeldverkehrsrechnung außer Ansatz. Im Zweifel muß auf den eingangs hervorgehobenen Grundgedanken dieser Rechnung zurückgegangen werden.

In vereinfachter Form ergibt sich hiernach folgender Aufbau der Gesamtgeldverkehrsrechnung:

I. Verfügbare Mittel:

a) Betriebliche und außerbetriebliche Geldbestände und Guthaben zu Beginn des Vergleichszeitraums,

b) erklärte Einkünfte (in Geldrechnung, d. h. bereinigt um Eigenverbrauch, Mietwert der eigenen Wohnung, AfA, Freibeträge usw., jeweils in der vom Steuerpflichtigen angesetzten oder geltend gemachten Höhe),

c) Gelder aus Schuldaufnahmen und Rückzahlungen von ausgeliehenen Geldern,

d) steuerfreie Einnahmen und Einnahmen außerhalb der Einkunftsarten (Renten, Erlöse aus dem Verkauf von nichtbetrieblichem Vermögen, Gelderbschaften und Geldschenkungen, Erstattungen nichtabzugsfähiger Steuern usw.).

II. Mittelverwendung (Geldbedarf) und Schlußbestände:

a) Privater Geldverbrauch (Lebenshaltung, tatsächlich gezahlte Sonderausgaben, Mietzinsen, nichtabzugsfähige Steuern, Aussteuern usw.),

b) Zahlungen auf nur verteilt oder gar nicht abzugsfähige Anschaffungs- oder Herstellungskosten (z. B. für die Anschaffung von betrieblichen und privaten Kraftfahrzeugen, nicht hingegen für die Anschaffung von Waren und geringwertigen Wirtschaftsgütern),

c) Ausleihungen und Rückzahlungen auf Schulden,

d) betriebliche und außerbetriebliche Geldbestände und Guthaben am Ende des Vergleichszeitraums.

Die Summe I a) bis d) muß bei zutreffenden Ansätzen gleich der Summe II a) bis d) sein. Übersteigt bei sonst zutreffenden Ansätzen die Summe II a) bis d) die Summe I a) bis d), so kann davon ausgegangen werden, daß die Einkünfte (Posten I b) zu niedrig erklärt worden sind.

Im Streitfall hat der Betriebsprüfer als Vergleichszeiträume den Dreijahreszeitraum 1957 bis 1959 und die drei Jahre 1960, 1961 und 1962 gewählt. Die Zusammenfassung mehrerer Jahre zu einem Vergleichszeitraum ist unbedenklich. Geldverkehrsrechnungen müssen sich - wie Vermögenszuwachsrechnungen - sowohl über kürzere als auch über längere Zeiträume ausgleichen.

3. Die Vorentscheidung entspricht zum Teil nicht den oben dargestellten Grundsätzen.

a) Für die Jahre 1960 bis 1962 muß sie aufgehoben werden, weil sie in sich unstimmige Gesamtgeldverkehrsrechnungen bestätigt. Der Betriebsprüfer hat es für diese Jahre ohne Begründung unterlassen, die Geldbestände und Guthaben zu Beginn und am Ende der drei Vergleichszeiträume anzusetzen (Schema I a, II d), obwohl er in Tz. 20 des Betriebsprüfungsberichts für Zwekke der Einheitsbewertung betriebliche Kassenbestände und Guthaben für die Stichtage 1. Januar 1960 bis 1. Januar 1963 anführt. Die Vergleichsrechnungen müssen in diesen Punkten unter Einbeziehung eventuell vorhandener außerbetrieblicher Geldbestände und Guthaben ergänzt werden.

b) Die Vorentscheidung muß auch für die Jahre 1957 bis 1959 aufgehoben werden. Zunächst ist zu bemerken, daß die Vergleichsrechnung trotz der Anführung eines Postens "Vermögensmehrung" eine Gesamtgeldverkehrsrechnung im Sinne des oben angegebenen Schemas geblieben ist. Der Posten "Vermögensmehrung" setzt sich zusammen aus einer Erhöhung des "Umlaufvermögens" von 567 DM auf 4 895 DM, aus einer Darlehnshingabe an R. von 10 000 DM, aus einer Verminderung der Betriebsschulden von 27 100 DM auf 2 864 DM und aus einer Verminderung der Privatschulden von 8 900 DM auf 5 000 DM. Diese Aufgliederung entspräche dem Rechnungsschema, wenn der Betriebsprüfer unter "Umlaufvermögen" die Kassenbestände und Guthaben verstanden hätte und wenn die Schuldenminderungen durch Zahlungen bewirkt worden wären. Dies trifft jedoch zum Teil nicht zu, wie sich bereits im Einspruchsverfahren erwiesen hat. Die Minderung der Privatschulden ergab sich nämlich daraus, daß einige dem Kläger nahestehende Privatgläubiger verstorben waren und der Kläger ohne Tilgung von den Rückzahlungsverpflichtungen befreit wurde. Die Rechnung des Betriebsprüfers weist noch einen zweiten Fehler auf. Sein "Umlaufvermögen" zum 1. Januar 1960 = 4 895 DM enthält (außer dem betrieblichen Kassenbestand und den betrieblichen Guthaben) Forderungen aus Leistungen von 4 695,90 DM. Dieser Betrag gehört nicht in die Geldverkehrsrechnung.

4. Die vom Kläger angegebenen Steuererstattungsbeträge, Versicherungsentschädigungen und sonstigen Einnahmen können nur dann zu einer Veränderung der Geldverkehrsrechnung führen, wenn es sich um Einnahmen außerhalb der Einkunftsarten handelt (Schema I d). Das war für die Grunderwerbsteuererstattung von 863 DM im Jahre 1958 zu bejahen. Im übrigen dürften Betriebseinnahmen vorliegen, die - soweit nicht schon in den erklärten Gewinnen enthalten - nicht in die Geldverkehrsrechnung einzustellen sind (Versicherungsentschädigungen für die Beschädigung betrieblicher Fahrzeuge, Erstattung von betrieblicher Kraftfahrzeugsteuer usw.). Die Prüfung im einzelnen bleibt dem FG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70972

BStBl II 1974, 591

BFHE 1974, 213

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