Entscheidungsstichwort (Thema)

(Freistellung vom Kapitalertragsteuerabzug nach § 44a Abs. 5 EStG: "Art der Geschäfte", Motive des Gesetzgebers, Verfassungsmäßigkeit, Anwendbarkeit bei Versicherungen und Verwertungsgesellschaften, keine Erweiterung durch Rechtsanalogie - Gleichheitssatz im Gesetzgebungsverfahren)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Zinsabschlag gemäß § 43 Abs. 1 EStG ist auch bei dem Gläubiger von Kapitalerträgen vorzunehmen, bei dem wegen hoher Verlustvorträge die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer auf Dauer höher wären als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer (sog. Überzahler). Eine solche Überzahlung beruht nicht auf der "Art seiner Geschäfte" i.S. von § 44a Abs. 5 EStG.

2. § 44a Abs. 5 EStG ist verfassungsgemäß.

 

Orientierungssatz

1. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll bei solchen Gläubigern gemäß § 44a Abs. 5 EStG vom Zinsabschlag Abstand genommen werden, bei denen die Überbesteuerung auf der Geschäftsstruktur beruht, wie z.B. Versicherungen und Verwertungsgesellschaften im Sinne des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes, die einerseits über große Wertpapierbestände verfügen, anderseits aufgrund der Art ihrer Geschäfte ihre Kapitalerträge größtenteils an ihre Kunden weitergeben. Im Streitfall bleibt offen, bei welchen Steuerpflichtigen die Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 EStG darüber hinaus erfüllt sein können.

2. Die Regelungen in § 44a Abs. 5 EStG sind abschließend, so daß andere als die dort bestimmten Steuerpflichtigen von der Freistellung des Zinsabschlags ausgeschlossen sind. Der Regelungsbereich kann in Ermangelung einer Gesetzeslücke auch nicht im Wege der Rechtsanalogie erweitert werden.

3. Steuererhebungstechnische Gründe können eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen rechtfertigen. Der Gesetzgeber muß nicht alle denkbaren Einzelfälle gleich behandeln, sondern darf von einem Gesamtbild ausgehen, das sich aus ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden. Entstehen dabei aber erhebliche Abweichungen vom Gleichheitssatz und betreffen sie nicht nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Personen, so ist Art. 3 Abs. 1 GG allenfalls dann nicht verletzt, wenn sich die eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeiden ließen. Hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (vgl. BVerfG-Rechtsprechung).

4. Bei Abzugssteuern muß der Gesetzgeber entscheiden, ob der dem mit solchen Steuern erstrebten Sicherungszweck oder dem materiell richtigen Steuerergebnis Vorrang einräumt. In § 44a EStG ist dem Sicherungszweck Vorrang eingeräumt worden. Dies rechtfertigt sich durch den mit der Erhebungsform einer Abzugssteuer verbundenen verwaltungstechnischen Vereinfachungseffekt. Die für den betroffenen Steuerpflichtigen eintretende vorübergehende Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Vermögenssituation muß hingenommen werden, unabhängig davon, daß dies in rechtspolitischer Hinsicht nicht überzeugt. Es ist nicht Sache der Rechtsprechung, sondern des Gesetzgebers, die gesetzlichen Vorgaben zu ändern.

5. Das Tatbestandsmerkmal "auf Grund der Art seiner Geschäfte" i.S. des § 44a Abs. 5 EStG ist jedenfalls nicht erfüllt, wenn die Überzahlung auf der jeweiligen Marktsituation beruht, also beispielsweise auf Gewinnlosigkeit, Preisverfall, Konkurs, schlechter Marktlage oder auf individualrechtlichen Gestaltungen, wie z.B. Gewinnabführungsverträgen, und wenn sich hieraus zeitweise keine Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer ergeben sollte (vgl. BFH-Rechtsprechung und Literatur).

 

Normenkette

EStG 1990 § 43 Abs. 1, § 44a Abs. 5; KStG 1991 § 49 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt die Organisation und Durchführung von Ausstellungen, Messen, Kongressen und Tagungen, die Planung und Durchführung von Freizeitprogrammen, Sport-, Unterhaltungs- und Kulturveranstaltungen. Sie erzielte nach einer langen Verlustperiode erstmals in 1992 Gewinne von ... Mio. DM und in 1993 von ... Mio. DM, die allerdings durch Verlustvorträge aus den Vorjahren im Umfang von mehr als ... Mio. DM ausgeglichen wurden. Die Klägerin beantragte deshalb, gemäß § 44a Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom Abzug der Kapitalertragsteuer freigestellt zu werden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte dies ab.

Beschwerde und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil der Steuerpflichtige nicht bei jeder Gewinnlosigkeit vom Abzug der Kapitalertragsteuer freizustellen sei, sondern nur in Sonderfällen bei von vornherein feststehender dauerhafter Überbesteuerung.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Freistellung gemäß § 44a Abs. 5 EStG zu erteilen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 44a Abs. 5 EStG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist bei Kapitalerträgen i.S. des § 43 Abs. 1 Nrn.7 und 8 EStG der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer bei ihm auf Grund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wären als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer. Auf dieses tatbestandliche Merkmal, daß die Zinsabschlagsteuer bei dem Gläubiger "auf Grund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher" wäre als die gesamte festzusetzende Körperschaftsteuer, kommt es im Streitfall an. Nach den Feststellungen des FG bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß dieses Merkmal erfüllt wäre.

a) Zwar ist nach den Feststellungen der Vorinstanz anzunehmen, daß gegen die Klägerin aufgrund der langjährigen Verlustperiode und der sich daraus ergebenden Verlustvorträge (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d EStG) auf längere Zeit eine niedrigere Körperschaftsteuer festzusetzen sein wird als die Zinsabschlagsteuer. Es ist aber bereits fraglich, daß der Zinsabschlag deshalb "auf Dauer" höher sein wird als die Körperschaftsteuer. Darunter ist ein zum Zeitpunkt der Beurteilung noch nicht feststehender und nicht absehbarer Zeitraum zu verstehen. Infolge der feststehenden Höhe des Verlustvolumens läßt sich bezweifeln, ob dies bei der Klägerin der Fall ist.

b) Vor allem aber beruht die Verlustsituation nach Lage der Dinge nicht auf der "Art" der von der Klägerin ausgeübten Geschäftstätigkeit und ist dieser wesensimmanent. Dies aber ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 44a Abs. 5 EStG und nach der Gesetzeskonzeption erforderlich. Danach sollte nur bei solchen Gläubigern vom Zinsabschlag Abstand genommen werden, bei denen die Überbesteuerung auf der Geschäftsstruktur beruht (vgl. die Gesetzesbegründung, BTDrucks 12/2501, S.20). Zu solchen Dauerüberzahlern gehören in erster Linie Versicherungen und Verwertungsgesellschaften im Sinne des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes, die einerseits über große Wertpapierbestände verfügen, die andererseits aufgrund der Art ihrer Geschäfte aber ihre Kapitalerträge größtenteils an ihre Kunden weitergeben (BTDrucks, ebd.).

Der erkennende Senat braucht der Frage, bei welchen Steuerpflichtigen die Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 EStG darüber hinaus erfüllt sein können (vgl. dazu Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, Rdnr.659 ff.), im Streitfall nicht nachzugehen. Das Tatbestandsmerkmal "auf Grund der Art seiner Geschäfte" ist jedenfalls nicht erfüllt, wenn die Überzahlung auf der jeweiligen Marktsituation beruht, also beispielsweise --wie bei der Klägerin-- auf Gewinnlosigkeit (und daraus folgenden steuerlichen Verlustvorträgen), auf Preisverfall, Konkurs, schlechter Marktlage, oder auf individualrechtlichen Gestaltungen, wie z.B. Gewinnabführungsverträgen, und wenn sich hieraus zeitweise keine Einkommen- oder Körperschaftsteuer ergeben sollte (einhellige Meinung, vgl. Senatsurteil vom 9. November 1994 I R 5/94, BFHE 176, 248, BStBl II 1995, 255, unter 3. der Entscheidungsgründe; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, § 44a Rdnr.1 und 25; Riegler in Littmann/Bitz/ Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 44a EStG Rdnr.24; Lindberg in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 44a EStG Rdnr.20b; Scheurle, Der Betrieb --DB-- 1993, 1594, und 1994, 1897, jeweils m.w.N.; a.A. Philipowski, DB 1994, 1895; Raber, Betriebs-Berater --BB-- 1995, 384; Neyer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1993, 230).

c) Im Gesetz kommt sonach klar zum Ausdruck, daß die Regelungen in § 44a Abs. 5 EStG abschließend sind. Andere als die dort bestimmten Steuerpflichtigen sollen von der Freistellung des Zinsabschlags ausgeschlossen sein. Dies schließt es zugleich aus, den Regelungsbereich des § 44a Abs. 5 EStG im Wege der Rechtsanalogie zu erweitern. Die dafür erforderliche Gesetzeslücke, die es durch die Analogie auszufüllen gälte, fehlt.

d) Verfassungsrechtlich ist dieses Ergebnis unbedenklich. Für die unterschiedliche Behandlung der unterschiedlichen Sachverhalte bestehen sachliche Gründe (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--).

aa) Es ist anerkannt, daß auch steuererhebungstechnische Gründe eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen rechtfertigen können. Auch muß der Gesetzgeber nicht um die Gleichbehandlung aller denkbaren Einzelfälle besorgt sein. Er darf vielmehr von einem Gesamtbild ausgehen, das sich aus ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt (Bundesverfassungsgericht --BVerfG--, Beschlüsse vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 227; vom 8. Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 359, DB 1991, 2522, 2523). Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Entstehen dabei aber erhebliche Abweichungen vom Gleichheitssatz und betreffen sie nicht nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Personen, so ist Art. 3 Abs. 1 GG allenfalls dann nicht verletzt, wenn sich die eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeiden ließen. Hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (BVerfG in DB 1991, 2522, 2523).

bb) So verhält es sich auch hier. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, bei dem als Abzugsteuer ausgestalteten Zinsabschlag von der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse des einzelnen Steuerpflichtigen abzusehen, um die einfache und gleichmäßige Handhabung des Verfahrens sicherzustellen. Die Zinsabschlagsteuer als Abzugsteuer unterscheidet sich von den endgültig festgesetzten Steuern durch ihre pauschalierte Erhebungsform. Bei Abzugsteuern muß der Gesetzgeber entscheiden, ob er dem mit solchen Steuern erstrebten Sicherungszweck oder dem materiell richtigen Steuerergebnis Vorrang einräumt. Für die Zinsabschlagsteuer hat der Gesetzgeber in § 44a EStG nur sehr begrenzte Möglichkeiten geschaffen, vom Steuerabzug abzusehen. Es sollen nur der mit dem Zinsabschlaggesetz neu geschaffene Sparerfreibetrag, die Nichtveranlagung des Gläubigers und die durch die Art (betrieblicher) Geschäfte bedingte dauerhafte Überzahlung berücksichtigt werden (§ 44a Abs. 1 Nrn.1, 2 und 5 EStG). Dem Sicherungszweck ist Vorrang vor einer schon im Abzugsverfahren individuell richtigen Besteuerung eingeräumt worden. Dies rechtfertigt sich durch den mit der Erhebungsform einer Abzugsteuer verbundenen verwaltungstechnischen Vereinfachungseffekt. Die weitergehende Berücksichtigung individueller Verhältnisse des einzelnen Steuerschuldners könnte diesen Zweck erschweren oder in Einzelfällen sogar vereiteln. Die für den betroffenen Steuerpflichtigen hierdurch eintretende vorübergehende Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Vermögenssituation muß angesichts dessen hingenommen werden, zumal sie nur vorübergehend ist und der Steuerpflichtige es selbst in der Hand hat, diese Situation zu beeinflussen, entweder durch vorzeitige Abgabe der Einkommensteuererklärungen oder ggf. dadurch, daß er die Herabsetzung der Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen beantragt (§ 49 Abs. 1 KStG i.V.m. § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG; vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 27. Juni 1995 VI R 93/93, BFH/NV 1995, 1058, unter 2. c im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Einkommensteuer-Vorauszahlern und Lohnsteuerzahlern).

Daß dies in rechtspolitischer Hinsicht nicht überzeugt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann nicht Sache der Rechtsprechung sein, sondern es ist Sache des Gesetzgebers, die gesetzlichen Vorgaben entsprechend zu ändern.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65665

BFH/NV 1996, 100

BFHE 179, 396

BFHE 1996, 396

BB 1996, 726

BB 1996, 726-727 (LT)

DStR 1996, 539-540 (KT)

DStZ 1996, 344-345 (KT)

StE 1996, 231 (K)

WPg 1996, 361-362 (LT)

StRK, R.7 (LT)

FR 1996, 290-291 (KT)

Information StW 1996, 348-349 (KT)

GStB 1996, Beilage zu Nr 4 (L)

KFR, 1/96, S 249 (H 9/1996) (LT)

BuW 1996, 284 (K)

WiB 1996, 738 (L)

AktStR 1996, 375 (LT)

NWB-DokSt 1999, 377

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