Leitsatz (amtlich)

1. Die Besteuerung von Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs.1 Nr.8 EStG 1979 (§ 20 Abs.1 Nr.7 EStG 1987) ist mit dem GG vereinbar.

2. § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG (Art.17 § 2 Abs.1 Satz 2 des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25.Juli 1988, BGBl I, 1093, BStBl I, 224) erfaßt nur solche Steuerpflichtige, die für die Veranlagungszeiträume vor 1986 in bezug auf ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen oder ihr Kapitalvermögen den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) oder der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO 1977) erfüllt haben und für die deshalb aufgrund vollständiger und richtiger Steuer- oder Berichtigungserklärungen für die Veranlagungszeiträume ab 1986 die Gefahr einer Aufdeckung der in den Vorjahren verwirklichten Steuerverkürzungen bestünde.

3. Liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs.1 Sätze 1 und 2 StrbEG nicht vor, so ist die Festsetzung der auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallenden Einkommensteuer auch dann rechtmäßig, wenn diese Vorschriften verfassungswidrig sein sollten. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art.100 Abs.1 GG wäre unzulässig.

 

Orientierungssatz

1. Die Heranziehung von Zinseinkünften (§ 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979) mit dem Nominalbetrag zur Einkommensteuer verstößt nicht gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. BVerfG-Beschluß vom 19.12.1978 1 BvR 335, 427, 811/76).

2. Die §§ 43 ff. EStG 1979 sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie den Steuerabzug an der Quelle nur für die dort abschließend aufgezählten Einkünfte aus Kapitalvermögen, nicht aber für Zinseinkünfte aus Sparguthaben vorsehen.

3. Der einzelne Staatsbürger hat grundsätzlich keinen gerichtlich verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers, weil andernfalls eine vom GG nicht gewollte Schwächung der gesetzgebenden Gewalt eintreten würde. Die verfassungsrechtliche Prüfungskompetenz ist deshalb im Regelfall auf erlassene Gesetze beschränkt (Anschluß an BVerfG-Rechtsprechung). Ausführungen zur ausnahmsweisen Vorlage nach Art. 100 GG bei schlichtem Untätigbleiben des Gesetzgebers, zur Vorlage nach Art. 100 GG wegen eines "relativen Unterlassens" (Definition) des Gesetzgebers, zur Verpflichtung des Gesetzgebers zur "Nachbesserung" des Gesetzes, zur Überprüfung durch die Gerichte, ob der Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet ist (vgl. BVerfG-Rechtsprechung).

4. Die Grenze der verfassungskonformen Rechtsfindung durch die Gerichte würde überschritten, wenn einem nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der Gesetzesvorschriften grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (vgl. BVerfG-Rechtsprechung und BFH-Rechtsprechung; Literatur).

5. Das Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG dient ausschließlich dem Ziel, eine verfassungsmäßige Entscheidung in einem konkreten Rechtsstreit zu gewährleisten. Das Gericht ist dazu aufgerufen, eine den Justizgewährungsanspruch beeinträchtigende Verzögerung des Gerichtsverfahrens durch Anrufung des BVerfG nach Möglichkeit zu vermeiden (vgl. BVerfG-Rechtsprechung). Demgemäß kann auch für Streitigkeiten, in denen die Verfassungswidrigkeit einer relativen Normlücke in Frage steht, ein Vorlagebeschluß nach Art. 100 GG jedenfalls dann nicht in Betracht kommen, wenn --unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheit-- die Ausübung des gesetzgeberischen Ermessens im Sinne einer den Kläger begünstigenden Komplementärregelung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 13.10.1983 IV R 217/80). 6. Der Gesetzgeber handelt dann nicht gleichheitswidrig, wenn er --in Übereinstimmung mit der Wertung des § 79 Abs. 2 BVerfGG-- dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit dadurch Rechnung trägt, daß er eine verfassungsmäßige Regelung auf noch nicht in Bestandskraft erwachsene Entscheidungen beschränkt (vgl. BVerfG-Rechtsprechung). 7. Der Gleichheitssatz ist erst dann verletzt, wenn für eine vom Gesetzgeber angeordnete Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind und die Regelung (hier: im Steuerrecht) deshalb willkürlich erscheint. Als sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung können auch steuertechnische Erwägungen, wie z.B. die Praktikabilität der Steuererhebung herangezogen werden (vgl. BVerfG-Rechtsprechung). 8. Es ist ein wesentliches Gebot der Gerechtigkeit, daß der Staat die gesetzlich vorgesehene Besteuerung gegenüber jedermann gleichmäßig durchzusetzen versucht und dadurch Ungleichbehandlungen und Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten einzelner möglichst verhindert (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.1986 VII R 82/85; Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit, der für die Finanzverwaltung ausdrücklich in § 85 AO 1977 formuliert ist). Die in §§ 85 ff. AO 1977 geregelten Grundsätze über die Ermittlung des für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalts werden für den Bereich der Ermittlungen bei Kreditinstituten durch den sog. Bankenerlaß konkretisiert. Der Bankenerlaß engt u.a. das den Finanzbehörden durch § 194 Abs. 3 AO 1977 eingeräumte Ermessen, ob im Rahmen einer Außenprüfung Kontrollmitteilungen gefertigt werden sollen, ein. 9. Die Verpflichtung der Finanzbehörden und der Gerichte, Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG 1979 zur Einkommensteuer heranzuziehen, wird nicht dadurch beseitigt, daß die Finanzverwaltung das Recht nicht gleichmäßig anwendet. Der Gleichheitssatz kann unter keinen Umständen eine Durchbrechung der durch Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Bindung der vollziehenden Gewalt und der Gerichte an das Gesetz rechtfertigen. Denn Art. 3 Abs. 1 GG fordert Gleichheit vor dem Gesetz, also Gleichheit im Recht (keine Gleichheit im Gesetzesbruch; vgl. Rechtsprechung: BVerfG, BFH, BVerwG; Literatur). Verwaltung und Gerichte sind auch dann nicht befugt, ein Gesetz allgemein oder im Einzelfall zu suspendieren, wenn eine Norm in zahlreichen Fällen ("massenhaft") und über einen längeren Zeitraum hinweg nicht befolgt wird.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1; EStG 1979 § 20 Abs. 1 Nr. 8; AO 1977 §§ 85, 194, 370, 378; StrbEG § 2 Abs. 1 Sätze 1-2, § 1; StRG 1990 Art. 17 § 2 Abs. 1 S. 2; EStG 1987 § 20 Abs. 1 Nr. 7; EStG §§ 43, 43ff; BVerfGG § 79 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 05.06.1986; Aktenzeichen III K 325/83)

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 27.06.1991; Aktenzeichen 2 BvR 1493/89)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden für das Streitjahr 1981 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

Beide Kläger bezogen Einkünfte aus Kapitalvermögen. In ihrer Einkommensteuererklärung gaben die Kläger u.a. Kapitaleinkünfte aus festverzinslichen Wertpapieren, Bauspar- und Sparguthaben in Höhe von insgesamt 2 745 DM an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) führte die Veranlagung zur Einkommensteuer 1981 entsprechend den Angaben in der Erklärung durch.

Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid vom 17.März 1983 Einspruch ein. Zur Begründung ihres Rechtsbehelfs führten sie aus, die Besteuerung ihrer Einkünfte aus festverzinslichen Wertpapieren, Bauspar- und Sparguthaben sei rechtswidrig. Sie verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil die steuerpflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen --soweit nicht Kapitalertragsteuer einbehalten werde-- nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil von den Finanzbehörden erfaßt würden. Die Verletzung des Gleichheitssatzes ergebe sich insbesondere daraus, daß der Gesetzgeber auf die Erfassung der Zinsen an der Quelle ganz bewußt verzichtet habe. Darüber hinaus habe sich die Finanzverwaltung durch den sog. Bankenerlaß vom 31.August 1979 (BStBl I 1979, 590) einer Selbstbeschränkung unterworfen, die die Dunkelziffer der nicht erklärten Zinsen beträchtlich erhöhe.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 451 veröffentlicht ist, hat die Klage abgewiesen. Es hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (Art.3 Abs.1, 20 Abs.3 des Grundgesetzes --GG--). Zwar sei das FG zu Recht davon ausgegangen, daß die Vorschrift des § 20 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1979 verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Das FG habe deshalb auch zu Recht von einer Aussetzung des Verfahrens nach Art.100 Abs.1 GG abgesehen.

Die Kläger stimmten mit dem FG auch darin überein, daß sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG kein Recht des einzelnen Bürgers herleiten lasse, in Abweichung vom geltenden Recht besteuert zu werden. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht könne es nicht geben.

Die Besonderheit des vorliegenden Falles sei darin zu sehen, daß das Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der Kapitalzinsen gerade durch den Bankenerlaß herbeigeführt werde; dieser Erlaß stehe --wie das FG zutreffend ausgeführt habe-- in Widerspruch zu den Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) über die Ermittlung steuerlich relevanter Sachverhalte.

Durch den Bankenerlaß werde bewußt die Aufklärung nicht normgemäßen Verhaltens der Steuerpflichtigen erschwert. Zugleich werde dadurch bei den Finanzbeamten die irrige Vorstellung hervorgerufen, sie könnten die Angaben in den Steuererklärungen kritiklos übernehmen. Diese Haltung werde durch die Äußerungen von Politikern noch gefördert.

Es könne nicht richtig sein, daß ein Bürger, der sich selbst gesetzeskonform verhalte, sich unter keinen Umständen auf die gesetzwidrige Behandlung anderer Personen, bei denen die Besteuerungsnorm im Ergebnis nicht angewendet werde, berufen könne.

Auch das Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs.3 GG gebiete, bei der Anwendung der Gesetze gleichmäßig zu verfahren. Ein qualifiziert willkürlicher Vollzug von Gesetzen müsse dazu führen, daß derjenige, der gesetzmäßig behandelt worden sei, sich auf den rechtsstaatswidrigen Vollzug berufen könne. In einem solchen Fall könne die Gleichbehandlung der Normbetroffenen nur dadurch hergestellt werden, daß die Vollziehung der betreffenden Norm für die Dauer des rechtsstaatswidrigen Vollzugs suspendiert werde. Ein qualifiziert rechtsstaatswidriger Vollzug des § 20 Abs.1 EStG sei hinsichtlich der Besteuerung der Zinsen aus Kapitalforderungen gegeben. Dieser sei darin zu sehen, daß die Finanzverwaltung in Kenntnis der Tatsache, daß Zinsen aus Kapitalforderungen in einer Vielzahl von Fällen nicht erklärt werden, durch den Bankenerlaß die Ermittlung des für die Besteuerung relevanten Sachverhalts aus politischen Gründen verhindere. In einem solchen Ausnahmefall sei die Geltung des § 20 Abs.1 Nr.8 EStG 1979 für die Dauer des rechtsstaatswidrigen Vollzugs als suspendiert anzusehen. Es fehle damit an einer Rechtsgrundlage für den Erlaß eines Steuerbescheids, soweit darin Einkünfte aus Kapitalvermögen erfaßt werden.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1981 dahingehend zu ändern, daß die Einkünfte der Kläger aus Bauspar-, Sparguthaben und Bundesschatzbriefen unberücksichtigt bleiben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die von den Klägern im Streitjahr erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid zu Recht zur Einkommensteuer herangezogen worden sind.

Nach § 20 Abs.1 Nr.8 EStG in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung unterliegen Einkünfte aus Kapitalforderungen jeder Art der Einkommensteuer. Dazu gehören auch die von den Klägern bezogenen Zinseinkünfte. Diese Einkünfte haben die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung gemäß § 25 Abs.3 EStG, § 150 AO 1977 angegeben.

Die verfassungsrechtlichen Einwendungen der Kläger gegen die Besteuerung der Zinseinkünfte greifen nicht durch.

A. I. Die in § 20 Abs.1 Nr.8 EStG 1979 angeordnete Besteuerung von Zinseinkünften verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber den Bezug von Zinsen aus Kapitalforderungen als Besteuerungstatbestand normiert hat. Denn der Gesetzgeber hat bei der Erschließung von Steuerquellen weitgehende Gestaltungsfreiheit (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG--, vgl. z.B. Beschluß vom 13.März 1979 2 BvR 72/76, BVerfGE 50, 386, 392). Ein Verstoß gegen das aus Art.3 Abs.1 GG abgeleitete Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ergibt sich auch nicht daraus, daß Zinsen mit ihrem Nominalbetrag zur Einkommensteuer herangezogen werden (BVerfG-Beschluß vom 19.Dezember 1978 1 BvR 335, 427, 811/76, BVerfGE 50, 57, 77). Insoweit erheben auch die Kläger keine Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs.1 Nr.8 EStG.

II. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Spindler, Der Betrieb --DB-- 1987, 2536) ist die Besteuerung der Zinsen nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber seiner Pflicht, eine gleichmäßige Erfassung der Zinserträge zu gewährleisten, nicht nachgekommen ist. Eine solche Verpflichtung hat nach dieser Auffassung bereits bei Erlaß des am 1.Januar 1977 in Kraft getretenen Körperschaftsteuerreformgesetzes (KStRG) bestanden, durch das u.a. die Erhebung der Kapitalertragsteuer (§§ 43 ff. EStG) neu geregelt wurde. Dabei habe der Gesetzgeber die bis dahin geltenden Vorschriften im wesentlichen unverändert fortbestehen lassen, obwohl ihm schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, daß zahlreiche Steuerpflichtige bei Bankinstituten unversteuerte Guthaben und Depots unterhielten. Wenn er gleichwohl daran festgehalten habe, den Kapitalertragsteuerabzug auf einige wenige Arten von Kapitalerträgen zu beschränken, so sei dies mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber sei durch Art.3 Abs.1 GG verpflichtet, die Erhebung der Steuer auf Kapitalerträge bei allen Kapitalerträgen hinreichend sicherzustellen. Da der Gesetzgeber seiner Verpflichtung, den eingetretenen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, nicht nachgekommen sei, liege ein Fall des sog. "relativen Unterlassens" vor, der von den Gerichten im Wege einer Vorlage nach Art.100 GG geltend gemacht werden könne.

Dieser Ansicht kann der Senat nicht folgen.

1. Nach der Rechtsprechung des BVerfG, der sich der Senat anschließt, hat der einzelne Staatsbürger grundsätzlich keinen gerichtlich verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers, weil anderenfalls eine vom GG nicht gewollte Schwächung der gesetzgebenden Gewalt eintreten würde. Die verfassungsrechtliche Prüfungskompetenz der Gerichte ist deshalb im Regelfall auf erlassene Gesetze beschränkt (BVerfG-Beschlüsse vom 19.Dezember 1951 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97, 100; vom 5.Juli 1960 1 BvR 232/58, BVerfGE 11, 255, 261). Dementsprechend bestimmt Art.100 GG, daß Gegenstand eines konkreten Normenkontrollverfahrens nur ein förmliches Gesetz sein kann, nicht aber ein Unterlassen des Gesetzgebers (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Kommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 80 Rdnr.27 m.w.N. in Fußnote 11). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. In besonderen Fällen kann auch das schlichte Untätigbleiben des Gesetzgebers zu einer Vorlage führen, wenn sich der Kläger auf einen ausdrücklichen Auftrag des GG zur Änderung einer gegebenen Rechtslage berufen kann, dieser Auftrag Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im wesentlichen bestimmt und der angemessene Zeitraum, der dem Gesetzgeber für die gebotene Neuregelung zugestanden werden muß, abgelaufen ist (BVerfGE 11, 255, 261; Meyer in v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, Bd.3, 2.Aufl., Art.100 Rdnr.19; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a.a.O., § 80 Rdnr.137 ff.).

Auf einen ausdrücklichen Auftrag der Verfassung an den Gesetzgeber, wie er beispielsweise in Art.6 Abs.5, 33 Abs.5, 131 GG erteilt ist, können sich die Kläger offensichtlich nicht berufen.

2. Eine Vorlage nach Art.100 GG kommt im Streitfall aber auch nicht wegen eines "relativen" Unterlassens des Gesetzgebers in Betracht. Von einem "relativen Unterlassen" wird gesprochen, wenn --gemessen an einer bereits vom Gesetzgeber getroffenen Regelung-- grundrechtlich oder sonst verfassungsrechtlich gebotene Handlungs- und Schutzpflichten nicht vollständig erfüllt sind (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1.Halbband, S.1287; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a.a.O., § 90 Rdnr.110). Es handelt sich in diesen Fällen um ein partielles Unterlassen des Gesetzgebers. Das BVerfG hat in den Fällen des relativen Unterlassens verfassungsrechtliche Angriffe gegen eine solche "lückenhafte" Regelung vor allem dann für zulässig erachtet, wenn unter Berufung auf den Gleichheitssatz geltend gemacht wird, daß eine Leistung oder Vergünstigung nach dem Gesetz nur bestimmten Personengruppen zuerkannt, anderen Personen aber willkürlich vorenthalten worden sei (BVerfG-Beschlüsse vom 28.November 1967 1 BvR 515/63, BVerfGE 22, 349, 360; vom 6.November 1962 2 BvR 151/60, BVerfGE 15, 46, 75; vom 12.Januar 1965 2 BvR 454, 470/62, BVerfGE 18, 288, 302; vom 26.April 1978 1 BvL 29/76, BVerfGE 48, 227, 239). In diesen Fällen relativen Unterlassens liegt bereits eine positive gesetzliche Regelung vor, die von den Gerichten daraufhin überprüft werden kann, ob der Gesetzgeber durch die Beschränkung einer Leistung oder Vergünstigung auf einen nach bestimmten Merkmalen abgegrenzten Personenkreis den Gleichheitssatz verletzt hat (BVerfG-Beschluß vom 11.Juni 1958 1 BvL 149/52; BVerfGE 8, 28, 36 ff.; BVerfGE 22, 349, 360; Gubelt in v. Münch, a.a.O., Bd.1, 3.Aufl., Art.3 Rdnr.9; Berkemann, Europäische Grundrechte Zeitschrift --EuGRZ-- 1985, 137, 140).

3. Ein relatives Unterlassen des Gesetzgebers kann auch dann gegeben sein, wenn dieser zwar eine im Zeitpunkt ihres Erlasses verfassungskonforme Regelung getroffen hat, deren Grundlage jedoch durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird. Der Gesetzgeber kann dann von Verfassungs wegen verpflichtet sein zu prüfen, ob die ursprüngliche Regelung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist. Erweist sich die bisherige Regelung als evident unzulänglich, so ist der Gesetzgeber zur "Nachbesserung" des Gesetzes verpflichtet (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschluß vom 8.August 1978 2 BvL 8/77; BVerfGE 49, 89, 130; Urteil vom 10.Dezember 1980 2 BvF 3/77; BVerfGE 55, 274, 308; Beschlüsse vom 14.Januar 1981 1 BvR 612/72, BVerfGE 56, 54, 70 ff.; vom 14.September 1983 1 BvB 920/83, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1983, 2931; vom 22.Februar 1984 1 BvL 10/80, EuGRZ 1985, 147; vom 28.Juli 1987 1 BvR 842/87, EuGRZ 1987, 353; vgl. ferner: Stern, a.a.O., S.1315; Stettner, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 1982, 1123 ff.; Steinberg, Der Staat, Bd.26, 161 ff.; Berkemann, a.a.O., S.137 ff.).

Bei der Überprüfung, ob der Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet ist, haben die Gerichte zu beachten, daß es in erster Linie Aufgabe des Parlaments und der Regierung ist zu entscheiden, welche Maßnahmen zweckmäßig und geboten sind, um einen wirksamen Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. Fehlt ein ausdrücklicher Auftrag des GG an den Gesetzgeber, so hängt die Entscheidung, ob die in den Grundrechten verkörperten Entscheidungen der Verfassung die Änderung eines Gesetzes gebieten, von zahlreichen wirtschaftlichen, politischen und haushaltsrechtlichen Gegebenheiten ab, die sich richterlicher Nachprüfung im allgemeinen entziehen (vgl. BVerfGE 56, 54, 70; BVerfGE 11, 255, 261; BVerfG in NJW 1983, 2931; BVerfG in EuGRZ 1987, 353). Nur in den Ausnahmefällen, in denen die Verbesserung einer bestimmten gesetzlichen Regelung die offensichtlich einzige Möglichkeit darstellt, verfassungsmäßige Zustände zu schaffen, die Nachbesserungspflicht also auch für den Gesetzgeber evident ist, kann das BVerfG die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes feststellen (BVerfGE 56, 54, 81; ebenso: Steinberg, a.a.O., S.178; Stern, a.a.O., S.1286 f.; Stettner, a.a.O., S.1123, 1128) und kommt ggf. eine Vorlage nach Art.100 GG in Betracht.

Nach diesen Grundsätzen kann im Streitfall nicht angenommen werden, daß die §§ 43 ff. EStG verfassungswidrig sind, weil sie den Steuerabzug an der Quelle nur für die dort abschließend aufgezählten Einkünfte aus Kapitalvermögen, nicht aber für Zinseinkünfte aus Sparguthaben vorsehen. Für die unterschiedliche Regelung der Steuererhebung lassen sich sachliche Gründe anführen, die es rechtfertigen, den Steuerabzug nach §§ 43 ff. EStG auf die dort genannten Kapitaleinkünfte zu beschränken. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG der Gleichheitssatz erst dann verletzt ist, wenn für eine vom Gesetzgeber angeordnete Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind und die Regelung deshalb willkürlich erscheint (vgl. die Nachweise bei v. Münch, a.a.O., Art.3 Rdnr.10). Als sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung können auch steuertechnische Erwägungen, wie z.B. die Praktikabilität der Steuererhebung herangezogen werden (BVerfGE 50, 386, 392). Die Einführung der Quellensteuer für Zinsen aus Sparguthaben ist in höherem Maß mit erhebungstechnischen und finanzpolitischen Problemen verbunden als die Kapitalertragsteuer auf Gewinnanteile (vgl. dazu im einzelnen Rehm, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1984, 230). Erhebungstechnische Probleme ergeben sich vor allem daraus, daß Sparguthaben in der Regel in größerem Umfang von Steuerpflichtigen unterhalten werden, deren Kapitalerträge unterhalb des Sparerfreibetrags von 300 bzw. 600 DM liegen. Diesen Steuerpflichtigen müßte die zunächst erhobene Kapitalertragsteuer im Rahmen des Veranlagungsverfahrens wieder erstattet werden. Schon dieser Verwaltungsaufwand, der mit der Ausweitung der Kapitalertragsteuer auf Sparzinsen verbunden ist, gestattet es dem Gesetzgeber, diese Kapitalerträge nicht an der Quelle, sondern wie bisher bei der Veranlagung zur Einkommensteuer zu erfassen.

4. Da die Regelung der Zinsbesteuerung nach den für das Streitjahr maßgeblichen Vorschriften des EStG aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden ist, kann der Senat die §§ 20 Abs.1 Nr.8, 43 ff. EStG nicht nach Art.100 GG dem BVerfG zur Prüfung vorlegen.

Daraus folgt allerdings nicht, daß die Erfassung der Zinseinkünfte nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage ausreichend gewährleistet ist. Vielmehr sind die zuständigen Verfassungsorgane schon im Hinblick auf die Feststellungen des Bundesrechnungshofs (BTDrucks 10/4367), nach denen davon auszugehen ist, daß ein erheblicher Anteil der steuerpflichtigen Zinserträge nicht ordnungsgemäß erklärt und versteuert wird, aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, geeignete Maßnahmen für eine bessere Erfassung dieser Kapitalerträge zu ergreifen. Auf welche Weise Regierung und Parlament ihrer Handlungspflicht nachkommen, ist jedoch grundsätzlich ihrer Entscheidung überlassen. Aus Art.3 Abs.1, 20 Abs.3 GG, auf die sich die Kläger berufen, läßt sich jedenfalls kein ausdrücklicher oder auch nur hinreichend erkennbarer Verfassungsauftrag entnehmen, der den Gesetzgeber zu bestimmten Maßnahmen hinsichtlich der Besteuerung von Zinseinkünften verpflichtet (vgl. BVerfGE 11, 255, 261; BVerfG-Beschluß vom 7.Oktober 1980 1 BvR 1289/78, BVerfGE 55, 37, 54; Gubelt in v. Münch, a.a.O., Art.3 Rdnr.29; Stern in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art.93 Rdnr.641; Steinberg, a.a.O., S.182). Stehen den zuständigen Verfassungsorganen --wie im Streitfall-- mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustands zur Verfügung, dann besteht zwar eine objektive Pflicht dieser Organe zum Tätigwerden. Dieser Pflicht korrespondiert jedoch nicht notwendig ein subjektives einklagbares Recht der betroffenen Bürger. Denn die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und seine politische Verantwortung darf nicht durch "judikative Ersatzvornahmen" unterlaufen werden (Steinberg, a.a.O., S.182).

B. Das FA ist auch nicht deshalb gehindert, den auf die Zinseinkünfte der Kläger entfallenden Einkommensteueranspruch geltend zu machen, weil andere Steuerpflichtige ihre Zinseinkünfte nicht ordnungsgemäß erklären und deshalb mit diesen Einkünften nicht zur Einkommensteuer herangezogen werden.

Gegen die Heranziehung zu einer Steuer kann nicht mit Erfolg ein-gewendet werden, sie verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil die Finanzbehörden gleichartige Vorgänge bei anderen Steuerpflichtigen nicht besteuert hätten. Denn es gibt keinen Gleichheitssatz des Inhalts, daß bestimmte Versäumnisse der Verwaltung allen Betroffenen in gleicher Weise zugute kommen müßten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.Juli 1956 III 195/54 U, BFHE 63, 155, BStBl III 1956, 256; vom 5.Dezember 1963 IV 375/60 U, BFHE 78, 379, BStBl III 1964, 146; vom 24.Oktober 1985 IV R 75/84, BFHE 145, 302, 307, BStBl II 1986, 233; vom 4.Juni 1987 V R 9/79, BFHE 150, 192, BStBl II 1987, 653). Insbesondere kann eine solche Forderung nicht auf den Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit gestützt werden. Dieser Grundsatz, der für die Finanzverwaltung in § 85 AO 1977 ausdrücklich formuliert ist, verpflichtet die Finanzbehörden, die Steuergesetze auf alle Steuerpflichtigen in gleicher Weise anzuwenden (vgl. dazu Tipke in Betriebs-Berater --BB-- 1986, 601 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 85 AO 1977 Tz.3 ff.; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 85 AO 1977 Anm.11 f.). Nach § 85 Satz 2 AO 1977 haben die Finanzbehörden auch sicherzustellen, daß Steuern nicht verkürzt werden. Diesem Zweck dient auch die in § 208 AO 1977 geregelte Steuerfahndung. Angesichts der einschneidenden Bedeutung, die die Besteuerung für den Staat, die Volkswirtschaft, die Einzelwirtschaften und für jeden Bürger hat, ist es ein wesentliches Gebot der Gerechtigkeit, daß der Staat die gesetzlich vorgesehene Besteuerung auch gegenüber jedermann gleichmäßig durchzusetzen versucht und dadurch Ungleichbehandlung und Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten einzelner möglichst verhindert (BFH-Urteil vom 29.Oktober 1986 VII R 82/85, BFHE 148, 108, 112).

Die in §§ 85 ff. AO 1977 geregelten Grundsätze über die Ermittlung des für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalts werden für den Bereich der Ermittlungen bei Kreditinstituten durch den Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 31.August 1979 IV A 7 - S 0230 - 11/79 (BStBl I 1979, 590) --sog. Bankenerlaß; vgl. jetzt § 30a AO 1977-- konkretisiert. Der Bankenerlaß bestimmt u.a. in Tz.3, daß anläßlich einer Außenprüfung bei einem Kreditinstitut die Guthabenkonten oder Depots, bei deren Errichtung eine Legitimationsprüfung nach § 154 Abs.2 AO 1977 stattgefunden hat, nicht zwecks Nachprüfung der ordnungsgemäßen Versteuerung festgestellt und abgeschrieben werden dürfen. Die Ausschreibung von Kontrollmitteilungen soll insoweit unterbleiben. Diese Regelung engt das den Finanzbehörden durch § 194 Abs.3 AO 1977 eingeräumte Ermessen, ob im Rahmen einer Außenprüfung Kontrollmitteilungen gefertigt werden sollen, ein (vgl. Söhn, a.a.O., § 102 AO 1977 Anm.111). Einleitend bestimmt der Erlaß in Tz.1, bei der gebotenen Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 88 AO 1977) "auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und ihren Kunden besonders Rücksicht zu nehmen". Für den Regelfall könne davon ausgegangen werden, daß die Angaben in der Steuererklärung vollständig und richtig seien.

Gegen die Gesetzmäßigkeit des Bankenerlasses und gegen seine Vereinbarkeit mit dem Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit sind in der Literatur erhebliche Bedenken vorgebracht worden (vgl. z.B. Herrler, Mitwirkung der Banken bei der Besteuerung von Bankkunden, 1983, 117; Tipke/Kruse, a.a.O., § 102 AO 1977 Tz.6; Tipke, BB 1989, 157 ff.; ders., StuW 1988, 262, 277 ff.; Neckels, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1989, 8, 12 ff., DStZ 1989, 65, 72; vgl. ferner die Äußerungen von Arndt und Birk in der Anhörung vor dem Deutschen Bundestag, BTDrucks 11/2536, S.30; Trzaskalik in Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, 1982, 315 ff.; Martens, ebenda, S.165 ff.; Möllinger, ebenda, S.339 ff.; anderer Ansicht: Scholtz, DStZ 1989, 263, 268; Maaß, NJW 1989, 256, 264). Gegen den Bankenerlaß wird eingewandt, er könne als Anstiftung zur Steuerhinterziehung verstanden werden (Trzaskalik, a.a.O., S.319). Steuerpflichtige, die ihre Zinseinkünfte richtig erklärten, würden in ihrem Recht auf gleichmäßige Behandlung bei der Belastung mit Steuern verletzt (Tipke, a.a.O.; anderer Ansicht: Scholtz, a.a.O.).

Der Senat läßt offen, ob er sich dieser Auffassung anschließen könnte. Denn auch dann, wenn die auf dem Bankenerlaß beruhende Verwaltungspraxis bei der Ermittlung von Einkünften aus Kapitalvermögen gegen den Gleichheitssatz und gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art.20 Abs.3 GG) verstoßen sollte, kann die Klage keinen Erfolg haben.

Die Verpflichtung der Finanzbehörden und der Gerichte, Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs.1 Nr.8 EStG 1979 zur Einkommensteuer heranzuziehen, wird nicht dadurch beseitigt, daß die Finanzverwaltung das Recht nicht gleichmäßig anwendet. Der Gleichheitssatz kann unter keinen Umständen eine Durchbrechung der durch Art.20 Abs.3 GG angeordneten Bindung der vollziehenden Gewalt und der Gerichte an das Gesetz rechtfertigen. Denn Art.3 Abs.1 GG fordert Gleichheit vor dem Gesetz, also Gleichheit im Recht. Eine Gleichheit im Gesetzesbruch kann es nicht geben (BVerfG-Urteil vom 4.April 1967 1 BvR 126/65, BVerfGE 21, 245, 261; Beschluß vom 12.Februar 1969 1 BvR 687/62, BVerfGE 25, 216, 229; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 10.Dezember 1969 VIII C 104/69, BVerwGE 34, 278; BFHE 63, 155, BStBl III 1956, 256; BFHE 78, 379, BStBl III 1964, 146; BFHE 145, 302, BStBl II 1986, 233; BFHE 150, 192, BStBl II 1987, 653; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Kommentar zum Grundgesetz, Art.3 Abs.1 Rdnr. 179; Gubelt in v. Münch, a.a.O., Art.3 Rdnr.36; Ossenbühl, Die öffentliche Verwaltung --DÖV-- 1970, 264; Randelzhofer, Juristenzeitung --JZ-- 1973, 536 ff.; Spindler, a.a.O., S.2536, 2539). Verwaltung und Gerichte sind auch dann nicht befugt, ein Gesetz allgemein oder im Einzelfall zu suspendieren, wenn eine Norm in zahlreichen Fällen ("massenhaft") und über einen längeren Zeitraum hinweg nicht befolgt wird. Soweit der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluß vom 8.Februar 1971 IV 846/70 (NJW 1971, 954) eine Ausnahme von dem Grundsatz "keine Gleichheit im Unrecht" für den Fall zulassen will, daß der Gesetzesverstoß die Regel und die Anwendung des geltenden Rechts die Ausnahme geworden ist, könnte der Senat dem nicht folgen. Die Verwaltung ist unter keinen Umständen befugt, ein verfassungsrechtlich wirksames formelles Gesetz durch eine entgegenstehende Verwaltungsübung außer Kraft zu setzen. Sie ist vielmehr verpflichtet, Einkommensteuer, die auf Einkünften aus Kapitalvermögen beruht, genauso zu erheben, wie Einkommensteuer, die auf Einkünften aus anderen Einkunftsarten beruht (BFH-Urteil vom 13.Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, 520, BStBl II 1988, 252). Würde man einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis den Vorrang vor dem Grundsatz der Gesetzesbindung der vollziehenden Gewalt einräumen, so käme dies einer Auflösung des Rechtsstaats gleich (BFHE 78, 379, BStBl III 1964, 146; ebenso Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, a.a.O., Art.3 Abs.1 Rdnr. 180 ff. und Art.20 VI Rdnr.41). Sollte der Bankenerlaß deshalb wegen Verstoßes gegen Vorschriften der AO 1977 gesetzwidrig oder wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig sein, dürfte er weder von den Verwaltungsbehörden noch von den Gerichten beachtet werden.

C. Dem Begehren der Kläger kann auch nicht aufgrund der Bestimmung des § 2 i.V.m. § 1 des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen --Strafbefreiungsgesetz (StrbEG)-- (Art.17 des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25.Juli 1988, BGBl I, 1093, BStBl I, 224) stattgegeben werden.

I. 1. Wer den Finanzbehörden (oder anderen Behörden) über steuerrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt, dadurch bewirkt, daß Steuern nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (objektiver Tatbestand der Steuerverkürzung, § 370 Abs.4 AO 1977), und vorsätzlich handelt (§ 369 Abs.2 AO 1977 i.V.m. § 15 des Strafgesetzbuches --StGB--), ist nach § 370 AO 1977 wegen Steuerhinterziehung strafbar. Wird die Tat leichtfertig, d.h. in einem besonderen --der groben Fahrlässigkeit entsprechenden-- Maße nachlässig (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 23.Aufl., 1988, § 15 Anm.106), begangen, so kann nach § 378 AO 1977 ein Bußgeld festgesetzt werden.

2. Soweit die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen entfallenden Steuern hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind, tritt nach § 1 Abs.1 und 4 StrbEG auch für die Veranlagungszeiträume vor 1986 Straf- oder Bußgeldfreiheit ein, wenn

(a) eine sog. strafbefreiende Erklärung abgegeben wird (voll ständige und richtige Erklärung, Berichtigung oder Ergänzung der entsprechenden Angaben für die Veranlagungszeiträume 1986 und 1987 oder ab dem Veranlagungszeitraum 1986, § 1 Abs.1 Satz 1 StrbEG),

(b) der Wirksamkeit einer solchen Erklärung keiner der in § 1 Abs.3 StrbEG genannten Ausschlußtatbestände entgegensteht und

(c) die für die Veranlagungszeiträume ab 1986 hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Einkommen- oder Vermögensteuer inner halb einer von der Finanzbehörde bestimmten angemessenen Frist entrichtet wird.

Sind diese Voraussetzungen gegeben, so werden gemäß § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen entfallenden Steuern für die Veranlagungszeiträume vor 1986 nicht festgesetzt, soweit nach § 1 StrbEG Sanktionsfreiheit eintritt. Nach § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG greift diese Regelung, d.h. der Verzicht auf die Nachforderung von Steuern, auch dann ein, soweit die auf die Einkünfte oder das Kapitalvermögen entfallende Einkommen- oder Vermögensteuer weder vorsätzlich noch fahrlässig verkürzt worden ist.

II. Die Kläger gehören nicht zu dem nach diesem Gesetz begünstigten Personenkreis.

1. In der Literatur wird allerdings die Ansicht vertreten, daß der Wortlaut des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG, nach dem die beschriebene Regelung der Nichtfestsetzung von Steuern (§ 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG) "sinngemäß anzuwenden" ist, "soweit die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallende Einkommensteuer oder auf das Kapitalvermögen entfallende Vermögensteuer weder vorsätzlich noch leichtfertig verkürzt worden ist" (Hervorhebung durch den Senat), auch die Einbeziehung des Steuerpflichtigen gebiete, der seine Einkünfte aus Kapitalvermögen oder das Kapitalvermögen selbst für die Veranlagungszeiträume vor 1986 vollständig erklärt habe, soweit die Steuerfestsetzungen dieser Veranlagungszeiträume noch nicht in Bestandskraft erwachsen seien (Streck, Die Steuerberatung --Stbg-- 1989, 51 ff., 55; Rainer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1988, 706 ff., Balke, Finanz-Rundschau --FR-- 1989, 33; Geckle, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1989, 145; weitere Nachweise bei Scholtz, a.a.O., S.263, 270, Fußnote 60).

2. Der Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Denn nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (vgl. dazu BVerfG-Beschluß vom 11.Juni 1980 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 297; BFH-Urteil vom 5.Mai 1982 VIII R 96/78, BFHE 136, 319, 325 f.) erfaßt die Vorschrift des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG nur solche Steuerpflichtige, die für die Veranlagungszeiträume vor 1986 im Hinblick auf die Besteuerung ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen oder ihres Kapitalvermögens den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) oder der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO 1977) erfüllt haben und für die deshalb aufgrund vollständiger und richtiger Steuer- oder Berichtigungserklärungen betreffend die Veranlagungszeiträume ab 1986 die Gefahr der Aufdeckung der in den Vorjahren verwirklichten Steuerverkürzungen bestünde.

a) Das Erfordernis des objektiven Verkürzungstatbestandes ergibt sich bereits aus der grammatikalischen Interpretation des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG.

Im Hinblick auf die zu entscheidende Auslegungsfrage zerfällt der Konditionalsatz "soweit die ... Einkommensteuer oder ... Vermögensteuer weder vorsätzlich noch leichtfertig verkürzt worden ist" in vier Satzglieder: Er enthält neben den Subjekten ("Einkommensteuer", "Vermögensteuer") und dem Prädikat ("verkürzt worden ist") die Modaladverbien "vorsätzlich" und "leichtfertig", deren Verbindung durch die mehrgliedrige kopulative Konjunktion "weder ... noch" hergestellt wird. Da mit dieser Konjunktion eine besondere Betonung des Umstandes, daß von den zwei genannten Möglichkeiten keine eine Wirkung hat (Duden, Bedeutungswörterbuch, 2.Aufl., 1985, 743), ausgedrückt wird, führt sie zu einer nachdrücklichen und ihrem Sinn nach verneinenden Hervorhebung der Modaladverbien ("nicht vorsätzlich und auch nicht leichtfertig verkürzt worden ist"), die den (positiven) Bedeutungsgehalt des Prädikats nicht verändert (ähnlich Schünemann, Steuerliche Vierteljahresschrift --StVj-- 1989, 3 ff., 14; Felix, Kölner Steuerdialog --KÖSDI-- 1988, 7423 ff., 7427). Entsprechend dieser grammatikalischen Struktur ist auch die primäre Aussage des "soweit"-Satzes auf die Erfassung der Sachverhalte gerichtet, bei denen für die Veranlagungszeiträume vor 1986 eine Steuerverkürzung (§ 370 Abs.4 AO 1977) zwar vorlag, diese aber weder vorsätzlich noch leichtfertig verwirklicht wurde.

b) Die im Schrifttum für ein weitergefaßtes Wortverständnis (sog. extensive Wortlautinterpretation; hierzu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5.Aufl., 1983, S.337) teilweise vorgetragene Begründung, daß die in § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG angeordnete "sinngemäße" Anwendung der Regelung des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG (Nichtfestsetzung von Steuern) nur bei steuerehrlichem Verhalten vor dem Veranlagungszeitraum 1986 einen schlüssigen Normbefehl enthalte, weil in Fällen der schuldlosen Steuerverkürzung die Vorschrift des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG bereits unmittelbar nach ihrem Wortlaut eingreife (Carl/Klos, Zeitschrift für Wirtschaft-Steuer-Strafrecht --wistra-- 1989, 1 ff., 5), verkennt nicht nur den Tatbestand und die Rechtsfolgen der Bestimmung des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG (nachfolgend aa), sondern darüber hinaus auch den systematischen Zusammenhang dieser Vorschrift zu derjenigen des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG (nachfolgend bb).

aa) Ungeachtet dessen, ob man den materiellen Regelungsschwerpunkt in § 1 (Sanktionsfreiheit) oder in § 2 (Nichtfestsetzung von Steuern) StrbEG erblickt, ist jedenfalls gesetzessystematisch die Bestimmung des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG als Annexregelung zu § 1 StrbEG ausgestaltet, da zum einen von einer Steuerfestsetzung für die Veranlagungszeiträume vor 1986 nur dann abgesehen wird, wenn der Steuerpflichtige eine strafbefreiende Erklärung abgibt, und zum anderen diese Rechtsfolge nur "insoweit", d.h. im Umfang der straf- oder bußgeldbefreienden Wirkung einer solchen Erklärung, eintritt (Dumke in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, Anhang zu § 371 Anm.136; Beschluß des FG Münster vom 17.Januar 1989 X 8251/86 E, FR 1989, 75; Dietz, DStR 1988, 771 f., 773; a.A. Gies/Wittmann, BB 1989, 330 ff., 338 f.). Hat der Steuerpflichtige deshalb in den Veranlagungszeiträumen vor 1986 bezüglich der auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen entfallenden Steuer zwar den objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung (§ 370 Abs.4 AO 1977) verwirklicht, jedoch weder vorsätzlich noch leichtfertig gehandelt, so geht der straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndungsverzicht des § 1 StrbEG und damit auch die "unmittelbare" Rechtsfolgenbestimmung des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG ins Leere.

bb) Die in § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG bestimmte sinngemäße Anwendung der Vorschrift des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG (Nichtfestsetzung von Einkommen- oder Vermögensteuer) stellt ein gesetzestechnisches Mittel dar, um schwerfällige Wiederholungen zu vermeiden (Schneider, Gesetzgebung, 1982, S.206), und gebietet, die in Bezug genommene Regelung (hier § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG) unter Beachtung der Besonderheit des bezugnehmenden Tatbestands (hier § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG) anzuwenden (Larenz, a.a.O., S.250; Urteil des BFH vom 5.Dezember 1979 II R 122/76, BFHE 129, 223, BStBl II 1980, 136).

Der Senat braucht im anhängigen Rechtsstreit nicht abschließend dazu Stellung zu nehmen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Verweisungsbefehl methodologisch dazu geeignet ist, den Tatbestand der verweisenden Norm zu konkretisieren (vgl. dazu auch Urteil des Niedersächsischen FG vom 5.Oktober 1988 VII 516/86, DStR 1989, 72). Denn vorliegend ist eine solche Schlußfolgerung jedenfalls deshalb geboten, weil der Systemzusammenhang zwischen beiden Normbereichen dadurch geprägt wird, daß die in § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG angeordnete Rechtsfolge der Nichtfestsetzung von Einkommen- oder Vermögensteuer nach Maßgabe (s. oben Abschn.II 2. b) aa)) der durch § 1 StrbEG gewährten Sanktionsfreiheit eintritt. Diese Rechtsfolgenbestimmung ist aber nur dann einer "sinngemäßen" Anwendung zugänglich, wenn der Steuerpflichtige in den Veranlagungszeiträumen vor 1986 den objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung erfüllt hat und aufgrund vollständiger und richtiger Angaben in den Steuer- oder Berichtigungserklärungen betreffend die Veranlagungszeiträume ab 1986 die Möglichkeit der Aufdeckung dieser Verkürzungstatbestände besteht.

Würde hingegen, wie im Schrifttum vertreten, der Verweisungsbefehl in § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG dazu führen, auch dann von der Festsetzung der auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder das Kapitalvermögen entfallenden Einkommen- oder Vermögensteuer abzusehen, wenn der Steuerpflichtige für die Veranlagungszeiträume vor 1986 entweder von Anfang an vollständige und richtige Steuererklärungen abgegeben oder diese --unabhängig von seinen Angaben für die Veranlagungszeiträume ab 1986-- berichtigt hat (§ 153 AO 1977), so würde hierdurch nicht nur der durch die "sinngemäße" Anwendung geforderten funktionalen Bezugsetzung zwischen den Regelungen der Sätze 2 und 1 in § 2 Abs.1 StrbEG die Grundlage entzogen, sondern darüber hinaus die in ihrem Umfang mit der Sanktionsfreiheit des § 1 StrbEG kongruente Rechtsfolgenbestimmung des § 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG selbst aufgehoben (ähnlich Krabbe, DStR 1989, 68 ff.).

c) Daß die Vorschrift des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG unter Beachtung der in § 1 StrbEG genannten weiteren Tatbestandsvoraussetzungen nur im Hinblick auf die Nichtfestsetzung der vor dem Veranlagungszeitraum 1986 entstandenen Einkommen- und Vermögensteueransprüche eine Gleichstellung sämtlicher Fälle objektiver Steuerverkürzung sicherstellen will, wird weiterhin durch den Regelungszweck der §§ 1 und 2 Abs.1 Satz 1 StrbEG bestätigt.

aa) Da diese Bestimmungen dem Steuerpflichtigen, der eine sog. strafbefreiende Erklärung abgibt und die ab 1986 hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Einkommen- oder Vermögensteuer betreffend die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder aus Kapitalvermögen selbst innerhalb einer angemessenen Frist nachentrichtet, auch für die Veranlagungszeiträume vor 1986 Straf- und Bußgeldfreiheit einräumen und ihm gegenüber auch den Verzicht auf die Festsetzung der in diesen Besteuerungszeiträumen hinterzogenen oder leichtfertig verkürzten Steuern aussprechen will, besteht ihr Regelungszweck darin, durch die Gewährung dieser Anreize bisher "steuerunehrliche Bürger (in einer seit langem kritischen Grauzone des Steuerrechts) an die Steuerehrlichkeit heranzuführen" (BTDrucks 11/2536 S.56) und dem Fiskus die ihm zustehenden Steuern aus bisher verborgen gebliebenen Steuerquellen zukünftig zu sichern (so zutreffend Dumke in Schwarz, a.a.O., Anhang zu § 371 Anm.17; Gies/Wittmann, a.a.O., S.330 f.; Neckels, a.a.O., S.8 ff., 10 f.; zu weitergehenden Motiven des Gesetzgebers vgl. BTDrucks 11/2536, S.56).

Bereits hieran wird deutlich, daß die Ausdehnung der Rechtsfolgen des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG auf Steuerpflichtige, die für die Veranlagungszeiträume vor 1986 ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie ihr Kapitalvermögen selbst ordnungsgemäß erklärt oder --unabhängig von den Angaben für die Veranlagungszeiträume ab 1986-- entsprechende Berichtigungserklärungen (§ 153 AO 1977) abgegeben haben, dem unmittelbar aus dem Gesetz ableitbaren Regelungszweck eine nur nebengeordnete Bedeutung zuweisen würde.

bb) Für eine solche Ausdehnung des Normprogramms (vgl. zu diesem Begriff Larenz, a.a.O., S.129 ff., 320) läßt sich unter systematisch-teleologischen Gesichtspunkten auch nicht anführen, daß mit der Bestimmung des § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG eine Überschreitung des unmittelbaren Regelungsbereichs des § 1 StrbEG verbunden und deshalb auch die Einbeziehung steuerehrlichen Verhaltens für die Veranlagungszeiträume vor 1986 in § 2 StrbEG gerechtfertigt sei. Denn abgesehen von der systematischen Verklammerung der Sätze 1 und 2 in § 2 Abs.1 StrbEG (s. oben Abschn.II 2.b)bb) zeigt die besondere tatbestandliche Ausgestaltung der Straf- und Bußgeldfreiheit des § 1 StrbEG, daß der durch diese Vorschrift "angezielte Lebensbereich" (sog. Normbereich; dazu Larenz, a.a.O., S.320) über ihre unmittelbaren Rechtsfolgenbestimmungen hinausreicht und --auf der Grundlage des in den vorstehenden Abschnitten dargelegten Begriffsverständnisses-- in § 2 Abs.1 Satz 2 StrbEG eine komplementäre Regelung gefunden hat.

Im Unterschied zur Selbstanzeige (§§ 371, 378 Abs.3 AO 1977; vgl. Gies/Wittmann, a.a.O., S.331 f.) tritt die Rechtsfolge der Sanktionsfreiheit, die auch die Veranlagungszeiträume vor 1986 erfaßt, bereits dann ein, wenn der Erklärende bezüglich der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen oder bezüglich der Besteuerung des Kapitalvermögens selbst für die Veranlagungszeiträume 1986 und 1987 richtige und vollständige Angaben macht oder für die Besteuerungszeiträume ab 1986 nachholt, berichtigt oder ergänzt (strafbefreiende Erklärung), im Zeitpunkt dieser Erklärung keiner der Ausschlußtatbestände des § 1 Abs.3 StrbEG gegeben ist und die für die Veranlagungszeiträume ab 1986 hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Einkommen- oder Vermögensteuer innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist entrichtet wird (§ 1 Abs.2 StrbEG). Diese zeitliche Zäsur auf der Seite des Tatbestands einerseits sowie die auch für die Veranlagungszeiträume vor 1986 eintretende Straf- und Bußgeldfreiheit andererseits vermag zwar nicht in allen Fällen zu verhindern, daß anhand der in den Besteuerungszeiträumen vor 1986 tatsächlich erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen oder des in diesen Jahren tatsächlich vorhandenen Kapitalvermögens die Vollständigkeit und Richtigkeit der für die Veranlagungszeiträume ab 1986 abgegebenen Steuer- oder Berichtigungserklärungen überprüft wird. Liegt jedoch eine wirksame, weil vollständige und richtige Erklärung vor, so ist die zuständige Behörde --jedenfalls soweit es um die Sanktionsfreiheit des Erklärenden sowie der in § 1 Abs.1 Satz 4 StrbEG genannten Personen geht (zur Problematik der Ahndungsfreiheit für sonstige Tatbeteiligte vgl. Schreiben des BMF vom 9.Dezember 1988, BStBl I, 524 Tz.4.2 einerseits sowie Dumke in Schwarz, a.a.O., Anhang zu § 371 Anm.28 a andererseits)-- davon entbunden, über den zum Zeitpunkt der Abgabe einer solchen (strafbefreienden) Erklärung gegebenen Kenntnisstand hinaus (vgl. § 1 Abs.3 StrbEG) Ermittlungen über die Frage anzustellen, ob der Erklärende vorsätzlich oder leichtfertig gehandelt hat (vgl. § 152 Abs.2 der Strafprozeßordnung --StPO-- i.V.m. §§ 385, 399 AO 1977 und § 47 des Ordnungswidrigkeitengesetzes --OWiG-- i.V.m. §§ 409 ff. AO 1977; Dumke in Schwarz, a.a.O., Anhang zu § 371 Anm.14). Denn entweder tritt Ahndungsfreiheit aufgrund des StrbEG ein oder eine Straf- oder Bußgeldfestsetzung kam mangels Vorsatz oder Leichtfertigkeit von Anfang an nicht in Betracht. Im Hinblick auf diesen Regelungszusammenhang wird in der Literatur zutreffend darauf hingewiesen, daß dann, wenn der Steuerpflichtige eine wirksame straf- oder bußgeldbefreiende Erklärung abgibt, die Vergangenheit --in dem beschriebenen Umfang-- "ruhen soll" (Krabbe, a.a.O., 68 ff., 69; Schünemann, a.a.O., S.15).

Entsprechend diesem, über die unmittelbaren Rechtsfolgen hinausreichenden Normbereich des § 1 StrbEG kommt den Regelungen des § 2 Abs.1 Sätze 1 und 2 StrbEG, nach denen unabhängig von der Frage des Schuldvorwurfs, d.h. der Vorsätzlichkeit oder Leichtfertigkeit des Handelns, in allen Fällen der Verkürzung von auf Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen selbst entfallender Einkommen- oder Vermögensteuer vor den Veranlagungszeiträumen 1986 unter Beachtung der in § 1 StrbEG niedergelegten Tatbestandsvoraussetzungen eine Festsetzung dieser Steueransprüche nicht stattfinden soll, eine folgerichtige Komplementärfunktion zu.

d) Das vorstehend dargelegte Normverständnis hat schließlich auch in den Gesetzesmaterialien einen unmißverständlichen Niederschlag gefunden.

Nach der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 2 Abs.1 StrbEG "sieht die Vorschrift in Ergänzung der Straf- und Bußgeldfreiheit nach § 1 vor, daß eine Nachversteuerung für die Zeit vor dem Jahr 1986 unterbleibt, wenn insoweit nach § 1 Straffreiheit eintritt oder eine Geldbuße nicht festgesetzt wird. Nach Satz 2 gilt dies auch, wenn der Steuerpflichtige hinsichtlich einer Steuerverkürzung nicht schuldhaft gehandelt hat, sich z.B. in einem nicht vermeidbaren Verbotsirrtum befand" (BTDrucks 11/2157, S.198; vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zum Haushaltsbegleitgesetz 1989, BTDrucks 11/3306 (neu), S.19). Im Hinblick auf den im Wege der objektiv-teleologischen Interpretation erschlossenen Normbereich --s. oben Abschn.II 2.c)bb-- ist der Gesetzesvorlage zu entnehmen, daß die Bestimmung des § 2 StrbEG "demjenigen, der seine Einkünfte aus Kapitalvermögen oder das Kapitalvermögen selbst nicht oder nicht vollständig erklärt hat und der deshalb mit dem Vorwurf (Hervorhebung durch den Senat) rechnen muß, vorsätzlich oder leichtfertig die auf diese Einkünfte entfallende Einkommensteuer und die auf das entsprechende Vermögen entfallende Vermögensteuer verkürzt zu haben, den Weg in die Steuerehrlichkeit erleichtern (soll)" (BTDrucks 11/2157, S.197; vgl. auch S.118 linke Spalte).

III. Die Nichtfestsetzung der auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen entfallenden und verkürzten Einkommen- oder Vermögensteuer für die Veranlagungszeiträume vor 1986 wird in der Literatur überwiegend als verfassungswidrig angesehen (vgl. die Nachweise bei Scholtz, a.a.O., S.271 und Fußnote 69).

Die damit verbundene Schlechterstellung der Steuerpflichtigen, die für diese Besteuerungszeiträume ihre Kapitalerträge oder ihr Kapitalvermögen ordnungsgemäß erklärt hätten, verstoße sowohl gegen das allgemeine Gleichheitsgebot des Art.3 GG (Arndt, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1988, 787 ff., 793; Zacharias/Rinnewitz/Spahn, DStZ 1989, 84 ff., 86 f.; Felix, KÖSDI 1988, 7309 ff., 7313 f.; Carl/Klos, a.a.O., S.6; vgl. auch Urteile des Niedersächsischen FG in DStR 1989, 72, und des FG Münster in FR 1989, 75 ff.) als auch gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz (Art.20 Abs.3 GG) der gesetzmäßigen Steuererhebung (Birk, NJW 1989, S.1072 ff., 1073 f.). Angesicht der Legalisierung des Bankenerlasses (§ 30a AO 1977 n.F.) durch das Steuerreformgesetz 1990 sei das StrbEG auch nicht geeignet, sein Regelungsziel zu erreichen (Tipke, BB 1989, 157 ff., 158; vgl. hierzu auch die im Gesetzgebungsverfahren durchgeführten Anhörungen, BTDrucks 11/2536, S.30). Schließlich wird die Ansicht vertreten, daß das StrbEG nicht den verfassungsrechtlichen Legitimationsanforderungen genüge, die an eine Amnestieregelung zu stellen seien (Schünemann, a.a.O., S.24 ff., siehe dort --S.5 ff.-- auch zu der im Schrifttum umstrittenen Frage des Rechtscharakters der Straf- und Bußgeldfreiheit nach § 1 StrbEG).

IV. Der Senat braucht im Rahmen des anhängigen Verfahrens zu diesen Einwänden nicht Stellung zu nehmen. Denn --die im folgenden unterstellte-- Verfassungswidrigkeit des StrbEG könnte weder dazu führen, den nichtbegünstigten Personenkreis im Wege einer verfassungskonformen Auslegung den Normadressaten des StrbEG gleichzustellen (nachfolgend 1.) noch, den anhängigen Rechtsstreit gemäß Art.100 Abs.1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen (nachfolgend 2.).

1. Der im Schrifttum --mit dem Ziel der Einbeziehung steuerehrlichen Verhaltens für die Veranlagungszeiträume vor 1986-- teilweise befürworteten verfassungsgeleiteten Auslegung (Geckle, a.a.O., S.145 ff.; Späth, DStR 1989, 206 ff.; Bilsdorfer, Die steuerliche Betriebsprüfung --StBp-- 1988, 276 ff.) steht entgegen, daß dieses Auslegungskriterium nur dann zum Zuge kommt, wenn der Inhalt der in Frage stehenden Norm bei Anwendung der übrigen Auslegungsmethoden nicht eindeutig bestimmt werden kann (Larenz, a.a.O., S.326; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Tz.86). Die Grenze der verfassungskonformen Rechtsfindung durch die Gerichte würde jedoch überschritten, wenn --wie vorliegend infolge der Ausdehnung des nach dem StrbEG begünstigten Personenkreises auf solche Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen oder ihr Kapitalvermögen ordnungsgemäß erklärt oder unabhängig von ihren Angaben betreffend die Besteuerungszeiträume ab 1986 berichtigt haben-- einem nach dem Wortlaut und dem Zweck eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der Gesetzesvorschriften grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (BVerfG in BVerfGE 54, 277 ff., 299 f. mit umfangreichen Nachweisen; Beschluß des BFH vom 24.Februar 1988 II B 160/87, BFHE 152, 272, BStBl II 1988, 457; gleicher Ansicht Birk, a.a.O., 1073; Scholtz, a.a.O., S.271; Carl/Klos, a.a.O., S.7; Felix, KÖSDI 1988, 7423 ff., 7427 f.; Schünemann, a.a.O., S.16 f.).

2. Einer Vorlage an das BVerfG (Art.100 GG) steht entgegen, daß es bei der Entscheidung des Rechtsstreits auf die im Schrifttum geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ankommt.

a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG --beginnend mit dem Beschluß vom 12.Februar 1964 1 BvL 12/62, BVerfGE 17, 210 (seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. Nachweise bei Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a.a.O., § 80 Rdnr.138, Fußnote 1)-- ist die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesvorschrift grundsätzlich auch dann i.S. von Art.100 GG entscheidungserheblich, wenn das Klageverfahren des Angehörigen der durch eine Norm nichtbegünstigten Personengruppe nach der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes durch das BVerfG, d.h. nach Durchführung des Normenkontrollverfahrens, bis zum Erlaß einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ausgesetzt werden müßte (kritisch Bettermann, Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerfG, 1976, 1.Bd., S.323 ff., 359 ff.), da hierdurch für den Kläger die Chance offengehalten werde, an einer etwaigen Erweiterung der begünstigenden Regelung durch den Gesetzgeber teilzuhaben (Beschluß des BVerfG vom 19.Oktober 1982 1 BvL 39/80, BVerfGE 61, 138, 146).

b) Das BVerfG hat bisher zu der Frage, in welchem Maße die Erwartung, der Gesetzgeber werde eine begünstigende Rechtsnorm auch auf eine Personengruppe, der der Kläger angehört, ausdehnen, im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage einer Fundierung bedarf, noch nicht abschließend Stellung genommen. Es hat jedoch in seinem Beschluß vom 11.Oktober 1983 1 BvL 73/78 (BVerfGE 65, 160, 169, BStBl II 1984, 20) zum einen ausgesprochen, daß ein gleichheitswidriger Entzug eines gesetzlichen Vorteils dann nicht i.S. von Art.100 GG entscheidungserheblich sei, wenn die Einbeziehung des Klägers in den nach der in Frage stehenden Vorschrift begünstigten Personenkreis "schlechthin ausgeschlossen sei" (vgl. auch Urteil vom 10.Februar 1987 1 BvL 18/81 und 20/82, BVerfGE 74, 182) und zum anderen zu erkennen gegeben, daß möglicherweise gleiches gelte, wenn eine solche generelle und rückbezogene Neuregelung nur "schwer vorstellbar" sei.

Weiterhin hat es der BFH in seinem nicht veröffentlichten (NV) Urteil vom 19.Januar 1978 V R 135/72 abgelehnt, in die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer steuerrechtlichen Vorschrift einzutreten, wenn lediglich die "entfernte Möglichkeit" bestehe, daß der (nichtbegünstigte) Kläger bei einer rückwirkenden Neuregelung in die Begünstigungsnorm einbezogen werden könnte.

Nach Auffassung des Senats entspricht der den vorgenannten Entscheidungen zugrundeliegende Rechtsgedanke der vorausschauenden und auf eine Ausgrenzung nur theoretisch denkbarer Optionen gerichteten Beurteilung des gesetzgeberischen Ermessensspielraums nicht nur dem Gebot der Prozeßökonomie, sondern auch Sinn und Zweck des Rechtsinstitutes der konkreten Normenkontrolle. Denn das Normenkontrollverfahren nach Art.100 GG dient ausschließlich dem Ziel, eine verfassungsmäßige Entscheidung in einem konkreten Rechtsstreit zu gewährleisten (Beschlüsse des BVerfG vom 26.Oktober 1977 1 BvL 9/72, BVerfGE 46, 268; 283; vom 11.Oktober 1977 1 BvL 16/76, BVerfGE 46, 66, 71). Da mit der Durchführung eines solchen Zwischenverfahrens die Entscheidung zur Sache verzögert wird, ist das Gericht --wie das BVerfG in seinem Beschluß vom 10.Mai 1988 1 BvR 8/82, 9/82, NJW 1988, 2293 im Anschluß an Bettermann, a.a.O., S.362, allgemein ausführte-- dazu aufgerufen, eine, den Justizgewährungsanspruch beeinträchtigende Verzögerung des Gerichtsverfahrens durch Anrufung des BVerfG nach Möglichkeit zu vermeiden. Demgemäß kann nach Ansicht des Senats auch für Streitigkeiten, in denen die Verfassungswidrigkeit einer relativen Normlücke in Frage steht, ein Vorlagebeschluß nach Art.100 GG jedenfalls dann nicht in Betracht kommen, wenn --unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheit-- die Ausübung des gesetzgeberischen Ermessens im Sinne einer den Kläger begünstigenden Komplementärregelung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist. Denn bei Vorliegen eines solchen Sachverhalts würde dem Kläger nicht "die Chance einer späteren Begünstigung offengehalten", sondern würden --unter Umständen mit Wirkung für eine Vielzahl weiterer Gerichtsverfahren-- Hoffnungen geweckt, deren Erfüllung außerhalb des tatsächlichen Ermessensspielraums des Gesetzgebers lägen und die deshalb auch eine Verzögerung des Verfahrensabschlusses sachlich nicht rechtfertigen können (vgl. auch Urteil des BFH vom 13.Oktober 1983 IV R 217/80, BFHE 139, 514, BStBl II 1984, 198).

c) Hiervon ausgehend ist die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 2 StrbEG für die Entscheidung des anhängigen Revisionsverfahrens nicht entscheidungserheblich.

aa) Die vom FG Münster in seinem Beschluß vom 17.Januar 1989 (X 8251/86 E, a.a.O.) angesprochene Möglichkeit, einen Verfassungsverstoß des § 2 StrbEG dadurch zu beseitigen, daß die Vergünstigung dieser Vorschrift auf solche Steuerpflichtige ausgedehnt werde, deren Steuerfestsetzungen noch nicht in Bestandskraft erwachsen seien, scheidet bereits deshalb aus, weil hierdurch der gerügte Gleichheitsverstoß nicht beseitigt, sondern ein nicht gerechtfertigtes Unterscheidungsmerkmal eingeführt würde (gleicher Ansicht Birk, a.a.O., S.1075; Scholtz, a.a.O., S.273).

Eine solche Differenzierung ließe sich auch nicht damit begründen, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG der Gesetzgeber grundsätzlich dann nicht gleichheitswidrig handelt, wenn er --in Übereinstimmung mit der Wertung des § 79 Abs.2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG)-- dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit dadurch Rechnung trägt, daß er eine verfassungsmäßige Regelung auf noch nicht in Bestandskraft erwachsene Entscheidungen beschränkt (Beschlüsse des BVerfG vom 12.Dezember 1957 1 BvR 678/57, BVerfGE 7, 194; vom 14.März 1963 1 BvL 28/62, BVerfGE 15, 313; vom 21.Mai 1974 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217, 262 f.). Denn angesichts dessen, daß zum einen für Steuerpflichtige, die ihre Kapitalerträge oder ihr Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume vor 1986 ordnungsgemäß erklärten, auch vor Inkrafttreten des StrbEG keine rechtliche Möglichkeit bestand, sich erfolgreich gegen die hiermit verbundene Steuerbelastung zur Wehr zu setzen (siehe oben Abschn.B betreffend Bankenerlaß), und andererseits die Rechtsfolgen des § 2 StrbEG nicht auf eine Neuregelung in der Zukunft, sondern ausschließlich darauf gerichtet sind, einer bestimmten Personengruppe für die Besteuerungszeiträume vor 1986 weitreichende Vergünstigungen einzuräumen, könnte ein Gleichheitsverstoß dieser Bestimmung nicht durch die rein zufällige und --gemessen an ihrem verhältnismäßigen Gewicht-- eher vernachlässigbare Gleichstellung der Sachverhalte ausgeräumt werden, für die --unter Umständen aus Gründen, die mit der Erfassung der erklärten Kapitalerträge oder des erklärten Kapitalvermögens nicht in Zusammenhang stehen-- die Steuerfestsetzungen noch nicht in Bestandskraft erwachsen sind.

bb) Die somit verbleibende Möglichkeit des Gesetzgebers, für die Veranlagungszeiträume vor 1986 die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen bereits entrichteten Steuern zurückzuerstatten (oder auf deren Erhebung zu verzichten), erscheint bereits aus haushaltspolitischen Gründen als ausgeschlossen (gleicher Ansicht FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.Februar 1989 6 K 6/87, Inf 1989, 237; Birk, a.a.O., S.1075; Kübler, DStZ 1988, 400).

Legt man --um die Größenordnung für die damit verbundenen Steuerausfälle in etwa bestimmen zu können-- die maximale Zeitspanne der "Gleichstellung" vereinfachend auf die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1985 fest (vgl. §§ 169 Abs.2, 170 AO 1977) und greift man hiervon beispielsweise die Veranlagungszeiträume 1977, 1980 und 1983 heraus, so würde --auf der Grundlage der Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamts, Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 7.1, Einkommensteuer 1977 (S.25), 1980 (S.29) und 1983 (S.31) sowie bei Annahme eines durchschnittlichen Grenzsteuersatzes von nur 30 v.H.-- die Rückerstattung (oder der Erhebungsverzicht bezüglich) der auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallenden Einkommensteuer für diese Besteuerungszeiträume zu folgenden Haushaltsbelastungen führen:

Veranlagungszeiträume Einkünfte aus hierauf entfallende

Kapitalvermögen Einkommensteuer in

in Mrd. DM Mrd. DM

(Grenzsteuersatz

30 v.H.)

1977 7,899 2,369

1980 16,161 4,8

1983 19,453 5,835

Hieraus ergibt sich, daß der Gesetzgeber, um den für die Kläger des anhängigen Revisionsverfahrens (Streitjahr 1981) günstigsten Geschehensablauf anzunehmen, bereits für eine "Gleichstellung" sämtlicher Steuerpflichtiger mit Einkünften aus Kapitalvermögen im Hinblick auf die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1981 Mindereinnahmen in der Größenordnung von mindestens 15 Mrd. DM in Kauf nehmen müßte. Eine derartige Entscheidung des Gesetzgebers schließt der Senat --bereits für sich betrachtet-- mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus.

cc) Hinzu kommt, daß die partielle Wiederaufrollung der in der Vergangenheit durchgeführten Steuerveranlagungen nicht nur mit einem außergewöhnlichen rechnerischen Aufwand verbunden wäre, sondern auch --sofern sie in Anbetracht der Zahl der betroffenen Steuerfälle und der durch den Zeitablauf eingetretenen Komplizierungen überhaupt durchführbar wäre-- die organisatorische Leistungsfähigkeit der FÄ über einen längeren Zeitraum in erheblichem Maße beeinträchtigen würde.

dd) Schließlich vermag nach Ansicht des Senats auch der Hinweis des FG Münster (a.a.O.), daß der Steuerpflichtige, der eine strafbefreiende Erklärung nach § 1 StrbEG abgebe und seine Einkünfte (oder sein Kapitalvermögen) für die Veranlagungszeiträume vor 1986 nur teilweise erklärt habe ("Mischfall"), insoweit nicht durch § 2 StrbEG begünstigt werde und es deshalb auch nicht geboten sei, dem Steuerpflichtigen, der für die Besteuerungszeiträume vor 1986 vollständige Angaben gemacht habe, einen ungekürzten Erstattungsanspruch einzuräumen, keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Denn abgesehen davon, daß mit einer nur teilweisen Erstattung (oder einem nur teilweisen Erhebungsverzicht) die fiskalischen Schwierigkeiten (siehe oben cc) im Grundsatz nicht ausgeräumt würden, erscheint es bereits ausgeschlossen, einen "repräsentativen Prozentsatz" nicht erklärter Einkünfte (oder nicht erklärten Kapitalvermögens) zu bestimmen (vgl. hierzu Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1985 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BTDrucks 10/4367, 89 ff. einerseits und Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung, Nr.42/86, insbesondere S.10 andererseits) und, was seine Anwendung voraussetzen würden, darüber hinaus in jedem Einzelfall zu ermitteln, ob und in welchem Umfang für die Veranlagungszeiträume vor 1986 die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen oder auf das Kapitalvermögen selbst entfallende Einkommen- oder Vermögensteuer verkürzt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62521

BFH/NV 1989, 33

BStBl II 1989, 836

BFHE 156, 543

BFHE 1989, 543

BB 1989, 1666-1672 (LT1-3)

DB 1989, 1648-1654 (ST)

DStR 1989, 532 (K)

HFR 1989, 619 (LT)

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