Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Lehnt das Finanzamt eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften im Sinne des § 215 Abs. 2 AO ab, weil es eine Beteiligung mehrerer an diesen Einkünften verneint, so ist dagegen das Berufungsverfahren nach den §§ 228, 229 AO gegeben.

 

Normenkette

AO § 215 Abs. 2, §§ 228-229, 237, 230

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Ehefrau des Steuerpflichtigen zusammen mit ihrem Ehemann unmittelbar als Gesellschafterin oder im Wege der Unterbeteiligung am Gewinn eines in der Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (im folgenden: Gesellschaft) geführten Weinbaubetriebs beteiligt ist oder ob jedenfalls der dem Steuerpflichtigen als Gesellschafter vom Finanzamt allein zugerechnete Gewinnanteil aus dieser Gesellschaft zwischen den Eheleuten deshalb aufzuteilen ist, weil neben der Gesellschaft zwischen den Eheleuten seit jeher eine Mitunternehmerschaft bestand und noch besteht, soweit im Eigentum der Eheleute stehende und in die Gesellschaft eingebrachte Anbauflächen in Betracht kommen.

Der verfahrensrechtliche Ablauf, auf den es für die Entscheidung des Streitfalls in diesem Stadium des Verfahrens ankommt, ist folgender. Im Jahre 1949 gründete der Steuerpflichtige mit der Witwe des Weingutsbesitzers A zum gemeinsamen Betrieb eines Weinguts eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, in die er u. a. eigene Anbauflächen und Anbauflächen seiner Ehefrau einbrachte. Im Vertrage wurde vorgesehen, daß die Ehefrau des Steuerpflichtigen diesen bei der verantwortlichen Leitung des Betriebs "tatkräftig" unterstützen solle und daß der Steuerpflichtige am Gewinn und Verlust der Gesellschaft mit 2/3, die Mitgesellschafterin A mit 1/3 beteiligt sein sollten.

Auf dieser Grundlage, d. h. ohne Gewinnbeteiligung der Ehefrau, führte das Finanzamt die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung gemäß § 215 Abs. 2 Ziff. 1 AO durch. Solange die Eheleute nach § 26 EStG alter Fassung ohnehin zusammen zu veranlagen waren, erhoben sie dagegen keine Einwendungen. Erstmals im Zuge einer Wiederaufrollung der Gewinnfeststellungen 1953 bis 1955 nach § 222 AO sowie der erstmaligen Gewinnfeststellungen 1956 und 1957 machten sie mit dem Ziel getrennter Veranlagung geltend, daß der bisher dem Ehemann allein zugerechnete Gewinnanteil zwischen ihnen aufzuteilen sei.

Das Finanzamt führte die Berichtigung der Gewinnfeststellungen 1953 bis 1955 sowie die erstmaligen Gewinnfeststellungen 1956 und 1957 in der Weise durch, daß es - wie bisher - den Gewinn der Gesellschaft lediglich auf den Ehemann und die Gesellschafterin A verteilte. Außerdem erließ es einen "negativen Feststellungsbescheid", in dem es mit näherer Begründung feststellte, daß eine wie immer geartete Aufteilung des dem Ehemann zugerechneten Gewinnanteils auf diesen und auf seine Ehefrau nicht möglich sei.

Gegen die Gewinnfeststellungsbescheide sowie gegen den negativen Gewinnfeststellungsbescheid legten die Eheleute Einspruch ein. Den Einspruch gegen die Gewinnfeststellungsbescheide verwarf das Finanzamt mit folgender Begründung als unzulässig. Die Einwendungen der Eheleute richteten sich gegen das Schreiben des Finanzamts vom 8. Dezember 1959 (negativer Gewinnfeststellungsbescheid), worin eine Aufteilung des Gewinnanteils abgelehnt worden sei. Die einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide 1953 bis 1957 beruhten jedoch auf dem negativen Gewinnfeststellungsbescheid, weil erst nach Ergehen dieses Bescheids der gesamte Anteil dem Ehemann zugerechnet werden könne. Gemäß § 232 Abs. 2 AO sei nur dieser negative Gewinnfeststellungsbescheid anfechtbar. Diese Einspruchsentscheidung wurde unanfechtbar.

Den Einspruch gegen den negativen Gewinnfeststellungsbescheid wies das Finanzamt als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht hob auf die Berufung der Eheleute, ohne in der Sache zu entscheiden, diese Einspruchsentscheidung auf und verwies die Sache an die Oberfinanzdirektion, indem es den Einspruch der Eheleute in eine Beschwerde umdeutete. Es führte aus: Es entspreche zwar der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum und in der Verwaltungspraxis, daß gegen sogenannte negative - eine Gewinnfeststellung ablehnende - Bescheide ebenso wie gegen positive, d. h. eine Gewinnfeststellung durchführende Bescheide das Berufungsverfahren im Sinne der §§ 228, 229 AO gegeben sei. Der negative Feststellungsbescheid sei aber kein Feststellungsbescheid im Sinne der §§ 214, 215, 228 AO. Der gegenteiligen Auffassung stehe der eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen, dessen maßgebliche Bedeutung der Bundesfinanzhof selbst immer wieder im Interesse der Rechtssicherheit betont habe. Da § 215 AO in seinem Abs. 2 bestimme, daß die dort genannten Einkünfte einheitlich und gesondert festzustellen seien, "wenn an den Einkünften mehrere beteiligt sind", so folge daraus zwingend, daß von einer Feststellung und demgemäß von einem Feststellungsbescheid im Sinne dieser Vorschrift auch nur unter dieser Voraussetzung gesprochen werden könne. Führe das Finanzamt eine einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung nicht durch, weil es eine Beteiligung "mehrerer" verneine, und lehne es deshalb den Erlaß eines (positiven) Feststellungsbescheids ab, so könne in dieser Maßnahme nicht das gesehen werden, was das Finanzamt verweigere. Der negative Gewinnfeststellungsbescheid sei also kein Feststellungsbescheid im Sinne des § 215 AO. Er sei daher im Sinne des § 237 AO eine "andere Verfügung als die in den §§ 229, 235 AO bezeichneten". Gegen diese Verfügung sei zunächst nach §§ 237 Abs. 1, 303 AO die Beschwerde gegeben, über die nach § 304 Abs. 2 AO die Oberfinanzdirektion zu entscheiden habe. Der Einspruch der Eheleute sei deshalb als Beschwerde zu behandeln und die Sache an die Oberfinanzdirektion zu verweisen.

Dagegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Diesem Antrag ist zu entsprechen. Die Rb. ist begründet.

Soweit es sich zunächst um die Frage handelt, ob die Ehefrau unmittelbar oder über eine Unterbeteiligung am Gewinn der Gesellschaft als deren Gesellschafterin beteiligt war, kann der Vorinstanz schon nach ihren eigenen Rechtsausführungen nicht gefolgt werden. Sie erkennt - zutreffend - an, daß dann, wenn ein einheitlicher (positiver) Feststellungsbescheid ergangen sei, über ein gegen ihn gerichtetes Rechtsmittel allein im Berufungsverfahren nach § 229 AO zu entscheiden sei, und daß dies auch für die Fälle gelte, in denen bei einer behaupteten Beteiligung von drei Personen vom Finanzamt nur zwei als an der Gesellschaft Beteiligte anerkannt würden. So aber liegt es hier. Ob die Ehefrau neben ihrem Ehemann und der Gesellschafterin A als Mitunternehmerin an der Gesellschaft beteiligt war, hätte das Finanzamt, dem der Sachverhalt insoweit bei Erlaß der gemäß § 222 AO berichtigten oder erstmaligen Feststellungsbescheide bekannt war, in den sich darauf beziehenden Feststellungsverfahren entscheiden müssen. Es durfte den gegen diese Bescheide eingelegten Einspruch nicht als unzulässig verwerfen. Dies hat der Senat mit eingehender Begründung bereits in seiner Entscheidung IV 333/55 U vom 30. Oktober 1958 BStBl 1959 III S. 249, Slg. Bd. 68 S. 653) ausgesprochen. Wenn die Eheleute und der sie vertretende Steuerbevollmächtigte im Hinblick auf das Verfahren des Finanzamts, nämlich den sogenannten negativen Feststellungsbescheid, es dabei bewenden ließen und keine Berufung einlegten, so kann ihnen das nicht zu ihrem Nachteil entgegengehalten werden. In dem besonderen Bescheid des Finanzamtes muß unter diesen Umständen seinem Wesen und seiner Bedeutung nach eine Ergänzung der (positiven) Feststellungsbescheide gesehen werden (ß 216 Abs. 2 AO). Das entspricht den Grundsätzen, die der Senat in der genannten Entscheidung dargelegt hat. Es ist anzunehmen, daß auch die Vorinstanz bei Erkenntnis dieser Rechtslage die gleichen Folgerungen gezogen hätte. Es wäre jedenfalls nicht einzusehen, weshalb den Eheleuten unter diesen Umständen das Rechtsmittel des Einspruchs, das sie bei ordnungsgemäßem Verfahren des Finanzamts gehabt hätten, zu versagen sei und sie statt dessen zur Einlegung der Beschwerde genötigt sein sollten.

Die in der Vorentscheidung zum Wesen des negativen Feststellungsbescheids vertretene Rechtsansicht mag dem buchstäblichen Wortlaut des § 215 Abs. 2 AO entsprechen. Es ist auch richtig, daß der Gesetzeswortlaut für die Ermittlung des Willens des Gesetzgebers, zu dessen Vollzug die Gerichte nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) berufen sind, grundsätzlich maßgeblich ist, wie der Bundesfinanzhof wiederholt im Interesse der Rechtssicherheit ausgesprochen hat (vgl. z. B. auch Urteile des Bundesfinanzhofs VI 45/59 U vom 17. April 1959, BStBl 1959 III S. 235, Slg. Bd. 68 S. 616; IV 26/62 S vom 21. Februar 1964, BStBl 1964 III S. 188, 190, Slg. Bd. 78 S. 490). Damit ist aber nicht gesagt, daß es der Rechtsprechung verwehrt sei zu prüfen, ob der Gesetzeswortlaut nicht hinter dem zurückbleibt, was der Gesetzgeber wirklich gewollt und bei ausdrücklicher Regelung in einem bestimmten Sinne geregelt haben würde. Es ist die Aufgabe der Rechtsprechung, dem wirklichen Willen des Gesetzes durch eine sinnvolle Auslegung Geltung zu verschaffen. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Auslegung der Vorinstanz nicht gefolgt werden. Es ist - worauf der Vorsteher des Finanzamts mit Recht hinweist - nicht einzusehen, weshalb die am Anfang aller überlegungen stehende Prüfung, ob an Einkünften mehrere beteiligt sind und deshalb aus Gründen der Einheitlichkeit eine gesonderte Feststellung zu erfolgen hat, nicht Gegenstand eines Feststellungsbescheids im Sinne des § 215 Abs. 2 AO sein soll, wenn sie negativ ausfällt. Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die Verneinung der Beteiligung an Einkünften Gegenstand eines solchen Bescheids nach § 215 Abs. 2 AO nur dann sein soll, wenn sie einen von beispielsweise drei Steuerpflichtigen betrifft, nicht aber wenn sie die Gesamtheit dieser Steuerpflichtigen betrifft. Es muß deshalb angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Frage schon aus Zweckmäßigkeitserwägungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geregelt haben würde, wenn er Anlaß gesehen hätte, zu ihr ausdrücklich Stellung zu nehmen.

Der Bundesfinanzhof ist in seiner Rechtsprechung einheitlich und ständig davon ausgegangen, daß auch gegen den negativen Gewinnfeststellungsbescheid das Berufungsverfahren im Sinne der §§ 228, 229 AO gegeben ist (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs I 221/55 U vom 3. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 308, Slg. Bd. 63 S. 288; IV 39/58 U vom 26. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 364, Slg. Bd. 67 S. 237; IV 333/55 U; I 48/59 U vom 1. September 1959, BStBl 1960 III S. 35, Slg. Bd. 70 S. 93; I 77/60 U vom 28. Juni 1960, BStBl 1960 III S. 328, Slg. Bd. 71 S. 210; I 68/61 U vom 5. Juli 1961, BStBl 1961 III S. 546, Slg. Bd. 73 S. 766, und I 140/61 U vom 27. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 214, Slg. Bd. 74 S. 574). An dieser Auffassung wird festgehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411669

BStBl III 1965, 489

BFHE 1965, 671

BFHE 82, 671

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