Leitsatz (amtlich)

Eine ärztliche Gemeinschaftseinrichtung, die sich darauf beschränkt, ihren Mitgliedern medizinische Apparate, medizinisches Personal, Räumlichkeiten und Labormaterial zur Verfügung zu stellen, kann nicht Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG 1967 in Anspruch nehmen.

 

Normenkette

UStG 1967 § 4 Nr. 14

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige (Klägerin, Revisionsbeklagte) ist eine aus neun Ärzten bestehende GdbR, die nach § 1 Nr. 1 ihres Gesellschaftsvertrags den "gemeinsamen Betrieb einer ärztlichen Gemeinschaftseinrichtung mit Labor und sonstigen medizinischen Einrichtungen und Geräten in gemieteten Räumen" bezweckt. Sie unterhielt im Veranlagungszeitraum 1968 medizinische Apparate (ein EKG-Gerät, Geräte für Blutuntersuchungen und Leberfunktionsprüfungen usw.) und hatte eigenes Personal (u. a. medizinisch-technische Assistentinnen und eine Arzthelferin). Ein Gesellschafter-Arzt führte jeweils die Aufsicht. Die Patienten suchten die Einzelpraxen der angeschlossenen Ärzte auf. Hielt der Arzt apparative Untersuchungen oder Therapien für erforderlich, die er in seiner Praxis nicht durchführen konnte, bestellte er die Patienten in die Räume der Steuerpflichtigen, wo er selbst oder der aufsichtsführende Arzt in seiner Vertretung die Maßnahmen vornahm oder vornehmen ließ. Der Arzt rechnete auch die von der Steuerpflichtigen erbrachten Leistungen gegenüber den Patienten oder deren Krankenkassen ab. Die Steuerpflichtige deckte ihren Aufwand durch Zuschüsse (für Neuinvestitionen) und Umlagen (für laufende Betriebskosten). Die Zuschüsse wurden "von sämtlichen Gesellschaftern zu gleichen Teilen aufgebracht" (§ 4 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags), die Umlagen nach einem "Schlüssel entsprechend den von jedem Gesellschafter durch seine Patienten entnommenen Leistungen" (§ 4 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags). Die Gesellschafter zahlten 1968 an die Steuerpflichtige ... DM. Das FA (Beklagter, Revisionskläger) erhob hierauf gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967 eine Umsatzsteuer von 4 v. H. und lehnte es ab, Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG 1967 zu gewähren. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG, dessen Urteil in den EFG 1971, 518 veröffentlicht ist, hat die Steuerpflichtige von der Umsatzsteuer freigestellt und dies im wesentlichen wie folgt begründet: Die Steuerpflichtige sei zwar Unternehmer und erbringe steuerbare Leistungen, indem sie den Gesellschaftern Geräte und ausgebildetes Personal zur Verfügung stelle; Gegenleistung seien die Unkostenerstattungen, die in ihrem Umfang genau den von der Steuerpflichtigen erbrachten Leistungen entsprächen. Der Steuerpflichtigen sei aber Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG 1967 zu gewähren. Sie übe eine der Tätigkeit des Arztes "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" aus. Ihre Tätigkeit bestehe darin, daß "sie unter Leitung und Verantwortung jeweils eines Gesellschafters Diagnosen erstelle und Heilbehandlung durchführe". Auch Untersuchungen, die einer Bestimmung des Krankheitsbildes dienten, seien ärztliche Tätigkeiten (Urteil des BFH V 268/60 U vom 11. Juli 1963, BFH 77, 624, BStBl III 1963, 547). Die Steuerpflichtige sei schließlich freiberuflich tätig. Jeder Arzt handle eigenverantwortlich. Die Gemeinschaftseinrichtungen der Steuerpflichtigen stünden nur den angeschlossenen Gesellschaftern zur Verfügung. Unerheblich sei, daß die Steuerpflichtige von der Liquidation der Honorare gegenüber Patienten und Krankenkassen ausgeschlossen sei. Hierbei handle es sich um eine "rein formale und jederzeit abzuändernde vertragliche Gestaltung".

Das FA rügt mit der Revision Verletzung des § 4 Nr. 14 UStG 1967 und trägt vor: Die Vorentscheidung sei widersprüchlich, wenn sie einerseits die Tätigkeit der Steuerpflichtigen als Zurverfügungstellung von Geräten und Personal an die Gesellschafter, anderseits als arztähnliche Leistungen gegenüber den Patienten ansehe. Entsprechend den Rechtsbeziehungen und der Liquidation finde ein Leistungsaustausch lediglich zwischen der Steuerpflichtigen und den Gesellschaftern statt. Die Steuerpflichtige trete "diesen gegenüber sozusagen als Vermieter oder Verpächter der Räume, Geräte usw. auf" und werde weder als Arzt noch arztähnlich tätig.

Die Steuerpflichtige ist der Ansicht, daß der Klage schon deswegen hätte stattgegeben werden müssen, weil sie eine Arzttätigkeit ausübe. Zur Ausübung der Heilkunde unter der Berufsbezeichnung Arzt gehöre nicht nur die unmittelbare Betätigung am menschlichen Körper, sondern die gesamte den gesundheitlichen Belangen dienende Tätigkeit, wozu Ärzte-Kooperationen jeder Art rechneten.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Steuerpflichtige Unternehmer ist. Unerheblich ist, daß sie nur kostendeckende Entgelte erhoben hat. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1967). Ohne Belang ist weiterhin, daß die Steuerpflichtige - wie noch darzulegen ist - nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig geworden ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1967 kommt diesem Umstand keine Bedeutung zu. Die Steuerpflichtige ist schließlich auch keine umsatzsteuerlich unbeachtliche Innengesellschaft. Sie tätigt zwar keine Umsätze mit Außenstehenden, tritt aber in sonstiger Weise (bei der Anstellung von Personal, bei der Miete von Räumlichkeiten usw.) nach außen hervor, was zur Annahme einer steuerfähigen Außengesellschaft genügt (Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, - 6. Auflage -, § 2 Tz. 38).

2. Nach der Vorentscheidung soll die Steuerpflichtige Diagnoseleistungen und Heilbehandlungen gegenüber den Patienten erbracht haben. In der Vorentscheidung ist aber auch ausgeführt, die Steuerpflichtige habe den Gesellschaftern Geräte und ausgebildetes Personal zur Verfügung gestellt. Zu Recht weist das FA darauf hin, daß hierin ein Widerspruch liegt und die tatsächlichen Feststellungen nur die letztgenannte Schlußfolgerung erlauben.

Die Unklarheiten des FG bei der Bestimmung des Inhalts des Leistungsaustausches und der Leistungsaustauschpartner beruhen offensichtlich auf seiner Annahme, eine "rein formale und jederzeit abzuändernde vertragliche Gestaltung" sei umsatzsteuerlich bedeutungslos. Dies ist unzutreffend. Einem Leistungsaustausch liegen in der Regel schuldrechtlich-vertragliche Beziehungen zugrunde. Diese bestimmen Inhalt und Ausmaß des Leistungsaustausches und dessen Partner. Unterschiedliche Vertragsgestaltungen können durchaus zum Austausch unterschiedlicher Leistungen führen. Auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise berücksichtigt die vertraglichen Beziehungen. Sie stellt lediglich deren wirtschaftlichen Gehalt in den Vordergrund.

Im vorliegenden Fall ergeben sich die gegenseitigen Beziehungen aus dem Gesellschaftsvertrag. In § 4 Abs. 1 dieses Vertrags heißt es, die Gesellschafter seien verpflichtet, die Zwecke der Gemeinschaftseinrichtung "namentlich durch die Zuweisung von Patienten" zu fördern. Nach § 4 Abs. 3 bemessen sich die Umlagen "entsprechend den von jedem Gesellschafter durch seine Patienten entnommenen Leistungen". Danach konnte die Steuerpflichtige nur auf Anforderung der Gesellschafter - nicht der Patienten - tätig werden. Anderseits waren nur die Gesellschafter verpflichtet, der Steuerpflichtigen eine Vergütung zu gewähren. Die Patienten wurden zwar durch die Tätigkeit der Steuerpflichtigen begünstigt, waren aber nicht - wie das FG meint - Leistungsempfänger. Dem entspricht die vom FG festgestellte tatsächliche Gestaltung der Beziehungen. Die Steuerpflichtige rechnete allein gegenüber den Gesellschaftern ab. Diese wiederum liquidierten in vollem Umfang bei den Patienten oder deren Krankenkassen.

Die Steuerpflichtige erbrachte nach dem Zusammenhang der Feststellungen des FG gegenüber den Ärzten (Gesellschaftern) nicht Diagnose- oder Therapieleistungen, sondern überließ ihnen medizinisches Gerät, medizinisches Personal, Räumlichkeiten und Labormaterial. Die infolge dieser Überlassungen ermöglichten diagnostischen und therapeutischen Tätigkeiten nahmen die Ärzte an ihren Patienten selbst vor. Dies ist allerdings nicht schon dem Gesellschaftsvertrag zu entnehmen, der lediglich den "gemeinsamen Betrieb einer ärztlichen Gemeinschaftseinrichtung" fixiert, ergibt sich jedoch aus der vom FG festgestellten Übung der Ärzte (Gesellschafter) bei Inanspruchnahme der Steuerpflichtigen. Das FG hat - dem Vortrag der Steuerpflichtigen folgend - festgestellt, daß die Ärzte die Untersuchungs- und Therapiehandlungen selbst vornahmen oder von dem Personal in ihrer Verantwortung vornehmen ließen. Konnte der behandelnde Arzt nicht selbst anwesend sein, so ging die Verantwortung nicht auf die von der Steuerpflichtigen repräsentierte Ärzte-Kooperation über; der aufsichtsführende Arzt wurde vielmehr "in Vertretung" des behandelnden Arztes tätig. Die Steuerpflichtige hat im Verfahren vor dem FG weiterhin vorgetragen, schwierige Diagnosen und Therapiepläne seien in gemeinsamen Diskussionen mit den anderen Gesellschaftern besprochen worden. Auch in diesen Fällen erbrachte die Steuerpflichtige keine diagnostischen oder therapeutischen Leistungen. Die Leistungen der Steuerpflichtigen waren mit dem Überlassen der Geräte usw. abgeschlossen. Wenn sich die beteiligten Ärzte späterhin zusammensetzten, Untersuchungsergebnisse besprachen und sich gegenseitig Ratschläge gaben, so mochte dies den weiteren Gesellschaftszwecken der Steuerpflichtigen entsprechen (§ 1 Nr. 2 und 3 des Gesellschaftsvertrags: "gemeinsame ärztliche Fortbildung", "Pflege der Kollegialität"), veränderte jedoch nicht den Inhalt der bereits erbrachten Leistungen. Man könnte allenfalls von zusätzlichen Leistungen der Ärzte untereinander sprechen.

Zutreffend hat das FG die gesamten Zahlungen der Gesellschafter an die Steuerpflichtige als Entgelt angesehen. Die Frage, ob Zuschüsse für Neuinvestitionen nach § 4 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags Entgelt sind, stellt sich nicht. Nach den unbeanstandeten Feststellungen des FG entfallen alle Zahlungen des Jahres 1968 auf Umlagen.

3. Der Steuerpflichtigen kann nicht Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG 1967 gewährt werden. Nach dieser Bestimmung sind u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei. Der Anwendung dieser Vorschrift steht nicht entgegen, daß die Steuerpflichtige eine GdbR ist (BFH-Urteil V R 19/71 vom 21. Oktober 1971, BFH 103, 289, BStBl II 1972, 78). Ein Ärztezusammenschluß in der Form einer GdbR ist genauso zu behandeln wie ein einzelner Arzt, sofern noch eine freie Berufstätigkeit im Sinne des Einkommensteuerrechts bejaht werden kann (Erlaß des BdF vom 10. Juli 1969 unter III, BStBl I 1969, 373). Es braucht nicht, wie es das FG für erforderlich gehalten hat, auf den Tatbestand der arztähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG 1967 zurückgegriffen zu werden.

Unerheblich ist ferner, daß die Steuerpflichtige nicht in unmittelbare Rechtsbeziehungen zu den Patienten getreten ist. Es genügt ein heilberufliches Tätigwerden, gleichgültig ob der Patient selbst oder ein Dritter zu dessen Gunsten die Heilbehandlung veranlaßt hat.

Der Steuerpflichtigen ist die Steuerfreiheit aber deswegen zu versagen, weil die von ihr erbrachten Leistungen selbst dann nicht begünstigt wären, wenn sie von einem Arzt im Rahmen einer Einzelpraxis ausgeführt worden wären. Sie hat keine Leistungen aus der Tätigkeit als Arzt im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG 1967 erbracht. Der Senat hat ausgeführt, daß die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 nur auf charakteristische Leistungen eines Freiberuflers anzuwenden ist (BFH-Urteile V R 49/71 vom 12. August 1971, BFH 103, 276, BStBl II 1971, 789; V R 101/71 vom 28. Oktober 1971, BFH 103, 451, BStBl II 1972, 102). Diese Ausführungen gelten für § 4 Nr. 14 UStG 1967 entsprechend, der in der Fassung dem § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 gleicht. Beide Vorschriften unterscheiden sich nur darin, daß § 4 Nr. 14 UStG 1967 gewisse freiberufliche Leistungen aus dem steuerermäßigenden Tatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 herausgreift und steuerfrei stellt. Zu den charakteristischen Leistungen eines Arztes aber gehört es nicht, einem anderen Arzt medizinische Geräte, medizinisches Personal, Labormaterial und Räumlichkeiten zu überlassen. Ein Arzt wird regelmäßig nur soviel Geräte und Labormaterial beschaffen, nur soviel Personal anstellen und nur so viele Räumlichkeiten anmieten, wie für seine Praxis erforderlich sind. Der Steuerpflichtigen kann nicht eingeräumt werden, daß außer der unmittelbaren Betätigung am menschlichen Körper die gesamte den gesundheitlichen Belangen dienende Tätigkeit begünstigt sei, sofern sie nur unter der Bezeichnung Arzt ausgeübt werde. Tätigkeiten, die der Gesundheit lediglich mittelbar dienen und die auch ein Dritter ausüben könnte, sind nicht deswegen steuerfrei, weil sich - die standesrechtliche Zulässigkeit vorausgesetzt - ein Arzt ihrer annimmt.

Auch wenn es wünschenswert sein mag, die Tätigkeiten der Steuerpflichtigen zu begünstigen, ist der Senat nicht befugt, die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG 1967 im Wege der Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes auf die Steuerpflichtige auszudehnen (BFH-Urteil V R 92/71 vom 25. November 1971, BFH 104, 16, BStBl II 1972, 126). Die Bundesregierung hat im Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes 1967 vorgeschlagen, § 4 Nr. 14 UStG 1967 einen Satz 2 einzufügen, wonach steuerfrei sein sollen "auch die sonstigen Leistungen von Gemeinschaften, deren Mitglieder Angehörige der im Satz 1 bezeichneten Berufe sind, gegenüber ihren Mitgliedern, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der nach Satz 1 steuerfreien Umsätze verwendet werden" (Art. 1 Nr. 3 Buchst. g, Bundestags-Drucksache VI/2817). Sollte dieser Satz Gesetz werden, wäre die Steuerpflichtige mit ihren Leistungen steuerfrei, sofern nicht die Überlassung von Labormaterial als Lieferung angesehen werden müßte.

4. Die Steuerfestsetzung des FA ist sonach zutreffend. Die hiergegen gerichtete Klage ist unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 656

BFHE 1972, 424

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