Leitsatz (amtlich)

1. Der im Gaststättengewerbe übliche, nach einem v. H.-Satz des Preises für Speisen und Getränke dem Gast in Rechnung gestellte Bedienungszuschlag ist ein Teil des vom Unternehmer (Gastwirt) vereinnahmten umsatzsteuerpflichtigen Entgelts, auch wenn das Bedienungspersonal den Zuschlag nicht abführt, sondern vereinbarungsgemäß als Entlohnung für seine Dienste zurückbehält.

2. Der Senat hält für das Gebiet der Umsatzsteuer an seiner Rechtsprechung (zuletzt BFH-Beschluß V B 14/69 vom 24. Juli 1969, BFH 96, 266, BStBl II 1969, 600) fest, daß Versehen, Irrtümer, falsche Rechtsauslegungen und dergleichen, sofern der Steuerpflichtige nicht unlauter oder sogar unredlich gehandelt hat, die Annahme eines "Ausnahmefalls" nicht rechtfertigen.

 

Normenkette

UStG 1951 § 5 Abs. 1; UStDB 1951 § 10 S. 1; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Berichtigung: Im BStBl Teil II Nr. 1/1972 muß es im Urteil V R 74/68 vom 19. August 1971 auf Seite 25 rechte Spalte Zeile 22 von oben statt "Vereinbarung" richtig "Vereinnahmung" heißen.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) betreibt - nach ihren Angaben seit Anfang 1961 - eine Gastwirtschaft. Bei der ersten seit Übernahme des Unternehmens durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß sie in den Veranlagungszeiträumen 1961 und 1962 die von den Kellnern neben den Entgelten für Speisen und Getränke eingezogenen üblichen Bedienungszuschläge nicht der Umsatzsteuer unterworfen hat, während sie bei Veranstaltungen geschlossener Gesellschaften die nachträglich in Rechnung gestellten Entgelte einschließlich der Bedienungsgelder versteuerte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) erließ unter Hinweis auf das Ergebnis der Betriebsprüfung nach § 222 AO den Änderungsbescheid vom ... mit dem er für die Jahre 1961 und 1962 Umsatzsteuer von 479,60 DM bzw. 873,80 DM nachforderte.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat im wesentlichen ausgeführt, daß die Bedienungsgelder Teil des Entgelts für die verabreichten Speisen und Getränke seien, also versteuert werden müßten, und daß nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) trotz der geringen Mehrsteuern Berichtigungsveranlagungen notwendig gewesen seien. Es handele sich nämlich nicht um einen "Regelfall", sondern um einen "Ausnahmefall" im Sinne des BFH-Urteils V 202/63 U vom 15. Oktober 1964 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 80 S. 525 - BFH 80, 525 -, BStBl III 1964, 662), weil die durch einen Steuerberater vertretene Steuerpflichtige sich nicht so verhalten habe, wie nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erwartet werden konnte.

Mit der Revision begehrt die Steuerpflichtige die Aufhebung der Vorentscheidungen und des Berichtigungsbescheids vom ... Sie wiederholt ihr tatsächliches Vorbringen und macht insbesondere wie bereits im Einspruchsverfahren und vor dem FG inhaltlich geltend: Auf den zu entscheidenden Sachverhalt seien bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falles die in den Urteilen des BFH V 180/59 U vom 8. Februar 1962 (BFH 74, 610, BStBl III 1962, 225), V 25/64 vom 28. Juli 1966 (BFH 86, 634, BStBl III 1966, 635) und V 90/65 vom 9. Mai 1968 (BFH 92, 424, BStBl II 1968, 632) aufgestellten Grundsätze anzuwenden. Dem FA seien durch die Betriebsprüfung keine neuen Tatsachen von einigem Gewicht bekanntgeworden, die Berichtigungsveranlagungen rechtfertigen könnten, da ein "Ausnahmefall" im Sinne der Rechtsprechung entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht vorliege. Im übrigen seien die den Kellnern als Arbeitsvergütung zustehenden Bedienungszuschläge, die der Lohnsteuer unterlägen, nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es vertritt unter Zugrundelegung der Gesamtumstände die Auffassung, daß die ursprünglichen Bescheide für 1961 und 1962 zu Recht berichtigt worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision der Steuerpflichtigen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung und des Sammelberichtigungsbescheids.

Zwar kann der Ansicht der Steuerpflichtigen, die Bedienungszuschläge seien nicht der Umsatzsteuer zu unterwerfen, nicht gefolgt werden. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UStG 1951 in Verbindung mit § 10 Satz 1 UStDB 1951 wird der Umsatz nach dem vereinnahmten Entgelt bemessen, wobei als Entgelt alles zu behandeln ist, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufwenden muß, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten. Wenn ein Gast im Betrieb der Steuerpflichtigen Speisen und (oder) Getränke bei einem dort beschäftigten Kellner bestellt und serviert bekommt, tritt er lediglich zu dem Wirt, nicht zu dessen Personal in Rechtsbeziehungen. Er muß nicht nur den für die Waren auf besonderen Karten oder Anschlägen ausgewiesenen Preis zahlen, sondern darüber hinaus auch den üblichen, im allgemeinen als "zuzüglich" angekündigten Bedienungszuschlag, berechnet nach einem v. H.-Satz des Preises der bestellten Speisen usw. Der Gast als Empfänger der Lieferung muß demzufolge, um die Lieferung zu erhalten, den um das Bedienungsgeld erhöhten Warenpreis aufwenden. In welcher Weise über den Bedienungszuschlag nach dessen Vereinbarung aufgrund interner Vereinbarungen oder tariflicher Bestimmungen verfügt wird, ist dem Gaststättenbesucher in der Regel unbekannt und für die Höhe der Bemessungsgrundlage nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UStG 1951 unerheblich.

Bereits der Reichsfinanzhof (RFH) hat in seinen Urteilen II A 233/21 vom 3. Juni 1921 (Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Bd. 6 S. 84 - RFH 6, 84 -), V A 71/26 S vom 5. März 1926 (RFH 18, 305, RStBl 1926, 151) und V A 435/27 vom 26. September 1927 (RFH 22, 300, RStBl 1928, 54) die Ansicht vertreten, daß der im Gaststättengewerbe übliche, nach einem v. H.-Satz des Preises für Speisen und Getränke dem Gast in Rechnung gestellte Bedienungszuschlag einen Teil des vom Wirt vereinnahmten umsatzsteuerpflichtigen Entgelts darstellt, auch wenn der Kellner den Bedienungszuschlag nicht an den Gastwirt abliefert, sondern als Entlohnung für seine Dienste zurückbehält. Bei der klaren Formulierung des Entgeltsbegriffs in § 5 Abs. 1 UStG 1951 in Verbindung mit § 10 Satz 1 UStDB 1951 besteht kein Anlaß, von der Rechtsprechung des RFH abzuweichen.

Mit Recht rügt die Steuerpflichtige jedoch, daß das FA die ursprünglichen, unanfechtbaren Bescheide für die Veranlagungszeiträume 1961 und 1962 berichtigt hat, obwohl an Mehrsteuern für die streitigen Jahre nur 479,60 DM bzw. 873,80 DM bei ursprünglichen Steuerfestsetzungen von 8 173,80 DM (1961) und 10 806,80 DM (1962) nachgefordert worden sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dürfen bestandskräftige Steuerbescheide nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO nur dann berichtigt werden, wenn neue Tatsachen von einigem Gewicht bekanntgeworden sind. Diese Voraussetzung ist nach der vom erkennenden Senat im Urteil V 180/59 U vom 8. Februar 1962 (a. a. O.) für das Gebiet der Umsatzsteuer gewählten kombinierten Methode, die zur Wahrung der Gleichmäßigkeit und Einheitlichkeit der Rechtsprechung den Charakter einer unverbindlichen Richtschnur hat (BFH-Urteil V R 82/66 vom 5. März 1970, BFH 99, 164, BStBl II 1970, 586), im Regelfall dann nicht gegeben, wenn die für den einzelnen Veranlagungszeitraum festgesetzte Mehrsteuer 1 000 DM oder 10 v. H. der ursprünglichen Steuerschuld nicht übersteigt. Diese Grenzen sind in keinem der in Streit befindlichen beiden Jahre erreicht worden. Einen Ausnahmefall, der nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BFH-Urteil V 25/64 vom 28. Juli 1966, a. a. O.) auch bei niedrigeren Mehrsteuern die Annahme gewichtiger Tatsachen rechtfertigen würde, hat das FG zu Unrecht bejaht. Es hat seine Ansicht, der streitige Sachverhalt stelle keinen Regelfall dar, im wesentlichen mit Ausführungen des Senats im Urteil V 202/63 U vom 15. Oktober 1964 (a. a. O.) begründet, dabei aber nicht hinreichend beachtet, daß die tatsächlichen Verhältnisse im damals entschiedenen Fall ganz anders gelagert waren als in dem jetzt zu entscheidenden. Hier handelt es sich um die erste Prüfung in einem erst Anfang 1961 von der Steuerpflichtigen übernommenen Betrieb, der bei früheren Prüfungen keine Hinweise über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Bedienungszuschlägen erteilt worden sind.

Wie bereits im Urteil V 25/64 vom 28. Juli 1966 (a. a. O.) hat der Senat zuletzt im Beschluß V B 14/69 vom 24. Juli 1969 (BFH 96, 266, BStBl II 1969, 600) eingehend ausgeführt, daß bloße Versehen, Irrtümer, falsche Rechtsauslegungen und dergleichen die Annahme eines Ausnahmefalls nicht rechtfertigen, weil das FA sich nicht darauf verlassen kann, daß einem Steuerpflichtigen keine Fehler unterlaufen, die auch in einem ordnungsmäßig geführten Unternehmen infolge menschlicher Unzulänglichkeit vorkommen können. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt in Verbindung mit dem dem Senat nach §§ 155 FGO, 561 Abs. 1 ZPO zugänglichen Akteninhalt befand sich die Steuerpflichtige im Irrtum über den Begriff Vereinnahmung bzw. legte § 5 Abs. 1 UStG 1951 sowie § 10 UStDB 1951 unrichtig aus. Dies ergibt sich aus der Behandlung der Bedienungsgelder bei geschlossenen Veranstaltungen, die dem Gastgeber von der Steuerpflichtigen zusammen mit dem Verzehr in Rechnung gestellt und an sie gezahlt wurden. Diese Bedienungszuschläge, die auf ihr Konto überwiesen oder durch Barzahlung beglichen worden sind, bei ihr also tatsächlich eingegangen waren, betrachtete die Steuerpflichtige als vereinnahmt und unterwarf sie der Umsatzsteuer, während sie die von den Kellnern kassierten Bedienungsgelder, die nicht tatsächlich bei ihr eingegangen waren, infolge eines Irrtums oder falscher Rechtsauslegung als nicht von ihr vereinnahmt ansah oder für nicht steuerpflichtig hielt. Dadurch hat die Steuerpflichtige, entgegen der Ansicht der Vorinstanz, nicht gegen das Vertrauensverhältnis verstoßen, nicht unlauter oder unredlich gehandelt. Die vom FG festgestellten unstreitigen Tatsachen führen daher dazu, die Zulässigkeit der Berichtigungsveranlagungen zu verneinen.

Der Umstand, daß die Steuerpflichtige seit der Übernahme der Gastwirtschaft zur Prüfung des jeweiligen Jahresabschlusses und zur Erstellung der Jahressteuererklärungen einen Steuerberater herangezogen hat, der die Bücher nicht führte, rechtfertigt in diesem besonders gelagerten Fall keine andere Entscheidung. Die Steuerpflichtige hat vorgetragen, was vom FA nicht bestritten wurde, daß der Steuerberater, der nur eine Gastwirtschaft, nämlich die der Steuerpflichtigen, betreute, im allgemeinen einmal im Jahr dort erschien und, soweit es sich um die Umsatzsteuer handelt, eine Verprobung von Einkauf und Verkauf vorgenommen hat, ohne Abweichungen von Bedeutung festzustellen. Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG kann nicht geschlossen werden, daß der Steuerberater die umsatzsteuerrechtliche Bedeutung der Bedienungszuschläge erkannt und die Steuerpflichtige bewußt falsch unterrichtet hat, was der Steuerpflichtigen zuzurechnen wäre, bzw. daß ihm überhaupt bekannt war, daß die Steuerpflichtige die Bedienungszuschläge nicht als vereinnahmte Entgelte behandelt hat.

Ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats liegt demnach nicht vor. Die für den Regelfall im BFH-Urteil V 180/59 U vom 8. Februar 1962 (a. a. O.) aufgestellten Grenzen für die Beurteilung der Frage, ob neue Tatsachen von einigem Gewicht sind, werden nicht erreicht, so daß die Revision der Steuerpflichtigen begründet ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69693

BStBl II 1972, 24

BFHE 1972, 278

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