Entscheidungsstichwort (Thema)

Organschaft: ohne unmittelbare Beteiligung keine finanzielle Eingliederung zwischen zwei Schwesterkapitalgesellschaften, nur mittelbar an Kapitalgesellschaft beteiligte Personengesellschaft, Änderung der Rechtsprechung, unterschiedliche Ausprägung der Merkmale "finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung", Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Organschaft setzt die Eingliederung einer Organgesellschaft in ein übergeordnetes Unternehmen als Organträger voraus. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn die Anteile zweier Kapitalgesellschaften ausschließlich von natürlichen Personen im Privatvermögen gehalten werden.

 

Orientierungssatz

1.Die für die Annahme einer Organschaft erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen vornehmlich im finanziellen Sinne setzt ein Über-Unterordnungsverhältnis der beteiligten Gesellschaften voraus. Die Organgesellschaft muß als Unternehmensteil dem Unternehmen des Organträgers zuzuordnen sein. Soll eine juristische Person (Kapitalgesellschaft) Organträgerin sein, setzt dies daher regelmäßig deren unmittelbare, jedenfalls nicht unwesentliche Beteiligung an der Organgesellschaft voraus (mit Zustimmung des V. Senats erfolgte Abweichung vom BFH-Urteil vom 17.4.1969 V R 123/68). Ob eine ausschließlich mittelbare Beteiligung einer Personengesellschaft an einer Kapitalgesellschaft über ihre Gesellschafter für deren finanzielle Eingliederung ausreichend ist, kann im Streitfall dahinstehen.

2. Finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers: Es ist zwar für die Annahme einer Organschaft unschädlich, wenn das eine oder andere Merkmal weniger in Erscheinung tritt, es kann durch andere stärker ausgeprägte Kriterien ausgeglichen werden. Dennoch ist nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung zu fordern, daß alle drei Merkmale vorliegen (vgl. das BFH-Urteil vom 17. April 1969 V 44/65). Diese Beurteilung entspricht inhaltlich der Regelung des Art.4 Abs.4 Unterabs.2 der Richtlinie 77/388/EWG).

 

Normenkette

EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 4UAbs. 2; UStG 1980 § 2 Abs. 2 Nr. 2; UStR Abschn. 21 Abs. 4 S. 3

 

Verfahrensgang

FG München (Entscheidung vom 20.01.1994; Aktenzeichen 14 K 3745/90)

 

Tatbestand

I. 1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren Anteile ausschließlich ihrem Geschäftsführer S gehören. 1984 erwarben S (zu 92,5 %) und seine Ehefrau (E - zu 7,5 %) die Anteile an der T-GmbH, deren Geschäftsführer ebenfalls S ist; die Vertretungsbefugnis zweier weiterer Geschäftsführer war im Innenverhältnis eingeschränkt. Die Klägerin übernahm den Auslandsexport der T-GmbH. Mit Wirkung vom 1. Juli des Streitjahres 1986 gründeten S und E eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Geschäfte wiederum S führte; sie vermietet Anlagevermögen an die T-GmbH. Die GbR wies die Anteile von S und E an der T-GmbH als Sonderbetriebsvermögen aus.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte die Klägerin ab 1. Juli des Streitjahres gemäß § 2 Abs.2 Nr.2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 als Organgesellschaft der T-GmbH mit der Folge, daß Innenleistungen zwischen diesen Gesellschaften nicht mehr zu berücksichtigen waren, und setzte eine geringere negative Umsatzsteuer, als von der Klägerin erklärt worden war, fest.

2. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, nach dem Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 17. Oktober 1930 V A 95/30 (RStBl 1931, 158) scheide eine Organschaft aus, wenn die Anteile zweier Kapitalgesellschaften in der Hand einer natürlichen Person vereinigt seien. In diesem Fall sei kein übergeordnetes Unternehmen vorhanden. Auch der Ausweis der Anteile an der T-GmbH als Sonderbetriebsvermögen der GbR führe nicht zu einem Über-Unterordnungsverhältnis zugunsten der T-GmbH. Denn es handle sich nicht um Gesamthandsvermögen der GbR. Sollte die GbR Einfluß auf die T-GmbH nehmen können, könnte dies allenfalls zu einem Organverhältnis zwischen diesen beiden Gesellschaften führen. Auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 1020 veröffentlichten Urteilsgründe wird verwiesen.

3. Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 2 Abs.2 Nr.2 UStG 1980. Einer finanziellen Eingliederung --um die es im Streitfall gehe-- stehe nicht entgegen, wenn die Anteile nicht von der Muttergesellschaft selbst, sondern deren Gesellschaftern gehalten würden (Abschn.21 Abs.4 Satz 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR--). Das RFH-Urteil in RStBl 1931, 158, auf das sich das FG stütze, sei nicht einschlägig. Es betreffe die Frage, ob eine natürliche Person ein übergeordnetes Unternehmen betreiben könne, nicht dagegen, ob in Fällen wie dem Streitfall eine finanzielle Eingliederung einer der beiden Kapitalgesellschaften in das Unternehmen der anderen möglich sei. Dies aber ergebe sich aus dem RFH-Urteil vom 6. Juli 1934 V A 432/32 (RStBl 1934, 1145). Dort sei die Möglichkeit einer finanziellen Eingliederung bei Personenidentität der jeweiligen Gesellschafter bejaht worden. Dies bedeute keinen unzulässigen Durchgriff durch eine Kapitalgesellschaft, denn umsatzsteuerrechtlich seien lediglich die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse entscheidend. Damit sei vorliegend eine Organschaft zutreffenderweise für das gesamte Streitjahr zu bejahen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, im wesentlichen mit den Gründen der Vorentscheidung, die Revision zurückzuweisen. Personenidentität der Gesellschafter und Geschäftsführer habe nicht vorgelegen. Die neben S für die T-GmbH vertretungsberechtigten Geschäftsführer hätten deren Geschäfte weitgehend selbständig geführt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat ein Organschaftsverhältnis zwischen der T-GmbH und der Klägerin zutreffend verneint.

1. Gemäß § 2 Abs.2 Nr.2 UStG 1980 wird eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist. Es liegt dann eine Organschaft mit der Folge vor, daß die Organgesellschaft als Teil des anderen Unternehmens anzusehen ist, gegenseitige Leistungen also als Innenleistungen zu behandeln sind.

Die erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen vornehmlich im finanziellen Sinne setzt dabei ein Über-Unterordnungsverhältnis der beteiligten Gesellschaften voraus. Die Organgesellschaft muß als Unternehmensteil dem Unternehmen des Organträgers zuzuordnen sein. Soll eine juristische Person (Kapitalgesellschaft) Organträgerin sein, setzt dies daher regelmäßig deren unmittelbare, jedenfalls nicht unwesentliche Beteiligung an der Organgesellschaft voraus. An dieser Eingliederung fehlt es nach den Grundsätzen des RFH-Urteils in RStBl 1931, 158, wenn die Anteile mehrerer Kapitalgesellschaften wie im Streitfall von natürlichen Personen in deren Privatvermögen gehalten werden. Dann ist keine der beiden Gesellschaften in das Gefüge des anderen Unternehmens eingeordnet (vgl. das Urteil des FG München vom 17. September 1987 III (XIV) 275/81 U, EFG 1988, 90; Klenk in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 1995, § 2 Rn.92; im Ergebnis auch Tischer, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1985, 77, 78; a.A. wohl Seitrich, Betriebs-Berater 1989, 189). Es kann dann kein Wille des herrschenden "Unternehmens" als solchem in der Organgesellschaft durchgesetzt werden. In diesen Fällen handelt es sich um gleichgeordnete Schwestergesellschaften, zwischen denen, würde nicht auf das erforderliche Über-Unterordnungsverhältnis abgestellt werden, wechselseitige und jeweils austauschbare Organschaftsverhältnisse denkbar wären.

Die Tatsache, daß dieselben Geschäftsführer bestellt sind, berührt zwar die gegenseitige organisatorische Eingliederung, die Selbständigkeit der jeweiligen Gesellschaften i.S. einer Nebenordnung wird dadurch aber nicht beseitigt. Auch die Übernahme wirtschaftlicher Funktionen wie im Streitfall des Auslandsexports einer Gesellschaft kann als solche die erforderliche finanzielle Eingliederung nicht ersetzen. Es ist zwar für die Annahme einer Organschaft unschädlich, wenn das eine oder andere Merkmal weniger in Erscheinung tritt, es kann durch andere stärker ausgeprägte Kriterien ausgeglichen werden. Dennoch ist nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung zu fordern, daß alle drei Merkmale vorliegen (vgl. auch das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. April 1969 V 44/65, BFHE 95, 353, BStBl II 1969, 413). Diese Beurteilung entspricht inhaltlich der Regelung des Art.4 Abs.4 Unterabs.2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach steht es den Mitgliedstaaten frei, im Inland ansässige Personen, die rechtlich unabhängig sind, als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn diese Personen nicht nur wirtschaftlich und organisatorisch, sondern auch finanziell eng verbunden sind. Aus dem RFH-Urteil in RStBl 1934, 1145 ergibt sich für den Streitfall nichts Abweichendes. Zwar wird dort ergänzend ausgeführt ("Hinzu kommt"), daß eine "finanzielle Abhängigkeit auch dann gegeben sein kann, wenn die Geschäftsanteile einer Kapitalgesellschaft zwar nicht der Obergesellschaft selbst, wohl aber deren Mitgliedern gehören". Es wird aber hervorgehoben (re. Sp. a.E.), daß im zu entscheidenden Fall anders als in dem des Urteils in RStBl 1931, 158 ein "übergeordnetes Oberunternehmen" in der Beschwerdeführerin (GmbH) vorhanden sei, die, wenn auch nicht mehrheitlich, an der Organgesellschaft unmittelbar beteiligt war (näher dazu Weiß, Anmerkung zum BFH-Urteil vom 2. August 1979 V R 111/77, UR 1980, 51). In solchen Fällen können zusätzlich bestehende Beteiligungen gemeinsamer Anteilseigner für die Gesamtbeurteilung der finanziellen Eingliederung sehr wohl bedeutsam sein.

Allerdings hat der V.Senat des BFH in seinem Urteil vom 17. April 1969 V R 123/68 (BFHE 95, 558, BStBl II 1969, 505) --einen Streitfall betreffend, in dem eine unmittelbare Beteiligung nicht bestand-- die Auffassung vertreten, daß eine nur mittelbare Verflechtung zweier Kapitalgesellschaften über ihre Gesellschafter für die umsatzsteuerliche Organschaft als ausreichend anzusehen sei. Der V.Senat hat aber auf Anfrage des erkennenden Senats der Abweichung von dieser Entscheidung (mit Rücksicht auf die Regelung des Art.4 Abs.4 Unterabs.2 Richtlinie 77/388/EWG) durch Beschluß vom 11. Juli 1996 zugestimmt.

Die Beurteilung durch den erkennenden Senat entspricht der rechtlichen Betrachtung im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht, wo die Möglichkeit finanzieller Eingliederung unter Schwesterkapitalgesellschaften ebenfalls verneint wird (vgl. bereits das BFH-Urteil vom 25. Oktober 1960 I 62/59 S, BFHE 72, 185, BStBl III 1961, 69; Danelsing in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 14 KStG Anm.44; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20.Aufl., § 14 KStG Anm.122, m.w.N.).

Ob eine ausschließlich mittelbare Beteiligung einer Personengesellschaft an einer Kapitalgesellschaft über ihre Gesellschafter für deren finanzielle Eingliederung ausreichend ist, kann im Streitfall dahinstehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66139

BFH/NV 1997, 361

BStBl II 1997, 441

BFHE 182, 392

BFHE 1997, 392

BB 1997, 1194 (Leitsatz)

DB 1997, 1379-1380 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1997, 920-921 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 522 (Leitsatz)

DStZ 1997, 497-498 (Leitsatz und Gründe)

HFR 1997, 599-600 (Leitsatz)

StE 1997, 334 (Kurzwiedergabe)

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