Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen eines Steuerpflichtigen aufgrund einer Bürgschaft, die er übernommen hat, um dem Betrieb seines ihm gegenüber nicht unterhaltsberechtigten Bruders die Aufnahme von Bankkrediten zu ermöglichen, sind regelmäßig keine außergewöhnliche Belastung i. S. von § 33 EStG.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Arzt. Nach dem Tode seines Vaters wurde er in den Jahren 1955 bis 1959 während seines Studiums mit jährlich X DM von seinem Bruder unterstützt. Der Bruder gründete 1963 ein gewerbliches Unternehmen; 1964 geriet er in Zahlungsschwierigkeiten. Der Kläger übernahm hierauf zwei Bürgschaften, damit dem Betrieb des Bruders weiter Kredite zugeführt werden konnten. Er hoffte, daß auf diese Weise der brüderliche Betrieb vor dem Zusammenbruch gerettet werden könnte. Dennoch mußte der Bruder des Klägers 1964 Konkurs anmelden. Der Kläger wurde im Streitjahr 1966 aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen. Von den geleisteten Bürgschaftszahlungen hat der Kläger nach den Feststellungen des FG nichts zurückerhalten. Der Bruder des Klägers befindet sich im Ausland.

Der Kläger begehrte, bei der Einkommensteuerveranlagung 1966 den Betrag von XX DM als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte dies ab. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG wies die Klage im wesentlichen aus folgenden Gründen ab: Eine außergewöhnliche Belastung komme nur in Betracht, wenn die Aufwendungen des Steuerpflichtigen "zwangsläufig" seien. Das sei hier nicht der Fall. Zwar sei der Kläger einem sittlichen Gebot gefolgt, als er die Bürgschaftsverpflichtungen eingegangen sei. Es könne auch unterstellt werden, daß sich der Kläger zu dieser Unterstützung seines Bruders verpflichtet gefühlt habe, zumal dieser ihn beim Studium unterstützt habe. Aus dem Wort "entziehen" in § 33 Abs. 2 EStG sei aber zu entnehmen, daß nicht jede Aufwendung, die aus einer sittlichen Verpflichtung heraus erfolge, eine außergewöhnliche Belastung sei. Eine außergewöhnliche Belastung liege nur vor, wenn die Aufwendung aus einem sittlichen Zwang heraus gemacht worden sei. Ob das der Fall sei, unterliege einer "sozialethischen" Bewertung, bei der die gesamten Umstände des Einzelfalles objektiv zu würdigen seien.

Danach seien Zahlungen aus Bürgschaftsverpflichtungen, die einem Unternehmen - auch dem eines nahen Verwandten - neue Kredite zuführen sollten, nicht als außergewöhnlich anzuerkennen. Zwar habe der Kläger aus einer subjektiv sittlichen Verpflichtung gehandelt, letztlich die Bürgschaft aber freiwillig übernommen. Bürgschaftsübernahmen für einen nicht unterhaltsberechtigten Bruder würden immer auf einer freien Willensentscheidung beruhen, die allenfalls aus einem Anstandsgefühl, nicht aber aus einem sittlichen Zwang getroffen worden sei. Es komme hinzu, daß die Steuerermäßigung von der Gesamtheit der übrigen Steuerzahler getragen werden müsse. Die Allgemeinheit könne jedoch nicht jede sittliche Verpflichtung übernehmen. Würde man für Bürgschaftsübernahmen zugunsten Angehöriger eine außergewöhnliche Belastung anerkennen, so würde dadurch eine soziale Ungerechtigkeit herbeigeführt. Begünstigt würden insbesondere zahlungskräftige Steuerpflichtige, denen die Übernahme von Schulden naher Angehöriger überhaupt möglich sei.

Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe den materiellrechtlichen Begriff der außergewöhnlichen Belastung verkannt.

Die Bürgschaftsübernahme sei für ihn zwangsläufig gewesen. Es lägen verschiedene Urteile vor, in denen bei Zuwendungen zwischen einander nicht zum Unterhalt verpflichteten Geschwistern eine außergewöhnliche Belastung anerkannt worden sei; ausschlaggebend sei insoweit der "Ausstattungsgedanke". Falls ein Kind oder ein Geschwisterteil eine Bevorzugung erhalten habe, könne derjenige, der zum Ausgleich dieser Bevorzugung eine Zuwendung erbringe, für seine Leistung § 33 EStG in Anspruch nehmen.

In dem Urteil vom 26. Mai 1971 VI R 271/68 (BFHE 102, 389, BStBl II 1971, 628) habe der BFH die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen zur Berufsausbildung eines "Lebensretters" als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Er sei in ähnlicher Weise wie der Gerettete in seine jetzigen Lebens- und Vermögensverhältnisse versetzt worden.

Auch die Tatsache, daß er sich für Verbindlichkeiten seines Bruders verbürgt habe, die durch dessen gewerbliche Tätigkeiten entstanden sind, spreche nicht gegen eine außergewöhnliche Belastung. In bereits entschiedenen Fällen sei nur die Behandlung von Bürgschaften zur Abwendung des Konkursverfahrens über das Vermögen von Gesellschaften und sonstiger Vermögensmassen streitig gewesen. Er habe demgegenüber helfen wollen, den absoluten wirtschaftlichen Ruin seines Bruders zu verhindern. Für das vorliegende Verfahren seien die Überlegungen des BFH im Urteil vom 12. Mai 1967 VI R 123/66 (BFHE 88, 551, BStBl III 1967, 489) einschlägig. Wie in jenem Urteilsfall sei es für ihn die einzige Chance gewesen, seinen Bruder vor dem wirtschaftlichen Ruin zu retten, indem er die Bürgschaft übernommen habe.

Zumindest müßten - hilfsweise - seine Aufwendungen insoweit als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, als sie wertmäßig unter Berücksichtigung einer angemessenen Kapitalverzinsung den früheren Leistungen seines Bruders ihm gegenüber entsprochen hätten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 33 Abs. 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger, dem zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen, eine steuerliche Begünstigung als außergewöhnliche Belastung erhalten Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen nach § 33 Abs. 2 EStG zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Die Vorentscheidung, die für den Streitfall eine außergewöhnliche Belastung verneint hat, ist nicht zu beanstanden.

Zwar kann auch die Tilgung von Schulden eine außergewöhnliche Belastung sein, wenn die Schuldaufnahme durch Ausgaben veranlaßt worden war, die ihrerseits zwangsläufig und außergewöhnlich waren (BFH-Urteil vom 19. April 1974 VI R 63/71, BFHE 112, 274, BStBl II 1974, 516). Dies bedeutet, daß hinsichtlich der Zwangsläufigkeit und damit hinsichtlich der Außergewöhnlichkeit bei der Aufnahme von Schulden oder bei der Übernahme einer Bürgschaft immer die Vorgänge als maßgebend anzusehen sind, die ursächlich die spätere Verpflichtung aus den Schulden bzw. aus der Bürgschaft ausgelöst haben (BFH-Urteil VI R 123/66). Im Falle einer Bürgschaft kann die Zwangsläufigkeit deshalb nur dann bejaht werden, wenn die Übernahme der Bürgschaft nicht aber die spätere Zahlung aufgrund der Bürgschaft zwangsläufig war (vgl. auch BFH-Urteile VI R 123/66 vom 30. September 1954 IV 602/53 U, BFHE 59, 381, BStBl III 1954, 357; vom 19. Juli 1957 VI 80/55 U, BFHE 65, 399 BStBl III 1957, 385).

Dabei ist eine Zwangsläufigkeit nicht schon gegeben wenn sich der Steuerpflichtige subjektiv verpflichtet fühlt. Auch ist nicht jede aus sittlichen Gründen verständliche Unterstützung eines Dritten zwangsläufig i. S. von § 33 Abs. 2 EStG. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, kommt gerade mit dem Wort "entziehen" in der letztgenannten Vorschrift zum Ausdruck, daß eine Zwangsläufigkeit nicht gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige die Möglichkeit hatte, den Aufwendungen auszuweichen (vgl. auch Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 33 EStG Anm. 11 a). Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG bei seiner Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalles, worauf es insoweit hier ankommt (vgl. BFH-Urteil VI R 123/66), eine Zwangsläufigkeit in diesem Sinne verneint hat.

Der Kläger war rechtlich nicht zur Übernahme der Bürgschaft verpflichtet. Das FG konnte auch sittliche und tatsächliche Gründe insoweit verneinen. Zwar hatte der Bruder des Klägers diesen in früheren Jahren beim Studium unterstützt. Dies macht die Übernahme der Bürgschaft durch den Kläger menschlich verständlich. Gleichwohl war der Kläger zu dieser Übernahme nicht durch Umstände gezwungen, die von seinem Willen unabhängig waren (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1963 IV 287/60 U, BFHE 79, 184, BStBl III 1964, 299). Er hat die Bürgschaft aus freiem Entschluß übernommen. Er hätte sie ablehnen können, was dann möglicherweise zur Folge gehabt hätte, daß dem Betrieb des Bruders weitere Kredite nicht gewährt worden wären. Der Bruder hätte dann voraussichtlich seine unternehmerische Tätigkeit einstellen oder den Konkurs schon früher beantragen müssen. Wenn der Kläger durch die Übernahme der Bürgschaft die Möglichkeit der Fortsetzung des brüderlichen Betriebs als den anderen von zwei denkbaren Wegen wählte, so beruht dies entsprechend der möglichen Würdigung des FG auf einer nach Abwägung des Für und Wider getroffenen Entscheidung und ist jedenfalls nicht zwangsläufig gewesen.

Der Hinweis des Klägers auf den, wie er es bezeichnet, "Ausstattungsgedanken", der insbesondere im BFH-Urteil vom 4. Juni 1975 VI R 192/73 (BFHE 116, 155, BStBl II 1975, 767) zum Ausdruck gekommen sei, kann das vorstehende Ergebnis nicht erschüttern. Es ist zwar zutreffend, daß der BFH in beschränktem Umfang eine "Ausstattung" von Kindern bei ihrer Eheschließung als außergewöhnliche Belastung der die Ausstattung erbringenden Eltern anerkennt, wenn die Kinder von den Eltern keine Berufsausbildung erhalten haben. Dies beruht jedoch darauf, daß Eltern im Rahmen der Unterhaltspflicht des § 1610 BGB auch verpflichtet sind, ihren Kindern eine angemessene Berufsausbildung zuteil werden zu lassen. Eine entsprechende Verpflichtung bestand zwischen dem Kläger und seinem Bruder aber nicht. Demgemäß kann der Kläger auch keine dieser Verpflichtung entsprechende Leistung erbracht oder ausgeglichen haben.

Allerdings hat der BFH ausnahmsweise auch auf einem freien Willensentschluß beruhende Aufwendungen aus sittlichen oder tatsächlichen Gründen als zwangsläufig anerkannt (BFH-Urteil VI R 271/68) worauf der Kläger zutreffend hinweist. Die Annahme von sittlichen Gründen setzt aber nach dem gleichen Urteil voraus, daß die Sittenordnung das Handeln - im vorliegenden Fall die Bürgschaftsübernahme - "erforderte". Dies konnte das FG verneinen. Wenn der BFH in dem "Lebensretter"-Urteil VI R 271/68 die Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen anerkannte, obwohl sich der Steuerpflichtige zunächst aufgrund eines freien Willensentschlusses zu Aufwendungen verpflichtet hatte, denen er sich dann später tatsächlich nicht mehr entziehen konnte, so lag dies entscheidend daran, daß der Gerettete den noch minderjährigen Lebensretter aus seinem Lebenskreis - der Lebensretter war Italiener - herausgenommen und bei sich aufgenommen hatte. Hieraus vor allem wurde eine Fürsorgeverpflichtung tatsächlicher Art gefolgert. Eine entsprechende besondere Sachgestaltung liegt im Streitfall aber nicht vor.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil VI R 123/66 berufen, da dessen Sachverhalt ebenfalls nicht mit dem Streitfall vergleichbar ist. In jenem Fall hatte ein nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft schwerkrank heimgekehrter 57 Jahre alter Steuerpflichtiger, der früher selbständiger Gewerbetreibender war, die Möglichkeit eines Existenzaufbaues nur noch darin gesehen, mit einem Darlehen aus dem Härtefonds des Lastenausgleichs GmbH-Anteile zu erwerben. Nur wegen dieser besonderen Umstände hat der Senat ausnahmsweise eine Zwangsläufigkeit der Schuldaufnahme bejaht, was er im Urteil VI R 63/71 hervorhob. Ähnliche Verhältnisse liegen beim Kläger aber nicht vor.

Das FG hat zu Recht auch darauf hingewiesen, daß die Steuerbegünstigung des § 33 EStG von der Gesamtheit der Steuerzahler, also von der Allgemeinheit, mitzutragen ist. Es erscheint aber nicht gerechtfertigt, das Risiko, das ein Steuerpflichtiger zugunsten eines nahen Angehörigen einzugehen bereit ist, indem er für dessen gewerbliche Verbindlichkeiten eine Bürgschaft übernimmt, auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Es kommt, wie das FG auch insoweit zutreffend ausgeführt hat, hinzu, daß die Steuerbegünstigung des § 33 EStG bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden regelmäßig nur bei zahlungskräftigen Steuerpflichtigen, denen die Übernahme von Verpflichtungen zugunsten ihrer Angehörigen überhaupt möglich ist, in Betracht käme. Dies erscheint aber nicht gerechtfertigt.

Da das FG von der fehlenden Zwangsläufigkeit im Streitfall ausgehen konnte, ist es auch nicht möglich, daß Teile der vom Kläger erbrachten Leistungen - nämlich die wertmäßig den früheren Leistungen des Bruders entsprechenden Beträge - als außergewöhnliche Belastung des Klägers berücksichtigt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72645

BStBl II 1978, 147

BFHE 1978, 39

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