Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Bundesfinanzhof muß, wenn er die Vorentscheidung wegen eines Rechtsfehlers aufhebt und die Sache nach den fehlerfreien Feststellungen des Finanzgerichts spruchreif ist, selbst entscheiden. In diesem Falle kann er neues tatsächliches Vorbringen nicht berücksichtigen.

 

Normenkette

AO §§ 204, 243/1, § 248/2, § 296 Abs. 3; FGO § 126/3; AO § 288; FGO § 115/2

 

Tatbestand

Streitig ist im Rechtsbeschwerdeverfahren die Höhe der geschätzten Umsätze, Gewinne und Gewerbeerträge.

Der 1959 verstorbene Steuerpflichtige betrieb in den Streitjahren 1952 bis 1955 die Herstellung verschiedener Erzeugnisse.

Bei einer im Jahre 1955 durchgeführten Betriebsprüfung, die sich auf die Veranlagungszeiträume 1950 bis 1953 erstreckte, wurden erhebliche Mängel in der Buchführung festgestellt. Das Finanzamt schätzte die Umsätze und Gewinne. Im Verfahren über die Einsprüche gegen die zunächst erlassenen berichtigten Steuerbescheide für 1953 fand eine weitere Betriebsprüfung statt, die auf die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1955 ausgedehnt wurde. Auf Grund der zahlreichen, inzwischen aufgefundenen Rechnungen, die nicht verbucht waren, wurden die Umsätze und Gewinne erneut geschätzt. Die Einsprüche gegen die auf Grund der zweiten Betriebsprüfung erlassenen berichtigten Umsatzsteuerbescheide für 1949 bis 1951 wurden zurückgenommen, die gegen die übrigen berichtigten Steuerbescheide gerichteten Einsprüche blieben erfolglos.

Auf die Berufung ordnete die Vorinstanz eine (dritte) Betriebsprüfung an, bei der die erzielten Gewinnaufschläge erneut geprüft wurden. Die Vorinstanz ging von den bei dieser Betriebsprüfung gewonnenen Ergebnissen aus und ermäßigte die Schätzungen.

Mit der Rb., mit der der Bf. als Testamentsvollstrecker des verstorbenen Steuerpflichtigen sich mit neuem tatsächlichem Vorbringen nur noch gegen die Höhe der Schätzungen für die Veranlagungszeiträume 1952 bis 1955 wendet, rügt er mangelnde Sachaufklärung. Der von der Vorinstanz angewendete Aufschlagsatz sei fehlerhaft gewesen. Die Gewerbesteuerrückstellungen seien zu niedrig bemessen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen hinsichtlich der Einkommensteuer und Gewerbesteuer der Jahre 1952 bis 1955.

I. Die vom Bf. erhobene Rüge der mangelnden Sachaufklärung ist nicht begründet. Die Steuerbehörden sind nicht verpflichtet, die Buchführung eines Steuerpflichtigen, in der der größte Teil der Geschäftsvorfälle nicht erfaßt ist, in einem zeitraubenden Verfahren zu rekonstruieren. Die Steuerbehörden und die Finanzgerichte haben nach den Vorschriften der §§ 204, 243 AO die Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen zu ermitteln. Sie haben dabei ihre Ermittlungen auch zugunsten des Steuerpflichtigen bis zur Grenze des Zumutbaren durchzuführen. Dieser Verpflichtung sind die Vorbehörden nachgekommen. Auch der Steuerpflichtige und der Bf. waren verpflichtet, bei diesen Ermittlungen mitzuwirken, und zwar ebenfalls bis zur Grenze des Zumutbaren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V z 183/54 S vom 7. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 75, Slg. Bd. 62 S. 201). Diese Verpflichtung erfüllten sie, solange das Verfahren bei den Vorinstanzen schwebte, nicht. Im Hinblick darauf, daß der Steuerpflichtige und der Bf. es in dem vorausgegangenen Verfahren an der gebotenen Mitwirkung hatten fehlen lassen, ist es nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanz sich auf die Würdigung des Sachverhalts beschränkte, der sich aus den ihr zugänglichen und bekannten Unterlagen ergab. Das Schätzungsergebnis liegt im Rahmen des Möglichen.

Die Vorinstanz berechnet die Gewerbesteuerrückstellungen für die Streitjahre 1952 auf 11.138 DM, 1953 auf 13.006 DM, 1954 auf 12.323 DM und 1955 auf 15.655 DM. Legt man der Bilanzierung die tatsächlich geschuldeten Steuern, wie sie sich vor der Rechtskraft darstellen, zugrunde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 66/61 U vom 19. Dezember 1961, BStBl 1962 III S. 64, Slg. Bd. 74 S. 165), so ergeben sich für 1952 11.735 DM, für 1953 13.776 DM, für 1954 13.068 DM und für 1955 16.162 DM. Die Vorentscheidung muß deshalb, soweit sie die Einkommensteuer und Gewerbesteuer der Streitjahre betrifft, aufgehoben werden.

II. Die Sache ist spruchreif, da die von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen eine abschließende Entscheidung ermöglichen. Der Senat muß selbst entscheiden. Er ist nicht berechtigt, neues tatsächliches Vorbringen zu berücksichtigen oder, um die Berücksichtigung solchen Vorbringens durch das Finanzgericht zu ermöglichen, die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Dem Wortlaut des § 296 Abs. 3 AO könnte zwar entnommen werden, daß der Bundesfinanzhof bei Aufhebung der Vorentscheidung die Wahl habe, selbst zu entscheiden oder die Sache zurückzuverweisen, und daß er dann, wenn er selbst entscheide, dieselbe Stellung wie das Finanzgericht im Falle der Zurückverweisung habe und unbeschränkt zur Tatsacheninstanz werde. Diese Auslegung wird jedoch der Natur der Rb. (§ 288 AO) und der vorrangigen Aufgabe des Bundesfinanzhofs als eines Revisionsgerichts nicht gerecht. Schon im Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 732/25 vom 18. November 1925 (Slg. Bd. 18 S. 168) wurde die Auffassung vertreten, daß der Reichsfinanzhof bei Aufhebung der Vorentscheidung wegen eines materiellen Rechtsfehlers an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden bleibe, wenn die Sache spruchreif sei, und daß er nicht verpflichtet sei, neues tatsächliches Vorbringen zu berücksichtigen. Diese Entscheidung kann aber nicht so verstanden werden, daß es nach Aufhebung der Vorentscheidung dem Ermessen des Senats überlassen sei, ob er die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen und dadurch die Berücksichtigung neuen tatsächlichen Vorbringens ermöglichen oder selbst auf Grund des vom Finanzgericht festgestellten Sachverhalts entscheiden wolle. Denn mit den Grundsätzen eines geordneten gerichtlichen Verfahrens wäre es nicht vereinbar, dem Gericht im einzelnen Fall zu überlassen, welchen Sachverhalt es der endgültigen Entscheidung zugrunde gelegt wissen will. Zudem lassen sich für die Ausübung dieses Ermessens keine Grundsätze aufstellen, die eine gleichmäßige Handhabung gewährleisten. Aus diesen überlegungen kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß bei Aufhebung der Vorentscheidung wegen Rechtsirrtums neues tatsächliches Vorbringen in der Rb. nicht berücksichtigt werden darf, wenn der vom Finanzgericht einwandfrei festgestellte Sachverhalt die rechtliche Entscheidung ermöglicht.

Für die Anwendung und Auslegung des § 296 Abs. 3 AO sind demnach zwei Fälle zu unterscheiden. Wird die Vorentscheidung aufgehoben und ist die Sache nicht spruchreif, so kann der Bundesfinanzhof selbst die notwendigen Ermittlungen durchführen und dann entscheiden oder die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen. Entscheidet er selbst, so wird er im selben Umfange wie das Finanzgericht zur Tatsacheninstanz. Neues tatsächliches Vorbringen ist zu berücksichtigen. Wird die Vorentscheidung aufgehoben und ist die Sache spruchreif, so muß der Bundesfinanzhof selbst so entscheiden, wie die Vorinstanz hätte entscheiden können und müssen. Der Bundesfinanzhof hat dann nur die Stellung eines Revisionsgerichts (vgl. § 565 Abs. 3 Ziff. 1 der Zivilprozeßordnung, § 354 Abs. 1 der Strafprozeßordnung). Für eine Zurückverweisung an die Vorinstanz ist kein Raum. Neues tatsächliches Vorbringen kann vom Bundesfinanzhof nicht berücksichtigt werden.

Diese einschränkende Auslegung des § 296 Abs. 3 AO führt zu dem dem Charakter des Bundesfinanzhofs als Revisionsgericht am besten gerecht werdenden Ergebnis, daß seine Pflicht zur Tatsachenfeststellung möglichst eingeschränkt wird. Der Zwang, den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht vollständig spätestens bei dem Finanzgericht vorzubringen, entspricht auch der Konzentrationsmaxime anderer Prozeßordnungen und trägt dem Umstande Rechnung, daß das Verfahren vor den Finanzgerichten mit allen verfassungsrechtlichen und prozessualen Garantien ausgestattet ist. Die Interessen der Rechtsmittelführer sind gewahrt durch das Recht, wesentliche Verfahrensmängel, besonders die Verletzung der Pflicht zur vollständigen Sachaufklärung, zu rügen (§ 288 AO) sowie dadurch, daß der Bundesfinanzhof mangelnde Sachaufklärung, die durch unzutreffende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts bedingt ist, von Amts wegen zu beachten hat.

Nach den vorstehenden Ausführungen hat der Senat nur die Rechenfehler zu berichtigen, derentwegen die Vorentscheidungen aufzuheben sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411197

BStBl III 1964, 413

BFHE 1964, 497

BFHE 79, 497

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