Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Macht der Abgabepflichtige, obwohl er einen nach seiner Ansicht vorliegenden Veranlagungsfehler rechtzeitig erkannt hat, von der Möglichkeit zur Einlegung eines Rechtsmittels keinen Gebrauch, so ist die Aufsichtsbehörde nicht gehalten, einer Anregung des Abgabepflichtigen, die Fehlerberichtigung im Wege des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO herbeizuführen, Folge zu leisten.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Eigentümer eines Bauernhofes in S., von dessen Gesamtfläche ein Teil von 3,5 ha Größe im Jahre 1941 für Zwecke der Finnenhaus-Siedlung durch die Wehrmacht in Anspruch genommen worden ist. Da der Bf. bis zum Zeitpunkt der Währungsumstellung eine Abfindung für die abgetretene Fläche nicht erhalten hatte, stand ihm hierfür noch am Währungsstichtag ein Entschädigungsanspruch zu. Das Finanzamt hat diese Entschädigungsforderung bei der Veranlagung zur Vermögensabgabe unter dem sonstigen Vermögen erfaßt und sie entsprechend dem im Jahre 1949 für diese Fläche erzielten Kaufpreis mit einem Wert von 29.958 DM in Ansatz gebracht.

über die Bewertung dieser Forderung besteht jedoch Streit. Der Bf. ist der Meinung, daß die Forderung nur mit einem Betrage von 6.200 DM in Ansatz gebracht werden könne, der dem Einheitswert der abgetretenen Parzelle entspreche. Nach seiner Auffassung ist es jedenfalls nicht angängig, bei der Bewertung der streitigen Forderung von dem erst nach der Währungsumstellung in obengenannter Höhe vereinbarten Kaufpreis auszugehen.

Obwohl der Bf. diesen Standpunkt bereits in dem kurze Zeit vorher zum endgültigen Abschluß gelangten Vermögensteuerveranlagungsverfahren vertreten hatte, unterließ er es, gegen den am 21. März 1955 zur Absendung gelangten Vermögensabgabebescheid rechtzeitig Einspruch einzulegen.

Er ließ stattdessen nach Ablauf der Rechtsmittelfrist durch die ihn vertretende landwirtschaftliche Buch- und Beratungsstelle einen Antrag auf Berichtigung der Veranlagung zur Vermögensabgabe einreichen. In dem Antragsschreiben vom 26. April 1955 wies diese Stelle darauf hin, daß in der Einspruchsentscheidung zur Vermögensteuer 1949 dem Vorbringen des Bf. entsprochen worden sei. Bei der Berichtigung der Vermögensteuerveranlagung sei dementsprechend das Vermögen des Bf. zum 21. Juni 1948 auf 49.889 DM ermittelt worden. Da nach § 21 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) Bemessungsgrundlage für die Vermögensabgabe das Vermögen sei, das der Vermögensteuerveranlagung auf 1. Januar 1949 zugrunde gelegen habe, so werde gebeten, bei der Berechnung der Vermögensabgabe ebenfalls von einem abgabepflichtigen Vermögen im Betrage von 49.889 DM auszugehen.

Das Finanzamt lehnte diesen Antrag ab. Es wies darauf hin, daß eine formelle Bindung an die bei der Vermögensteuerveranlagung in Ansatz gebrachten Werte nicht bestehe. Im übrigen komme die vom Bf. anscheinend angestrebte Berichtigung nach § 92 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht in Betracht, weil eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliege.

Der Bf. wandte sich daraufhin im weiteren Verlauf der Angelegenheit an die Oberfinanzdirektion und bat diese um Nachprüfung des Bescheides über die Vermögensabgabe mit dem Ziele der Aufdeckung und Beseitigung des nach seiner Ansicht unterlaufenen Veranlagungsfehlers.

Die Oberfinanzdirektion lehnte diesen Antrag ab, weil ein Veranlagungsfehler nicht vorliege.

Nachdem das daraufhin angerufene Finanzgericht die Berufung als unzulässig verworfen hatte, weil gegen den eine Berichtigung im Aufsichtswege gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO ablehnenden Bescheid der Oberfinanzdirektion zunächst die Beschwerde an das Finanzministerium gegeben sei, schloß sich nach weiteren Vorstellungen des Bf. der Finanzminister des Landes X. im Beschwerdebescheid vom 21. November 1955 der Auffassung der Oberfinanzdirektion an und lehnte es seinerseits ab, die Oberfinanzdirektion zur änderung ihres ablehnenden Bescheides anzuweisen.

Die nunmehr erneut eingelegte Berufung blieb wiederum erfolglos. Das Finanzgericht wies das Rechtsmittel diesmal aus sachlichen Gründen zurück, weil ein Veranlagungsfehler des Finanzamts nicht vorliege und weil deshalb in der Ablehnung der Berichtigung auf dem Wege des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO ein Ermessensfehler seitens der Oberfinanzdirektion und des Landesfinanzministers nicht erblickt werden könne.

Der Bf. hat Rechtsbeschwerde (Rb.) erhoben. Nach seiner Auffassung ist die angefochtene Entscheidung fehlerhaft, weil sie auf der Erwägung beruhe, daß die Veranlagung zur Vermögensabgabe keinen Verstoß gegen die Vorschriften des LAG erkennen lasse. Dabei sei aber das Finanzgericht selbst von der falschen Vorstellung ausgegangen, daß ihm, dem Bf., ein Anspruch auf Geldentschädigung im Sinne des Reichsleistungsgesetzes zugestanden habe und daß diese Geldforderung mit dem Nennwert zu bewerten sei. In Wirklichkeit handele es sich jedoch um einen Anspruch nach § 2 Abs. 3 des Landbeschaffungsgesetzes, auf Grund dessen auch eine Entschädigung durch Beschaffung von Ersatzland vorgesehen sei. Für diese Art der Entschädigung habe bei Erbhöfen sogar ein gesetzlicher Zwang bestanden. Der Wert eines solchen Anspruchs sei nach oben durch den Wert des Ersatzlandes begrenzt; ein höherer Wert dürfe daher weder bei der Vermögensteuer noch bei der Vermögensabgabe zugrunde gelegt werden. Dieser Wert sei in der Einspruchsentscheidung zur Vermögensteuer 1949 zutreffend auf 6.200 DM festgesetzt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist im Ergebnis unbegründet.

Die Berichtigung einer Steuerveranlagung im Aufsichtswege, wie sie der Bf. nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO anstrebt, hat nicht allein das Vorhandensein eines Veranlagungsfehlers zur Voraussetzung. Sie ist auch nur dann möglich, wenn der Abgabepflichtige selbst die erst nachträgliche Aufdeckung des Fehlers nicht zu vertreten hat. Dieser Auffassung hat der Senat bereits in seiner Entscheidung III 110/55 U vom 2. März 1956 - Slg. Bd. 62 S. 331, Bundessteuerblatt (BStBl) 1956 III S. 123 - Ausdruck verliehen. Sie findet ihre Rechtfertigung insbesondere in der Erwägung, daß die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft von Veranlagungsbescheiden auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben muß und daß sie insbesondere dann nicht zugelassen werden darf, wenn der Abgabepflichtige in der Lage war, schon im Veranlagungsverfahren selbst auf die Beseitigung von ihm erkannter Veranlagungsfehler zu dringen.

Im Streitfall haben die Vorinstanzen die Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO aus dem Grunde abgelehnt, weil eine objektive Unrichtigkeit des vom Bf. beanstandeten Vermögensabgabebescheides nicht zu erkennen sei.

Sie sind bei der Begründung dieser Auffassung zunächst davon ausgegangen, daß eine formelle Bindung des Vermögensabgabebescheides an die Ergebnisse der vorausgegangenen Vermögensteuerveranlagung nicht bestehe. Insoweit ist den Vorinstanzen unbedenklich zuzustimmen. Denn nach § 21 Abs. 1 LAG sind bei der Berechnung des abgabepflichtigen Vermögens zwar die für die Vermögensteuer (Hauptveranlagung 1949) maßgeblichen Vorschriften anzuwenden, nicht aber sind die bei der Vermögensteuerveranlagung zugrunde gelegten Wertansätze für die Bemessung der Vermögensabgabe bindend. Die anfänglich vom Bf. vertretene gegenteilige Auffassung beruht auf Rechtsirrtum. Es war demgemäß bei der Heranziehung des Bf. zur Vermögensabgabe erneut und selbständig zu prüfen, mit welchem Wert der am 21. Juni 1948 bestehende Abfindungsanspruch wegen der im Jahre 1941 durchgeführten Landabgabe in Ansatz zu bringen ist.

Die Prüfung hat in dem rechtskräftig gewordenen Vermögensabgabebescheid zu der Auffassung geführt, die Entschädigungsforderung sei mit dem 1949 erzielten Kaufpreis für die abgetretene Fläche anzusetzen.

Der vorliegende Rechtsstreit geht darum, ob dem Antrag des Bf. auf Berichtigung des seiner Ansicht nach unrichtigen, rechtskräftig gewordenen Vermögensabgabebescheides stattzugeben ist. Das Finanzgericht ist sachlich auf die Frage eingegangen, ob der Vermögensabgabebescheid fehlerhaft im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO sei, und hat die Frage verneint. Der Senat ist der Auffassung, daß es der Prüfung, ob ein "Fehler" im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, nicht bedarf.

Der Bf. hat es im Streitfalle selbst zu vertreten, daß seine - vielleicht zutreffende - Rechtsauffassung über die Bewertung der streitigen Forderung nicht schon im Veranlagungsverfahren zur Geltung gebracht worden ist. Ihm waren die Tatsachen, auf die sich seine Rechtsauffassung stützt, seit langem bekannt; er hat sie bereits im Einspruchsverfahren gegen die Vermögensteuerveranlagung 1949 mit Erfolg geltend gemacht. Ihm war andererseits auch die gegenteilige Rechtsansicht des Finanzamts frühzeitig genug mitgeteilt worden; denn das Finanzamt hatte den Bf. noch kurz vor Erlaß des Vermögensabgabebescheides in einem Schreiben vom 15. März 1955 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es bei der Veranlagung zur Vermögensabgabe seinen eigenen Standpunkt weiterhin vertreten werde. Wenn der Bf. es trotzdem unterlassen hat, seiner Auffassung durch rechtzeitige Einlegung eines Rechtsmittels gegen den Veranlagungsbescheid Geltung zu verschaffen, so bestand für die Oberfinanzdirektion ihrerseits keine Veranlassung, für die Beseitigung des vom Bf. beanstandeten Veranlagungsfehlers im Aufsichtswege Sorge zu tragen.

Bei dieser Sachlage braucht der Senat zu der an sich äußerst zweifelhaften Frage, ob überhaupt ein im ordentlichen Rechtsmittelverfahren verfolgbarer Rechtsanspruch der Abgabepflichtigen auf die Aufdeckung etwaiger Fehler im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO, d. h. auf ein Tätigwerden der Aufsichtsbehörde im Rahmen dieser Vorschrift besteht, nicht Stellung zu nehmen.

Vielmehr war die Rb. ohne weitere Prüfung als unbegründet mit der Kostenfolge aus § 307 AO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408541

BStBl III 1956, 290

BFHE 1957, 243

BFHE 63, 243

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