Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an Besetzungsrüge; Berufung und Einsatz ehrenamtlicher Richter; Verstoß gegen gesetzlichen Richter

 

Leitsatz (NV)

1. Rügt ein Beteiligter die Besetzung des streitentscheidenden FG-Senats wegen des Einsatzes bestimmter ehrenamtlicher Richter und macht er damit einen Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geltend, so muß er für die Zulässigkeit der darauf gestützten Revision die näheren Umstände, die zur Berufung und zum Einsatz des ehrenamtlichen Richters geführt haben, selbst vortragen. Die dafür notwendigen Informationen hat er beim FG zu erfragen. Erst wenn die Auskünfte unzureichend oder unrichtig sind, könnte u. U. eine fehlerhafte Verfahrenshandlung angenommen werden.

2. Das FG braucht vor der Heranziehung des Vertreters eines verhinderten ehrenamtlichen Richters nicht nachzuprüfen, ob der mitgeteilte Hinderungsgrund in tatsächlicher Hinsicht vorliegt. Vielmehr darf das Gericht bei den auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richtern davon ausgehen und sich ohne weitere Ermittlungen darauf verlassen, daß sie sich ihrer richterlichen Pflicht nicht ohne zwingenden Grund entziehen, sondern nach pflichtgemäßer Abwägung zu dem Ergebnis gelangt sind, verhindert zu sein (Anschluß an die Rspr. des BVerwG).

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1; FGO §§ 22-23, 26, 116 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen den Haftungsbescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) vom 13. Oktober 1983 durch Urteil vom 23. September 1985 als unzulässig ab.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Revision ein. Er ist der Ansicht, die Wahl der ehrenamtlichen Richter des FG vom 12. Januar 1982 sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt und die Besetzung des 1. Senats des FG, der in der Streitsache entschieden habe, habe bei der Entscheidung vom 23. September 1985 nicht dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für 1985 entsprochen.

 

Entscheidungsgründe

Die Verfahrensrevision des Klägers ist unzulässig und deshalb nach § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen.

Eine Revision ist ohne besondere Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO nur statthaft, wenn mit ihr einer der in dieser Vorschrift abschließend aufgeführten Verfahrensmängel geltend gemacht und schlüssig vorgetragen wird (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384; vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 11. Dezember 1963 V C 65.62, BVerwGE 17, 253). Die Rüge des Klägers, der 1. Senat des FG sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen (§ 119 Nr. 1 FGO), rechtfertigt an sich gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO die Zulassung der Revision. Der Kläger hat jedoch einen derartigen Verfahrensmangel nicht in einer den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz FGO genügenden Weise dargetan.

1. Der Kläger trägt vor, die ehrenamtlichen Richter des FG seien nicht aus einer Wahl gemäß § 22 FGO hervorgegangen, sondern durch einseitige Bestimmung des Wahlausschusses in dessen Sitzung am 19. Januar 1982 benannt worden. Bei dieser Sitzung seien zwei handschriftliche Listen geführt worden, in die die Listenführer - der Präsident des FG R und der Ltd. Regierungsdirektor bei der Oberfinanzdirektion (OFD) Dr. R - die ,,gewählten" ehrenamtlichen Richter eingetragen hätten. Beide Listen endeten jedoch unterschiedlich. Die Liste des Präsidenten des FG ende mit der Nr. 239 (Dr. L), die Liste des Dr. R ende mit Nr. 149 (D). Auf dieser Liste sei dann der Name einer Person gestrichen worden und dafür der Richter Dr. L eingetragen worden.

Dieser Vortrag des Klägers ergibt nicht, daß der 1. Senat des FG, der unter der Mitwirkung aus dieser Wahl hervorgegangener Richter entschieden hat, nicht ordnungsgemäß besetzt war. Nach der Rechtsprechung des BVerwG, die mit derjenigen des Bundesgerichtshofs (BGH) übereinstimmt, führt die unrichtige Anwendung einer Besetzungsvorschrift zu einer nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts i. S. des § 133 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) nur dann, wenn sich der Gesetzesverstoß gleichzeitig als Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) darstellt (BVerwG-Urteil vom 26. April 1974 VII C 77.72, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 133 VwGO Nr. 11; BVerwG-Beschluß vom 9. Juni 1987 9 CB 36.87, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1988, 219; BGH-Urteile vom 30. Juli 1975 III StR 27-28/75, Goltdammers Archiv für Strafrecht - GoltdArch - 1976, 141; vom 21. Oktober 1975 I StR 445/75, GoltdArch 1976, 142, beide mit Anmerkungen von Ries, GoltdArch 1976, 133; vom 14. Oktober 1975 1 StR 108/75, BGHSt 26, 206, 210, 211).

Eine hierauf hinauslaufende Manipulation des Richterspruchs durch die Wahl der ehrenamtlichen Richter ist aber nur begrenzt möglich (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Juni 1982 2 BvR 1205/81, NJW 1982, 2368). Der Wahlausschuß trifft für die Bestimmung des gesetzlichen Richters eine lediglich vorbereitende Entscheidung und übt keinen unmittelbaren Einfluß auf die Zuteilung des einzelnen ehrenamtlichen Richters zu einem bestimmten Spruchkörper aus.

Der vom Kläger angeführte Mangel hat dem Verfahren, in dem die an der Entscheidung des 1. Senats vom 29. September 1985 beteiligten ehrenamtlichen Richter L und M berufen worden sind, nicht den Charakter einer Wahl genommen. Nach der Niederschrift über die Wahl der ehrenamtlichen Richter des FG vom 19. Januar 1982 hat der Wahlausschuß aus der Vorschlagsliste 105 ehrenamtliche Richter einstimmig gewählt. Die Namen der gewählten Richter sind in der vom Präsidenten des FG geführten Liste mit ihrer Rangnummer festgehalten worden. Diese Liste stimmt inhaltlich mit der Kontrolliste des Dr. R überein. Auch diese Liste enthält 105 Namen mit ihren Rangnummern. Die beiden Listen unterscheiden sich äußerlich nur darin, daß nach der Nr. 243 (J) auf der Liste des Präsidenten des FG die Nr. 252 (N) folgt, während auf der Liste des Dr. R die Nr. 239 (Dr. L) aufgeführt ist. Anschließend folgt auch auf dieser Liste die Nr. 252 (N). Die an dieser Stelle auf der Liste des Präsidenten fehlende Nr. 239 (Dr. L) wird jedoch am Ende dieser Liste festgehalten, so daß letztlich beide Listen das Ergebnis der Wahl übereinstimmend und richtig wiedergeben. Somit sind die auf den Listen aufgeführten ehrenamtlichen Richter durch eine Wahl gesetzliche Richter i. S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geworden.

2. Der Auffassung des Klägers, die Wahl vom 19. Januar 1982, bei der nur 15 v. H. Frauen und nur ein Arbeiter gewählt worden seien, verstoße gegen § 42 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG), kann nicht zugestimmt werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 42 Abs. 2 GVG, wonach bei der Wahl der Schöffen darauf geachtet werden soll, daß alle Gruppen der Bevölkerung angemessen berücksichtigt werden, nach § 155 FGO sinngemäß auf die Vorschlagsliste für ehrenamtliche Richter im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist. Selbst wenn man dies bejahte, würde ein Verstoß gegen diese bloße Sollvorschrift keinen Einfluß haben auf die Ordnungsmäßigkeit der Wahl (vgl. BFH-Beschluß vom 4. März 1987 II R 47/86, BFHE 149, 23, 24, BStBl II 1987, 438).

3. Auch die Rüge des Klägers, die ehrenamtlichen Richter seien nicht geheim gewählt worden, greift nicht durch.

Das Gesetz schreibt in § 26 FGO nicht vor, daß die Wahl der ehrenamtlichen Richter in der gleichen Weise vorzunehmen sei wie die der Richter zum Präsidium nach § 4 FGO i. V. m. § 21 b Abs. 3 GVG und der Wahlordnung für die Präsidien der Gerichte vom 19. September 1972 (BGBl I 1972, 1821). Dem in § 26 Abs. 1 FGO enthaltenen Wort ,,wählt" ist zu entnehmen, daß das Gesetz lediglich ein nicht vom Zufall abhängiges Ergebnis will (z. B. nicht ein Auslosen), sondern eine Wahl als bewußte individuelle und konkret-personenbezogene Entscheidung der Mitglieder des Wahlausschusses (Kissel, Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ - 1985, 490). Diesem Erfordernis war dadurch genügt, daß der Wahlausschuß seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, aus der vom Präsidenten des FG aufgestellten Vorschlagsliste einstimmig 105 bestimmte Personen, darunter auch L und M, die an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt haben, in das Amt eines ehrenamtlichen Richters zu berufen (Beschluß in BFHE 149, 23, 24, BStBl II 1987, 438; BGH-Urteil vom 19. Juni 1985 2 StR 197/85, 2 StR 98/85, NJW 1985, 2341, betreffend eine Schöffenwahl; zustimmend dazu Kissel, NStZ 1985, 490).

4. Der Kläger rügt weiterhin die konkrete Besetzung des 1. Senats des FG in der Sitzung vom 29. September 1985. In dieser Sitzung war das angefochtene Urteil ergangen. Der Kläger trägt vor, nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für 1985 hätten an dieser Sitzung nicht die ehrenamtlichen Richter L und M (laufende Nr. 8 und 9 der Hauptliste des 1. Senats), sondern die ehrenamtlichen Richter La und L (laufende Nr. 7 und 8 der Hauptliste) mitwirken müssen. Der ehrenamtliche Richter La sei jedoch gar nicht erst geladen worden. Krankheit und Urlaub des Richters seien nicht feststellbar. Vielmehr habe dieser keine Lust mehr zum Richteramt gehabt. Er sei letztmalig zur Sitzung vom 19. März 1985 geladen worden. Damals sei er zwar erkrankt, aber zur fraglichen Sitzung am 29. September 1985 wieder genesen gewesen. Seinen Dienst als Lehrer habe er jedenfalls wieder ausgeübt.

Auch dieser Vortrag enthält keine schlüssige Verfahrensrüge. Nach § 27 Abs. 1 FGO werden die ehrenamtlichen Richter in der Reihenfolge einer Liste herangezogen, die das Präsidium des FG für jeden Senat aufstellt. Damit ist noch nicht entschieden, in welcher Weise sie den Sitzungen des Senats zugeteilt werden. Es kann auf die Abfolge der Sitzungstage oder - nach der wohl überwiegenden Übung - auf die zeitliche Folge der Ladungen abgestellt werden (BVerwG-Beschluß vom 23. Mai 1975 VII C 15/74, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1975, 582).

Der Kläger hat nicht dargetan, welche Regelungen das Präsidium des FG hierfür getroffen hat und welches Verfahren in Ermangelung einer solchen Regelung der ,,gewachsenen Übung" bei der Anwendung des Geschäftsverteilungsplans entsprach (vgl. zur Bedeutung einer solchen Übung BVerwG-Urteile vom 29. Oktober 1963 VI C 198/61, BVerwGE 17, 87, 89; vom 12. Dezember 1973 VI C 104/73, BVerwGE 44, 215, 218; BVerwG-Beschluß vom 31. Mai 1976 VI CB 24/76, HFR 1976, 578). Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen, sich darüber Aufklärung zu verschaffen (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, 240, BStBl II 1970, 384).

Käme es auf die Reihenfolge der Ladungen an, so wäre die Besetzung des Senats vorschriftsmäßig gewesen. Zu der Sitzung des 1. Senats am 29. August 1985, der Sitzung vor der Sitzung am 29. September 1985, wurden die ehrenamtlichen Richter H und K (laufende Nr. 5 und 6 der Hauptliste) geladen. Folglich waren zu der fraglichen Sitzung die ehrenamtlichen Richter La und L (laufende Nr. 7 und 8 der Hauptliste) zu laden. Da dem Gericht jedoch bekanntgeworden war, daß der ehrenamtliche Richter La (laufende Nr. 7 der Hauptliste) bereits seit Anfang des Jahres 1985 erkrankt war, wurde für die fragliche Sitzung zu Recht der ehrenamtliche Richter M (laufende Nr. 9 der Hauptliste) geladen.

Das FG brauchte nicht nachzuprüfen, ob die Erkrankung des ehrenamtlichen Richters La im Zeitpunkt der fraglichen Sitzung am 29. September 1985 tatsächlich fortdauerte. Nach der Rechtsprechung des BVerwG braucht das Gericht vor Heranziehung eines Vertreters nicht nachzuprüfen, ob der mitgeteilte Hinderungsgrund in tatsächlicher Hinsicht vorliegt. Vielmehr darf das Gericht bei den auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richtern (§ 45 des Deutschen Richtergesetzes - DRiG -) davon ausgehen und sich ohne weitere Ermittlungen darauf verlassen, daß sie sich ihrer richterlichen Pflicht nicht ohne zwingenden Grund entziehen, sondern nach pflichtgemäßer Abwägung zu dem Ergebnis gelangt sind, verhindert zu sein (BVerwG-Beschlüsse vom 22. November 1979 6 CB 56/79, HFR 1981, 386; vom 13. Mai 1976 VII C 5/76, Buchholz, a.a.O., 310, § 30 VwGO Nr. 13). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Danach hat im vorliegenden Fall wegen der bekannten längeren Krankheit des ehrenamtlichen Richters La kein Anlaß bestanden, die Fortdauer der Krankheit gerichtlich zu kontrollieren. Von einer Ladung des ehrenamtlichen Richters La konnte das Gericht daher zu Recht absehen. Im übrigen war der Richter La während des gesamten Jahres 1985 tatsächlich erkrankt. Dies ergibt sich aus seiner schriftlichen Erklärung vom 29. Januar 1986, mit der er seine erneute Wahl zum ehrenamtlichen Richter wegen der seit einem Jahr andauernden krankhaften Dienstunfähigkeit dem FG gegenüber ablehnte.

5. Der Vortrag des Klägers, der 1. Senat sei bei seiner Sitzung am 29. September 1985 auch deshalb nicht richtig besetzt gewesen, weil für die vorangegangene Sitzung am 29. August 1985 zwar die ehrenamtlichen Richter H und K (laufende Nr. 5 und 6 der Hauptliste) geladen, aber wegen Urlaubs an der Sitzung nicht hätten teilnehmen können, und das Gericht anschließend als Vertreter u. a. einen ehrenamtlichen Richter von der Hilfsliste des 2. Senats des FG habe laden und teilnehmen lassen, genügt ebenfalls nach § 120 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz FGO nicht den Anforderungen an eine Revisionsrüge, wie sie unter I.4. dargestellt sind. Den Ausführungen des Klägers ist lediglich zu entnehmen, daß an der Sitzung des 1. Senats vom 29. August 1985 ein ehrenamtlicher Richter der Hilfsliste des 2. Senats als Vertreter teilgenommen hat. Die näheren Umstände, die zum Einsatz dieses ehrenamtlichen Richters geführt haben, trägt der Kläger jedoch nicht vor. Der Kläger irrt, wenn er meint, dies vorzutragen, sei Aufgabe des FG. Vielmehr hätte er selbst Aufklärung über die Umstände dieser Berufung beim FG suchen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 1980 IV R 181/79, BFHE 132, 377, 378, BStBl II 1981, 400; BVerwG-Urteil vom 26. Mai 1961 VII C 7/61, BVerwGE 12, 261, 263). Wären die Auskünfte unzureichend oder unrichtig gewesen, so hätte u. U. eine fehlerhafte Verfahrenshandlung angenommen werden können (vgl. Beschluß in BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384).

Da die Revision unzulässig ist, ist es dem Senat verwehrt, die außerhalb des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO geltend gemachten Verfahrensrügen zu prüfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416207

BFH/NV 1989, 532

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Finance Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge