Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Vertragliche Verpflichtungen können in der Regel nicht als selbständige Leistungen im Sinne des § 1 Ziff. 1 UStG angesehen werden.

 

Normenkette

UStG § 1 Ziff. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Steuerpflichtige eine steuerbare Leistung dadurch erbracht hat, daß sie einen auf die Dauer von 25 Jahren bemessenen Stromlieferungsvertrag mit den Stadtwerken X abgeschlossen, ein veraltetes Stromverteilungsnetz zum Abbau überlassen und die Leitungsführung für Mittelspannungsstrom in ihrem Stadtgebiet geduldet hat.

Die Steuerpflichtige versorgt ihr Stadtgebiet durch ihren Eigenbetrieb, die Stadtwerke Z, mit elektrischem Strom. Diesen bezieht sie seit vielen Jahren von den Stadtwerken X. Am 1. August 1957 schlossen die Steuerpflichtige und die Stadtwerke X mehrere Verträge, durch die sie die gegenseitigen geschäftlichen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellten. Durch einen Stromlieferungsvertrag verpflichtete sich die Steuerpflichtige, von den Stadtwerken X auf die Dauer von 25 Jahren den für ihre eigenen Stadtwerke zur Versorgung des Stadtgebietes erforderlichen elektrischen Strom zu beziehen. Mit einem sog. Bauvertrag wurde vereinbart, daß die Stadtwerke X auf eigene Kosten ein Stromverteilungsnetz, das nach der Fertigstellung ins Eigentum der Steuerpflichtigen übergehen sollte, im Stadtgebiet zu errichten hatten. Das neue Stromverteilungsnetz wurde errichtet, weil das der Steuerpflichtigen veraltet war und weil die Umstellung auf eine andere Netzspannung dazu zwang. Das bisherige veraltete Stromnetz überließ die Steuerpflichtige zum Abbau den Stadtwerken X. Ferner wurde ein sog. Betriebsführungsvertrag geschlossen, wonach die Stadtwerke X gegen Zahlung einer jährlichen Pauschale von 20.000 DM den Betrieb, die Unterhaltung, die Instandsetzung, die Erneuerung und etwa erforderlich werdende Erweiterungen der Stromversorgungsanlage übernahmen.

Das Finanzamt erblickt einen steuerbaren Umsatz der Steuerpflichtigen darin, daß sie das alte Stromverteilungsnetz den Stadtwerken X überlassen, die Leitungsführung für Mittelspannungsstrom in ihrem Stadtgebiet geduldet, die Erneuerung, Instandsetzung usw. der Versorgungsanlage nur den Stadtwerken X übertragen und sich zur Stromabnahme auf die Dauer von 25 Jahren verpflichtet hatte. Als Gegenleistung sah es die übertragung des Eigentums an dem neuen Stromverteilungsnetz an. Den Wert des Stromverteilungsnetzes ermittelte das Finanzamt mit ... DM und unterwarf den Betrag mit 4. v. H. der Umsatzsteuer.

Im Einspruchsverfahren setzte das Finanzamt den Wert der Gegenleistung um ... DM herab.

Im Verfahren vor dem Finanzgericht machte die Steuerpflichtige geltend, die gesonderte Betrachtung einzelner Vertragspflichten sei nicht möglich. Deshalb könnten die Abnahmeverpflichtung auf die Dauer von 25 Jahren und auch sonstige einzelne Vertragsverpflichtungen nicht als Leistung der Steuerpflichtigen angesehen werden, der wiederum einzelne aus dem Vertragswerk herausgenommene Gegenleistungen der Stadtwerke X gegenüberstünden. Man müsse vielmehr das ganze Vertragswerk als eine Einheit ansehen. Dabei ergebe sich, daß die Stadtwerke X die Stromlieferung, den Betrieb der Stadtwerke der Steuerpflichtigen und die Errichtung eines Stromverteilungsnetzes als Leistung erbracht hätte. Dieser Leistung stünden als Entgelt die Stromabnahmegebühren und die Pauschale für die Betriebsführung gegenüber.

Die Berufung der Steuerpflichtigen hatte zum größten Teil Erfolg. Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, daß eine Leistung im Sinne des § 1 UStG nur gegeben sei, wenn sie selbständigen wirtschaftlichen Charakter und Wert besitze. Das sei in der Regel nur bei Erfüllungshandlungen der Fall. Eine Leistung sei nicht schon dann gegeben, wenn jemand eine vertragliche Verpflichtung eingehe. Soweit sich die Steuerpflichtige zur Abnahme von elektrischem Strom auf die Dauer von 25 Jahren verpflichtet habe und daneben einige andere Vertragspflichten eingegangen sei, stehe dem nichts anderes gegenüber als die Verpflichtung der Stadtwerke, 25 Jahre lang den Strom gegen Entgelt zu liefern, die Betriebsführung der Stromversorgungsanlage gegen Entgelt zu übernehmen und einige sonstige Nebenleistungen zu erbringen. Damit hätten die Stadtwerke X mehrere Leistungen erbracht, denen von seiten der Steuerpflichtigen nur Gegenleistungen, nämlich die Bezahlung der Stromgebühren und die Pauschale für die Betriebsführung gegenüberstünden. Das Finanzgericht vertritt ferner die Ansicht, daß die Gegenleistung für die kostenlose überlassung eines neuen Stromverteilungsnetzes nicht in der Verpflichtung zur Stromabnahme gesehen werden könne, sondern in der Bezahlung der Stromabnahmegebühren, die für die Dauer von 25 Jahren gesichert sei.

In der überlassung der alten Stromversorgungsanlage zum Abbau an die Stadtwerke X sah das Finanzgericht dagegen eine steuerbare Leistung der Steuerpflichtigen. Die Leistung bestehe überwiegend in der überlassung von Altmaterial (Kupfer) im Werte von ... DM. Das Entgelt sei in den Kosten des neu erstellten Stromverteilungsnetzes aufgegangen.

Mit der Rb. macht der Vorsteher des Finanzamts erneut geltend, die Steuerpflichtige sei die Verpflichtung, 25 Jahre lang Strom von den Stadtwerken X zu beziehen, nur eingegangen, weil sie dafür ein neues Stromverteilungsnetz erhalten habe. Nur wegen der langen Laufzeit des Stromlieferungsvertrags seien die Stadtwerke X bereit gewesen, das Stromverteilungsnetz zu erneuern. Im übrigen habe das Finanzgericht anerkannt, daß die Steuerpflichtige eine steuerbare Leitung durch überlassung des Altkupfers erbracht habe. Das Entgelt liege in der übertragung des Eigentums an dem neuen Stromverteilungsnetz. Damit habe das Finanzgericht die steuerbare Leistung der Steuerpflichtigen teilweise anerkannt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann keinen Erfolg haben.

Das Finanzgericht geht zutreffend davon us, daß die Steuerpflichtige gegenüber den Stadtwerken X durch den Abschluß des Stromlieferungsvertrags auf die Dauer von 25 Jahren keine steuerbare Leistung im Sinne des § 1 Ziff. 1 UStG erbracht hat. Durch den Stromlieferungsvertrag hat nicht die Steuerpflichtige, sondern haben die Stadtwerke X sich zu einer Leistung, nämlich der Lieferung von Strom auf die Dauer von 25 Jahren verpflichtet. Diese Leistung wird von den Stadtwerken X tatsächlich erbracht und durch die Steuerpflichtige mit den Strombezugsgebühren abgegolten. Für das Zustandekommen des Vertrags mag ausschlaggebendes Motiv eine lange Laufzeit gewesen sein. Ein solches wirtschaftliches Interesse der Stadtwerke X, das unterstellt werden kann, ist jedoch bei der Preisgestaltung - wie die Steuerpflichtige mit Recht ausführt - bereits berücksichtigt, weil der auf längere Zeit angelegte Stromlieferungsvertrag günstigere Preise für die Steuerpflichtige gestattet als ein kurzfristig kündbarer Vertrag. Das Finanzamt erkennt zutreffend, daß die Stadtwerke X neben den Stromlieferungen durch die überlassung eines Stromverteilungsnetzes eine weitere steuerbare Leistung erbracht haben. Auch diese Leistung muß aber mit den Strombezugsgebühren als abgegolten angesehen werden. Eine steuerbare Leistung der Steuerpflichtigen, die dieser Leistung gegenüberstünde, ist nicht gegeben. Insbesondere stellt der Abschluß des Stromlieferungsvertrages eine solche Leistung nicht dar. Die beiderseitigen wirtschaftlichen Interessen haben in dem Stromlieferungsvertrag und dem Bauvertrag sowie in dem Betriebsführungsvertrag einen Ausgleich gefunden. Die Motive, die zum Vertragsabschluß geführt haben, sind nur für den Vertragsabschluß bedeutsam. Für die Umsatzsteuer entscheidend ist aber der tatsächlich bewirkte Leistungsaustausch, der in den Leistungen der Stadtwerke X und in der Gegenleistung der Steuerpflichtigen seinen Ausdruck findet. Beim Vollzug des Leistungsaustausches kann die eingegangene Verpflichtung in der Regel nicht als zusätzliche vorweggenommene Leistung angesehen werden. Ein Ausnahmefall, wie etwa dann, wenn die Verpflichtung selbst den Inhalt der Leistung ausmachte, ist im Streitfalle nicht gegeben.

Eine Leistung der Steuerpflichtigen kann auch nicht in der Duldung der Leitungsführung für Mittelspannungsstrom auf dem Stadtgebiet gesehen werden. Diese Leitungsführung ist zur Versorgung der Stadt und einiger Sonderabnehmer der Stadt erforderlich und damit eine Nebenabrede des Stromlieferungsvertrags. Es ist den Stadtwerken X nicht möglich, ohne diese Leitungsführung Strom zu liefern, denn die Umstellung auf eine höhere Netzspannung gestattete eine Leitung des Stroms im alten Netz der Steuerpflichtigen nicht mehr. Daß die Mittelspannungsleitung den Stadtwerken X auch zu Durchleitungszwecken dient, ist nicht entscheidend, weil während der Dauer des Stromlieferungsvertrags die Versorgung der Steuerpflichtigen durch dieses Netz im Vordergrund steht.

Das Finanzamt kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, eine Leistung der Steuerpflichtigen liege darin, daß sie die Erhaltung, Instandsetzung und Erneuerung der Stromverteilungsanlage auf die Stadtwerke X übertragen habe. Hierbei handelt es sich im Gegenteil um eine Leistungsverpflichtung der Stadtwerke X, die durch die Steuerpflichtige mit einer Pauschale von jährlich 20.000 DM abgegolten wird.

Der Auffassung des Finanzgerichts, die Steuerpflichtige habe eine Leistung dadurch erbracht, daß sie die alte Stromverteilungsanlage den Stadtwerken X zum Abbau überließ, ist zuzustimmen. Wird Altmaterial oder werden Abfälle dem Hersteller eines Werkes überlassen, so ist eine steuerbare Leistung immer dann gegeben, wenn entweder das Entgelt für die Werkleistung durch die überlassung beeinflußt wurde oder der überlassene Gegenstand für den Hersteller einen Wert hatte, der z. B. durch Verkauf des Gegenstandes verwirklicht werden konnte (vgl. z. B. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs V 98/58 U vom 11. Februar 1960, BStBl 1960 III S. 149, Slg. Bd. 70 S. 399; V 65/58 U vom 13. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 529, Slg. Bd. 71 S. 756). Die Lieferung des Altkupfers an die Stadtwerke X ist gegen Entgelt erfolgt, weil nach den Umständen eine Schenkung ausgeschlossen ist. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Wert des Altmaterials in Höhe von ... DM beim Abschluß des gesamten Vertragswerks zwischen der Steuerpflichtigen und den Stadtwerken X berücksichtigt worden ist. Ob hierbei die Strombezugsgebühren niedriger berechnet oder das Altkupfer sonst eine Berücksichtigung gefunden hat, kann dahingestellt bleiben.

Da somit das Finanzgericht zutreffend eine Leistung der Steuerpflichtigen mit Ausnahme der Lieferung von Altkupfer verneint hat, kann die Rb. keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411905

BStBl III 1966, 181

BFHE 1966, 499

BFHE 84, 499

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