Leitsatz (amtlich)

Haben Eheleute keine gemeinsame Steuererklärung abgegeben, wird der an die Eheleute gemäß § 210 Abs. 2 AO gerichtete einheitliche Steuerbescheid nur dadurch wirksam bekanntgegeben, daß jedem der Eheleute eine Ausfertigung des Bescheids übersandt wird.

 

Normenkette

AO § 91 Abs. 1, § 210 Abs. 2, §§ 210b, 211 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im II. Rechtsgang.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat, da keine Steuererklärung abgegeben wurde, den im Schätzungsweg gemäß § 217 der Reichsabgabenordnung (AO) erlassenen Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 1973 unter der Anschrift "Herrn und Frau W, Horst ..." laut Postaufgabevermerk am 3. März 1976 zur Post gegeben. Mit einem am 12. April 1976 beim FA eingegangenen Schreiben haben die Rechtsanwälte ... namens der Eheleute W Einspruch eingelegt und in einem weiteren Schreiben Nachsicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist beantragt.

Das FA hat den Einspruch als unzulässig verworfen, da er verspätet eingegangen sei und Nachsichtgründe nicht vorlägen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Horst W mangels Vorlage der Prozeßvollmacht abgewiesen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung im Revisionsverfahren durch das Urteil des erkennenden Senats vom 22. Juni 1977 I R 38/77 (nicht veröffentlicht) - die Prozeßvollmacht war im Revisionsverfahren vorgelegt worden - hat das FG die Klage im II. Rechtsgang erneut abgewiesen, weil es den Einspruch als verspätet ansah. Dem Vortrag des Klägers, er sei zur Zeit der Zustellung des Steuerbescheids bereits "unbekannten Aufenthalts" gewesen, maß das FG keine Bedeutung bei, da auch an Familienmitglieder (hier die Ehefrau) wirksam zugestellt werden könne und zugestellt worden sei.

Mit seiner Revision, mit der der Kläger rügt, § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) sei verletzt, beantragt er, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Ergebnis begründet. Das FG hat bisher nicht geprüft, ob der Einkommensteuerbescheid ordnungsgemäß bekanntgegeben worden ist (§ 91 Abs. 1 AO).

Nach § 210 Abs. 2 AO war es - wenn zur Entrichtung einer Steuer wie hier im Fall der Zusammenveranlagung (§ 7 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes) mehrere Gesamtschuldner verpflichtet waren - zulässig, gegen die Gesamtschuldner einen einheitlichen Steuerbescheid zu erlassen. Dieser war schriftlich zu erteilen (§ 210 b AO) und verschlossen zuzustellen (§ 211 Abs. 3 AO).

Nach der in den Einkommensteuerakten befindlichen Durchschrift des Steuerbescheids, auf den das FG Bezug genommen hat, war der Steuerbescheid an die Eheleute W gerichtet. Daraus folgt aber noch nicht die wirksame Bekanntgabe dieses Bescheids. Da im Streitfall - anders als im Sachverhalt des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 1970 IV 48/65 (BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839) - eine gemeinsame, von beiden Eheleuten unterzeichnete Steuererklärung nicht abgegeben worden ist, mußte der Steuerbescheid jeweils gesondert an jeden der Eheleute bekanntgegeben werden (BFH-Beschlüsse vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287; vom 22. Oktober 1975 I B 38/75, BFHE 117, 205, BStBl II 1976, 136). Fehlt es daran, so ist die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden. Der Einspruch wäre in diesem Fall rechtzeitig eingelegt worden.

Damit weicht der erkennende Senat nicht vom BFH-Urteil vom 14. Februar 1978 VII R 51/77 (BFHE 124, 408, BStBl II 1978, 416) ab. Dort hat der VII. Senat des BFH ausgeführt, daß die nach § 91 AO erforderliche Bekanntgabe einer schriftlichen Betriebsprüfungsanordnung nicht der Zustellung bedürfe und die Anordnung einer Betriebsprüfung gegenüber beiden Ehegatten in einer einheitlichen, an sie adressierten Verfügung beiden Ehegatten gegenüber auch dann wirksam werde, wenn ihnen nur eine Ausfertigung der Anordnung zugesendet worden sei, jedoch beide sie zur Kenntnis bekommen hätten. Der VII. Senat des BFH hat in seiner Begründung selbst zum Ausdruck gebracht, daß er von der Rechtsauffassung des I. Senats im Beschluß I B 38/75 nicht abweiche, da Gegenstand der Entscheidung des I. Senats ein einheitlicher Haftungsbescheid gegen Eheleute gewesen sei, der von Gesetzes wegen habe zugestellt werden müssen.

Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird tatsächliche Feststellungen darüber nachholen, ob der Steuerbescheid durch Übersendung je einer Ausfertigung des Zusammenveranlagungsbescheids an beide Eheleute dem Kläger wirksam bekanntgegeben worden ist. Zu diesem Zweck geht die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72962

BStBl II 1979, 58

BFHE 1979, 5

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