Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilweise Rücknahme eines Haftungsbescheids

 

Leitsatz (NV)

Fehlende Beschwer bei Klage gegen Bescheid mit dem ein Haftungsbescheid teilweise zurückgenommen worden ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 124 Abs. 2, § 350; FGO § 40 Abs. 2, § 137

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Gesellschafter der GmbH waren der Kläger und H zu gleichen Teilen. Am . . . stellte die GmbH, vertreten durch den Kläger, Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen, der jedoch mangels Masse abgewiesen wurde. Am . . . wurde die GmbH von Amts wegen gelöscht.

Mit Haftungsbescheid vom Dezember 1988 forderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vom Kläger Zahlung der einbehaltenen, aber nicht abgeführten Lohn- und Lohnkirchensteuer einschließlich steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von . . . DM, weil bei der GmbH die rückständigen Steuern nicht mehr beizutreiben waren. Auf den Einspruch des Klägers ermäßigte das FA den Haftungsbetrag in seiner Einspruchsentscheidung vom September 1989 auf . . . DM. Dagegen erhob der Kläger Klage, die Gegenstand des Verfahrens . . . ist.

Am . . . Dezember 1989 erließ das FA einen ,,geänderten Haftungsbescheid nach § 131 AO" über die genannten Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe von . . . DM. Die Differenz zu der in der Einspruchsentscheidung vom September 1989 genannten Haftungssumme beruhte darauf, daß das FA von der Inanspruchnahme des Klägers für Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer des Monats . . . absah. Gegen die den Einspruch gegen den geänderten Haftungsbescheid zurückweisende Einspruchsentscheidung des FA vom Juli 1990 erhob der Kläger Klage; diese ist Gegenstand des Verfahrens VII R 58/91.

Am . . . Februar 1991 erließ das FA - ohne daß vorher ein weiterer ändernder Haftungsbescheid erging - eine Einspruchsentscheidung, die hinsichtlich der Haftungssumme und des Haftungszeitraums der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 entsprach, aber eine ausführlichere Begründung enthielt. In der Einspruchsentscheidung teilte das FA mit, daß ,,diese Entscheidung an die Stelle der Einspruchsentscheidung . . . tritt". Der Kläger erhob gegen diese Einspruchsentscheidung vom Februar 1991 - ebenfalls - Klage, die Gegenstand des Verfahrens VII R 57/91 ist.

Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid vom Dezember 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 durch Urteil . . . auf. Dabei ging es davon aus, daß der Haftungsbescheid vom Dezember 1989 durch die Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 und die Einspruchsentscheidung vom Februar 1991 in jeweils unterschiedlicher Gestalt bestehe, dadurch unterschiedliche Streitgegenstände bestünden und somit darüber jeweils gesondert entschieden werden müsse.

Der Haftungsbescheid vom Dezember 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 sei aufzuheben, weil er keine ausreichende Darstellung des Auswahlermessens zwischen den in Betracht kommenden Haftungsschuldnern, nämlich dem Kläger und H - als möglichen Verfügungsberechtigten - enthalte. Die fehlende Begründung des Auswahlermessens habe nicht durch die Einspruchsentscheidung vom . . . Februar 1991 ersetzt werden können, weil darin kein Änderungsbescheid i.S. der §§ 130 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) zu sehen sei, sondern durch sie nur unzulässigerweise die fehlende Ermessensbegründung nachgeholt worden sei.

Ebenso hob das FG durch Urteil vom . . . die Einspruchsentscheidung vom Februar 1991 als rechtswidrig auf, weil es unzulässig sei, einen rechtshängigen Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung durch eine weitere Einspruchsentscheidung zu ersetzen.

Mit den vom FG zugelassenen Revisionen macht das FA geltend, es habe durch die Einspruchsentscheidung vom Februar 1991 die Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 zulässigerweise gemäß § 130 AO 1977 zurückgenommen und durch eine neue ersetzt. Dadurch sei kein neuer Streitgegenstand geschaffen worden, über den in einem neuen Klageverfahren zu befinden wäre. Der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Februar 1991 sei rechtmäßig, weil er eine ausführliche Darstellung der Ermessensausübung enthalte.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 121, 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen gegen die Urteile des FG sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Abweisung der Klagen (§ 126 Abs. 3 Nr.1 FGO).

1. Die Vorinstanz ist rechtsfehlerhaft von der Zulässigkeit der Klage gegen den Haftungsbescheid vom Dezember 1989 (Einspruchsentscheidung vom . . . Juli 1990) ausgegangen. Die Klage war unzulässig, weil die nach § 40 Abs. 2 FGO erforderliche Klagebefugnis des Klägers nicht gegeben war.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz stellt der Haftungsbescheid vom Dezember 1989 (Einspruchsentscheidung vom Juli 1990) keinen selbständig mit der Klage anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Wie der Senat in seinem Urteil vom 16.Juli 1992 VII R 60/91 entschieden hat, ist durch den Haftungsbescheid vom Dezember 1989 der Haftungsbescheid vom Dezember 1988 nicht vollständig geändert oder ersetzt worden. Die Korrektur bestand vielmehr lediglich in einer teilweisen Rücknahme des ursprünglichen Bescheids mit der Folge, daß der ursprüngliche Bescheid bestehen blieb, soweit er nicht durch den Bescheid vom Dezember 1989 zurückgenommen wurde (§ 124 Abs. 2 AO 1977). Da der Bescheid vom Dezember 1989 keine von dem teilweise zurückgenommenen Bescheid abweichende Beschwer enthielt, konnte er auch nicht selbständig angefochten werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Januar 1982 V R 100/80, BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292). Schon den gegen ihn gerichteten Einspruch des Klägers hätte das FA wegen fehlender Beschwer als unzulässig zurückweisen müssen (§ 350 AO 1977). Dem Kläger fehlt insoweit aber auch die Klagebefugnis i.S. von § 40 Abs. 2 FGO. Er hat nicht substantiiert darlegen können, daß er durch die teilweise Rücknahme des Haftungsbescheides vom Dezember 1988 zusätzlich in seinen Rechten verletzt ist.

Die Vorinstanz ist zwar vom Gegenteil ausgegangen, indem sie die Klage für zulässig hielt. Hieran ist der Senat jedoch nicht gebunden, weil es sich bei der Klagebefugnis um eine Sachurteilsvoraussetzung handelt (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 40 Rz.55), über deren Vorliegen auch das Revisionsgericht zu entscheiden hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Rz.34 m.w.N.).

Da somit die Klage bereits wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig ist, braucht sich der Senat nicht mit den Ausführungen der Vorinstanz zur Zulässigkeit der Klage nach § 66 FGO zu befassen.

2. Entsprechendes gilt auch in bezug auf die Einspruchsentscheidung vom Februar 1991. Es kann dahingestellt bleiben, ob das FA durch diese Einspruchsentscheidung die Einspruchsentscheidung vom Juli 1990 ersetzen durfte. Denn selbst wenn das zulässig war, gelten auch insoweit die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Klagebefugnis hinsichtlich des Haftungsbescheides vom Dezember 1989.

3. Die Kosten des Verfahrens sind nach § 137 Satz 2 FGO dem FA aufzuerlegen, obwohl es obsiegt hat, weil es schuldhaft die Kosten des Verfahrens verursacht hat.

Grund für die Durchführung der Vor- und Klageverfahren war der Umstand, daß das FA den Bescheid vom Dezember 1989 über die teilweise Rücknahme des Haftungsbescheides vom Dezember 1988 unzutreffenderweise als einen Bescheid angesehen hat, der den Bescheid vom Dezember 1988 ersetzt hat und selbständig anfechtbar war. Dementsprechend hat das FA sowohl in dem Bescheid vom Dezember 1989 als auch in den Einspruchsentscheidungen vom Juli 1990 und Februar 1991 entsprechende unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrungen erteilt. Dadurch wurde der Kläger veranlaßt, Einspruchs- und Klageverfahren durchzuführen.

Wie der Senat ausgeführt hat, war der Haftungsbescheid vom Dezember 1989 jedoch nicht selbständig anfechtbar. Das FA hätte die Rechtsprechung des BFH zu den Folgen einer Teilrücknahme (BFH-Urteil in BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292) kennen können und beachten müssen. Indem es diese Rechtsprechung nicht beachtete, hat es die erforderliche Sorgfalt verletzt und damit schuldhaft i.S. des § 137 Satz 2 FGO gehandelt; auf den Grad des Verschuldens kommt es nicht an (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 137 FGO Tz.2).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418609

BFH/NV 1993, 152

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