Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter als „Rechtsgeschäft unter Lebenden“

 

Leitsatz (amtlich)

"Rechtsgeschäft unter Lebenden" i.S. des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG ist auch die Kündigung der Gesellschaft durch einen Gesellschafter (§ 723 BGB).

 

Normenkette

GrEStG 1983 § 6 Abs. 4 S. 1; BGB § 723

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Entscheidung vom 05.04.2001; Aktenzeichen 1 K 1335/99; EFG 2001, 909)

 

Tatbestand

I. An der Bauherrengemeinschaft Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), zu deren Vermögen Grundstücke gehörten, waren im Jahr 1993 die Gesellschafter A mit einem Gesellschaftsanteil von 45 v.H., H.B. (an dessen Stelle ab 1994 dessen Erbe B) mit einem Anteil von 20 v.H. und C mit einem Anteil von 35 v.H. beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag konnte die Gesellschaft mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr gekündigt werden; in diesem Falle sollte die Gesellschaft unter den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt werden. Der Gesellschafter C kündigte die Gesellschaft durch Erklärung vom 21. Dezember 1995 mit Wirkung zum 31. Dezember 1996, so dass an der Gesellschaft nunmehr der Gesellschafter A mit 69,23 v.H. und der Gesellschafter B mit 30,77 v.H. beteiligt waren.

Mit Vertrag vom 21. Dezember 1998 übertrug die GbR ihren Grundbesitz auf die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG (KG). An der KG waren die GbR-Gesellschafter A mit einem Kommanditanteil von 69,23 v.H. und B mit einem Kommanditanteil von 30,77 v.H. beteiligt; die Komplementärin war kapitalmäßig an der KG nicht beteiligt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) setzte durch Bescheid vom 30. April 1999 gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer von 145 468 DM fest. Es legte als Bemessungsgrundlage gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG), da ein Feststellungsbescheid des Lagefinanzamts über den Grundbesitzwert noch nicht erlassen war, einen geschätzten Grundbesitzwert von 11 875 000 DM zugrunde. Das FA ließ die darauf entfallende Grunderwerbsteuer nach § 6 Abs. 3 GrEStG, entsprechend der Beteiligung der Gesellschafter A und B an der GbR nach Maßgabe der Beteiligungsverhältnisse vor Ausscheiden des Gesellschafters C, lediglich in Höhe von 65 v.H. unerhoben. Eine weiter gehende Freistellung versagte das FA unter Hinweis auf § 6 Abs. 4 GrEStG, weil hinsichtlich des Anteilserwerbs der Gesellschafter A und B beim Ausscheiden des Gesellschafters C ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vorgelegen habe. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 909 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt: Der Erwerbsvorgang sei gemäß § 6 Abs. 3 GrEStG in vollem Umfang von der Grunderwerbsteuer ausgenommen, weil die Gesellschafter der GbR und der Klägerin im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs in identischem Umfang an beiden Gesellschaften beteiligt gewesen seien. § 6 Abs. 4 GrEStG stehe nicht entgegen, weil die Gesellschafter A und B die im Wege der Anwachsung (§ 738 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―) auf sie übergegangenen Gesellschaftsanteile nicht "durch Rechtsgeschäft" erworben hätten. Ein Erwerb durch Rechtsgeschäft erfordere eine Änderung der Beteiligungsverhältnisse aufgrund einer Vereinbarung. Daran fehle es, wenn ein Gesellschafter ―wie im Falle der Kündigung der Gesellschaft― eine Änderung der Beteiligungsverhältnisse kraft gesetzlicher oder im Gesellschaftsvertrag eingeräumter Befugnis einseitig bewirke. Für die Anwendung des § 6 Abs. 4 GrEStG könne nicht auf den Gesellschaftsvertrag als rechtsgeschäftliche Grundlage der Änderung der Beteiligung abgestellt werden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 6 Abs. 4 GrEStG.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 GrEStG ist der Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand von der Grunderwerbsteuer in dem Umfang ausgenommen, in dem die Gesamthänder am gesamthänderischen Vermögen beider Gesamthandsgemeinschaften beteiligt sind. Die Steuervergünstigung gilt jedoch gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG insoweit nicht, als ein Gesamthänder ―im Falle der Erbfolge sein Rechtsvorgänger― innerhalb von fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang seinen Anteil an der Gesamthand durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben hat. Die Voraussetzungen dieser Sperrvorschrift sind im Streitfall erfüllt. Die Gesellschafter A und B haben innerhalb von fünf Jahren vor der Einbringung aufgrund eines Rechtsgeschäfts unter Lebenden den Anteil des Gesellschafters C an der GbR im Wege der Anwachsung (§ 738 BGB) erworben. Die die Anwachsung auslösende Kündigung der Gesellschaft durch den Gesellschafter C gemäß § 723 BGB war ein (einseitiges) Rechtsgeschäft unter Lebenden, das den Tatbestand des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG erfüllt.

a) Der in § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG verwendete zivilrechtliche Begriff "Rechtsgeschäft unter Lebenden" umfasst alle Arten der Rechtsgeschäfte, mit Ausnahme der Rechtsgeschäfte von Todes wegen, also insbesondere auch einseitige Rechtsgeschäfte, wie die Kündigung, die auf den Eintritt eines bestimmten rechtlichen Erfolges gerichtet sind (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl. 2001, Überblick vor § 104 Rz. 2, 11 f.). Danach haben die Gesellschafter A und B die Gesellschaftsanteile des Gesellschafters C durch Rechtsgeschäft unter Lebenden erworben, denn infolge des durch die Kündigung bewirkten Ausscheidens des Gesellschafters C (§§ 723, 736 BGB) ist dessen gesamthänderische Mitberechtigung unmittelbar auf die verbliebenen Gesellschafter übergegangen (Anwachsung, § 738 BGB).

Die Sperrwirkung des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG kann nicht auf Änderungen der Beteiligungsverhältnisse beschränkt werden, denen ein mehrseitiges Rechtsgeschäft, etwa eine Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern zugrunde liegt. § 6 Abs. 4 GrEStG dient der Verhinderung von (objektiven) Steuerumgehungen, die sich aus der Kombination eines (in den Grenzen des § 1 Abs. 2 a und Abs. 3 GrEStG) nicht der Grunderwerbsteuer unterliegenden Wechsels im Personenstand einer Gesamthand oder sonstiger Beteiligungsveränderungen und der anschließenden (nach § 6 Abs. 1 bis 3 GrEStG grunderwerbsteuerfreien) Übernahme von Grundstücken aus dem Vermögen der Gesamthand durch einen der Gesellschafter oder eine andere Gesamthand ergeben können (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. Juni 1973 II R 37/72, BFHE 110, 142, BStBl II 1973, 802, und vom 29. Januar 1997 II R 15/96, BFHE 181, 524, BStBl II 1997, 296). § 6 Abs. 4 GrEStG geht ―typisierend― davon aus, dass für die Änderung der Beteiligung in der Regel steuerliche Gründe maßgebend sind, wenn die Änderung innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Übernahme des Grundstücks erfolgt ist (BFH-Urteile vom 27. Juni 1967 II 50/64, BFHE 89, 573; in BFHE 110, 142, BStBl II 1973, 802; vgl. auch Begründung zum GrEStG 1940, RStBl 1940, 377/399). Dieser dem § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG zugrunde liegende Rechtsgedanke gilt auch für Anteilserwerbe, die infolge Kündigung eines Gesellschafters kraft Anwachsung bewirkt werden; eine Differenzierung je nach dem Vorliegen eines dem Anteilsübergang zugrunde liegenden einseitigen oder mehrseitigen Rechtsgeschäfts unter Lebenden ist insoweit ausgeschlossen.

Die Anwendung des § 6 Abs. 4 GrEStG kann auch nicht ―entgegen der Auffassung des FG― auf Gestaltungen beschränkt werden, in denen die Änderung der Beteiligungsverhältnisse auf einem gemeinschaftlichen "kollusiven" Zusammenwirken aller davon betroffenen Gesellschafter beruht. Vielmehr ist § 6 Abs. 4 GrEStG schon dann erfüllt, wenn die in dieser Vorschrift bezeichneten Umstände tatsächlich vorliegen; auf die Absicht einer Steuerumgehung kommt es nicht an (BFH in BFHE 181, 524, BStBl II 1997, 296).

Eine Beschränkung des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG auf Anteilserwerbe kraft "Vereinbarung" ergibt sich schließlich auch nicht aus § 6 Abs. 4 Satz 2 GrEStG. Die in dieser Vorschrift vorausgesetzte Vereinbarung ist auf den Sonderfall einer vom Beteiligungsverhältnis abweichenden Auseinandersetzungsquote beschränkt, die stets eine (gesellschafts-)vertragliche Regelung erfordert.

b) Der Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG steht nicht entgegen, dass der Vollzug des Anteilserwerbs aufgrund der gemäß § 738 Satz 1 BGB zwingenden gesetzlichen Rechtsfolge durch Anwachsung der Gesamthandsberechtigung des ausgeschiedenen Gesellschafters bei den übrigen Gesellschaftern erfolgt ist. Für die Anwendung des § 6 Abs. 4 GrEStG kommt es nicht auf eine bestimmte (zivilrechtliche) Form des Vollzugs des Anteilserwerbs an. Es reicht aus, dass ―wie hier― rechtsgeschäftliches Handeln zu einem Rechtsübergang (Anteilserwerb) "kraft Gesetzes" führt bzw. der Rechtsübergang ein rechtsgeschäftliches Fundament hat (BFH in BFHE 181, 524, BStBl II 1997, 296; BFH-Urteil vom 4. April 2001 II R 57/98, BFHE 194, 458, BStBl II 2001, 587).

2. Die Sache ist spruchreif.

Die Klage ist abzuweisen. Der Kläger wird durch den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid nicht in seinen Rechten verletzt. Das FA hat die Vergünstigung des § 6 Abs. 3 GrEStG in zutreffender Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG lediglich in Höhe von 65 v.H. gewährt. Den gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG als Bemessungsgrundlage anzusetzenden Grundbesitzwert hat das FA, da ein Feststellungsbescheid noch nicht erlassen war, gemäß § 162 Abs. 3 i.V.m. § 155 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) in rechtlich nicht zu beanstandender Höhe geschätzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 892327

BFH/NV 2003, 568

BStBl II 2003, 319

BFHE 2003, 422

BFHE 200, 422

BB 2003, 514

DB 2003, 645

DStR 2003, 545

DStRE 2003, 512

HFR 2003, 489

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