Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzlich keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei nicht formwirksamer Einlegung eines Rechtsmittels

 

Leitsatz (NV)

1. Die Prozeßbevollmächtigte hat durch eine wirksame Ausgangskontrolle auch sicherzustellen, daß fristwahrende Schriftsätze vor der ordnungsgemäßen Absendung tatsächlich unterzeichnet werden.

2. Die Ausgangskontrolle ist so zu organisieren, daß in allen -- auch außergewöhnlichen, aber vorhersehbaren -- Fällen Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift vermieden werden. Die notierte Frist darf erst dann gestrichen werden, wenn das Schriftstück postfertig, also auch unterschrieben vorgelegen hat.

3. Die der ordnungsgemäßen Postausgangskontrolle zuzurechnende Prüfung, ob ein fristwahrender Schriftsatz unterschrieben ist, kann auch einer zuverlässigen Kanzleikraft überlassen werden; diese Kontrolle braucht nicht "zentral" zu erfolgen.

4. Der Prozeßbevollmächtigte kann die Fristwahrung unter bestimmten Voraussetzungen auch durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen. Ein solcher Auftrag an eine bestimmte Person muß unter Hinweis auf die Wichtigkeit dieses Schreibens und den drohenden Fristablauf erteilt werden; der Auftrag muß ausdrücklich und eindeutig erteilt werden.

5. Zu den Anforderungen an die Darlegung eines unverschuldeten Büroversehens.

 

Normenkette

FGO § 56

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben mit Schriftsatz vom 24. August 1993 Revision eingelegt. Sie sind von der Geschäftsstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) darauf hingewiesen worden, daß die Revisionsschrift nicht unterzeichnet ist. Wegen der Versäumung der Frist haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich Revision eingelegt. Zur Begründung haben sie vorgetragen: Trotz einer ausdrücklichen Weisung, eine "zweite Ausfertigung zu erstellen und beide Schreiben in die Unterschriftenmappe zur Wiedervorlage zu geben", seien beide Schreiben ohne vorherige Unterzeichnung versehentlich verschickt worden. Die Mit arbeiterin A hat auf Anforderung des Gerichts "an Eides Statt" erklärt, daß der Sachverhalt "in den Schreiben vom 22. 9. 1993 (Wiedereinsetzungsantrag) und vom 27. 10. 1993 (weitere Stellungnahme) richtig dargestellt" worden sei.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hat der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand widersprochen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist formwirksam eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.

1. Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanz gerichtsordnung (FGO) ist die Revision beim Finanzgericht (FG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Das Erfordernis der Schriftlichkeit setzt die eigenhändige Unterschrift des postulationsfähigen Prozeßvertreters voraus. Die Revisionsschrift vom 24. August 1993 ist lediglich maschinenschriftlich mit dem Namen des Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet. Die eigenhändige Unterschrift ist auch nicht innerhalb der Revisionsfrist nachgeholt worden.

2. Bei Versäumung der Revisionsfrist ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn die Revisionskläger ohne Verschulden verhindert waren, die Frist einzuhalten (§ 56 FGO). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil der Prozeßbevollmächtigte der Kläger die Revisionsfrist schuldhaft versäumt hat. Dieses Verschulden müssen sich die Kläger zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Die Kläger haben innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO keine Tatsachen vorgetragen, die ein -- sodann unverschuldetes -- Büroversehen rechtfertigen könnten. Insbesondere ist aufgrund ihres Vortrags nicht die naheliegende Annahme ausgeräumt, daß der Ausgang von Schriftstücken im Büro des Prozeßbevollmächtigten nicht ordnungsgemäß überwacht worden ist (Organisationsmangel infolge unzureichender Postausgangskontrolle). Es ist daher davon auszugehen, daß bei einer ordnungsgemäßen, den von der Rechtsprechung entwikelten Grundsätzen entsprechenden Organisation der Postversendung das Versehen der mit der Fertigstellung des Schriftsatzes beauftragten Mitarbeiterin nicht unentdeckt geblieben wäre.

3. Ein Prozeßbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind.

a) Dazu ist unerläßlich, daß ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung von Fristen geführt wird. In diesem Buch muß der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein. Die Einhaltung der laufenden Fristen muß durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert werden. Die notierte Frist darf frühestens gelöscht werden, wenn das zur Fristwahrung bestimmte Schriftstück abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist.

Durch eine wirksame Ausgangskontrolle ist auch sicherzustellen, daß fristwahrende Schriftsätze vor der ordnungsgemäßen Absendung tatsächlich unterzeichnet werden (BFH-Beschluß vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, 149, BStBl II 1984, 441; Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 13. Juli 1989 VII ZB 6/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1990, 392; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 7. Februar 1992 2 B 92/91, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 60 VwGO Nr. 175). Die Ausgangskontrolle ist so zu organisieren, daß in allen -- auch außergewöhnlichen, aber voraussehbaren -- Fällen Fristversäumnisse wegen fehlender Unterschrift vermieden werden (BGH-Beschluß vom 23. Oktober 1986 VII ZB 8/86, Versicherungsrecht -- VersR -- 1987, 383; BVerwG-Beschluß in Buchholz 310, § 60 VwGO Nr. 175). Die notierte Frist darf erst dann gestrichen werden, wenn das Schriftstück postfertig, also auch unterschrieben vorgelegen hat (BFH-Beschlüsse in BFHE 140, 146, 149, BStBl II 1984, 441; vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, 148, BStBl II 1987, 441; zum Begriff "postfertig" Senatsurteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, 278, BStBl II 1989, 266; Beschluß vom 17. Februar 1993 VIII R 61/91, BFH/NV 1993, 614, jeweils m. w. N. der Rechtsprechung). Die Erledigung des fristwahrenden Schriftsatzes muß bis zu seiner Absendung (Ausgangskontrolle) überwacht werden.

Die der ordnungsgemäßen Postausgangskontrolle zuzurechnende Prüfung, ob ein fristwahrender Schriftsatz unterschrieben ist, kann nach ständiger Rechtsprechung auch einer zuverlässigen Kanzleikraft überlassen werden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gewährt werden, wenn der Prozeßbevollmächtigte sein Büropersonal allgemein angewiesen hat, sämtliche ausgehenden Schriftstücke vor der Absendung auf das Vorhandensein der Unterschrift zu überprüfen (BGH-Entscheidungen vom 30. Oktober 1974 VIII ZR 30/74, VersR 1975, 1365, 136; vom 15. Dezember 1978 V ZB 16/78, VersR 1979, 285; vom 12. Dezember 1984 IV b ZB 103/84, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1985, 1226; vom 16. April 1986 VIII ZB 20/86, VersR 1986, 891; vom 23. Oktober 1986 VII ZB 8/86, VersR 1987, 383). Hat der Prozeßbevollmächtigte entsprechende Anweisungen erteilt, ist es ein von ihm nicht zu vertretendes Büroversehen, wenn ein fristwahrender Schriftsatz von ihm nicht unterzeichnet und dies von der für die Prüfung zuständigen Bürokraft nicht bemerkt wird (BGH-Beschluß vom 14. Juli 1987 VIII ZB 19/87, Berliner Anwaltsblatt 1988, 93).

Die vorgenannte Ausgangskontrolle braucht nicht "zentral" zu erfolgen; sie kann wirksam auch durch die Bürokraft vorgenommen werden, die den betreffenden Schriftsatz geschrieben und zur Unterzeichnung vorgelegt hat (BGH-Beschluß vom 27. September 1994 XI ZB 9/94, Eildienst: Bundesgerichtliche Entscheidungen 1994, 346).

b) Der Prozeßbevollmächtigte kann die Fristwahrung unter bestimmten Voraussetzungen auch durch konkrete Einzelweisungen sicherstellen (vgl. BGH-Beschluß vom 13. Oktober 1993 XII ZB 48/93, NJW- Rechtsprechungs-Report Zivilrecht -- NJW- RR -- 1994, 565). Ein solcher Auftrag an eine bestimmte Person muß unter Hinweis auf die Wichtigkeit des Schreibens und den drohenden Fristablauf erteilt werden und ausdrücklich und eindeutig sein (BFH-Beschlüsse in BFHE 149, 146, 149, BStBl II 1987, 441; BFHE 155, 275, 279, BStBl II 1989, 266; BFH/NV 1993, 615; jeweils m. w. N. der Rechtsprechung).

c) Die bloße Anweisung an eine Bürokraft, alle Schriftstücke in einer Unterschriftenmappe zum Versand fertig zu machen, genügt nicht (BGH-Beschluß vom 15. März 1990 VII ZB 20/89, HFR 1990, 522). Voraussetzung für die Wiederein setzung in den vorigen Stand ist, daß der Prozeßbevollmächtigte eine wirksame Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze geschaffen und nicht nur eine Bürokraft -- beispielsweise den Bürovorsteher -- verpflichtet hat, für eine unterschriftsreife Fertigung des diktierten Schriftsatzes und für dessen Unterzeichnung zu sorgen (BFH-Beschluß vom 3. Juli 1984 VII R 21/83, nicht veröffentlicht -- NV --).

4. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO (vgl. Senatsurteil vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611, m. w. N.). Hieran fehlt es im Streitfall. Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags läßt vor allem nicht den Schluß zu, daß die Überwachung der Revisionsfrist durch organisatorische Maßnahmen unter normalen Umständen gewährleistet gewesen wäre.

Die Kläger haben innerhalb der hierfür maßgebenden Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht dargelegt, welche Person namentlich mit der Fertigstellung der Revisionsschrift beauftragt worden war (vgl. Beschlüsse in BFH/NV 1993, 611, m. w. N.; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644). Weiterhin hätte dargetan werden müssen, daß und wie die Fristenkontrolle im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten im einzelnen organisiert war. Hierzu enthält das Wiedereinsetzungsgesuch keinerlei Angaben (vgl. zu Darlegungsmängeln dieser Art Beschlüsse in BFH/NV 1993, 611; BFH/NV 1994, 644; Buchholz 310, § 60 VwGO Nr. 175).

Die Beachtung der vorstehend unter 3. dargestellten Organisationsregeln hätte auch im vorliegenden Falle bei normalem Verlauf der Dinge zur rechtzeitigen Entdekung des für die Fristversäumnis maßgebenden Umstandes führen können.

Es ist weder vorgetragen worden, daß eine generelle Anweisung bestanden hätte, fristwahrende Schriftsätze vor der Unterzeichnung nicht abzusenden, noch ist dargetan, daß eine zuverlässige Bürokraft aufgrund einer Einzelweisung für die Versendung der postfertigen -- mithin auch unterzeichneten -- Revisionsschrift verantwortlich gewesen wäre.

Die Kläger lassen es bei dem Hinweis darauf, eine erfahrene langjährige Mitarbeiterin sei mit der Wiedervorlage eines bestimmten Schriftstücks beauftragt worden. Sie tragen nichts dazu vor, daß und in welcher Weise eine wirksame Ausgangskontrolle bestehe, die geeignet gewesen wäre, selbst in außergewöhnlichen, aber doch vorhersehbaren Situationen wie z. B. einer hohen Arbeitsbelastung das rechtzeitige Einreichen einer formgerechten Revisionsschrift zu gewährleisten. Insbesondere hätten sie darlegen müssen, daß eine den vorstehend dargestellten Grundsätzen entsprechende -- ggf. "dezentrale" -- Ausgangskontrolle vorhanden gewesen war. Allein mit dem Hinweis darauf, bislang sei es zu einem solchen Versehen nicht gekommen, kann dieser verfahrensrechtlich gebotene Vortrag nicht ersetzt werden. Es ist erforderlich, die Art der Kontrolle und deren Überprüfung darzulegen (vgl. BGH-Beschluß vom 20. April 1989 VII ZB 3/89, VersR 1989, 715). Zumindest hätte dargetan werden müssen, daß im konkreten Einzelfall eine besondere Weisung unter besonderem Hinweis auf die Bedeutung des Schriftstücks erteilt worden sei.

Unter den dargestellten Umständen kann ein die Anwendung des § 56 Abs. 1 FGO hindernder Organisationsmangel nicht ausgeschlossen werden. Die aufgezeigten Lüken in der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs können nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden; sie gehen zu Lasten des Betroffenen. Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BFH in BFH/NV 1993, 611). Auf etwaige Mängel in der Glaubhaftmachung kommt es nicht mehr an.

5. Zwar gilt ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, daß sich der Prozeßbevollmächtigte darauf verlassen darf, daß ein zur Korrektur eines Fehlers zurückgegebener Schriftsatz in Übereinstimmung mit bestehenden Weisungen erneut zur Unterschrift vorgelegt wird (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 56 Rdnr. 20). Dieser Grundsatz verhilft dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zum Erfolg. Dem BGH-Beschluß vom 23. November 1988 VIII ZB 31/88 (NJW 1989, 589), auf den der genannte Kommentar zur Begründung Bezug nimmt, lag ein in wesentlichen Punkten anderer Sachverhalt zugrunde: Dort war glaubhaft vorgetragen worden, daß das Büropersonal die allgemeine Anweisung hatte, ausgehende Schriftstücke darauf zu prüfen, ob sie die Unterschrift des Rechtsanwalts tragen. Diese Entscheidung gründet auf dem anerkannten Grundsatz, daß der Rechtsanwalt eine sorgfältig ausgewählte und geschulte Bürokraft mit einer entsprechenden Überprüfung betrauen darf. Im BGH-Beschluß vom 24. Juni 1987 IV a ZR 138/86 (BGH-Rechtsprechung -- BGHR -- § 233 ZPO Rechtsmittelschrift 3, mit Nachweisen der Rechtsprechung) wird ausgeführt, daß sich der Prozeßbevollmächtigte darauf verlassen darf, daß seine Anweisung, ihm einen zu korrigierenden Schriftsatz wieder zur Unterschrift vorzulegen, befolgt wird. Daß dies nicht geschieht, braucht er sich nicht zurechnen zu lassen (vgl. ferner BGH-Beschlüsse vom 16. Juni 1971 V ZB 12/71, NJW 1971, 1749; vom 30. Oktober 1974 VIII ZR 30/74, NJW 1975, 56; vom 10. Februar 1982 VIII ZB 76/81, VersR 1982, 471). In allen genannten Fällen war entweder durch allgemeine organisatorische Vorkehrungen oder durch Einzelweisung sichergestellt, daß nur unterschriebene Schriftsätze zur Versendung kommen (vgl. auch BGH-Beschluß in NJW 1989, 589).

Weitere Überlegungen hierzu sind nicht geboten, nachdem der Prozeßbevollmächtigte der Kläger nicht vorgetragen hat, daß in seinem Büro überhaupt eine besondere Ausgangskontrolle vorgesehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420453

BFH/NV 1995, 798

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