Leitsatz (amtlich)

Der vom Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung vertretene Grundsatz, daß eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO trotz mangelhafter Sachaufklärung des FA zulässig ist, wenn zur Steuererklärung irreführende Angaben gemacht werden, gilt in erhöhtem Maße, wenn diese Angaben vom Berater des Stpfl. unter Verletzung seiner Berufspflicht gemacht werden.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Das FA berichtigte nach dem Ergebnis einer Betriebsprüfung die Einkommensteuerveranlagung 1957 der steuerlich beratenen und vertretenen Stpfl. (Eheleute) gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Die Stpfl. bestreiten die Berichtigungsvoraussetzungen.

Das FG gab ihrer Klage nach erfolglosem Einspruch statt.

Auf die Revision des FA ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Stpfl. betrieb im Jahre 1957 außer einer Landwirtschaft, deren Gewinn nach der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft ermittelt wurde, einen Lebensmitteleinzelhandel und eine Gastwirtschaft, deren Gewinne er gemäß § 5 EStG durch Vermögensvergleich ermittelte. Bei Anfertigung der Einkommensteuererklärung 1957 erkannte der für die Stpfl. tätige Berater - ein Diplomkaufmann und Steuerbevollmächtigter -, daß die buchmäßig ausgewiesenen Rohgewinne der beiden gewerblichen Betriebe so niedrig seien, daß die aufgezeichneten Betriebseinnahmen unmöglich stimmen könnten. Er korrigierte deshalb das Buchergebnis durch Zuschätzung eines Betrages von 7 000 DM, den er in der Verlust- und Gewinnrechnung als "Erhöhung Eigenverbrauch" auswies. Um den gleichen Betrag erhöhte er den Umsatz 1957, indem er den vorangemeldeten Eigenverbrauch von 3 600 DM um 7 000 DM auf 10 600 DM erhöhte. Die Umsatzsteuererklärung enthält die Angabe: "Eigenverbrauch: Entnahme von Waren 10 600 DM." Das FA vermerkte auf der Umsatzsteuererklärung in Rotschrift: "Differenz: Erhöhung des Eigenverbrauchs" und führte die Veranlagungen zur Einkommensteuer und zur Umsatzsteuer nach den Erklärungen durch.

Der Betriebsprüfer gelangte auf Grund einer Verprobung, deren Ergebnis die Stpfl. als zutreffend anerkennen, zu einer weiteren Zuschätzung vereinnahmter Entgelte und Betriebseinnahmen von 5 000 DM, um die er den ursprünglich veranlagten Umsatz erhöhte. Den veranlagten gewerblichen Gewinn erhöhte er unter Berücksichtigung einer Rückstellung für Betriebssteuern von 700 DM um 4 300 DM. Dementsprechend berichtigte das FA die Einkommensteuerveranlagung.

Die Stpfl. und das FG halten diese Berichtigung mit der Begründung für unzulässig, daß das FA bei Erfüllung seiner Ermittlungspflicht (§ 204 AO) bereits bei der ursprünglichen Veranlagung zu dem gleichen Ergebnis hätte gelangen können, zu dem später der Betriebsprüfer kam.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG folgendes aus. Die Zuschätzung buchmäßig nicht vollständig erfaßter Betriebseinnahmen erfolge nach einer weithin bekannten Praxis der steuerberatenden Berufe durch eine Zuschätzung zum Eigenverbrauch. Da sich somit der Steuerbevollmächtigte der Stpfl. einer in seinen Fachkreisen üblichen und verständlichen Umschreibung für die Verkürzung von Betriebseinnahmen infolge mangelhafter Aufzeichnungen bedient habe, sei der Offenbarungspflicht hinreichend genügt worden. Die durch einen Steuerbevollmächtigten vertretenen Stpfl. haben damit erklären wollen und auch erklärt, daß Bedenken gegen die Vollständigkeit der Einnahmeaufzeichnungen bestünden und daß daher das Ergebnis dieser Aufzeichnungen um 7 000 DM höher zu schätzen sei. Er habe sich darauf verlassen dürfen, daß das FA seine Erklärung in diesem Sinne verstehen werde, da eine derartige Erhöhung des Eigenverbrauchs nur bei mangelhafter Aufzeichnung der Einnahmen üblich sei. Abgesehen davon sei ein Eigenverbrauch von 10 600 DM bei einem Familienstand von drei Erwachsenen (Eheleute und die im Februar 1957 verstorbene Mutter des Stpfl.) und zwei Kindern unter 14 Jahren so ungewöhnlich hoch, daß dem FA auch insoweit hätten Bedenken kommen müssen, wenn es schon die zugeschätzten 7 000 DM als Eigenverbrauch auffaßte. Schließlich hätte dem FA, wenn es seiner Pflicht zur Verprobung nachgekommen wäre, der ungewöhnlich niedrige Rohgewinn von 22 v. H. auffallen und Anlaß geben müssen, nach Feststellung des aufgegliederten Wareneingangs den Wareneinsatz zu kalkulieren, um auf diese Weise zu einer richtigen Schätzung zu gelangen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Dagegen wendet sich mit Recht die Revision des FA.

Es kann dahingestellt bleiben, ob dem FA der ihm vorliegende Sachverhalt zu einer Verprobung Anlaß geben mußte oder ob es sie ohne eine vorläufige Veranlagung nach § 100 Abs. 2 AO einer späteren Betriebsprüfung vorbehalten konnte. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob sich ihm wegen der Höhe des Eigenverbrauchs bei dem Familienstand der Stpfl. Bedenken aufdrängen mußten oder ob ihm bei einem Eigenverbrauch von bereits 7 200 DM für 1956 ein Eigenverbrauch von 10 600 DM für 1957 noch als möglich erscheinen konnte. Denn jedenfalls treffen auf den Streitfall die Grundsätze zu, die der Senat in seiner Entscheidung IV 342/61 U vom 9. Juli 1964 (BFH 80, 52, BStBl III 1964, 492) für einen ähnlich, wenn nicht gleichgelagerten Fall dargelegt hat. Danach kann sich ein Steuerpflichtiger auf mangelhafte Sachaufklärung des FA nicht berufen, wenn er selbst seiner Erklärungspflicht nicht in gebotener Weise genügt hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er Angaben in einer Weise gemacht hat, die geeignet ist, das FA irrezuführen. Das trifft, wie das FA zutreffend geltend macht, für den Streitfall zu.

Die Feststellung des FG, daß die durch einen Steuerfachmann beratenen Stpfl. den Betrag von 7 000 DM als Betriebseinnahmen (vereinnahmte Entgelte) zuschätzen wollten, ist unmöglich. Sie wird schon durch die Tatsache widerlegt, daß sie diesen Betrag in der Umsatzsteuererklärung bei der Angabe ihres "Eigenverbrauchs" als Warenentnahme deklariert haben. Wie dieses Verhalten der Stpfl. und ihres Steuerbevollmächtigten auch sonst zu qualifizieren sein mag, es kann jedenfalls, worauf das FA mit Recht hinweist, nur als grobe Irreführung der Behörde verstanden werden, durch die der wahre Sachverhalt verdeckt werden sollte. Die gegenteilige Auffassung des FG kann nicht gebilligt werden; denn wenn schon das Verhalten des Steuerbevollmächtigten nicht den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen sollte, so besteht doch kein Zweifel daran, daß er sich einer schwerwiegenden berufsrechtlichen Verfehlung schuldig gemacht hat.

Wenn einer späteren Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO begegnet werden sollte, mußte die Zuschätzung als Zuschätzung von Betriebseinnahmen nach Grund und Höhe offen dargelegt und in einer Weise erläutert werden, die das FA dann allerdings zu einer kalkulatorischen Nachprüfung oder zur vorläufigen Veranlagung nach § 100 Abs. 2 AO verpflichtet hätte.

Da das nicht geschehen ist, können sich die Stpfl. nicht unter Berufung auf Treu und Glauben gegen die Berichtigung ihrer Veranlagung wenden. Deren Voraussetzungen sind gegeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412896

BStBl II 1968, 192

BFHE 1968, 21

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