Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Sozialversicherungsrente eines Schwerbehinderten mit Ertragsanteil

 

Leitsatz (NV)

  1. Die Besteuerung von Sozialversicherungsrenten mit ihrem Ertragsanteil ist verfassungsgemäß.
  2. Weder die individuellen Verhältnisse des Rentenberechtigten noch das Vorhandensein anderen neueren statistischen Materials rechtfertigen es, von den verbindlich festgelegten Ertragsanteil-Vomhundertsätzen abzuweichen (ständige Rechtsprechung, zuletzt BFH-Urteil vom 16. Dezember 1997 VIII R 38/94, BFHE 185, 199, BStBl II 1998, 339).
  3. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn Folge einer Schwerbehinderung ein - etwaiges - erhöhtes Mortalitätsrisiko ist. Darin liegt keine Benachteiligung i.S. von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.
 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, 3 S. 2; EStG § 22 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 Buchst. a

 

Verfahrensgang

FG Münster (EFG 1999, 239)

 

Tatbestand

I. Der am 1934 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist geh- und stehbehindert. Der Grad der Behinderung beträgt 80 v.H. Im Streitjahr 1995 erzielte er als Beteiligter an einer Rechtsanwalts- und Steuerberatersozietät Einkünfte aus selbständiger Arbeit sowie ab dem 1. Januar 1995 sonstige Einkünfte aus zwei Renten. Hierbei handelt es sich um eine Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und um eine Versicherungsrente von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder. Die Bruttobezüge betrugen im Streitjahr … DM und … DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) erfasste diese Renten mit einem Ertragsanteil von jeweils 32 v.H., mithin als steuerbare Einnahmen in Höhe von … DM bzw. … DM. Unter Berücksichtigung des Werbungskosten-Pauschbetrages gemäß § 9a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG) setzte das FA sonstige Einkünfte (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG) in Höhe von … DM an. Der hiergegen eingelegte Einspruch, mit dem der Kläger die Höhe des Ertragsanteils beanstandete, hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Sein Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 239.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er selbst beziehe die Rente nach § 37 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) wegen seiner Behinderung nach Vollendung des 60. Lebensjahres. Bei Nichtbehinderten, die mit einem höheren Lebensalter in den Rentenbezug einträten, werde ein geringerer Ertragsanteil zugrunde gelegt. Durch den zu hohen Ertragsanteil werde er in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) beeinträchtigt. Der frühere Rentenbeginn berücksichtige die geringere Lebenserwartung Behinderter im Vergleich zu Nichtbehinderten. Es komme vorliegend nicht auf die Lebenserwartung des Klägers an, sondern auf die Lebenserwartung Behinderter im Vergleich zu nicht behinderten Menschen. Wenn die Lebenserwartung Behinderter wegen ihrer Behinderung generell niedriger sei, liege eine Verletzung des Grundrechts der Schwerbehinderten vor. Insoweit sei § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht vereinbar. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bezwecke die Stärkung der Stellung behinderter Menschen in Recht und Gesellschaft (BTDrucks 12/8165, 29).

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1995 dahin gehend abzuändern, dass der Ertragsanteil der Renteneinkünfte in Höhe von 20 v.H. angesetzt wird, hilfsweise, die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Renten, die ein Arbeitnehmer auf Lebenszeit einer Bezugsperson von einer Rentenversicherung aufgrund von Beitragsleistungen bezieht, sind steuerrechtlich Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. Oktober 1965 VI 142/64 U, BFHE 84, 53, BStBl III 1966, 19; vom 10. Oktober 1969 VI R 267/66, BFHE 97, 31, BStBl II 1970, 9). Gleiches gilt für Hinterbliebenenrenten.

a) Mit dem "Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil)" wird der gleichmäßig auf die nach biometrischen Durchschnittswerten bemessene Dauer des Rentenbezugs verteilte Zinsanteil einer Kapitalrückzahlung besteuert (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Satz 2 EStG; Urteil des Senats vom 8. März 1989 X R 16/85, BFHE 156, 432, 434, BStBl II 1989, 551, unter 2. a). Anlass für die Einführung der Ertragsanteilsbesteuerung durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern (StNOG) vom 16. Dezember 1954 (BGBl I 1954, 373, BStBl I 1954, 575) war die Anregung des BFH an den Gesetzgeber, die Besteuerung der entgeltlich erworbenen privaten Leibrente neu zu regeln (BFH-Urteil vom 5. Februar 1953 IV 41/49 U, BFHE 57, 265, BStBl III 1953, 105). Von der gesetzlichen Regelung wird nicht nur die private Veräußerungsleibrente erfasst; nach dem Willen des Gesetzgebers sollten auch "die durch laufende Beiträge erworbenen Renten" einschließlich der Sozialversicherungsrenten nur mit einem Ertragsanteil besteuert werden (Regierungsentwurf eines StNOG, BTDrucks II/481, S. 87; ausführlich Urteil in BFHE 156, 432, 434, BStBl II 1989, 551).

b) Die Besteuerung der Renten basiert auf der fiktiven Annahme einer auf Dauer der mittleren Lebenserwartung für männliche Personen laufenden Zeitrente mit einer Verzinsung von 5,5 v.H. bei vorschüssiger Zahlweise. Ein niedrigerer als der vom FA angesetzte Ertragsanteil kommt entgegen der Auffassung des Klägers nicht in Betracht. Nach dem eindeutigen und damit einer anderweitigen Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut kann bei einer Leibrente nur der Anteil besteuert werden, der sich aus der in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG aufgeführten Tabelle ergibt. Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigen es weder die individuellen Verhältnisse der Rentenberechtigten (hier: das ―eventuelle― Unterschreiten der statistischen Lebenserwartung) noch das Vorhandensein anderen und neueren statistischen Materials, von den verbindlich festgelegten Ertragsanteil-Vomhundertsätzen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG abzuweichen (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 IX R 157/83, BFHE 155, 359, BStBl II 1989, 282, unter 1.; vom 16. Dezember 1997 VIII R 38/94, BFHE 185, 199, BStBl II 1998, 339). Da die Abweichung der individuellen Lebensdauer von der statistischen Lebenserwartung praktisch den Regelfall bildet, würde eine in derartigen Fällen vorzunehmende Änderung des Ertragsanteils eine nicht hinnehmbare Komplizierung der Besteuerung bedeuten (vgl. BFH-Urteil vom 9. Februar 1994 IX R 110/90, BFHE 175, 212, BStBl II 1995, 47 zur Anschaffung eines Mietwohngrundstücks gegen wiederkehrende Bezüge). Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der ―im Falle der privaten Versorgungsrente materiell korrespondierende (Senatsurteil vom 26. Juli 1995 X R 113/93, BFHE 179, 34, BStBl II 1996, 157)― Abzugstatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 2 EStG ebenfalls auf die Ertragsanteilstabelle verweist und sich dort die Interessenlage umkehrt.

2. Die gesetzliche Regelung verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

a) Jede gesetzliche Regelung muss notwendigerweise verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Dabei hat der Gesetzgeber einfache, für die Betroffenen verständliche Regelungen zu wählen, die verlässlich und effizient vollzogen werden können (BVerfG-Beschluss vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 290). Diese Besteuerung mit einem gesetzlich pauschalierten Ertragsanteil dient der im Steuerrecht als Massenfallrecht gebotenen oder doch zumindest erlaubten Typisierung und Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Eine solche "vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung" ist jedenfalls dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie ―wie hier― nicht zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen führt (vgl. Beschluss des BVerfG vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153, 172; zur Ertragsanteilsbesteuerung BFH-Urteil in BFHE 185, 199, BStBl II 1998, 339, unter II. d). Das BVerfG hat es nicht beanstandet, dass die Ertragsanteile "aus Vereinfachungsgründen und zur Vermeidung sozialer Härten nur in einem grob pauschalierten Verfahren" festgelegt worden sind (Beschluss vom 23. Oktober 1987 1 BvR 573/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1988, 649).

b) Das FG hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH entschieden, dass es für die Anwendung der Ertragsanteilstabelle auf die individuelle Lebenserwartung des Rentenbeziehers nicht ankommt. Es wäre mit dem Zweck des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG nicht vereinbar, die Höhe des Ertragsanteils vom individuellen Gesundheitszustand des Rentenberechtigten und beim Zweifel hierüber von ärztlichen Gutachten abhängig zu machen. Dies gilt erst recht unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger selbst die steuerlichen Auswirkungen des erhöhten Ertragsanteils in seinem Falle "als geringfügig" einschätzt (Schriftsatz an das FG vom 13. Juli 1998). Eine geringfügige Härte ist vom Kläger als notwendige Folge einer gleichheitsrechtlich grundsätzlich unbedenklichen Typisierung hinzunehmen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber durch § 33b EStG eine typisierende Vereinfachungsvorschrift geschaffen, mit der die mit einer Körperbehinderung unmittelbar oder mittelbar typischerweise zusammenhängenden Belastungen abgegolten werden.

3. Die Entscheidung des FG hat sich rechtsfehlerfrei damit auseinander gesetzt, dass der Kläger schwerbehindert ist.

a) Der Kläger hat im Einspruchsverfahren vorgetragen, es sei "allgemein bekannt", dass die Lebenserwartung eines Schwerbehinderten "erheblich geringer" sei als die von nichtbehinderten Personen. Im Klageverfahren hat er dargelegt, er habe aufgrund beruflicher Inanspruchnahme einen Herzinfarkt erlitten, leide an verschiedenen kriegsbedingten Gebrechen sowie an anderen Erkrankungen. Seine Lebenserwartung sei deutlich geringer als diejenige, die der Allgemeinen Deutschen Sterbetafel zugrunde liege. Er hat das Gericht darum gebeten, "die notwendigen Sachverhaltsermittlungen zur Lebenserwartung von Schwerbehinderten anzustellen" bzw. eine Stellungnahme des Statistischen Bundesamtes einzuholen. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, aus gleichheitsrechtlichen Gründen von der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung abzuweichen oder deren Verfassungswidrigkeit anzunehmen.

b) Soweit der Kläger nicht behinderungsbedingt in seiner Gesundheit beeinträchtigt ist, ist ein erhöhtes Mortalitätsrisiko im Hinblick auf die gesetzliche Pauschalierung des Ertragsanteils unerheblich. Gleiches gilt grundsätzlich, soweit die erhöhte Sterbeerwartung Folge einer Behinderung ist. Zwar kann eine Behinderung nachweislich und in signifikanter Weise die Lebenserwartung verkürzen. Im Streitfall kann indes dahingestellt bleiben, ob sich unter dieser Voraussetzung eine in einem anderen Verfahren geltend zu machende (vgl. Senatsurteil vom 18. November 1998 X R 110/95, BFHE 187, 488, BStBl II 1999, 225, unter 3.) Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass unter dem Gesichtspunkt ergibt, dass die Anwendung eines hinsichtlich seiner Typisierungswirkung nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem "ungewollten Überhang" führen würde (vgl. BVerfG-Beschluss vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BStBl II 1999, 174, unter C. III.). Hierfür wäre vorauszusetzen, dass statistisch nachweisbare Abweichungen von der "normalen" Sterblichkeitserwartung größer sind als andere Ungenauigkeiten der Quantifizierung, die der Gesetzgeber mit der Pauschalierung offenbar vernachlässigen wollte: nämlich die kürzere Lebenserwartung von Männern gegenüber Frauen, die individuelle gesundheitliche und genetische Situation auch nicht behinderter Menschen bei Eintritt in den Rentenbezug, unterschiedliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, gesundheitsbezogene ―auch negative (Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum)― Handlungs- und Verhaltensweisen, biometrische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland (vgl. Wiesner/Bitter/Todzy-Wolff, Zum geschlechtsdifferenten Prozess der Lebensverlängerung in Deutschland, Bundesgesundheitsblatt 1998, 491, m.w.N.; Statistisches Jahrbuch 1999 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 74, mit Daten zur Unterscheidung nach dem Geschlecht und nach Wohnsitz im früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern und Berlin-Ost; Rehfeld/Scheitl, Sterblichkeit und fernere Lebenserwartung von Rentnern der gesetzlichen Rentenversicherung, Deutsche Rentenversicherung 1991, 289), schicht- und bildungsspezifische Unterschiede des Mortalitätsrisikos (Klein/Unger, Aktive Lebenserwartung in der Bundesrepublik, Gesundheitswesen 61, 168, 174 f.).

4. Die Auffassung des Senats ist mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vereinbar. Nach dieser Vorschrift darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

a) Durch die mit dem Rentenreformgesetz 1972 eingeführte flexible Altersgrenze sollte es den erwerbstätigen Versicherten ermöglicht werden, frei und eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wann sie aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden. Um der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit im Alter Rechnung zu tragen, soll dem einzelnen Versicherten die Entscheidung über den Termin seines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben überlassen bleiben. Die Einführung des Altersgeldes für Schwerbehinderte und für Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrentner (§ 1248 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes ―AVG―, jetzt: § 37 SGB VI) bezweckte, dem berechtigten Anliegen dieser Personengruppen, "die durch ein persönliches Lebensschicksal betroffen unter erheblich schwierigeren Bedingungen im Alter arbeiten müssen", und damit einer "besonderen Herabsetzung der individuellen Leistungsfähigkeit" Rechnung zu tragen (zu BTDrucks VI/3767, S. 5 f.). Entgegen der Auffassung des Klägers ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass mit der sozialversicherungsrechtlichen Regelung eine geringere Lebenserwartung Behinderter berücksichtigt werden sollte.

b) Mit der nicht differenzierenden Fiktion einer mittleren Lebenserwartung auf der Grundlage biometrischer Durchschnittswerte wird der Kläger als Behinderter nicht ―auch nicht mittelbar― diskriminiert. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ―durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I 1994, 3146) neu geschaffen― will den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG verstärken und der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgeben, als die Behinderung nicht als Anknüpfungspunkt für eine ―benachteiligende― Ungleichbehandlung dienen darf (BVerfG-Beschluss vom 8. Oktober 1997 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 288, 302). Behinderung ist eine Eigenschaft, die die Lebensführung für den Betroffenen im Verhältnis zum Nichtbehinderten grundsätzlich schwieriger macht. Diese besondere Situation soll nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers weder zu gesellschaftlichen noch zu rechtlichen Ausgrenzungen führen. Eine Benachteiligung liegt vor bei Regelungen und Maßnahmen, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern, sowie bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird (BVerfG in BVerfGE 96, 288, 302 f.).

Dies vorausgesetzt wird der Kläger durch die Bemessung des Ertragsanteils nicht grundrechtsrelevant benachteiligt. Die Besteuerung mit dem nach dem vorgezogenen Eintritt in den Ruhestand bemessenen Ertragsanteil zieht lediglich die steuertechnischen Folgerungen aus der Ausdehnung der Rentenlaufzeit, deren vom Gesetz fingierte Dauer, wie vorstehend dargelegt, von den Gerichten grundsätzlich nicht korrigiert werden kann. Eine auf die Behinderung abhebende Vorverlegung des Endes der Rente würde den Kläger gegenüber solchen Personen privilegieren, die aus anderen individuellen Gründen die gesetzliche Pauschalierung als ihnen nachteilig hinnehmen müssen. Eine solche Bevorzugung kann der Kläger auch nicht auf der Rechtsgrundlage des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG beanspruchen. Der Senat sieht sich daher nicht dazu veranlasst, ein Normenkontrollverfahren nach Art. 100 GG einzuleiten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 447537

BFH/NV 2001, 300

HFR 2001, 343

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