Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine unzulässige Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges liegt im allgemeinen vor, wenn bei einer Berichtigungsveranlagung, die durch unterlassene Aktivierungen oder Passivierungen von jährlich auftretenden Forderungs- oder Schuldposten notwendig geworden ist, zur Ermittlung eines richtigen Periodengewinnes nicht nur die Schlußbilanz, sondern auch die Anfangsbilanz des betreffenden Jahres berichtigt wird, ohne daß die Möglichkeit der Berichtigung der Schlußbilanz des vorhergehenden Jahres besteht.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 5; AO § 222

 

Tatbestand

Der Bg. ist Inhaber einer Drogerie. Er hatte seit 1949 die ihm am Schluß des jeweiligen Kalenderjahres zustehenden Umsatzboni in seinen Bilanzen nicht aktiviert. Sie wirkten sich daher erst im jeweils darauffolgenden Jahre, in dem ihre Verrechnung erfolgt ist, gewinnerhöhend aus. Nach einer im Jahre 1956 für die Veranlagungszeiträume 1952 bis 1954 durchgeführten Betriebsprüfung erhöhte das Finanzamt in einer Berichtigungsveranlagung für das Jahr 1952 den Gewinn um die zum 31. Dezember 1952 zu aktivierenden Boni in Höhe von 10 262,50 DM.

Der Einspruch des Bg. hatte keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren ging die Vorinstanz unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 103/55 U vom 25. September 1956 (BStBl 1956 III S. 349, Slg. Bd. 63 S. 396) davon aus, daß zwar einerseits die Ansprüche des Bg. gegen seine Lieferanten auf Umsatzvergütungen aktivierungspflichtige Forderungen seien, andererseits aber wegen der Bedingtheit der Forderungen ein gewisser Abschlag zugelassen werden müsse. Dieser wurde auf 10 v. H. geschätzt.

Die Vorinstanz vertrat weiter den Standpunkt, es bedeute eine unzutreffende Abgrenzung des Periodengewinns für das Streitjahr 1952, wenn das Finanzamt nur die Schlußbilanz zum 31. Dezember 1952 durch Aktivierung der Bonuszusagen berichtigt habe. Denn durch diese Methode würden sowohl die Umsatzvergütungen für 1951 als auch die für 1952 im Veranlagungsjahr 1952 erfolgswirksam erfaßt und damit versteuert werden. Um dies zu verhindern, müsse auch die Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952 durch Aktivierung der Bonuszusagen für 1951 berichtigt werden. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß sich die Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952 als Schlußbilanz zum 31. Dezember 1951 bei der rechtskräftigen Veranlagung des Jahres 1951 steuerlich bereits ausgewirkt habe. Ein solcher Einwand wäre nur dann am Platze, wenn der Bg. die änderung einer an sich richtigen Bilanz begehren würde. Eine falsche Bilanz müsse hingegen in jedem Fall berichtigt werden.

In seiner Rb. wendet sich der Vorsteher des Finanzamts zunächst gegen den von der Vorinstanz vorgenommenen Abschlag bei den aktivierten Bonuszusagen in Höhe von 10 v. H. Außerdem macht er geltend, daß die Vorinstanz den Grundsatz des Bilanzenzusammenhanges verkannt habe. Bilanzenzusammenhang bedeute die zahlenmäßige übereinstimmung der Anfangsbilanz eines Wirtschaftsjahres mit der Schlußbilanz des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Der Verstoß der Vorinstanz gegen diesen im Gesetz (ß 4 Abs. 1 EStG) verankerten Grundsatz liege darin, daß sie zwar die Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952, nicht aber die Schlußbilanz zum 31. Dezember 1951 mit steuerlicher Wirkung berichtigt habe. Auf diese Weise seien die Bonusforderungen des Bg. zum 31. Dezember 1951 unversteuert geblieben. Nach der ständigen Rechtsprechung sei die selbständige Berichtigung einer Anfangsbilanz ohne Berichtigung der vorhergehenden Schlußbilanz regelmäßig nicht zulässig. Der Reichsfinanzhof habe überdies ausdrücklich anerkannt, daß das Finanzamt infolge des Bilanzenzusammenhanges von mehreren unrichtigen Veranlagungen nur die letzte durch Berichtigung der Schlußbilanz zu ändern bzw. zu berichtigen brauche (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 348/36 vom 28. Januar 1937, RStBl 1937 S. 332). Eine Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges sei nur in ganz besonderen Fällen möglich, so vor allem, wenn das die Grundsätze von Treu und Glauben erforderten.

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Finanzbehörden noch ergänzend ausgeführt, das Finanzamt habe nicht etwa deshalb den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt und dadurch eine Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges erforderlich gemacht, weil es die zunächst noch möglichen Berichtigungsveranlagungen für die zurückliegenden Jahre vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht durchgeführt habe. Solche Berichtigungsveranlagungen der rechtskräftigen Bescheide für 1949 bis 1951 nach § 222 AO wären mangels neuer Tatsachen gar nicht möglich gewesen. Die Tatsache der Nichtaktivierung der Umsatzboni durch den Bg. sei dem Finanzamt längst bekannt gewesen und nur versehentlich oder rechtsirrtümlich vorher nicht aufgegriffen worden. Außerdem habe das Finanzamt infolge der angeführten Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs darauf vertrauen können, daß es nicht gehalten sei, die infolge der Nichtaktivierung der Bonuszusagen unrichtigen Veranlagungen seit 1949 berichtigen zu müssen, sondern daß es nur das letzte im Streit befangene Veranlagungsjahr 1952 zu berichtigen brauche. Im übrigen seien bei Bekanntgabe der für das Finanzamt ungünstigen Entscheidung der Vorinstanz die Veranlagungen 1949 bis 1951 schon verjährt gewesen, so daß ihre Berichtigung nicht mehr zulässig gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist zum Teil begründet.

Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist nicht mehr streitig, daß die am Jahresschluß auf Grund der Bonuszusagen bestehenden Forderungen entsprechend den im Urteil des Bundesfinanzhofs I 103/55 U vom 25. September 1956 (a. a. O.) entwickelten Grundsätzen zum 31. Dezember 1952 zu aktivieren sind.

Wenn die Vorinstanz die Forderungen auf Grund der Bonuszusagen nicht in vollem Umfange, sondern gemindert um einen auf 10 v. H. geschätzten Abschlag aktiviert hat, so bestehen hiergegen keine rechtlichen Bedenken. Die Vorentscheidung ist mit Recht davon ausgegangen, daß wegen der Bedingtheit der Forderungen ein gewisser Abschlag zugelassen werden müsse. Die Höhe dieses Abschlages hat die Vorinstanz geschätzt. An diese Schätzung ist der Bundesfinanzhof gemäß §§ 288, 296 AO gebunden. Danach ist es nicht zu beanstanden, wenn in der Vorentscheidung die Aktivierung der Bonuszusagen für 1952 zum 31. Dezember 1952 nur in Höhe von 9236 DM als zulässig angesehen worden ist. Insoweit ist die Rb. des Vorstehers des Finanzamts unbegründet.

In der Frage der Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952 hat die Rb. des Vorstehers des Finanzamts jedoch Erfolg. Nach dynamischer Bilanzauffassung ist die zeitraumrichtige Gewinnermittlung, die auch als Problem der richtigen Periodenabgrenzung bezeichnet wird, eine der tragenden Grundsätze des Bilanzrechts. Der Grundsatz besagt, daß Aufwendung und Erträge nicht den Wirtschaftsjahren zuzurechnen sind, in denen sie tatsächlich gemacht werden bzw. zufließen, sondern den Jahren, zu denen sie wirtschaftlich gehören.

Die richtige Periodenabgrenzung bei der Gewinnermittlung gilt grundsätzlich auch im Einkommensteuerrecht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 46/57 U vom 13. August 1957, BStBl 1957 III S. 350, Slg. Bd. 65 S. 307). Ihre Geltung findet aber dort eine Grenze, wo sie bei nachträglicher Berichtigung von Bilanzen in Widerstreit zu dem in § 4 Abs. 1 EStG niedergelegten Rechtssatz der Bilanzidentität tritt, nach dem die Bilanzwerte einer Jahresschlußbilanz gleichzeitig die Bilanzwerte der Anfangsbilanz des folgenden Jahres sein müssen.

Im vorliegenden Fall hatte der Bg. in den Bilanzen ab 1949 seine Ansprüche auf Umsatzvergütungen nicht aktiviert. Die Umsatzvergütungen wurden daher nicht in dem Jahre versteuert, in dem sie als Forderung zur Entstehung gelangt sind, sondern erst im darauffolgenden Jahre, in dem sie dem Bg. tatsächlich im Wege der Verrechnung zugeflossen sind. Infolge der nachträglichen Aktivierung der Bonuszusagen durch alleinige Berichtigung der Schlußbilanz des Streitjahres 1952 - wie sie das Finanzamt vorgenommen hat - verbleibt es im Veranlagungsjahr 1952 bei der Versteuerung der für 1951 gewährten Umsatzvergütungen; dazu tritt aber auch die Versteuerung der für 1952 gewährten Bonuszusagen. Dieses Ergebnis widerspricht offensichtlich dem Grundsatz der richtigen Periodenabgrenzung. Denn nach ihm gehören die Bonuszusagen für 1951 zum Veranlagungszeitraum 1951, während die Bonuszusagen für 1952 wirtschaftlich dem Jahre 1952 zuzurechnen und in diesem zu versteuern sind. Eine zeitraumgemässe Zurechnung der Umsatzvergütungen zum Gewinn 1952 könnte nur durch die Aktivierung der am 31. Dezember 1951 vorhandenen Bonusforderungen in der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952 erfolgen. Die Vorinstanz hat diesen Weg gewählt, dabei aber verkannt, daß sie damit gegen den Rechtssatz der Bilanzidentität gemäß § 4 Abs. 1 EStG verstoßen hat, da ihr eine gleichzeitige steuerwirksame Berichtigung der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1951 wegen der Rechtskraft der Einkommensteuerveranlagung 1951 versperrt war. Reichsfinanzhof und Bundesfinanzhof haben wiederholt ausgesprochen, daß eine Berichtigung der Anfangsbilanz nur zulässig sei, wenn es sich um einen individuellen Gegenstand handle und der falsche Ansatz sich bei den früheren Veranlagungen nicht ausgewirkt habe oder die Veranlagung des Vorjahres zu Recht berichtigt worden sei (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 302/50 S vom 1. Dezember 1950, BStBl 1951 III S. 10, Slg. Bd. 55 S. 22, und die dort angeführte Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs). Der Reichsfinanzhof ist von dieser Rechtsauffassung nur in besonders gelagerten Fällen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben abgewichen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 841-842/38 vom 15. Februar 1939, RStBl 1939 S. 393).

In der Streitsache könnten somit nur die Grundsätze von Treu und Glauben, die über jeder Rechtsvorschrift stehen, eine Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges durch Aktivierung der Bonuszusagen für 1951 in der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952 gebieten. Das würde hier wohl zutreffen, wenn man mit Recht annehmen könnte, das Finanzamt habe es pflichtwidrig versäumt, vor Ablauf der Verjährungsfrist die noch möglichen Berichtigungsveranlagungen für 1949 bis 1951 durchzuführen und damit durch die Berichtigung der Bilanzen seit 1949 die periodisch richtigen Gewinne zu ermitteln. Einer solchen Behauptung kann aber das Finanzamt mit Recht entgegenhalten, daß es nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 348/36 vom 28. Januar 1937, a. a. O.) infolge des Bilanzenzusammenhanges von mehreren unrichtigen Bilanzen nur die Schlußbilanz des letzten Jahres zu berichtigen brauche. Der Sonderfall des Urteils des Bundesfinanzhofs I 44/53 U vom 10. April 1953 (BStBl 1953 III S. 158, Slg. Bd. 57 S. 406), nach dem das Finanzamt zur Vermeidung einer Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges gehalten ist, bei Fehlerberichtigungen nicht nur die letzte Veranlagung durch Berichtigung der Anfangs- und Schlußbilanz zu berichtigen, sondern auch - wenn möglich - die Veranlagungen der vorhergehenden Jahre, liegt nicht vor. Denn hier hat das Finanzamt keine Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges beabsichtigt.

Ob die rechtskräftigen Veranlagungen 1949 bis 1951 vom Finanzamt beim Aufgreifen der Streitfrage anläßlich der Betriebsprüfung 1956 deshalb nicht mehr nach § 222 AO berichtigt werden konnten, weil ihm die Nichtaktivierung der Umsatzboni schon vorher bekannt war, mag dahingestellt bleiben. In der Nichtvornahme der Berichtigung für 1949 bis 1951 kann jedenfalls auch deshalb kein Verstoß gegen Treu und Glauben erblickt werden, weil der Bg. dadurch steuerlich schlechter gestellt worden wäre als durch die alleinige Berichtigung der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1952.

Da es demnach dem Finanzamt nicht als Versäumnis zur Last gelegt werden kann, wenn es nicht zur Herbeiführung einer richtigen Periodenabgrenzung ohne Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges die Veranlagungen 1949 bis 1951 entsprechend berichtigt hat, ergibt sich auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben keine Berechtigung zur Durchbrechung des Bilanzenzusammenhanges durch Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952.

Auf die Frage, ob die Verjährung des Steueranspruches für das Veranlagungsjahr 1951 der hier vertretenen Auffassung des Senats entgegensteht, da durch letztere ein Steueranspruch, der an sich zum Veranlagungsjahr 1951 gehört, infolge der unrichtigen Bilanzierung des Steuerpflichtigen in das Jahr 1952 verlagert wird (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 6. Aufl., Tz. 592 zu §§ 4, 5 EStG; Mittelbach, "Information" 1956 S. 197 und "Der Steuerberater" 1959 S. 92; Theis, "Der Betrieb" 1957 S. 564), braucht hier nicht eingegangen zu werden, da zum Zeitpunkt der Berichtigung der Veranlagung 1952 nämlich im März 1956, der Steueranspruch für das Jahr 1951 unstreitig noch nicht verjährt war.

Es mußte somit der Rb. des Vorstehers des Finanzamts stattgegeben werden, soweit er die Aktivierung der Bonuszusagen für 1952 in der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1952 ohne entsprechende Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1952 begehrt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409590

BStBl III 1960, 137

BFHE 1960, 365

BFHE 70, 365

BB 1960, 545

DB 1960, 401

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