Leitsatz (amtlich)

In Ausnahmefällen kann Erhaltungsaufwand auch dann anzunehmen sein, wenn ein Gebäude durch eine Baumaßnahme erheblich vergrößert wird.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine OHG - betreibt eine Papierfabrik.

In den Jahren 1974 und 1975 ließ sie an der in den Jahren 1954/1955 errichteten Fabrikationshalle folgende bauliche Maßnahmen vornehmen: An den beiden Seitenwänden wurden jeweils sechs Stahlträger errichtet. Diese tragen die aus Stahlbündeln bestehende Dachkonstruktion. Die Dachdecke (Dachhaut) besteht aus Wellasbestzementplatten und Isolierplatten. Die Außenwände wurden im oberen Teil mit Wellblech verkleidet. Nach Fertigstellung dieses Daches wurde das nunmehr im Innenbereich der Halle befindliche, aus Holzbündeln bestehende alte Dach abgerissen. Bei gleichbleibender Grundfläche wurde damit die lichte Höhe der Halle, die zuvor ca. 4 m betragen hatte, verändert. Die Hallenumfassungswände blieben bestehen. Der umbaute Raum des Gebäudes erhöhte sich infolge der Baumaßnahme von 1 897 m3 auf 2 914 m3. Die Klägerin behandelte die Bauaufwendungen von insgesamt 94 150 DM als sofort abzugsfähigen Erhaltungsaufwand.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung bei der Klägerin beurteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Bauaufwendungen als Herstellungsaufwand und erließ für die Streitjahre gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Gewinnfeststellungsbescheide. Die Behandlung der Bauaufwendungen als Herstellungskosten führte zu Gewinnerhöhungen von 51 820 DM (1974) und 33 231 DM (1975); für das Streitjahr 1976 ergab sich eine Gewinnminderung von 2 949 DM.

Mit der Sprungklage beantragte die Klägerin, die Bauaufwendungen als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) hat zu den Fragen, ob die Fabrikhalle durch die Baumaßnahmen in den Jahren 1974/1975 in ihrer Substanz vermehrt oder in ihrem Wesen verändert worden ist und ob sich die Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes durch diese Maßnahmen verlängert hat, ein Gutachten eingeholt.

Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG sah die strittigen Bauaufwendungen als sofort abzugsfähigen Erhaltungsaufwand an und änderte die angefochtenen Feststellungsbescheide entsprechend dem Klageantrag.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das FG hat zutreffend das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1976 bejaht, obwohl die Klägerin für dieses Streitjahr die Feststellung eines höheren Gewinns beantragt hat.

Es ist anerkannt, daß ein Steuerpflichtiger durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung - bei einer einheitlichen Gewinnfeststellung auch durch einen zu niedrigen Gewinnanteil - in seinen Rechten verletzt ist, wenn sich die Festsetzung in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. August 1979 VIII R 153/77, BFHe 129, 325, BStBl II 1980, 181 , m. w. N.; vom 27. Mai 1981 I R 123/77, BFHE 133, 412, BStBl II 1982, 211 ). Eine Beschwer durch die Feststellung eines zu niedrigen Gewinns (oder die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer) kann aber auch dann vorliegen, wenn diese Feststellung die Folge eines Bilanzansatzes ist, der sich in vorhergehenden Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt hat (Ziemer/Haarmann/Lohse, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1390, 1400). Im Streitfall ist die Feststellung eines niedrigeren Gesamtgewinns im Jahre 1976 die zwangsläufige Folge der Nachaktivierungen in den Bilanzen 1974 und 1975. Die Klägerin ist deshalb auch durch die Gewinnfeststellung 1976 beschwert.

2. Das FG hat im Ergebnis zutreffend die im Zusammenhang mit der Erneuerung des Daches der Fabrikhalle angefallenen Kosten als sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand beurteilt.

Aufwendungen für die Erneuerung von bereits in den Herstellungskosten eines Gebäudes enthaltenen Teilen, Einrichtungen oder Anlagen werden nur in Ausnahmefällen als Herstellungskosten des Gebäudes behandelt, wenn nämlich die Teile so artverschieden sind, daß die Baumaßnahme nach der Verkehrsauffassung nicht mehr in erster Linie dazu dient, das Gebäude in seiner bestimmungsmäßigen Nutzungsmöglichkeit zu erhalten, sondern etwas Neues, bisher nicht Vorhandenes zu schaffen. Herstellungskosten liegen in diesen Fällen nur dann vor, wenn das Gebäude durch die Baumaßnahme wesentlich in seiner Substanz vermehrt, in seinem Wesen erheblich verändert oder - von der üblichen Modernisierung abgesehen - über seinen bisherigen Zustand hinaus verbessert wird (BFH-Urteile vom 9. November 1976 VIII R 27/75, BFHE 121, 179, BStBl II 1977, 306, und VIII R 28/76, BFHE 121, 185, BStBl II 1977, 279; vom 13. März 1979 VIII R 83/77, BFHE 127, 383, BStBl II 1979, 435 ). Eine Steigerung des Wertes des Gebäudes schließt allerdings die Anerkennung der Kosten als Erhaltungsaufwand nicht aus (BFHE 121, 179, BStBl II 1977, 306 ; BFHE 127, 383, BStBl II 1979, 435 ). Die Beantwortung der Frage, ob Erhaltungs- oder Herstellungsaufwand gegeben ist, ist im wesentlichen Gegenstand der dem FG obliegenden Würdigung des Sachverhalts (BFH-Urteil vom 10. Juni 1975 VIII R 114/71, BFHE 116, 469, BStBl II 1975, 878 ).

In Übereinstimmung mit dem FG ist der Senat der Auffassung, daß die Baumaßnahmen im Streitfall nach der Verkehrsauffassung in erster Linie dazu dienten, das Fabrikgebäude in seiner bestimmungsmäßigen Nutzungsmöglichkeit zu erhalten.

Das Gebäude ist durch die Baumaßnahme nicht entscheidend in seiner Substanz vermehrt oder in seinem Wesen verändert worden. Zwar ist die Fabrikhalle durch die Baumaßnahme erheblich vergrößert worden, und zwar um mehr als 50 v. H. ihres ursprünglichen Rauminhalts. Eine so umfangreiche Vergrößerung eines Gebäudes wird regelmäßig als Herstellungsaufwand (Substanzvermehrung) zu beurteilen sein, weil damit im allgemeinen eine verbesserte Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes angestrebt und erreicht wird. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, daß die größere Raumhöhe lediglich die - in Kauf genommene - Folge eines bestimmten Verfahrens der Dacherneuerung war, das nur deshalb gewählt wurde, um die Produktion während der Bauarbeiten weiterführen zu können. Die nutzbare Fläche wurde durch die Baumaßnahme nicht vermehrt. Nach den Feststellungen des FG ist die Halle nach der Dacherneuerung in gleicher Weise genutzt worden wie zuvor; insbesondere war die zusätzlich gewonnene Raumhöhe nicht erforderlich, um andere Maschinen in der Halle aufzustellen. Der Senat hat bereits im Urteil in BFHE 127, 383, BStBl II 1979, 435 darauf hingewiesen, daß es für die Abgrenzung des Herstellungs- vom Erhaltungsaufwand von entscheidender Bedeutung sein kann, ob der Gebäudeteil, für den die Kosten entstanden sind, nach wie vor die gleiche Funktion erfüllt (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. Februar 1981 VIII R 122/79, BFHE 133, 41, BStBl II 1981, 468 ).

Im Streitfall hat die neue auf Stahlträgern errichtete Dachkonstruktion für das Gebäude im wesentlichen die gleiche Funktion wie das alte aus Holzbündeln bestehende Dach. Das Dach einer Fabrikhalle dient - ebenso wie das Dach eines Wohnhauses - in erster Linie dem Schutz gegen Witterungseinflüsse und der Wärmeisolierung. Das Dach einer Fabrikhalle kann darüber hinaus auch die Lärmdämmung, die Beleuchtung sowie die Be- und Entlüftung des Gebäudes beeinflussen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1966 VI 245/65, BFHE 87, 616, BStBl III 1967, 247 ).

Nach den Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß sich diese Funktionen durch die neue Dachkonstruktion nicht wesentlich geändert haben. Zwar hat das FG ausgeführt, die Vergrößerung der Raumhöhe sei der Be- und Entlüftung und der Beleuchtung durch natürlichen Lichteinfall "dienlich" gewesen. Diese Verbesserung des Zustands der Halle ist jedoch nicht von so wesentlicher Bedeutung, daß sie für sich allein die Annahme von Herstellungsaufwand rechtfertigen könnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die neuere Rechtsprechung die Grenzlinie zwischen Herstellungs- und Erhaltungsaufwand zugunsten des Bereichs der Erhaltung verschoben und damit ein gesteigertes Bedürfnis nach Substanzerhaltung und Modernisierung anerkannt hat (BFHE 121, 179, BStBl II 1977, 306 ).

Auch der Umstand, daß im Zusammenhang mit der Dacherneuerung zwölf Stahlträger an den Seitenwänden errichtet wurden, die das neue Dach tragen, und daß die entstandene Lücke zwischen den alten Umfassungsmauern und dem neuen Dach mit Wellblech verkleidet wurde, rechtfertigt es nicht, die strittigen Kosten als Herstellungsaufwand zu beurteilen. Einbauten, die im Rahmen der Erneuerung eines verbrauchten Gebäudeteils erforderlich werden, sind in der Regel Erhaltungsaufwand, wenn nicht das Gebäude durch die Erweiterung der Bausubstanz eine erhebliche Wesensveränderung oder eine deutliche Verbesserung des Zustands über die übliche Modernisierung hinaus erfährt (BFHE 127, 383, BStBl II 1979, 435 ). Diese Voraussetzungen liegen hier - wie oben dargelegt - nicht vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426141

BStBl II 1985, 394

BFHE 1985, 238

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