Leitsatz (amtlich)

1. Darüber, ob eine Körperschaft nach ihrer Satzung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dient, ist in dem Veranlagungsverfahren (Festsetzungsverfahren) für die jeweilige Steuer und für den jeweiligen Steuerabschnitt zu entscheiden.

2. Ein Widerruf der Anerkennung der Gemeinnützigkeit in einer allgemeinen Verfügung unabhängig von einem Veranlagungsverfahren (Steuerfestsetzungsverfahren) ist als formell anfechtbarer Steuerverwaltungsakt seinem materiellen Gehalt nach unzulässig.

 

Normenkette

KStG § 4 Abs. 1 Nr. 6; StAnpG § 17; GemV § 1 ff.

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein eingetragener Verein, fördert "im Rahmen des Vereinslebens ... vorrangig vor anderweitigen Interessen" den Gedanken der Freikörperkultur. Nach § 3 der Satzung soll dieses Ziel u. a. erreicht werden durch Pflege von Spiel und Sport, insbesondere als Familiensport, durch gesunde Lebensweise, durch Schaffung von Erholungsstätten, Sportgeländen, Lehr- und Bildungsmöglichkeiten, durch Förderung aller Maßnahmen, die der Schaffung gesunder Lebensverhältnisse, insbesondere aber der Jugendpflege dienen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte dem Kläger 1957 bescheinigt, daß seine Satzung den Voraussetzungen der Verordnung zur Durchführung der §§ 17 bis 19 des Steueranpassungsgesetzes (Gemeinnützigkeitsverordnung - GemV -) vom 24. Dezember 1953 (BGBl I 1953, 1592, BStBl I 1954, 6) - mit späteren Änderungen - entspreche. Mit Verfügung vom 18. April 1958 hatte das FA dem Kläger folgendes mitgeteilt:

"Aufgrund der vorliegenden Satzung und der nachgewiesenen Geschäftsführung für das Jahr 1957 wird der ... für den Veranlagungszeitraum 1957

gemäß § 4 Abs. 1 Ziffer 6 KStG von der Körperschaftsteuer,

gemäß § 3 Ziffer 6 Gewerbesteuergesetz von der Gewerbesteuer und

gemäß § 3 Abs. 1 Ziffer 6 VStG von der Vermögensteuer freigestellt."

Im Jahre 1972 hatte das FA dem Kläger für die Jahre 1969 bis 1971 "Erklärungen zur Überprüfung von Körperschaften, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen" zugesandt und von diesem ausgefüllt und mit Anlagen (Bilanzen sowie Einnahmen- und Ausgabenrechnung) zurückerhalten. Mit Verfügung vom 30. Oktober 1972 hatte das FA den Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Gemeinnützigkeit der Förderung der Freikörperkultur (vgl. die Entscheidungen vom 31. Oktober 1963 I 122/62 U, BFHE 78, 212, BStBl III 1964, 83, und vom 20. November 1969 I B 34/69, BFHE 97, 281, BStBl II 1970, 133) hingewiesen und im Anschluß daran u. a. ausgeführt:

"Aus diesem Grunde sieht sich das Finanzamt leider gezwungen, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit mit Wirkung vom 1.1.1973 an zu widerrufen. Sie werden gebeten, ab dann ordnungsmäßige Steuererklärungen einzureichen."

Der Einspruch des Klägers war erfolglos. Mit seiner Klage machte der Kläger u. a. geltend, die Ansichten der Bevölkerung zur Freikörperkultur hätten sich seit einigen Jahren wesentlich geändert. Die Freikörperkultur-Bewegung werde höchstens von etwa noch 10 % der Erwachsenen abgelehnt.

Das Finanzgericht (FG) sah in der angefochtenen Verfügung einen Bescheid i. S. des § 229 Nr. 6 der Reichsabgabenordnung (AO), gab der Klage statt und hob die Widerrufsverfügung sowie die Einspruchsentscheidung des FA auf. Seine Entscheidung ist im wesentlichen in Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 362 abgedruckt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 4 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG -, §§ 17 bis 19 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Es beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und "den Bescheid des Finanzamts vom 30. Oktober 1972 wieder in Kraft zu setzen".

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13. Dezember 1978 sind die Beteiligten auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der angefochtenen Widerrufsverfügung vom 30. Oktober 1972 hingewiesen worden. Sie haben dazu Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Widerrufsverfügung des FA vom 30. Oktober 1972 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben; seine Entscheidung war mit anderer Begründung aufrechtzuerhalten. Durch die angefochtene Verfügung konnte dem Kläger die Gemeinnützigkeit nicht aberkannt werden; die Verfügung war ihrem materiellen Inhalt nach unzulässig.

1. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG waren von der Körperschaftsteuer befreit Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienten. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiungen ergaben sich im einzelnen aus §§ 17 bis 19 StAnpG und aus den Vorschriften der Gemeinnützigkeitsverordnung. Danach waren gemeinnützig solche Zwecke, durch deren Erfüllung ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wurde (§ 17 Abs. 1 StAnpG).

2. Die Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG war - entgegen der Überschrift dieser Gesetzesvorschrift ("persönliche Befreiungen") - eine objektive Steuerbefreiung eigener Art (so zutreffend Tipke, Steuerrecht, 6. Aufl., § 9 Nr. 3.532, S. 124; ähnlich Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 4 KStG Anm. 6). Sie galt, wie sich aus Nr. 6 Satz 2 ergibt, nicht uneingeschränkt: Unterhielten die in Satz 1 genannten Körperschaften usw. einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausging, so waren sie insoweit steuerpflichtig. Damit fehlte es in den Fällen des § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG unter Umständen an einer völligen, sich auf das gesamte Einkommen der begünstigten Steuersubjekte erstreckenden Steuerbefreiung, wie sie den in § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 KStG aufgeführten Unternehmen und Betrieben zugute gekommen war.

Unabhängig davon erfaßte die Steuerbefreiung (nur) das (Teil-)Einkommen derjenigen Körperschaft, bei der die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben waren. Deshalb mußten die in § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG i. V. m. § 17 StAnpG festgelegten Voraussetzungen für die Steuerbefreiung bei der diese Vergünstigungen beanspruchenden Körperschaft selbst erfüllt sein. Ob das der Fall war, konnte daher allein im Steuerfestsetzungsverfahren, also bei der Veranlagung der betreffenden Körperschaft für den jeweiligen Steuerabschnitt geprüft und entschieden werden (im Ergebnis bisher schon ebenso für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit unter alleinigem Hinweis auf deren deklaratorischen Charakter BFH-Urteile vom 11. August 1961 III 91/53, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 197 - HFR 1962, 197 -; vom 28. August 1968 I 242/65, BFHE 94, 257 [260], BStBl II 1969, 145; vom 22. Oktober 1971 III R 52/70, BFHE 104, 85 [88], BStBl II 1972, 204; vom 20. Januar 1972 I R 81/70, BFHE 104, 534 [536], BStBl II 1972, 440; vom 15. Juni 1973 VI R 35/70, BFHE 110, 112 [115], BStBl II 1973, 850; vgl. auch BFH-Beschluß vom 12. November 1975 I B 73/75, BFHE 117, 220 [222], BStBl II 1976, 118).

3. Diesen Grundsätzen entspricht die angefochtene Widerrufsverfügung nicht. Sie kann deshalb auch nicht - wie es das FG getan hat - als ein Bescheid über eine Abgabenvergünstigung gewertet werden, auf deren Gewährung oder Belassung ein Rechtsanspruch besteht (§ 229 Nr. 6 AO). Die Verfügung vom 30. Oktober 1972 ist zwar ein formeller Steuerverwaltungsakt und daher anfechtbar, ist aber nach ihrem materiellen Gehalt unzulässig. Sie kann nicht als eine Entscheidung über die Gemeinnützigkeit des Klägers angesehen werden, die in einem Veranlagungsverfahren für eine bestimmte Steuer und einen bestimmten Steuerabschnitt ergangen ist. Das folgt aus Form, Inhalt und Wortlaut. Durch die Verfügung hat das FA eine steuerrechtliche Maßnahme im Falle des Klägers unabhängig und außerhalb einer Veranlagung getroffen. Es wird darin keine Steuer der Höhe nach festgesetzt (vgl. § 210 Abs. 1, § 211 Abs. 1 Satz 1 AO) oder der Kläger von einer bestimmten Steuer freigestellt (§ 210 Abs. 3 AO), sondern bei Bezugnahme auf die "Steuererklärungen für die Jahre 1969 bis 1971" und unter Widerruf der Anerkennung der Gemeinnützigkeit lediglich gebeten, ab 1. Januar 1973 "ordnungsmäßige Steuererklärungen einzureichen". Darüber hinaus läßt die angefochtene Verfügung weder erkennen, welche Steuerart (Steuerarten) sie betreffen soll, noch lassen sich Umfang und Grenzen ihrer Bestandskraft festlegen.

Dem steht nicht die ausdrückliche Freistellung des Klägers von der Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer und der Vermögensteuer für den Veranlagungszeitraum 1957 (Verfügung vom 18. April 1958) und das darauf folgende jahrelange Schweigen und Untätigsein des FA entgegen. Die Freistellungsverfügung kann nach dem darin objektiv erklärten Willen nicht über den Veranlagungszeitraum 1957 hinaus wirken. Schweigen und Untätigsein des FA in der Folgezeit hatten deshalb auch nicht etwa als Zusage einen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen, den das FA durch die angefochtene Verfügung ex nunc ("... mit Wirkung vom 1. Januar 1973 an ...") hätte beenden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73140

BStBl II 1979, 481

BFHE 1979, 327

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