Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsanspruch auf Stundung bei der Veräußerung der Kapitalanteile noch im laufenden Veranlagungszeitraum

 

Leitsatz (NV)

Gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 a. F. besteht ein Rechtsanspruch auf Stundung auch dann, wenn der Anteilseigner die Kapitalanteile nach dem die Besteuerung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 1977 auslösenden, jedoch zu einem noch in den laufenden Veranlagungszeitraum fallenden Zeitpunkt veräußert (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 4. Dezember 1991 I R 163/90, BFHE 167, 25, BStBl II 1993, 362).

 

Normenkette

AO 1977 § 130 Abs. 2 Nr. 3; UmwStG 1977 a.F. § 21 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer 1985 zusammen veranlagt wurden. Der Kläger war im Jahre 1985 Eigentümer von 7768 Stammaktien à 50 DM Nennwert der A-AG. Die Aktien hatte er durch Einbringung von Mitunternehmeranteilen in die Rechtsvorgängerin der A-AG gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erworben. Der Einbringungsvorgang war steuerlich ohne Gewinnrealisierung gemäß § 20 Abs. 1 des Umwandlungs-Steuergesetzes (UmwStG) 1977 behandelt worden.

Am 23. September 1985 beantragte der Kläger für insgesamt 3578 der o. g. Stamm aktien die Nachversteuerung der stillen Reserven gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 UmwStG 1977. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) ermittelte den entsprechenden Veräußerungsgewinn mit 1 019 730 DM. Durch Bescheid vom 30. Dezember 1985 setzte er Einkommensteuer- Vorauszahlungen für 1985 in Höhe von 353 628 DM fest. Von dieser Steuerschuld stundete er durch Bescheid vom 4. Februar 1986 einen Teilbetrag in Höhe von 219 974,40 DM gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977.

Aus der Einkommensteuererklärung 1985 der Kläger und einer Mitteilung des FA für Großbetriebsprüfung ergab sich, daß der Kläger die Stammaktien, für die er am 23. September 1985 die Nachversteuerung beantragt hatte, am 1. November 1985 zu einem Kaufpreis von 392 DM pro Stammaktie veräußert hatte. Das FA nahm dies zum Anlaß, durch Verfügung vom 11. September 1989 den Stundungsbescheid vom 4. Februar 1986 mit Wirkung ab dem 3. Februar 1986 zurückzunehmen. Es bezog sich auf Tz. 64 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 16. Juni 1978 (BStBl I 1978, 235).

Der Einspruch der Kläger blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 1990). Das Finanzgericht (FG) gab ihrer Klage statt. Es ließ die Revision zu.

Mit seiner Revision rügt das FA die Ver letzung des § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) kann ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt von der zuständigen Finanzbehörde zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig sind. Die Angaben des Begünstigten müssen lediglich objektiv unrichtig oder unvollständig sein. Auf ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Begünstigten kommt es nicht an. Allerdings muß anzunehmen sein, daß das FA bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts den begünstigten Verwaltungsakt nicht bzw. so nicht erlassen hätte. Deshalb müssen die unrichtigen oder unvollständigen Angaben für den Erlaß des begünstigenden Verwaltungs aktes von entscheidungserheblicher Bedeutung sein.

2. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß das FA am 4. Februar 1986 die gegenüber den Klägern festgesetzte Einkommensteuer-Vorauszahlungsschuld 1985 in Höhe von 219 974,40 DM stundete. Das FA ging damals davon aus, daß die Einkommensteuerschuld nur aufgrund des vom Kläger tatsächlich am 23. September 1985 gestellten Antrags gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG 1977 entstanden sei. Es sah die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 als erfüllt an, ohne Kenntnis von der Veräußerung der Stammaktien durch den Kläger zum 1. November 1985 zu haben. Wie im einzelnen noch auszuführen sein wird (vgl. II. 4), konnte diese Kenntnis für die Entscheidung über den Stundungsantrag jedoch nicht erheblich sein. Das FA hätte am 4. Februar 1986 die Stundung nicht aus Gründen der Anteilsveräußerung vom 1. November 1985 versagen dürfen.

3. Nach § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 kann die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer nur dann gestundet werden, wenn die Rechtsfolge des § 21 Abs. 1 UmwStG 1977 ohne Veräußerung der Anteile unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 UmwStG 1977 eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Einkommensteuerschuld 1985 der Kläger entstand in dem hier interessierenden Umfang ausschließlich aufgrund des am 23. September 1985 gestellten Antrags und nicht aufgrund der Anteilsveräußerung vom 1. November 1985. Allerdings wäre die Einkommensteuerschuld 1985 gemäß § 21 Abs. 1 UmwStG 1977 mutmaßlich in gleicher Höhe entstanden, wenn der Kläger vor dem 1. November 1985 keinen Antrag nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG 1977 gestellt und die Anteile lediglich am 1. November 1985 veräußert hätte. In einem solchen Fall hätte kein Rechtsanspruch auf Stundung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 bestanden.

4. Aus der Gegenüberstellung der Rechtsfolgen, die sich aus einer Antragstellung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG 1977 einerseits und aus einer Veräußerung ohne vorherige Antragstellung gemäß § 21 Abs. 1 UmwStG 1977 andererseits ergeben, folgt zwar, daß der Sinn und Zweck des § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 allein darin besteht, die Besteuerung des Veräußerungsgewinns durch die Einräumung von Ratenzahlungen auf die Steuerschuld dann zu erleichtern, wenn dem Steuerpflichtigen kein Veräußerungserlös zufließt. Der Gesetzgeber hat diesen Ansatzpunkt jedoch in § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 nicht logisch zu Ende geführt. Er hat weder einen Widerruf einer an sich rechtmäßigen Stundung für den Fall der späteren Anteilsveräußerung mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt noch die Möglichkeit einer Stundung zumindest nur bis zum Zeitpunkt der Anteilsveräußerung vorgesehen. Dies gilt nicht nur für den Fall der Anteilsveräußerung nach Antragstellung gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG 1977, sondern ebenso für die Anteilsver äußerung nach Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1977) bzw. nach Begründung eines zweiten Wohnsitzes in einem DBA- Staat unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UmwStG 1977. Bei dieser Sachlage besteht keine Möglichkeit, § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 nach seinem Sinn und Zweck teleologisch reduziert auszulegen. Sinn und Zweck der Vorschrift würden es gebieten, eine Stundung stets für den Zeitraum bis zur Anteilsver äußerung zu gewähren. Da die Vorschrift jedoch keine Widerrufsmöglichkeit vorsieht, scheidet eine solche Auslegung aus. § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 baut auf dem "Alles-oder-Nichts-Prinzip" auf. Dann aber muß die Stundung entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift auch dann gewährt werden, wenn sich an die Tatbestände des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 UmwStG 1977 zeitlich später eine Anteilsveräußerung anschließt.

5. Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich aus § 21 Abs. 1 und 2 UmwStG 1977 kein Anhaltspunkt dafür, daß im Fall der Veräußerung innerhalb des Veranlagungszeitraums der Antragstellung etwas anderes als bei einer Veräußerung nach Ablauf des Veranlagungszeitraums der Antragstellung gelten soll. Es kann keinen Unterschied machen, ob jemand am 30. September oder am 31. Dezember den Antrag nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG 1977 stellt, wenn er jeweils einen Tag später die Anteile tatsächlich veräußert. Stellt ein Steuerpflichtiger den Antrag gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG 1977 zum 1. Januar eines Jahres und setzt das FA Einkommensteuer-Vorauszahlungen ab dem 10. März fest, so ist nicht einzu sehen, warum der Steuerpflichtige keinen Anspruch auf Stundung haben soll, wenn er die Anteile am 31. Dezember veräußert, während er einen solchen Anspruch auch nach der Auffassung des FA hätte, wenn er sie erst zum 1. Januar des Folgejahres veräußern würde. Dem Sinn und Zweck des § 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1977 würde es allein entsprechen, einen Stundungs anspruch stets bis zum Zeitpunkt der Ver äußerung bzw. bis zum Zufluß des Veräu ßerungserlöses zu gewähren. Eine solche Auslegung würde jedoch eine Befristung der Stundung bzw. deren Widerruf erforderlich machen. Die vom FA verfügte Stundung enthält aber weder eine Befristung noch den Vorbehalt ihres Widerrufs.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420088

BFH/NV 1995, 935

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