Leitsatz (amtlich)

Nachsicht ist nicht zu gewähren, wenn die Fristversäumnis darauf beruht, daß in dem Fristenkontrollbuch des Steuerberaters nicht die gesetzlichen Rechtsmittelfristen, sondern nur Wiedervorlagefristen vermerkt werden.

 

Normenkette

AO § 86 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob wegen Versäumung der Einspruchsfrist hinsichtlich des berichtligten Einkommensteuerbescheids 1957 Nachsicht zu gewähren ist.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat den Berichtigungsbescheid am 19. März 1964 zur Post gegeben. Hiergegen hat die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) durch ihren Prozeßbevollmächtigten, einen Steuerberater, am 23. April 1964 Einspruch eingelegt und mit Schreiben vom 24. April 1964 Nachsicht beantragt. Das FA wies den Einspruch als unzulässig zurück. Mit der vom FG als Klage behandelten Berufung macht die Steuerpflichtige geltend, im Büro ihres Beraters würden alle eingehenden Steuerbescheide und Rechtsbehelfsentscheidungen in einer Fristenkontrolle eingetragen, die täglich eingesehen werde. Die Berechnung der Rechtsbehelfsfristen sei dem Steuerberater selbst vorbehalten. Allgemein sei angeordnet, daß als Fristenablauf der Tag einen Monat nach Ausfertigung des Bescheides und Urteils eingetragen werde. Ohne Rücksicht auf das vom Absender gewählte Zustellungsverfahren werde der Tag der Ausfertigung als Tag der förmlichen Zustellung behandelt, damit stets Raum für die Übermittlungsdauer etwaiger Rechtsbehelfe bleibe. Es bestehe ferner die Anweisung, dem Berater selbst und bei seiner Abwesenheit seiner Vertreterin, der Steuerbevollmächtigten R, alle Bescheide vorzulegen, die an dem Tage selbst, d. h. einen Monat nach Ausfertigung, noch nicht geprüft seien. Diese Arbeiten würden von Frau J, einer erfahrenen und besonders zuverlässigen Bürokraft, ausgeführt. Am Montag, dem 20. April 1964, habe Frau J diese Arbeit kurzfristig und ohne Wissen des Beraters auf den ebenfalls im Büro tätigen Mitarbeiter H übertragen. Weil Herr H zu den qualifizierten Mitarbeitern gehöre und ihm als ehemaligen Steuerinspektor die Bedeutung und Tragweite dieser Arbeit hätte klar sein müssen, habe Frau J deshalb nicht um Genehmigung des Beraters nachgesucht. Am 20. April 1964 hätte dem Berater aber der berichtigte Einkommensteuerbescheid vorgelegt werden müssen, der unter Nr. 999 mit dem richtigen Fristenablauf vom 19. April 1964, einem Sonntag, in der Fristenkontrolle eingetragen gewesen sei. Vermutlich infolge eines Mißverständnisses bei der Übergabe sei dem Berater dieser Bescheid mit drei anderen Bescheiden, die am gleichen Tage fällig gewesen seien, nicht vorgelegt worden.

Das FG erhob Beweis durch Vernehmung der Angestellten J und H als Zeugen. Es wies die Klage im wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Ein Grund zur Nachsicht bestehe nicht. Die Steuerpflichtige müsse sich nach § 86 Satz 2 AO a. F. das Verhalten ihres Beraters, dieser den Fehler des Zeugen H als seines Sachbearbeiters wie sein eigenes Verhalten anrechnen lassen. Nach der Rechtsprechung des BFH (Entscheidung III 455/59 U vom 28. Juli 1961, BFH 73, 499, BStBl III 1961, 447) könne ein entschuldbares Büroversehen lediglich im Rahmen mechanischer Bürotätigkeit vorkommen. Hier aber sei der Fehler bei der Fachbearbeitung des Rechtsmittelfalles unterlaufen. Denn der für die Fristversäumnis verantwortliche Zeuge H sei in der Streitsache als Sachbearbeiter tätig geworden. Jedenfalls müsse sich der Berater der Steuerpflichtigen einen Organisationsmangel entgegenhalten lassen.

Mit der Revision macht die Steuerpflichtige Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend. Das FG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, das Beweisergebnis fehlerhaft gewürdigt und im Zusammenhang damit § 86 AO unrichtig angewandt. Ihr Vertreter führt u. a. aus, daß in das Fristenkontrollbuch alle eingehenden rechtsbehelfsfähigen Bescheide, Urteile usw. eingetragen worden seien, die Fristberechnung jedoch ihm selbst vorbehalten geblieben sei. Fehler hätten bei dieser Art der Organisation nicht vorkommen können. Die Fristversäumung sei allein durch die weisungswidrige Eigenmächtigkeit des Angestellten H verursacht worden.

Die Steuerpflichtige beantragt, das angefochtene Urteil und den angefochtenen Steuerbescheid aufzuheben, wegen der versäumten Einspruchsfrist Nachsicht zu gewähren und die Sache an das FG zurückzuverweisen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet, weil die Steuerpflichtige bzw. ihr Vertreter die Einspruchsfrist versäumt haben und Nachsicht gemäß § 86 AO nicht gewährt werden kann. Ob die Ansicht des FG zutrifft, daß der Angestellte H als Vertreter des Prozeßbevollmächtigten Fachbearbeiter des Einspruchs gewesen ist, kann unerörtert bleiben, da der Prozeßvertreter die Fristversäumnis selbst verschuldete, was die Steuerpflichtige zu vertreten hat (§ 86 Abs. 1 Satz 2 AO a. F.). Ein Verschulden liegt schon in einer unzureichenden Fristenkontrolle (Entscheidung des Reichsfinanzhofs III 135/38 vom 11. Januar 1940, RStBl 1940, 65). Denn der Prozeßbevollmächtigte hat durch die Organisation seines Bürobetriebes sicherzustellen, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (BFH-Entscheidung VII B 19/66 vom 22. November 1966, BFH 87, 51, BStBl III 1966, 681; Ziemer-Haarmann, Einspruch, Beschwerde und Klage in Steuersachen, Bd. I 1967, Rdnr. 461). Unerläßliche Voraussetzung einer ordnungsmäßigen Büroorganisation ist ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung (BFH-Entscheidung I 237/60 S vom 9. Mai 1961, BFH 73, 491, BStBl III 1961, 445). In diesem Buch muß der Ablauf der gesetzlichen Rechtsmittelfrist jeder einzelnen Sache vermerkt sein. Die Frist muß oder darf erst nach Vornahme der zu ihrer Einhaltung erforderlichen Handlung gestrichen werden (vgl. BFH-Entscheidung VI R 24/67 vom 7. August 1970, BFH 100, 71, BStBl II 1970, 814). Eintragung und spätere Streichung sind erforderlich, um die rechtzeitige Absendung der Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel zu gewährleisten. Sie dienen insbesondere zur Kontrolle der Fristwahrung. Die Notierung von Wiedervorlagefristen ist vielfach neben der Eintragung der Rechtsmittelfristen zweckmäßig, sie reicht jedoch für sich allein nicht zur ordnungsmäßigen Fristenkontrolle aus. Denn wenn im Fristenkalender nur Wiedervorlagefristen, auch als endgültige Fristen, wie der Vertreter der Steuerpflichtigen für seinen Fall behauptet, eingetragen werden, so ist hieraus nicht ersichtlich, wann die richtige Frist abläuft und ob die Rechtsmittelschrift rechtzeitig abgesandt wurde. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist deshalb seit jeher vom Erfordernis der Aufzeichnung der Rechtsmittelfristen ausgegangen (vgl. BFH-Entscheidung VII B 17/68 vom 11. Dezember 1968, BFH 94, 433, BStBl II 1969, 190; Entscheidung des BGH I b ZR 69/66 vom 27. September 1967, NJW 1967, 2311). Dem steht die Entscheidung des BGH vom 22. Dezember 1970 (HFR 1971, 308; Versicherungsrecht 1971 S. 372) nicht entgegen, wonach in einem Fall, in dem die Rechtsmittelfrist nicht sofort aufgezeichnet werden kann, wenigstens eine Vorfrist notiert werden müsse. Daß die Aufzeichnung von Vorfristen ganz allgemein ausreicht, kommt in dieser Entscheidung nicht zum Ausdruck.

Da der Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen nicht die nach dem Eingang des Vorgangs errechneten Rechtsmittelfristen in das Fristenkontrollbuch hat eintragen lassen, sondern lediglich Wiedervorlagefristen, die keinen ausreichenden Anhalt für den Ablauf der Frist gaben, wie er selbst vorträgt, war seine Büroorganisation mangelhaft, so daß ihn ein Verschulden trifft, das sich die Steuerpflichtige anrechnen lassen muß. Dieser Mangel der Büroorganisation war auch ursächlich für die Fristversäumung. Wäre nämlich die Einspruchsfrist, die versäumt wurde, im Fristenkontrollbuch präzis eingetragen worden, so wäre kein Raum für eine falsche Errechnung der Frist mehr gewesen und auch der unbefugte Eingriff des Angestellten H hätte nicht zur Fristversäumung führen können. Da es nur darauf ankommt, daß der Prozeßbevollmächtigte den Mangel der Fristenkontrolle verschuldet hat und dieser Mangel ursächlich für die Fristversäumung war, ist es ohne Bedeutung, ob der Prozeßvertreter den unbefugten Eingriff des Angestellten H voraussehen konnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70286

BStBl II 1973, 169

BFHE 1973, 486

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