Leitsatz (amtlich)

Die nach dem Urteil des I. Senats I 25/65 vom 9. Oktober 1968 (BFH 93, 548, BStBl II 1969, 26) bei der Übernahme des gesamten Bestandes an Versicherungsverträgen eines bestimmten Versicherungszweiges einschließlich der Aktivwerte in der Steuerbilanz der übernehmenden Versicherungsgesellschaft gebildete Rückstellung kann bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens dieser Gesellschaft nicht als Betriebsschuld im Sinne des § 62 Abs. 1 BewG i. d. F. vor dem BewG 1965 abgezogen werden.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 62 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin betrieb in den Jahren 1953 bis 1957 neben der Sachversicherung (Feuer-, Einbruch- und Diebstahl-, Leitungswasser-, Gas-, verbundene Hausrat- und Fahrradversicherung) auch die Personenversicherung (allgemeine Unfall-, Volksunfall- und allgemeine Haftpflichtversicherung). Sie hatte zum 1. Januar 1953 von einer Lebensversicherungsanstalt a. G. die Bestände der Volksunfallversicherung übernommen und im Zusammenhang damit die bis zu diesem Zeitpunkt auf 174 062 DM aufgelaufene Bedeckung einer „Deckungsrückstellung” überwiesen erhalten. Die Klägerin hatte in ihren Bilanzen für die Volksunfallversicherung folgende „Deckungsrückstellungen” gebildet:

31. 12. 1952

31. 12. 1953

31. 12. 1954

31. 12. 1956

31. 12. 1957

DM 1 623

DM 296 768

DM 439 470

DM 709 370

DM 927 270

In gleicher Höhe hatte die Klägerin diese Rückstellungen in ihre Vermögensaufstellungen auf den 1. Januar 1953, 1. Januar 1954, 1. Januar 1955 und 1. Januar 1957 eingestellt, und waren sie bei den Einheitswertfeststellungen für das Betriebsvermögen auf diese Stichtage vom FA übernommen worden. Die Einheitswertbescheide waren unanfechtbar geworden.

Bei einer in den Jahren 1958 und 1959 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, daß die sogenannten „Deckungsrückstellungen” nicht nach § 62 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes in der vor dem Bewertungsgesetz 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG) abzugsfähig seien. Das FA schloß sich dieser Auffassung an, berichtigte die Einheitswertbescheide zum 1. Januar 1953, 1. Januar 1954, 1. Januar 1955 und 1. Januar 1957 nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO und führte eine Wertfortschreibung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1958 durch. Bei allen diesen Einheitswertfeststellungen ließ es die Deckungsrückstellungen nicht zum Abzug zu.

Einspruch und Berufung blieben in diesem Punkte ohne Erfolg.

Mit der Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, hatte die Klägerin zunächst weitere Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Berichtigung der Einheitswertfeststellungen erhoben und war sachlich bei ihrer Auffassung verblieben, daß die von ihr in den Handelsbilanzen gebildeten „Dekkungsrückstellungen” in der Volksunfallversicherung nach § 62 Abs. 2 BewG abzugsfähig seien. Sie hatte beantragt, die in der Handelsbilanz ausgewiesenen Deckungsrückstellungen für die Volksunfallversicherung zum 1. Januar 1953, 1. Januar 1954, 1. Januar 1955, 1. Januar 1957 und 1. Januar 1958 als versicherungstechnische Rücklagen gemäß § 62 Abs. 2 BewG in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Satz 1 BewDV anzuerkennen. Nachdem der I. Senat in dem zur Körperschaftsteuer ergangenen Urteil I 25/65 vom 9. Oktober 1968 (BFH 93, 548, BStBl II 1969, 26) diese Einwendungen als unbegründet erklärt hat, hat die Klägerin ihren Revisionsantrag eingeschränkt. Sie beantragt nunmehr, wie bei der Körperschaftsteuer zum 1. Januar 1954 eine Rückstellung von 174 062 DM als echte Schuld zum Abzug zuzulassen. Diese Rückstellung sei zum 1. Januar 1955, 1. Januar 1957 und 1. Januar 1958 nach Maßgabe des Auslaufens der zum 1. Januar 1953 übernommenen Volksunfallversicherungsverträge aufzulösen. Der Umfang der Auflösung solle vom FG festgestellt werden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Nachdem die Klägerin ihren ursprünglichen Revisionsantrag eingeschränkt hat, braucht der Senat nicht mehr zu den Einwendungen Stellung zu nehmen, die die Klägerin gegen die Zulässigkeit der Berichtigung der Einheitswertfeststellungsbescheide nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO und gegen die Nichtanerkennung der von der Klägerin in den Handelsbilanzen gebildeten „Deckungsrückstellungen” für die Volksunfallversicherung als versicherungstechnische Rücklagen im Sinne des § 62 Abs. 2 BewG erhoben hatte. Insoweit hat die Klägerin ihre Einwendungen mit der Einschränkung ihres Revisionsantrags fallengelassen. Dem eingeschränkten Antrag der Klägerin im Schriftsatz vom 13. Mai 1969 kann nicht entsprochen werden. Der I. Senat hat allerdings in dem Urteil I 25/65 (a. a. O.) die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen, weil er der Auffassung war, daß die in der Handelsbilanz zum 31. Dezember 1953 gebildete sogenannte „Deckungsrückstellung” nicht in voller Höhe gewinnerhöhend aufzulösen sei, sondern in Höhe von 174 062 DM weiter bestehen bleiben könne. Mit diesem Betrag hatte die Klägerin zum 31. Dezember 1953 die mit den übernommenen Volksunfallversicherungsverträgen übertragenen Aktivwerte eingebucht. Der I. Senat ist der Auffassung, daß die dadurch eingetretene Gewinnerhöhung wegen der mit diesen übernommenen Versicherungsverträgen verbundenen Risiken zum 31. Dezember 1953 in voller Höhe durch Bildung einer entsprechend hohen Rückstellung neutralisiert werden müsse. Diese Rückstellung sei sodann nach Maßgabe des Auslaufens der übernommenen Versicherungsverträge in den einzelnen Jahren gewinnerhöhend aufzulösen. Die Höhe der jeweiligen Auflösung solle das FG noch ermitteln. Der I. Senat hat diese Rückstellung also wegen des im Ertragssteuerrecht geltenden Verbots des Ausweises nicht realisierter Gewinne zugelassen. Im Bewertungsrecht ist wegen des Stichtagsprinzips und wegen der Vorschrift des § 6 Abs. 1 BewG (Nicht-Berücksichtigung aufschiebend bedingter Lasten) der Abzug einer solchen Rückstellung nicht zulässig. Die mit der Übernahme des Versicherungsbestandes auf die Klägerin übergegangenen Verpflichtungen können vielmehr nur in dem Umfang zum Abzug zugelassen werden, in dem die Klägerin bis zum jeweiligen Stichtag aus diesen Verpflichtungen in Anspruch genommen worden ist. Soweit diese Schadensfälle bis zum Stichtag noch nicht abgewickelt sind, sind die zur Abwicklung noch erforderlichen Beträge bereits in der von der Klägerin gebildeten Schadensrückstellung berücksichtigt, so daß eine weitere Rückstellung auch für diese Fälle nicht möglich ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557305

BStBl II 1969, 724

BFHE 1970, 47

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