Entscheidungsstichwort (Thema)

Lieferung nach Beendigung einer Organschaft

 

Leitsatz (NV)

1. Wird ein unter Vorsteuerabzug errichtetes Betriebsgebäude nach Auflösung der Organschaft von dem ehemaligen Organträger an die ehemalige Organgesellschaft steuerfrei geliefert, ist eine zur Vorsteuerberichtigung verpflichtende Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 15 a Abs. 4 UStG gegeben.

2. Der Unternehmer kann dem Abnehmer die Verfügungsmacht über ein bebautes Grundstück schon vor Eigentumsübertragung verschaffen, wenn der Abnehmer unmittelbarer Besitzer des Grundstücks ist und seine Rechtsstellung durch eine formwirksame Auflassung sowie durch Bewilligung und Antrag auf Eigentumsänderung im Grundbuch gesichert wird.

 

Normenkette

UStG 1973 §§ 15a, 3

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin erwarb ein Grundstück, errichtete darauf ein Betriebsgebäude und zog auf die Herstellungskosten des Gebäudes entfallende Umsatzsteuer von . . . DM als Vorsteuerbeträge ab.

Bis zum 28. . . . 1978 war die X-Handels-GmbH in das Unternehmen der Klägerin als Organgesellschaft eingegliedert. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 28. . . . 1978 verkaufte die Klägerin das von ihr bebaute Betriebsgrundstück für . . . DM an die X-Handels-GmbH. Der Kaufpreis wurde nicht an die Klägerin ausgezahlt. Sie brachte die Kaufpreisforderung als Stammeinlage in die X-Handels-GmbH ein. Nach § 3 des bezeichneten Kaufvertrages war die Besitzübergabe bereits erfolgt. Die X-Handels-GmbH hatte die Grundstückslasten schon ab 1. . . . 1978 übernommen. Die Klägerin erklärte in demselben notariellen Vertrag die Auflassung und bewilligte und beantragte die Eintragung der Eigentumsänderung im Grundbuch. Nach Eingang der letzten zur Wirksamkeit des Vertrages erforderlichen Genehmigung am 10. . . . 1978 wurde die X-Handels-GmbH am 8. . . . 1981 als Eigentümerin im Grundbuch für das Grundstück eingetragen. Die X-Handels-GmbH hatte das bebaute Grundstück in ihrer Bilanz zum 30. . . . 1979 als Zugang im Wirtschaftsjahr 1978/79 ausgewiesen und von den Anschaffungskosten für das Gebäude AfA vorgenommen. Die Klägerin bilanzierte das bebaute Grundstück in ihrer Bilanz zum 30. . . . 1978 nicht mehr.

Ebenfalls am 28. . . . 1978 übertrug der alleinige Gesellschafter der Klägerin durch notariell beurkundete Erklärung seine Stammeinlage von . . . DM an der X-Handels-GmbH auf die Klägerin, die nunmehr sämtliche Anteile an der X-Handels-GmbH besaß. Zugleich wurde das Stammkapital der X-Handels-GmbH auf . . . DM erhöht. Davon übernahm ein neuer Gesellschafter eine Stammeinlage von . . . DM, die - wie die Beteiligten erklärten - in die X-Handels-GmbH ,,in bar eingebracht worden sind". Die Klägerin erwarb einen weiteren Geschäftsanteil von . . . DM, so daß ihre Stammeinlage nunmehr . . . DM betrug.

Entsprechend dem Ergebnis einer Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (- FA -) an, daß die Organschaft zwischen der Klägerin und der X-Handels-GmbH am 28. . . . 1978 beendet worden sei und daß die steuerfreie Veräußerung des Grundstücks an die X-Handels-GmbH eine Änderung der Verhältnisse i. S. von § 15 a UStG 1973 darstelle. Die Verschaffung der Verfügungsmacht nahm das FA mit Eingang der letzten zur Wirksamkeit des Kaufvertrages erforderlichen Genehmigung am 10. . . . 1978 an. Das FA berichtigte in dem angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 1978 die bezeichneten Vorsteuerbeträge in Höhe von . . . DM.

Einspruch und Klage wegen der Berichtigung des Vorsteuerabzugs blieben erfolglos. Das FG folgte der Ansicht der Klägerin nicht, daß das bebaute Grundstück schon vor Beendigung der Organschaft an die X-Handels-GmbH übergegangen sei und daß deswegen die Voraussetzungen des § 15 a Abs. 1, Abs. 4 UStG 1973 nicht gegeben seien. Es nahm an, die Organschaft zwischen der Klägerin und der X-Handels-GmbH sei am 28. . . . 1978 durch Aufnahme eines neuen Gesellschafters in die X-Handels-GmbH beendet worden. Im Zuge des Wegfalls der Voraussetzungen für die Organschaft habe die Klägerin das bebaute Grundstück ebenfalls am 28. . . . 1978 steuerbar an die nicht mehr ihr organschaftlich verbundene X-Handels-GmbH geliefert. Da dieser Umsatz gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei gewesen sei, sei die Klägerin verpflichtet, abgezogene Vorsteuerbeträge aus den Herstellungskosten für das Betriebsgebäude nach § 15 a Abs. 4 UStG zu berichtigen. Wegen des Verböserungsverbots könne auf sich beruhen, daß das FA von einer steuerfreien Lieferung des bebauten Grundstücks durch die Klägerin erst am 10. . . . 1978 ausgegangen sei.

Die Klägerin rügt mit der Revision sinngemäß Verletzung des § 15 a UStG 1973. Sie führt dazu aus, das Grundstück sei während des Bestehens der Organschaft Anfang . . . 1978 geliefert worden. Der gewollte Eigentumsübergang nach dem notariellen Kaufvertrag sei zum 1. . . . 1978 anzunehmen, was sich auch aus einer Rechnung über die Veräußerung am 7. . . . 1978 ergebe. Damit sei die Veräußerung innerhalb des Bestehens der Organschaft nicht steuerbar erfolgt. § 15 a Abs. 4 UStG 1973 setzte einen steuerbaren Umsatz voraus. Eine Vorsteuerberichtigung nach § 15 a UStG 1973 könne frühestens bei einer Veräußerung des Grundstücks durch die X-Handels-GmbH in Betracht kommen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1978 ohne Berichtigung des Vorsteuerabzugs festzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 - FGO -). Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin zur Berichtigung des 1975 vorgenommenen Abzugs der auf Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge für das Betriebsgebäude verpflichtet war (§ 15 a Abs. 1, Abs. 4 UStG 1973), weil sie das Gebäude am 28. . . . 1978 nach Beendigung der Organschaft steuerfrei an die X-Handels-GmbH geliefert hat.

1. Nach § 15 a Abs. 1 Satz 1 UStG 1973 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb von 10 Jahren (bei Grundstücken, § 15 a Abs. 1 Satz 2 UStG 1973) ändern. Eine Änderung der Verhältnisse liegt gemäß § 15 a Abs. 4 UStG 1973 auch vor, wenn das noch verwendungsfähige Wirtschaftsgut vor Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums veräußert wird und dieser Umsatz für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen ist, als die Verwendung im ersten Kalenderjahr. Die Berichtigung der im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung abgezogenen Vorsteuerbeträge findet im Jahr der Änderung der Verhältnisse durch Veräußerung statt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. 2. 1988 - X R 67/82 -, BFHE 152, 564, BStBl II 1988, 622, unter II.2. c); vom 9. 4. 1987 - V R 23/80 -, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527, unter II.1. b). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

a) Die Klägerin hat die auf die Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge für das von ihr errichtete und danach erstmals für steuerpflichtige Umsätze verwendete Betriebsgebäude abgezogen. Sie hat dieses Betriebsgebäude im Streitjahr 1978 - innerhalb des maßgeblichen Berichtigungszeitraums (§ 15 a Abs. 1 Satz 2 UStG 1973) - steuerfrei nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973 veräußert und einen Umsatz ausgeführt, der für den Vorsteuerabzug anders, nämlich vorsteuerabzugsschädlich (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1973), zu beurteilen ist, als die Verwendung im ersten Kalenderjahr (§ 15 a Abs. 4 UStG 1973).

Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin das Gebäude i. S. von § 15 a Abs. 4 UStG 1973 veräußert hat. Der im bürgerlichen Recht verwendete Begriff ,,veräußern" bezeichnet die Verfügung über einen Gegenstand (vgl. z. B. § 445 - BGB -), damit auch die Übertragung des Eigentums an einer Sache (vgl. § 932 BGB). Der umsatzsteuerrechtliche Zusammenhang, in dem von ,,veräußern" eines noch verwendungsfähigen Wirtschaftsguts in § 15 a Abs. 4 UStG 1973 die Rede ist, ergibt, daß damit nicht die bürgerlich-rechtliche Eigentumsübertragung, sondern eine Umsatztätigkeit gemeint ist. Das folgt auch daraus, daß der Tatbestand in § 15 a Abs. 4 UStG 1973 außer durch Veräußerung durch Entnahme zum Eigenverbrauch erfüllt werden kann und daß diese Vorgänge als Umsatz bezeichnet werden. Entgeltliche Veräußerung eines Wirtschaftsguts durch Umsatz ist bei einer Lieferung gegeben (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 UStG 1973), d. h. bei der Verschaffung der Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut an einen Abnehmer.

b) Im Streitfall hat die Klägerin das Gebäude (bebaute Grundstück) i. S. von § 15 a Abs. 4 UStG veräußert; denn sie hat es nach Auflösung der Organschaft an die X-Handels-GmbH geliefert.

Die Lieferung ist gegeben, wenn die wirtschaftliche Substanz eines Gegenstands unbedingt von dem Leistenden auf den Leistungsempfänger übergeht und dies von den Beteiligten endgültig und nicht nur auf Zeit gewollt ist (vgl. BFH-Urteile vom 29. 9. 1987 - X R 13/81 -, BFHE 151, 469, BStBl II 1988, 153 unter 2.; vom 20. 2. 1986 - V R 133/75 -, BFH / NV 1986, 311 unter 4., m. w. N.). Der Unternehmer kann dem Abnehmer die Verfügungsmacht über ein bebautes Grundstück schon vor Eigentumsübergang (§§ 873, 925 BGB) verschaffen (vgl. BFH-Urteil vom 6. 12. 1979 - V R 87/72 -, BFHE 129, 425 - BStBl II 1980, 279 unter 3. a), wenn er ihm im Verhältnis der Vertragsparteien eine eigentümerähnliche Stellung verschafft, die im Außenverhältnis abgesichert ist (z. B. durch Auflassungsvormerkung - § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB - oder durch Verschaffung des mittelbaren Besitzes - § 869 BGB -).

Das FG ist bei seiner Entscheidung zutreffend von dieser Rechtslage ausgegangen. Es hat festgestellt, daß die Klägerin der X-Handels-GmbH die Verfügungsmacht über das bebaute Grundstück am 28. . . 1978 verschafft hat. An diese Feststellung ist der BFH gebunden, denn sie ist möglich, weil sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder durch die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt worden ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 1. 4. 1971 - IV R 195/69 -, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522, 523).

Das FG hat bei seiner Würdigung berücksichtigt, daß die X-Handels-GmbH am 28. . . 1978 unmittelbare Besitzerin des Grundstücks war (§ 854 Abs. 1 BGB) und ihre Rechtsstellung durch die an diesem Tag erklärte formwirksame Auflassung (§ 925 Abs. 1 BGB) und durch die Bewilligung und Beantragung der Eigentumsänderung im Grundbuch (§ 873 Abs. 1 BGB) gesichert war.

c) Im Zeitpunkt der Lieferung am 28. . . 1978 war die Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1973) zwischen der Klägerin und der X-Handels-GmbH bereits beendet.

Das FG hat die in den notariellen Urkunden geschilderten Vorgänge insgesamt dahin gewürdigt, daß die Voraussetzung für die Organschaft weggefallen und daß das Betriebsgebäude an einen nicht mehr mit der Klägerin organschaftlich verbundenen Unternehmer veräußert worden war. An diese nicht durch zulässige Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Schlußfolgerungen ist das Revisionsgericht gebunden, denn sie sind - was ausreicht - möglich. Es ist vertretbar, davon auszugehen, daß die finanzielle Eingliederung der X-Handels-GmbH in das Unternehmen der Klägerin weggefallen war, als der neue Gesellschafter . . . DM in die GmbH bar eingezahlt hatte, wodurch ihm 2/3 der Gesellschaftsanteile wirtschaftlich zufielen. Da die Bareinzahlung nach der notariellen Verhandlung vom 28. . . 1978 bereits geleistet worden war, ist auch die Schlußfolgerung des FG möglich, daß die Lieferung des bebauten Grundstücks am 28. . . 1978 nach Beendigung der Organschaft ausgeführt worden ist.

d) Die Rechtsanwendung des FG auf den festgestellten Sachverhalt ist fehlerfrei. Durch die steuerfreie Lieferung des bebauten Grundstücks (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973) an die X-Handels-GmbH am 28. . . 1978 haben sich die für den Vorsteuerabzug auf die Herstellungskosten des Betriebsgebäudes maßgebenden Verhältnisse geändert (§ 15 a Abs. 4 UStG 1973). Die Berichtigung des Abzugs der auf die Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge ist zutreffend so vorgenommen worden, als wäre das Betriebsgebäude in der Zeit von der Veräußerung bis zum Ablauf des maßgeblichen Berichtigungszeitraums unter entsprechend geänderten Verhältnissen weiterhin für das Unternehmen der Klägerin verwendet worden (§ 15 a Abs. 6 UStG 1973). Das FG hat dabei berücksichtigt, daß wegen des Verböserungsverbots zugunsten der Klägerin von einer Vorsteuerberichtigung erst am 10. . . 1978 - wie im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 1978 - auszugehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63013

BFH/NV 1990, 741

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