Leitsatz (amtlich)

Ein lediger Arbeitnehmer, der wegen eines dienstlich veranlaßten Lehrgangs von verhältnismäßig kurzer Dauer vorübergehend seinen Aufenthalt am Ort des Lehrgangs oder in dessen Nähe nimmt und am bisherigen Wohnort seine Wohnung, die auch während der Zeit des Lehrgangs den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bildet, beibehält, kann Kosten für wöchentlich eine Heimfahrt unter Zugrundelegung eines Satzes von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Werbungskosten abziehen.

 

Normenkette

EStG 1969 und 1971 § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 5

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit 1969 Inspektorenanwärter in X. Er ist ledig und Mieter einer abgeschlossenen Mehrzimmerwohnung in X. Ab 1. November 1971 besuchte er bis 9. Juni 1972 den Inspektorenabschlußlehrgang in Y. Während dieser Zeit behielt er seine Wohnung in X bei und mietete in Y ein möbliertes Zimmer. Er fuhr während dieser Zeit des öfteren nach X (Entfernung 100 km) und hielt sich nach seinen Angaben im Streitjahr 1971 an etwa 26 Tagen in Y und an etwa 34 Tagen in X auf, im Streitjahr 1972 an etwa 83 Tagen in Y und an etwa 78 Tagen in X. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte bei der Einkommensteuerveranlagung 1971 statt der beantragten Kosten für acht Fahrten nur die Kosten für zwei Fahrten und bei der Einkommensteuerveranlagung 1972 statt der Kosten für 22 Fahrten nur die Kosten für sechs Fahrten zwischen Y und X als Werbungskosten an. Das FA ging davon aus, daß der Kläger nicht, wie er es beantragt hatte, je Woche eine Fahrt, sondern nur je Monat eine Fahrt geltend machen konnte.

Das Finanzgericht (FG) erkannte auf die nach erfolglosen Einsprüchen erhobenen Klagen die vom Kläger geltend gemachten Kosten für wöchentlich eine Fahrt als Werbungskosten an und setzte unter Zugrundelegung eines Satzes von 0,36 DM je Entfernungskilometer die Einkommensteuer der Jahre 1971 und 1972 entsprechend herab. Im übrigen wies es wegen anderer in der Revision nicht mehr streitiger Begehren die Klage ab. Es führte u. a. aus:

Der Kläger habe während des Lehrgangs einen doppelten Haushalt (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) geführt. Der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe weiterhin in X gelegen. Im Hinblick auf den vorübergehenden Charakter des Lehrgangs habe der Kläger keinen Anlaß gehabt, die eingerichtete und abgeschlossene Wohnung in X für die Zeit des Lehrgangs aufzugeben. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) halte bei "kurzen Abwesenheitszeiten" die doppelte Haushaltsführung eines Ledigen für möglich (Urteil vom 19. November 1971 VIR 132/69, BFHE 103, 533, BStBl II 1972, 155). Es könne dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung zu eng sei. Jedenfalls sei hier nur eine kurze Abwesenheit anzunehmen. Allerdings habe der BFH im Urteil vom 11. August 1961 VI 143/60 U (BFHE 73, 669, BStBl III 1961, 509) ausgeführt, eine Heimfahrt monatlich genüge, um in der beibehaltenen Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Sollte der Hinweis dahin zu verstehen sein, daß nur die Kosten für eine Heimfahrt monatlich anerkannt werden können, so könne dem nicht gefolgt werden. Werde eine doppelte Haushaltsführung steuerlich berücksichtigt, so könne es nicht richtig sein, den Steuerpflichtigen auf ein "gelegentliches Aufsuchen" seines Hausstands zu verweisen. Er wolle ja am Wohnort nicht nur nach dem Rechten sehen, sondern dort weiterhin leben.

Mit seinen Revisionen macht das FA die Verletzung des § 9 Abs. 1 EStG geltend. Es führt u. a. aus: Das FG weiche von den BFH-Urteilen VIR 132/69 und VI 143/60 U ab, indem es seiner Entscheidung eine doppelte Haushaltsführung zugrunde lege und die Kosten wöchentlicher Heimfahrten als Werbungskosten zum Abzug zulasse. Wie dem Urteil vom 3. Dezember 1974 VIR 159/74 (BFHE 114, 428, BStBl II 1975, 356) zu entnehmen sei, werde eine doppelte Haushaltsführung bei Ledigen nicht allein wegen der kurzen Abwesenheit begründet. Der BFH bejahe für diesen Fall lediglich den grundsätzlichen Werbungskostencharakter der aus Anlaß der Abwesenheit entstandenen Aufwendungen. Nach dieser Entscheidung gehörten nur die Aufwendungen einer monatlichen Beaufsichtigungsfahrt zu den Werbungskosten.

Der Kläger trägt vor, er habe in X einen Haushalt geführt und einen Hausstand unterhalten und verweist auf das BFH-Urteil vom 15. November 1974 VIR 195/72 (BFHE 114, 340, BStBl II 1975, 278). Er bittet um Prüfung, ob es sich bei dem Besuch des Lehrgangs in Y nicht um eine Dienstreise gehandelt habe, bei der dann sämtliche Fahrtkosten geltend gemacht werden könnten (BFH-Urteil vom 17. Dezember 1976 VI R 118/75, BFHE 121, 193, BStBl II 1977, 295).

Auf Aufforderung des Senats ist der Bundesminister der Finanzen (BdF) dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). In seiner Stellungnahme vertritt der BdF die Auffassung, daß ein lediger Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand Heimfahrten zur bisherigen Unterkunft nicht in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, sondern nur in Höhe der niedrigeren Kilometer-Pauschbeträge (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 EStG) als Werbungskosten abziehen könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen VIR 13/76 (betreffend Einkommensteuer 1971) und VI R 14/76 (betreffend Einkommensteuer 1972) werden zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden (§§ 73, 121 FGO).

Die Revisionen des FA sind nicht begründet.

Der Kläger kann zwar nicht verlangen, daß die für Dienstreisen entwickelten Grundsätze Anwendung finden. Eine Dienstreise setzt nach den zutreffenden Ausführungen in Abschn. 21 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1970 und 1972 voraus, daß der Arbeitnehmer vom Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte abwesend ist. Regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers war im Streitfall der Ort des Lehrgangs, von dem auch der Kläger nicht behauptet, abwesend gewesen zu sein.

Der Kläger führte während der Zeit seines Lehrgangs entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch keinen doppelten Haushalt. Er gab zwar seine mit eigenen Möbeln eingerichtete Wohnung in X während der Dauer des Lehrgangs nicht auf. Er "unterhielt" während dieser Zeit aber nicht gleichzeitig zwei Haushalte. Das "Unterhalten" eines eigenen Hausstandes setzt nämlich voraus, wie der Senat bereits im Urteil VIR 132/69 entschieden hat, daß der eigene Hausstand auch zur Lebensführung genutzt word. Die Lebensführung muß also auf zwei verschiedene Haushalte aufgeteilt sein. Diese Voraussetzung ist bei Verheirateten in der Regel gegeben, weil neben dem Haushalt des Arbeitnehmers am Beschäftigungsort gleichzeitig der Haushalt für die Familienmitglieder am Wohnort weitergeführt wird. Ein Lediger kann aber nicht zu gleicher Zeit zwei verschiedene Haushalte an verschiedenen Orten "unterhalten". Lebt er in einem möblierten Zimmer am Beschäftigungsort, so "unterhält" er hier seinen Haushalt; in seiner Wohnung mit eigenen Möbeln am früheren Wohnort aber ruht der Haushalt während dieser Zeit. Diesen Haushalt "unterhält" er nur, während er sich tatsächlich in der Wohnung aufhält. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest, weil die Gleichstellung von Ledigen mit Verheirateten hinsichtlich des Verpflegungsmehraufwandes nicht gerechtfertigt ist. Die in Abschn. 26 LStR vorgesehenen Pauschsätze erscheinen zwar bei Verheirateten, denen durch das gleichzeitige Unterhalten von zwei verschiedenen Haushalten an zwei verschiedenen Orten offensichtlich Mehraufwendungen entstehen, angemessen; ihre uneingeschränkte Anwendung würde aber bei Ledigen, die zur gleichen Zeit immer nur einen Haushalt zu unterhalten haben (wenn auch unter Umständen nacheinander an verschiedenen Orten), unangemessen sein und zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen.

Der Senat hat jedoch in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß auch bei Arbeitnehmern, die keinen doppelten Haushalt führen, Werbungskosten anfallen können, wenn sie vorübergehend ihren Aufenthalt an einem auswärtigen Ort nehmen, an dem dienstlich veranlaßte Lehrgänge stattfinden (Urteil VIR 159/74). Dies ist beim Kläger der Fall. Auch die weiter vom Senat geforderten Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Es handelt sich um einen vorübergehenden Aufenthalt von verhältnismäßig kurzer Dauer; der Kläger hat des weiteren den Mittelpunkt seines Lebens an dem bisherigen Wohnort X beibehalten, an den er nach Beendigung der dienstlichen Abordnung nach Y zurückkehren wird. Unter diesen Voraussetzungen hat der Senat außer Verpflegungsmehraufwand in begrenztem Umfang (vgl. Urteil VIR 159/74) Mietmehrkosten am Beschäftigungsort und die Kosten für gelegentliche Fahrten zur Beaufsichtigung der bisherigen Wohnung (vgl. Urteil vom 23. Juli 1976 VIR 228/74, BFHE 119, 561, BStBl II 1976, 795) als Werbungskosten anerkannt. Dieser Rechtsprechung liegt die Überlegung zugrunde, daß die Verhältnisse von Verheirateten, die einen doppelten Haushalt führen, und von Ledigen, die unter Beibehaltung ihrer Wohnung einen vorübergehenden Aufenthalt an einem auswärtigen Beschäftigungsort nehmen, zwar nicht gleichgesetzt werden können, daß sie aber doch in einigen Beziehungen vergleichbar sind. Es liegt deshalb nahe, die für eine doppelte Haushaltsführung entwickelten Grundsätze bei Ledigen insoweit anzuwenden, als die Verhältnisse vergleichbar sind.

Die hier streitigen Fahrtaufwendungen des Klägers sind mit Aufwendungen eines Verheirateten für Familienheimfahrten vergleichbar. Zwar unternimmt der ledige Kläger die Fahrten nicht wie ein Verheirateter, um seine Familie aufzusuchen. Vergleichbar ist aber, daß der Kläger wie ein Verheirateter die Fahrten unternimmt, um sich zu dem beibehaltenen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen zu begeben. Der Senat hält es deshalb für angemessen und gerechtfertigt, dem Kläger für seine Fahrtaufwendungen den Werbungskostenabzug in demselben Umfang zuzubilligen, wie ihn ein Verheirateter nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG geltend machen könnte. Dies bedeutet, daß der Kläger, wie das FG - wenn auch mit zum Teil anderer Begründung - angenommen hat, die Kosten für wöchentlich eine Fahrt, nicht nur, wie das FA angenommen hat, für monatlich eine Fahrt als Werbungskosten abziehen kann. Soweit sich aus den Urteilen VI 143/60 U und VIR 132/69 etwas anderes ergeben sollte, hält der Senat daran nicht fest.

Der Senat tritt dem FG in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des BdF auch darin bei, daß der Kläger die Fahrtkosten nicht in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, sondern nur in Höhe der niedrigeren Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten geltend machen kann. Wie bereits dargelegt, sind die Verhältnisse bei Verheirateten und Ledigen hinsichtlich der hier streitigen Fahrtaufwendungen vergleichbar. Es würde dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen, wenn unter diesen Umständen Ledige ihre Fahrtaufwendungen mit höheren Pauschbeträgen als Verheiratete abziehen könnten. Dies ist zwar nicht ausdrücklich im Gesetz vorgeschrieben; es ergibt sich aber, wie auch der BdF dargelegt hat, zwingend aus seinem systematischen Zusammenhang, insbesondere der Vergleichbarkeit insoweit mit einer doppelten Haushaltsführung, für die diese Frage ausdrücklich geregelt ist.

Das FG hat hiernach zutreffend die Kosten für wöchentliche Heimfahrten des Klägers unter Zugrundelegung eines Satzes von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Werbungskosten anerkannt. Die Revisionen des FA waren daher, wenn auch mit teilweise abweichender Begründung, zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413375

BStBl II 1979, 157

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